Die Realität entspricht nicht dem glatten Idealbild, das häufig von moderner Unternehmensführung, standardisierten Richtlinien und den Segnungen moderner Technologie gezeichnet wird. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Organisationsberatung ComTeam. Dargelegt wird unter anderem, dass straffe Vorgaben offenbar viele Mitarbeiter demotivieren und dass das Pauken von Compliance-Vorgaben mit E-Learning-Tools in der Praxis nicht funktioniert. Zudem trübt ein verbreitetes Gefühl von Anonymität die Mitarbeiterführung aus der Distanz via virtuelle Kommunikationswege.
Standardisierung und Prozessdefinition werde von der Mehrheit der Führungskräfte zwar befürwortet – unter anderem deshalb, weil man sich bezüglich rechtlicher Vorgaben so auf der sicheren Seite wähnt. „Für zwei Drittel der Mitarbeitenden ist das eigene Unternehmen jedoch bereits heute überorganisiert“, heißt es in der Studie. Befragt wurden von der ComTeam AG Gmund knapp 450 Fach- und Führungskräfte.
Klar definierte Prozesse tragen zwar neben einer Risikominimierung auch dazu bei, dass sich Kunden über höhere Qualität und schnellere Prozesse freuen dürfen. Allerdings leisten sie wenig für die Lösung von Konflikten, moniert ComTeam. Aus Sicht der Mitarbeiter seien sie oft Motivationskiller, die Eigeninitiative und Gestaltungsräume ersticken.
Kritik an Geschäftsführung und mittlerem Management
Unzufrieden sind die Mitarbeiter vor allem damit, wie ihre Chefs mit Regeln und Prozessen umgehen. „Je 80 Prozent trauen dem Mittelmanagement und der Geschäftsleitung nicht zu, für sinnvolle Regeln und angemessene Prozesse im eigenen Unternehmen zu sorgen“, so die Berater.
Die Studie diagnostiziert weithin Defizite im Bereich Führung, die nachdenklich stimmen. So meinen 70 Prozent der Mitarbeiter, dass eine Führungsaufgabe in den vergangenen Jahren unattraktiver geworden sei. Schlimmer noch: Sogar 45 Prozent der jungen Führungskräfte stimmen der Aussage zu, obwohl sie selbst just eine derartige Karriere vor sich haben. ComTeam mahnt an, viele Firmen müssten aktiver werden, um junge Mitarbeiter für eine Karriere im Unternehmen zu begeistern. Dazu zähle vor allem die zielgerichtete Heranführung an solche Aufgaben.
Führungskräfte haben keine Zeit mehr für Führungsaufgaben
„Befördert wird, wer die Planzahlen am besten erfüllt oder hervorragendes Selbstmarketing betreibt, und nicht, wer sich durch besonders gute Mitarbeiterführung auszeichnet“, bemängeln die Berater. Hinzu komme, dass fast drei Viertel der Führungskräfte 50 bis 75 Prozent ihrer Arbeitszeit für Facharbeit aufwenden müssen. Entsprechend wenig Zeit bleibt, um den Führungsaufgaben nachzukommen.
Auf IT-Technologie basierende Werkzeuge sind – so der klare Tenor der Studie – nur eine begrenzte Hilfe bei der Optimierung der Missstände. So mussten 60 Prozent der Befragten im vergangenen Jahr E-Learning-Tools zu Governance- und Compliance-Fragen ausfüllen. Die Intention dahinter ist logischerweise, die Mitarbeiter auf diese Weise für die Themen zu sensibilisieren. „Mit E-Learning-Tools gelingt das offensichtlich nicht, die Instrumente zeigen nur geringe Wirkung“, dämpft ComTeam jedoch diese Erwartung.
Juristisch absichern wichtiger als Verhalten ändern
Die Erfahrung zeige, dass die Mitarbeiter häufig mit möglichst geringem Aufwand die notwendige Punktzahl erreichen wollen. Beispielsweise tauschen Kollegen untereinander die richtigen Antworten aus, was von den Vorgesetzten oft toleriert wird. Ziel sei häufig eher die juristische Absicherung anstatt die Herbeiführung einer Verhaltensänderung, so die Berater. 60 Prozent der Befragten bekennen auch freimütig, ihr Verhalten unabhängig von den Compliance-Tests beizubehalten.
„Die Chefs gehen dabei mit besonders schlechtem Beispiel voran“, heißt es in der Studie. Als Führungskraft übernehme man Verantwortung für das Handeln der Mitarbeiter. „Die kann nicht an Tools delegiert werden“, so ComTeam. „Statt mehr Tools ist wieder mehr Kontakt über mehrere Führungsebenen notwendig.“
Dieses Problem berührt auch die „virtuelle“ Führung. Von den Studienteilnehmern führen 37 Prozent über Distanz und Zeitzonen hinweg, ein Drittel wird auf diese Weise geführt. „Knapp zwei Drittel der Führungskräfte, die virtuell führen, empfinden sich in dieser Führungsrolle als nicht besonders effektiv“, fasst ComTeam zusammen. Rund 80 Prozent der Manager mögen diese Art der Führung nach eigenen Angaben nicht besonders.
Virtuelle Fürhrung ein Quell von Missverständnissen
Auch die Mitarbeiter sehen die virtuelle Führung überwiegend kritisch. Immerhin 30 Prozent bezeichnen sie indes als „gut“ oder „sehr gut“. Vermisst wird insbesondere der persönliche Kontakt, was als Quell von Konflikten und Missverständnissen erlebt wird. Demgegenüber betonen zwei Drittel der Führungskräfte auch Vorteile wie Kostensenkung, kürzere Reaktionszeiten und attraktivere Arbeitsformen.
„Zu den Kernkompetenzen von Führungskräften gehören auch in der virtuellen Rolle hohe Kommunikationsfähigkeit, Empathie und die Bereitschaft zum Zuhören“, so ComTeam. Erfolgskritisch seien daneben die Vereinbarung klarer Regeln und ihre Durchsetzung.
Smartphone und Social Media
Überrascht zeigen sich die Studienautoren davon, wie wenig ausgeprägt die Nutzung moderner Kommunikationsinstrumente ist. Beispielsweise nutzten nur 16 Prozent häufig oder sehr häufig Videotelefonie, während mehr als die Hälfte oft an klassischen Telefonkonferenzen teilnimmt.
Während über 60 Prozent häufig oder sehr häufig mit ihrem Smartphone aufs Internet zugreifen, liegt die Quote an starker Nutzung bei anderen Technologien klar unter 20 Prozent. Das gilt etwa für Social Media, Messenger, Tablets, Wikis und Blogs.
ComTeam sieht ein Problem darin, dass einerseits die Belegschaften älter werden, andererseits junge Mitarbeiter und Führungskräfte den Umgang mit moderner Technologie gewöhnt sind. „Damit Anforderungen und Fähigkeiten zwischen jüngeren und älteren Fach- und Führungskräften nicht weiter auseinanderdriften, ist in diese Skills deutlich mehr zu investieren“, so die Berater.
Lob für das Volkswagen-Modell
Während mehrheitlich der Zugewinn an Freiheit und Beweglich sowie an Arbeitseffizienz begrüßt wird, beklagt ebenfalls eine Mehrheit der Befragten eine Informationsüberflutung und die Belastung durch ständige Erreichbarkeit. ComTeam lobt vor diesem Hintergrund das Modell bei Volkswagen, nach dem für lange Stunden zwischen Feierabend und Dienstbeginn keine E-Mails auf die Firmen-Blackberrys geleitet werden.
Bei all den erwähnten Problemfeldern wartet die Studie noch mit einem äußerst positiven Befund auf. „Drei Viertel der Beschäftigten sehen ihr eigenes Unternehmen im Vergleich zu Wettbewerbern als attraktiver an“, so ComTeam. „Das ist ein gutes Zeugnis für die Unternehmensattraktivität und eine hervorragende Basis zur Außendarstellung.“
Die Studie „FührungsRaum“ ist bei ComTeam erhältlich.