Für die IT in der Chemie- und Pharmabranche rücken strategische Themen in den Vordergrund. Den IT-Abteilungen stellt sich dabei vor allem die Aufgabe, die Effizienz der Prozesse zu steigern, so die Einschätzung von Jürgen Peukert, Managing Director Life Sciences bei Bearing Point.
"Langfristig wird die IT stärker als strategischer Partner innerhalb des Konzerns verstanden", bestätigt auch Joachim Benner, Analyst bei IDC. Diese Wertschätzung spiegelt sich in den Etats wider, denn den CIOs steht wieder mehr Geld zur Verfügung. In den meisten Fällen legt das Budget moderat zu, aber speziell in der Pharmaindustrie geht Peukert von Steigerungen um sechs bis sieben Prozent aus.
Ein Teil des Geldes wird in Projekte für Business Intelligence fließen, denn "die Technik ist ein Trend in der Industrie, um die Kundenwünsche besser zu verstehen", erläutert Peter Dew, CIO bei Linde. Sein Unternehmen, das kürzlich die Zentrale nach München verlegt hat, sei in vielen Märkten vertreten und sehe sich vielfältigen Kundenwünschen gegenüber, die von der IT bedient werden müssten.
Einen anderen Trend macht Andreas Resch, CIO der Bayer AG, aus. Während in anderen Industrien der
strategische Nutzen der Informationstechnik vorzugsweise bei der Abbildung von Prozessen zum Tragen kommt, ist sie gerade in der Pharmabranche auch ein Mittel zur Innovation. "Viele Bereiche der Material und
Wirkstoffforschung werden praktisch immer stärker als IT-Ablauf gestaltet. Die Nanotechnologie beispielsweise ist ohne IT kaum vorstellbar", so Resch, der sogar ein eigenes Innovationsbudget einsetzt. Themen sind unter anderem die Virtualisierung in der IT, mobile Applikationen, Public Key Infrastructure oder Augmented Reality.
Hier knüpft Peukert an und betont die Bedeutung des Innovations-Managements für die Industrie. Dadurch
soll der Prozess von der Produktidee bis zur Markteinführung effizienter werden. Neben dem Innovations-
Management stünden für die Branche mit der Optimierung der Lieferkette und der Einhaltung neuer gesetzlicher Regeln zwei weitere Themen im Vordergrund, sagt der Bearing-Point-Berater.
Durch die Globalisierung haben die Unternehmen international neue Märkte und Produktionsstätten gewonnen. Hier müssen die konzerninternen Beziehungen und die Zusammenarbeit mit externen Lieferanten verbessert werden. Denn durch "Mergers and Akquistions ergeben sich komplexe bilaterale Geschäftsbeziehungen. Dasselbe Unternehmen ist nicht selten Lieferant und Kunde für ein anderes zugleich", so charakterisiert Johann Andreas Petersen, zuständig für den Bereich Chemie bei Atos Origin, die Situation.
Schlüsselfaktor Outsourcing
Nicht nur globale Märkte, sondern auch die zunehmende Zahl an Regularien stellen die Chemieindustrie vor immer neue Herausforderungen. "Die vielfältigen und weitreichenden gesetzlichen Vorgaben spielen für die Branche eine große Rolle", sagt IDC-Analyst Benner. So ist seit Juni das rechtliche Regelwerk zur Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe, Reach, in Kraft. Durch die EU-Regelung werden sowohl Hersteller als auch Importeure verpflichtet, die mit der Verwendung ihrer Chemikalien verbundenen Risiken zu bewerten.
Für die Branche ist "Oustourcing ein Schlüsselfaktor, um die IT-Kosten bei gleichzeitiger Verbesserung der
IT-Services nachhaltig zu senken", so Petersen. Dabei schlagen die Unternehmen durchaus unterschiedliche Wege ein. Bei Linde kann Outsourcing, oder "Right Sourcing", wie Dew kalauert, durchaus an den Standort gebunden sein. So arbeitet das Unternehmen in Australien mit einer Thin-Client-Architektur und nimmt dabei die Dienstleistung von Fujitsu in Anspruch. Gleichzeitig unterhält Linde interne Dienstleistungszentren in München und Guildford, deren Angebote konzernweit zur Verfügung stehen. Den Helpdesk und die Betreuung der Infrastruktur übernimmt dagegen ein indisches Unternehmen.
Für die IT stellt sich mehr denn je die Herausforderung, das Geschäft des Unternehmens besser zu verstehen, um sich als werttreibende Einheit zu positionieren. Dazu braucht die IT Mitarbeiter, die Innovationen vorantreiben und sie in den Kontext des Unternehmensgeschäfts setzen können. Das kann von außen nicht geleistet werden. Jene Bereiche hingegen, in denen das nicht passiert, sieht Bearing-Point-Mann Peukert als klassische Outsourcing-Kandidaten.
Innovationen zum Trotz stehen nach wie vor auch traditionelle IT-Themen auf der Tagesordnung. Erhalten bleibt der Industrie die Aufgabe der "Integration und Harmonisierung von ITLandschaften und -lösungen", wie Petersen von Atos Origin es nennt. Als Beispiel können die Projekte von Linde gelten: "Zwar setzen wir weltweit SAP ein, aber nicht in einheitlicher Form. Hier arbeiten wir an der Automatisierung und Standardisierung von Geschäftsprozessen", sagt Dew. Zudem führt das Unternehmen die Walldorfer Software an den Standorten in Osteuropa und in Südafrika ein, die Projekte sollen 2008 abgeschlossen werden.
Gleichzeitig prägen sowohl bei Linde als auch bei Bayer immer wieder Zukäufe und Übernahmen das Projektgeschäft. Nach der Fusion im letzten September muss Linde nun die eigene IT mit der von BOC
zusammenführen. Und bei Bayer heißt es: "Unser wichtigstes Projekt ist sicherlich die Integration der
Schering-Systemlandschaft und der Schering-Dienstleistungsorganisation in die Bayer-Welt." Hier sei man
bereits große Schritte vorangekommen. Daneben geht es aber auch um die gegenläufige Entwicklung, nämlich die Trennung von Unternehmensbereichen. Erfolgreich praktiziert haben die Leverkusener dies im Fall der Chemiesparte, aus der das Unternehmen Lanxess hervorgegangen ist. Momentan beschäftigt sich der Bayer-CIO mit dem Carve-out der Diagnopstiksparte.
ERP und Dokumenten-Management
Speziell in der Pharmaindustrie mache sich der Kostendruck bemerkbar, da die Patente vieler Unternehmen ausliefen und die Generikahersteller wirkstoffgleiche Kopien zu den bislang geschützen Arzneimitteln auf den Markt bringen können, sagt Peukert. Die IT muss den Unternehmen daher generell zu erhöhter Effizienz verhelfen. Um die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten, müssen die Informationen etwa zu verwendeten Produkten oder den Zulieferern in der Supply Chain absolut verlässlich sein. "In diesem Rahmen setzt die Industrie Projekte auf, die ERP-Systeme und Dokumenten-Management zusammenführen“, sagt Peukert. Da der Vertrieb in der Pharmabranche traditionell eine große Rolle spielt, stehen auch im CRM-Bereich Projekte an, die Kundenbeziehungen verbessern sollen.
Chemische und pharmazeutische Industrie müssen sich zudem mit neu entstehenden und sich rasch entwickelnden Märkten befassen. "Wie nehmen wir das Potenzial China mit?" laute hier die zentrale Frage, so Peukert. Produktion, aber auch Forschung und Entwicklung haben die Unternehmen zum Teil schon im
Reich der Mitte angesiedelt. Für die IT stelle sich mit dem Engagement in China aber verstärkt die Frage
nach dem Management des geistigen Eigentums, so der Bearing-Point-Mann.