Es gibt Studien, die räumen mit gleich mehreren Mythen auf. Eine davon heißt "When the Walls come down": Das Marktforschungsunternehmen Oxford Economics hat darin ermittelt, welche Qualitäten ihres Arbeitsplatzes für Menschen verschiedener Altersklassen besonders wichtig sind. Um dies herauszufinden, befragten die Forscher 600 Chefs und 600 Nicht-Chefs unterschiedlicher Branchen auf der ganzen Welt zu ihren Präferenzen. Die Hälfte der Antworten stammt von sogenannten Millennials, also von Menschen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren.
Die überraschendste Erkenntnis daraus ist, dass die Jungen nichts anderes wollen als die Älteren, dass also die Geschichte von der Einzigartigkeit jeder Generation eher in die Welt der Mythen gehört.
Und das wichtigste, sozusagen der Schlüssel zur Zufriedenheit am Arbeitsplatz, das sind ganz banale Dinge. Die Nummer 1 dabei: Ruhe! Für mehr als zwei Drittel der Befragten gehört "die Möglichkeit, sich ohne Unterbrechung zu konzentrieren und zu arbeiten" zu den drei wichtigsten Qualitätskriterien von Arbeit.
Auch Millennials wollen sich konzentrieren
Die große Sehnsucht nach der regelmäßigen Abwesenheit Anderer dürfte damit zusammenhängen, dass diese Abwesenheit in modernen Büros eher selten der Fall ist. Großraumbüros sparen Platz und ermöglichen eine permanente Kommunikation - aber in Zeiten der Corona-Pandemie ist das nicht gefragt.
Ein weiteres Problem von Großraumbüros ist, dass es fast allen dort Arbeitenden nervt. Abteilungsleiter und andere Führungsfiguren haben damit oft weniger Probleme, sie neigten dazu, "den negativen Effekt von Umgebungslärm zu unterschätzen", wie die Studienautoren schreiben. Was auch damit zusammenhängen dürfte, dass sie selbst solchem Lärm selten ausgesetzt sind, weil sie allein oder zu zweit hinter einer schließbaren Tür sitzen. Die Aufregung davor halten sie dann gerne für ein Zeichen von Kreativität und brodelndem Team Spirit.
Klischee-Goodies spielen keine Rolle
Millennials fühlen sich vom Krach in der Legebatterie genauso gestresst wie alle anderen, auch sie wollen Ruhe. Klischee-Goodies wie kostenlose Mittagessen oder eine allzeit gefüllte Süßigkeiten-Schubladen spielen für ihr Wohlbefinden im Büro dagegen nur eine untergeordnete Rolle.
Großraumbüros, so die Autoren der Studie, förderten vermeintlich das Gemeinsame, tatsächlich aber das Trennende. Weil sie zur Abgrenzung zwängen, anderenfalls könnte niemand mehr seine Arbeit erfolgreich zu Ende bringen.
Überlastung wird zu spät erkannt
Spannend ist das auch deshalb, weil fast zeitgleich mit der Oxford-Economics-Studie eine weitere Studie auf den Markt kam, die die Erkenntnisse auf traurige Weise ergänzt. Für ihr Panel "Betriebliches Gesundheitsmanagement" hatte die Krankenkasse pronova BKK 1.660 Bundesbürger über ihre Arbeitssituation befragt. Ergebnis: 86 Prozent leiden unter Stressfaktoren im Job. Besonders gefährdet: Menschen zwischen 18 und 39 Jahren.
"Diese jungen Generationen sind von der Flexibilisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt besonders betroffen", so Gerd Herold, Arbeitsmediziner der pronova BKK. "Gleichzeitig ist der Job für sie besonders identitätsstiftend, so dass sie vollen Einsatz bringen wollen und dabei die eigenen Belastungsgrenzen häufig zu spät erkennen."
Stresslevel steigt
Ins gleiche Horn bläst der Gesundheitsreport der Techniker-Krankenkasse (TK), der ähnlich wie die Oxford-Economics-Studie auch die Abläufe im Büro für den steigenden Stresslevel verantwortlich macht. Zitat: "Berichtet wird von hohem Zeit- und Termindruck, von zu vielen Aufgaben, die gleichzeitig erledigt werden müssen, sowie von zahlreichen Unterbrechungen und Behinderungen im Arbeitsablauf." Sechzig Prozent gaben an, dass in den vergangenen zwei Jahren dieser Stress stark angewachsen ist.
Chefs ignorieren das Problem
Hinzu kommt: Angestellte insgesamt - also nicht nur Millennials - sind davon überzeugt, dass sie mit weniger Lärm nicht nur weniger gestresst wären, sondern dass sie dann auch produktiver Arbeiten könnten. Insgesamt 64 Prozent der in der erwähnten Studie Befragten sagten dies.
Dass die viele Ablenkung an suboptimalen Arbeitsplätzen unglücklich macht, ist natürlich keine neue Erkenntnis. Umso erstaunlicher ist aber deshalb, dass sie immer noch von so vielen Unternehmenslenkern ignoriert wird, obwohl die sich damit tendenziell den eigenen Fuß schießen.
Ständige Erreichbarkeit setzt Mitarbeiter unter Druck
Andauernde Ignoranz gibt es allerdings auch auf anderen Gebieten, womit wir beim zweiten Mythos wären, mit dem die Untersuchung von Oxford Economics aufräumt: dem von den Vorteilen der permanenten Konnektivität.
Einerseits erwarten Angestellte, dass ihr Chef ihnen zeitgemäße Technik zur Verfügung stellt, mit der sie auch außerhalb des Büros auf die Arbeit zugreifen können. Andererseits fühlen sie sich aber durch die Erreichbarkeit auch stark unter Druck gesetzt: Mehr als ein Drittel der Befragten sagten, dass sie unterwegs mobile Geräte vor allem deshalb nutzen, weil sie sich dazu genötigt sähen und fürchten, anderenfalls im Job etwas Wichtiges zu verpassen.
Zwei Empfehlungen
Als Schlussfolgerung aus dem Genannten geben die Marktforscher von Oxford Economics Chefs zwei zentrale Empfehlungen.
Erstens: Sorgt für eine ruhige Atmosphäre im Büro, damit sich die Angestellten konzentrieren können. Denn die wollen ja einfach nur ihre Arbeit gut machen, und davon profitiert natürlich auch das Unternehmen.
Zweitens: Fordert euch Angestellten dazu auf, nach Feierabend das Dienst-Smartphone abzuschalten und den E-Mail-Eingang zu ignorieren - auch im Home Office. Weil auch das zu besseren Resultaten für alle führt.