Seit Ende der 90er-Jahre warten Hersteller von Wireless-LAN-Telefonielösungen auf den Durchbruch dieser Technologie. In diesem Segment seien vergangenes Jahr nur 30000 Telefone ausgeliefert worden, so das US-Marktforschungsunternehmen In-Stat/MDR; das entspricht einem Gesamtumsatz von rund 16,5 Millionen Dollar (14 Millionen Euro). Kräftiges Wachstum soll indes bis 2007 für eine Steigerung des Umsatzes auf 507 Millionen Dollar (430 Millionen Euro) im Jahr sorgen. Selbst Netzwerkanbieter Cisco will sein Portfolio erweitern und WLAN-fähige Telefone anbieten.
Praktische Anwendungen der WLAN-Telefonie sind in Deutschland noch rar. Zu den Vorreitern gehört Eugen Trost, ein Stuttgarter Großhändler für Autoteile. Das 1700-Mitarbeiter-Unternehmen mit einem Umsatz von 350 Millionen Euro (2002) setzt die WLAN-Telefonie seit März in einem neuen Lager ein; bei einer Fläche von drei Fußballfeldern und einer Höhe von 18 Meter finden hier auch Hochregallager Platz. "Allein die Größe hätte eine konventionelle Verkabelung erschwert", sagt EDV-Leiter Albert Hermann. Zudem sollten sich weitere Arbeitsplätze einrichten und zusätzliche Lagerflächen flexibel erschließen lassen. Um diese Anforderungen erfüllen zu können, schrieb Trost einen Auftrag für eine weitgehend drahtlose Kommunikationsstruktur aus. "Dabei sollten alle Geräte - ob Rechner, Drucker, Handscanner, Gabelstapler oder Telefone - einen einheitlichen Funkstandard (802.11b, Anm. d. Red.) verwenden", erläutert Hermann.
Das günstigste Angebot machte Sektion Network Projects & Services (DTNPS), eine vor sechs Monaten gegründete Tochter der Deutschen Telekom, die als Partner Konzeption und Konfiguration des drahtlosen Netzwerks übernahm. Dabei wurden die Netze für die Lagerlogistik und den restlichen Datenverkehr voneinander getrennt; eine zentrale Schnittstelle sorgt für den Übergang. Einige Besonderheiten wurden aber aus der bisherigen Infrastruktur übernommen: Die tragbaren Telefone buchen sich über die Zugangspunkte ein und erhalten vom zentralen Server des Rechenzentrums in Ehningen ihre IP-Adresse.
Mehr Kapazität als nötig
Wolfgang Fuchs, Projektleiter der Telekom-Tochter, nennt eine weitere Besonderheit: "Die Funkstrecken wurden nicht auf die maximale Reichweite ausgelegt; dafür überlappen sich die einzelnen Funkzellen, um eine hohe Zuverlässigkeit zu erreichen." Die Datenpakete, die bei einer Bandbreite von bis zu elf Megabit übermittelt werden, sind relativ klein. "Es handelt sich vor allem um die Strichcodes der Artikel", sagt Fuchs. Ein Telefonat beansprucht etwa ein 80stel der nutzbaren Bandbreite. Derzeit gewährleistet die Software eine mittlere Sprachqualität. Wenn das Lager gefüllt ist, soll die endgültige Justierung der Antennen das Potenzial optimieren.
Seit März erlaubt die Funklösung den ersten der 80 Trost-Lagermitarbeiter die beleglose Zusammenstellung der Artikel für einen Auftrag, die Kommissionierung. Statt Aufträge im Büro abzuholen, sind sie nun mobil zu erreichen. Gabelstapler sind mit Bildschirmen ausgestattet, Computer und Akkus wurden auf Rollwagen montiert. Die über Funk eingehenden Informationen verweisen dann nicht nur auf die benötigten Artikel, sondern geben auch an, wo sie zu finden sind.
Noch ist die Technik allerdings teuer: Etwa 400 Euro kostet ein Telefon, das die Internetübertragungstechnik IP verwendet. Der Preis für die bisher oft eingesetzten DECT (Digital Enhanced Cordless Telekommunication) -Telefone liegt bei 120 Euro; die nach dem DECT-Standard entwickelten Geräte sind schnurlos, funktionieren über das normale Telefonnetz, sind aber nicht WLAN-fähig.
Trotz der hohen Preise für die neuen Geräte rechnen die Beteiligten mit Einsparungen von fünf bis zehn Prozent; die günstigere Infrastruktur - für die neue Lösung ist nur noch eine davon nötig - und der Verzicht auf DECT-Telefonie würden die Kosten drücken. Zudem kann Trost die Administration für das IP-basierte Netz vereinheitlichen; so sollen die Ausgaben für Wartung und Pflege sinken.
Ein anderer Pionier in Sachen WLAN-Telefonie ist die Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung Göttingen (GWDG). Ihrem Anspruch, "neue Technologien zu erproben, um ein Angebot für die Bedürfnisse der Wissenschaftler von morgen zu schaffen" folgte das Unternehmen, indem es bereits 2001 erste Tests mit Telefonie über WLAN durchführte.
Bislang nutzen Netzwerktechniker der Gesellschaft sieben tragbare IP-Telefone, die auf dem Gelände der Universität Göttingen zum Einsatz kommen. Theoretisch hätte die GWDG auch auf DECT-Telefone zurückgreifen können. Doch dann hätten in bestimmten Abständen Repeater eingesetzt werden müssen, die die Reichweite der Geräte erhöhen. Die Funklösung bietet dagegen den positiven Nebeneffekt, dass sie auch für den Datenverkehr eingesetzt werden kann.
GWDG-Projektleiter Andreas Ißleiber hebt hervor, dass "wir selbst bei relativ schmaler Bandbreite noch gut telefonieren können". Die Sprachqualität sei in Ordnung, nur die Verzögerung bei der Übertragung sei gewöhnungsbedürftig. Zudem verfügten die Telefone über eine größere Reichweite als ein Notebook mit handelsüblicher Einsteckkarte. Bei ihrem Feldversuch achtet die GWDG auf die Einhaltung der universitären Grundstücksgrenzen, denn bei einer großflächigen Versorgung müsste sie bei der Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation eine Mobilfunklizenz erwerben. Zum Projekt gehört aber auch die Frage, ob sich eine solche Lizenz lohnen könnte.
Genügend WLAN-Telefone am Markt
An Produkten für die WLAN-Telefonie mangelt es nicht. Parallel zu den klassisch bedienbaren, mobilen Telefonen, in denen die Standards für IP-Telefonie und WLAN erstmals verknüpft werden, bietet die US-amerikanische Firma Vocera ein Telefon wie aus einer Science-Fiction-Serie: Zehn mal dreieinhalb Zentimeter groß soll es sich ans Hemd heften lassen, um sprachgesteuert Verbindungen herzustellen. Daneben arbeitet unter anderen der IP-Telefonie-Spezialist Avaya an der Software Softphone; sie soll herkömmliche PDAs um Telefonie erweitern.
Auf die nahe liegende Verbindung von Mobilfunk und drahtloser IP-Telefonie konzentrieren sich seit kurzem auch die Großen der Branche: Avaya, Motorola und Proxim. Bisher war diese Nische Spezialisten wie der norwegischen Firma Birdstep oder dem US-Unternehmen Padcom vorbehalten; beide beschränken sich auf den Transport von Daten. Dagegen plant das genannte Trio, das Roaming bei Sprachverbindungen zu ermöglichen. Das könnte eines Tages dazu führen, dass nur noch der örtliche Telefontarif gilt. Avaya kümmert sich dabei um die Software, die auch eine Abrechnung ermöglichen soll; Motorola entwickelt Telefon und Protokolle für den nahtlosen Übergang, Proxim die Infrastrukturkomponenten.
Vorteil: Bei entsprechender Ausstattung der Netzwerke reicht ein Telefon aus, um ein Gespräch im WLAN-Hotspot des Unternehmens zu beginnen und es während der Fahrt zum Kunden im Mobilfunknetz fortzuführen. Erste Versuche mit dieser Technik sind ab Jahresmitte geplant; marktreife Produkte sollen Anfang 2004 folgen.