Wie lange dauert eine Schwangerschaft? Kommt darauf an, was dabei herauskommen soll: Ein Mensch braucht 38 Wochen, ein Schwein 16, und ein Kaninchen trägt nur 30 bis 32 Tage. "Time to Market" in der IT ist ähnlich schlecht vergleichbar und trotzdem ein guter Indikator für Innovationskraft. Boydak Management Consulting hat die "T2M" in 60 Unternehmen gemessen und benennt die wichtigsten Einflussgrößen für eine schnelle Entwicklung in der IT.
Grundannahme dabei: Geschwindigkeit ist der Schlüssel zum Erfolg. "Was nützt es, sechs Monate zu spät mit einem tollen Produkt am Markt zu sein, wenn ein Mitbewerber den Markt längst abgegrast hat?", fragt Selçuk Boydak, Gründer des Schweizer Beratungshauses. Die Time to Market misst, wie lang der Anteil der Produktentwicklung innerhalb der IT dauert. "Somit ist sie ein wichtiger Indikator dafür, wie gut die IT das Geschäft bei dem vielleicht wichtigsten Thema unterstützt: wettbewerbliche Differenzierung durch schnellere Produkt-einführungen", erklärt Boydak.
Auch für Enrico Lardelli, Mitglied der Geschäftsleitung und CIO von PostFinance, dem fünftgrößten Finanzinstitut der Schweiz, ist der Zeitfaktor für Innovation eine ausgesprochen wichtige Steuerungsdimension. "Die IT kann beim Top-Management punkten, wenn sie sich daran messen lässt, wie stark sie die Time to Market für ein Produkt oder einen Service verkürzen hilft", so Lardelli. T2M sei als IT-Kennzahl zwar zugegebenermaßen schwieriger zu ermitteln als das Antwortverhalten eines E-Mail-Servers, dafür aber auch sehr viel aussagekräftiger. "Die reinen IT-Kenngrößen werden vom Business nicht verstanden", so Lardelli. "Nur für das Business verständliche und akzeptierte Kennzahlen sind gute Kennzahlen in der IT."
Zwei Kritierien sind maßgeblich
Eine Analyse von Boydak Consulting bei 60 namhaften europäischen Unternehmen offenbart deutliche Branchenunterschiede beim T2M (siehe Grafik). Boydak hat in seiner Benchmark-Datenbank Cluster über vergleichbare Unternehmen gebildet und kann Spannbreiten für gute und weniger gute T2M-Werte nennen. Die Werte reichen von wenigen Wochen bis hin zu vielen Monaten. Auch wenn nicht alle Unternehmen einer Branche vergleichbar sind, so lässt sich doch klar er-kennen, welche die zwei wichtigsten Treiber für eine gute T2M sind:
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flexible Architekturen, die durch Einsatz von Standardlösungen und eine gewisse Modularität geprägt sind; sie fördern einen guten T2M-Wert, weil die Einführung von Changes weniger komplex ist;
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agile Organisationen mit hoher Initiativkraft der Mitarbeiter, kurzen Entscheidungswegen und einer ausgeprägten Innovationskultur, die an harte Wettbewerbsbedingungen gewöhnt sind.
Beispiel Schweizer PostFinance
Der Beitrag der IT zu einer möglichst kurzen T2M ist auch für die Business-Steuerung bedeutsam. "Hier wird eine Größe gemessen, die das Zusammenspiel von Business und IT messbar und den gemeinsamen Erfolg quantifizierbar macht", sagt Lardelli. PostFinance ist der ertragsstärkste Geschäftsbereich der Schweizerischen Post und hat 2009 rund 60 Prozent zum Gewinn der Schweizerischen Post beigesteuert. Mit einem Marktanteil von rund 60 Prozent ist das Finanzinstitut Marktführer im Schweizer Zahlungsverkehr und mit ihrem Portal E-Finance auch führend im Online-Banking.
Gerade im letztgenannten Geschäftsfeld trumpft die IT der PostFinance mit guten T2M-Werten auf. Jüngste Beispiele sind die Einführung von:
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Handy-Zahlung (Geldüberweisungen von einem Konto zum anderen);
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SMS- / E-Mail-Alarming aus dem E-Banking heraus zu verschiedenen definierbaren Events (zum Beispiel Lohnzahlung eingetroffen, Kontostand hat Grenze unterschritten etc.);
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Ausbaustufe der Handy-Zahlung: schnelle Umsetzung erster Mobile-Lösungen für Zahlungen via iPhone (B2B, B2C oder C2C) in Form von iApps (per August 2010).
Eine schnelle T2M im Online-Banking ist für PostFinance dank einer offenen und flexiblen Basisarchitektur möglich. Gerade für Bereiche, die eine hohe Flexibilität und Agilität erfordern, ist es von Vorteil, möglichst auf feste Code-Bestandteile zu verzichten und stattdessen parametrisierbare Komponenten bereitzustellen, die sich ohne aufwendige Programmierungen schnell anpassen lassen. Zudem ist die IT der Schweizer mittlerweile darauf getrimmt, jährlich zwei bis drei große sowie nach Bedarf weitere Zwischen-Releases erfolgreich einzuführen. Pro Release werden im Schnitt 20 bis 30 Projekte und rund 150 Kleinvorhaben mit einem monetären Gesamtumfang von 30 bis 35 Millionen Schweizer Franken realisiert.