Automechaniker können schwierige Dinge einfach erklären: "Kaufen Sie jetzt ordentlich bei Aldi ein. Die Gefriertruhen werden bald leer sein", riet der Meister der MAN-Werkstatt Hamburg-Harburg, als er Anfang Juli die Folgen der Maut abschätzen sollte. Bis dahin hatte er keine der On Board Units (OBUs) gesehen, mit denen Lkw-Fahrer ihre Autobahnnutzung abrechnen können. Allein an den Terminals der Tankstellen oder im Internet kann die Masse der Fahrer ihre Maut jedoch nicht anmelden - so viel stand schon vor drei Monaten fest.
Zwar hat Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe die Einfuhr der Maut unter wachsendem Druck auf den 2. November verschoben. Aber selbst dieser Termin kann möglicherweise nicht gehalten werden: Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe lag noch keine Betriebserlaubnis für das Gesamtsystem vor, und Insider berichten weiterhin von technischen Problemen.
Den Spediteuren ist jede weitere Verzögerung erst mal willkommen, schont sie doch ihre Kassen. Schon in den Jahren 2001 und 2002 haben sie Einkommen eingebüßt. Die Gütermenge ist allein vergangenes Jahr um fünf Prozent gesunken, die Zahl der Pleiten um 17 Prozent gestiegen; mehr als 1000 Transportunternehmen meldeten Insolvenz an. Auch Speditionen ohne eigenen Fuhrpark leiden: Bei ihnen stieg die Zahl der Pleiten 2002 um zehn Prozent auf insgesamt 607.
12,4 Cent pro Kilometer - mehr als der Ertrag
Entsprechend gereizt reagieren Trucker und Logistiker auf die Maut. Zwar hätten ihre Kunden mehrheitlich akzeptiert, dass sie durchschnittlich 12,4 Cent pro Kilometer übernehmen müssen. "So viel Ertrag bringt ein Lkw gar nicht", erklärt Dierk Hochgesang, Sprecher im Bundesverband Möbelspeditionen (AMÖ). Die Folgekosten der Maut bleiben trotzdem an Frachtführern und Speditionen hängen. Vor allem über Wartezeiten an den Tankstellen-Terminals klagt Rolf-Dieter van Alst, Geschäftsführer der Hamburger Hoyer-Gruppe: "Bei der Distribution zählt jede Minute. Da kann ich mich nicht in irgendeine Schlange stellen."
Etwas anderes wird einem Teil seiner Lkw-Fahrer jedoch nicht übrig bleiben. Selbst das dreiköpfige Maut-Projektteam bei Hoyer hat in neun Monaten einen Fall nur schwer vorbereiten können: Was tun, wenn die OBUs nicht rechtzeitig geliefert und eingebaut werden? Hoyer hat seinen Bedarf früh angemeldet; das Betreiberkonsortium Toll Collect habe sich auch sehr bemüht, den Rückstau bei den OBUs abzubauen, erklärte van Alst. Einige der Hoyer-Fahrer werden sich ab November trotzdem in die Schlangen vor den Tankstellen-Terminals einreihen und im Regen an die Chipkartenlesegeräte springen, um ihre Route anzugeben. Alles andere ist unpraktikabel. Zwar besteht neben den OBUs und den Terminals noch die Möglichkeit, vor Antritt einer Fahrt im Internet die geplante Route anzumelden. "Ich fahre aber nie die Tour, die ich morgens geplant habe", erzählt ein Lkw-Pilot bei Westfalengas. Staus und stetig neue Dispositionen würden jede Tour unvorhersehbar machen. Wer da ohne OBU fährt, wird schnell zum Maut-Preller - es sei denn, er verlässt die Autobahn. "Wir werden noch viele Lkw neben den Strecken sehen", meint der Fahrer.
Neben diesen augenscheinlichen Anfangsproblemen ärgern sich Frachtführer und Speditionen vor allem über die Verwaltungskosten, die ihnen durch die Maut entstehen. Bis zu 20 Prozent müssten die Betroffenen für die Anpassung ihrer Software und für das Controlling auf die Maut-Gebühren aufschlagen, rechnet Speditions-lobbyist Hochgesang. Das Beispiel London zeige, dass Unternehmen auf keinen Fall das Controlling vergessen dürften. 20 Prozent Fehlbuchungen hätte es bei der dortigen Maut-Einführung gegeben, sagt Hochgesang: "Da brauchen Sie jemanden extra, der das nachrechnet."
"Handwerklich nicht professionell"
Zumindest in den großen Unternehmen ist das allen klar. "Wir erleben ja, dass da handwerklich nicht immer professionell gearbeitet wird", sagt Thomas Wilberding vom Automobilspediteur Egerland in Osnabrück über die Maut-Eintreibertruppe. Der IT-Leiter spielt auf Projektpatzer an, die sich das Konsortium von Telekom, Daimler Chrysler Services und dem französischen Autobahnbetreiber Cofiroute geleistet habe: Fehlende Einbeziehung existierender Tankkarten, langsames Lastschriftverfahren, unglückliche Rechnerauswahl (Sun) und vor allem zu wenig OBUs heißen die Kritikpunkte gegenüber Toll Collect. Auch innerhalb des Konsortiums plädierten Projektteilnehmer deshalb dafür, den Start der Maut nicht auf November, sondern gleich auf Januar 2004 zu verschieben.
Doch Finanzminister Hans Eichel will sich die Einnahmen von voraussichtlich rund 300 Millionen Euro pro Monat nicht noch zweimal entgehen lassen. Also beschäftigen sich IT-Leiter wie Wilberding mehr als die Hälfte ihrer Zeit damit, ihre Speditionssoftware der Straßengebühr anzupassen: "Wir haben zum Glück ein System, das relativ offen dafür ist, den Maut-Anteil einzubeziehen", lobt Wilberding die Egerland-Eigenlösung. Was Toll Collect einfordert und was der Spediteur an Kosten weiterreicht, muss eindeutig zuzuordnen sein. "Kein Kunde akzeptiert einen pauschalen Maut-Betrag", sagt Egerland-Geschäftsführer Kay Hanns Ewaldsen. "Jeder lässt sich das auf Heller und Pfennig vorrechnen."
Flicken an der hauseigenen Software
Also feilt Wilberding fleißig an seiner Eigenlösung - so wie die meisten der Logistik-CIOs an ihrer individuellen Software. "Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht daran arbeiten würden", so der IT-Leiter. Standards gibt es im Transportgeschäft nicht, abgesehen vom Electronic Data Interchange (EDI), mit dem Egerland Kontakt zu etwa 20 Kunden pflegt. "Was wir hier an Anforderungen haben, können Sie eigentlich nur in einer Eigenlösung abbilden", betont Wilberding, und sein Chef Ewaldsen gibt ihm zumindest derzeit Recht: "Die Programme, etwa zur Routenoptimierung, sind noch nicht auf einem hohen Entwicklungsstand."
SAP fängt erst langsam an, Lösungen für die Logistikbranche anzubieten, stößt aber bei den meist mittelständischen Unternehmen auf kein allzu großes Interesse. So hofft auch Ewaldsen darauf, dass ihm der IT-Dienstleister VSB Software Systeme aus dem Saarland in zwei bis drei Jahren eine preiswerte ERP-Lösung offeriert. Bis dahin arbeiten rund 30 Disponenten an der Routenplanung und prüfen mit der Egerland-Eigenentwicklung, ob die von Toll Collect eingesammelte Maut den tatsächlich gefahrenen Kilometern entspricht. "Man kann natürlich sagen, es sei Luxus, die Zahlen zu überprüfen. Dann ist aber die ganze Betriebswirtschaft Luxus", meint Geschäftsführer Ewaldsen.
Wenig Lust auf IT
So sieht das im Prinzip auch Johannes Röhr, Geschäftsführer der Firma Anton Röhr aus Rietberg: "Um die Maut zu kontrollieren, wäre ein Controlling-System schon sehr hilfreich", sagt der westfälische Neumöbelspediteur. Angebote dafür lägen auch vor; die Bereitschaft, schon wieder Geld für IT auszugeben, sei jedoch gering. Gerade vor zwei Jahren hat Röhr in ein neues Tourenplanungs-system investiert. Neben den OBUs für die 100 eigenen Möbelwagen nun noch mehr in die Informationstechnik zu stecken widerstrebt dem Mittelständler, der die ganze Maut ohnehin für Quatsch hält.
Röhr steht stellvertretend für beinahe alle kleineren Spediteure - nicht nur mit seiner Ablehnung gegenüber der Maut, sondern auch in der Zurückhaltung gegenüber IT-Investitionen. Transpondertechnik oder elektronische Lieferscheine sind für ihn Zukunftsmusik, die ihre Wirtschaftlichkeit erst noch beweisen muss. Auch Systeme, die per Funk und GPS den Verbleib der Lkw protokollieren und Auftragsänderungen übermitteln, lehnt er für das eigene Unternehmen ab: "Das ist für uns kein Thema, weil wir nur 20 Entladestellen haben." Röhrs Sekretärin ergänzt: "Die Fahrer rufen von selbst an, wenn sie irgendwo länger als eine halbe Stunde warten müssen."
"Tracking und Tracing ist ein Must"
Während Logistiker wie Hoyer mittels Euteltracs von Alcatel den Verbleib ihrer Lkw kontrollieren und neue Aufträge an die Fahrer senden, klingelt bei Röhr eben das Telefon. Andreas Hunziker, vormals CIO bei Danzas und jetzt Executive Vice President beim schweizerischen Beratungshaus IMG, sieht hierin ein Zeichen dafür, wie das Speditionsgeschäft weiter in Frachtführer und Anbieter von Logistiklösungen zerfällt. "Firmen ab einer gewissen Größe müssen sich entscheiden, wo sie mitspielen wollen", sagt Hunziker. Für die Logistikliga konstatiert er: "Tracking und Tracing ist ein Must." Auch Radio Frequency Identification (RFID), also Transpondertechnik, werde beim Transport von hochpreisigen und zeitrelevanten Produkten längst eingesetzt. "Wer da seine Daten noch händisch eingibt, der sollte die Erfassung wenigstens modular aufbauen", rät Hunziker. "Sonst müssen Sie nachher Ihre ganze Applikation ändern."
Wertvoll sind derlei Tipps allerdings nur für jene Transportunternehmen, die nachher noch genügend Geld haben, um tatsächlich ihre Applikationen zu ändern. Der Jahresbericht 2002 der Bundesanstalt für Güterverkehr (www.bag.bund.de) vermerkt, dass die traditionell eigenkapitalschwache Branche jetzt schon unter den Vorwehen von "Basel II" leide. Bei Logistikern wie Hoyer oder Egerland scheint das nicht der Fall zu sein. Beide liegen mit ihren IT-Ausgaben von rund drei beziehungsweise rund vier Prozent des Umsatzes über dem, was die Branche gemeinhin für IT zu bezahlen bereit ist. Egerland leistet sich parallel zum Einbau der OBUs sogar zusätzliche Telematikgeräte, um Kunden stets den aktuellen Lieferstatus melden zu können. "Das lohnt sich", versichert Geschäftsführer Ewaldsen. Auch über die Investitionen für die OBUs klagt er nicht: "Ob wir einen Wettbewerbsvorteil daraus ziehen werden, entscheidet die Kriegskasse."