"Was ich hatte, war doch nur geliehene Macht." Das sagte einst Thomas Middelhoff - wenige Tage nachdem er seinen Stuhl als Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG räumen musste. Mit diesen Worten begründet er, warum er ohne Groll von dem Medienkonzern scheide. Im Rückblick, so Middelhoff, habe er vielmehr das Gefühl, seine Aufgabe bei Bertelsmann habe ihm "ein tolles Leben ermöglicht" und er habe "etwas Gutes erreicht".
Ein so gelassenes Verhältnis zur Macht haben wenige Führungskräfte. Im Unternehmensalltag stellt man oft fest: Während manche Führungskräfte sich scheuen, ihre Macht aktiv zu gebrauchen, verlieben sich andere geradezu in sie. Entsprechend schwer können sie ihre verliehene Macht wieder abgeben.
Macht gezielt gebrauchen
Recht selten begegnet man hingegen Managern, die ein angemessenes Verhältnis zur ihnen verliehenen Macht haben. Dies ist kein Zufall! Denn in den meisten Unternehmen wird das Thema "Führung und Macht" tabuisiert. Dabei hat jede Führungskraft nicht nur Macht. Sie braucht auch (Entscheidungs- und Gestaltungs-)Macht. Sonst kann sie ihre Aufgabe nicht erfüllen.
Trotzdem wird das Thema "Umgang mit Macht" in den meisten Unternehmen - sogar in deren Förderkreisen für den Führungsnachwuchs - selten erörtert. Dabei bereitet der Umgang mit der ihnen verliehenen Macht vielen Führungskräften Schwierigkeiten. Unter anderem, weil sie das aktive Nutzen ihrer Macht oft irrtümlich mit einem autoritären Verhalten gleichsetzen.
Deshalb scheuen sich zum Beispiel manche Führungskräfte, "wenn es brennt" und ein schnelles, entschlossenes Handeln nötig wäre, ihre Entscheidungsmacht zu nutzen. Die Folge: Ihre Mitarbeiter wissen nicht, was es zu tun gilt, und ihnen fehlen der nötige Halt und die gewünschte Orientierung. Entsprechendes registriert man häufig bei Veränderungsprozessen. Bei ihnen schrecken Führungskräfte oft davor zurück, von ihren Mitarbeitern das gewünschte Verhalten einzufordern - aus Angst, sie könnten autoritär wirken.
Bei anderen Führungskräften registriert man das entgegengesetzte Verhalten. Sie agieren stets aus der Position "Ich bin der Chef, also habe ich das Sagen" heraus. Sie dirigieren ihre Mitarbeiter ausschließlich über Anweisungen und Vorgaben, selbst wenn es angebrachter wäre, um Unterstützung zu werben. Sie übersehen, dass ihnen ihre Mitarbeiter, wenn sich ihr Führungshandeln ausschließlich auf ihre verliehene Macht stützt, zwar kurzfristig gehorchen. Sie gewinnen diese aber nicht als Mitstreiter. Denn für ihre Mitarbeiter sind sie keine "Autoritäten", sondern "autoritäre Persönlichkeiten", die ihre Macht genießen, statt sie gezielt zu gebrauchen.
Der Situation angemessen reagieren
Noch häufiger begegnet man im Unternehmensalltag aber Führungskräften, die unsicher sind: Wann ist es der Situation und der Person angemessen, meine Macht aktiv zu gebrauchen? Zum Beispiel, um meinen Mitarbeitern einen klaren Weg aufzuzeigen. Und wann sollte ich eher für mehr Engagement oder ein verändertes Verhalten werben? Entsprechend unberechenbar ist ihre Reaktion. Mal schlagen sie mit dem Dampfhammer zu und walzen alle Bedenken platt, wenn Geduld und Verständnis angebracht wären. Und dann schauen sie wiederum scheinbar endlos zum Beispiel dem Fehlverhalten eines Mitarbeiters zu, obwohl all seine Kollegen bereits darauf warten: Wann packt der Chef endlich den "Hammer" aus und sagt "So geht es nicht"?
Diese Führungskräfte haben im Arbeitsalltag meist die größten Schwierigkeiten. Denn für ihre Mitarbeiter ist in ihrem Verhalten kein Führungsstil erkennbar. Folglich wissen sie auch nicht, wie sie sich verhalten sollen. Zudem führt ein so widersprüchliches Verhalten meist dazu, dass sich zahlreiche Mitarbeiter ungerecht behandelt fühlen, da sie die Reaktionen ihres Chefs nicht verstehen.
Dass vielen Führungskräften der Umgang mit der ihnen verliehenen Macht Schwierigkeiten bereitet, liegt nicht nur an ihrer ungenügenden Vorbereitung auf ihre Führungsaufgabe. Auch die (zumindest auf dem Papier formulierte) Kultur der Unternehmen trägt hierzu häufig ihr Scherflein bei. In ihren Leitlinien und Führungsgrundsätzen dominieren meist Aussagen wie "Wir sind ...", "Wir machen ...".
Gerade so, als wären die Interessen der Unternehmensführung sowie der Führungskräfte und der Mitarbeiter völlig identisch und säßen sie stets im selben Boot. Entsprechend verhalten sich ihre Führungskräfte, wenn sie zum Beispiel mit ihren Mitarbeitern die Arbeit planen oder Ziele vereinbaren. Dann appellieren auch sie meist an das kollektive Wir. Und ihre Mitarbeiter? Sie sitzen daneben, nicken stumm und denken innerlich: Wenn der Chef das will, kann ich ohnehin nichts dagegen tun. Also sagen sie "ja", um später auf Umwegen doch ihre Ziele zu erreichen.
Interessenunterschiede akzeptieren
Deshalb sollten Führungskräfte seltener an das kollektive Wir appellieren. Stattdessen sollten sie häufiger sagen "Ich will ...", "Ich möchte ...", "Ich habe die Vorgabe ...". Denn dann können sie im nächsten Schritt mit ihren Mitarbeitern herausarbeiten: Welche gemeinsamen Interessen haben wir und wo divergieren unsere Interessen? Außerdem: Welche Interessen lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen unter einen Hut bringen?
Zudem können sie deutlich machen: Welche Vorgaben sind debattierbar und welche sind unverrückbar? Sei es, weil ich dies als Bereichsverantwortlicher als nötig erachte, oder weil ich selbst gewisse Vorgaben habe. So lässt sich ein tragfähigeres Fundament für die Zusammenarbeit schmieden, als wenn die vorhandenen Unterschiede negiert werden. Oder wenn Führungskräfte sich entweder so gebärden, als hätten sie keine Macht, oder als hinge ihr Erfolg nicht auch von der Unterstützung ihrer Mitarbeiter ab.