Von Glück kann reden, wer den entscheidenden Impuls dann von außen bekommt. Viele Unternehmen haben das erkannt. Sie haben deshalb begonnen, ihren Innovationsprozess zu öffnen. "Open Innovation" lautet der vielversprechende Fachbegriff.
Warum das Interesse wächst, liegt auf der Hand: In Zeiten globalen Wettbewerbs und immer kürzerer Produktlebenszyklen stehen Firmen vor der Herausforderung, möglichst viele Ideen in immer kleineren Zeitfenstern zu verwirklichen. Sie müssen ihre Innovationsprozesse verbessern und schnell zu vermarktbaren Produkten und Services kommen. Wer hier im eigenen Saft schmort und es versäumt, die Intelligenz von Partnern, Kunden, Wissenschaftlern - oder schlicht die Weisheit der Massen - anzuzapfen, wird zurückfallen. Innovativ zu sein ist Pflicht! Die nötigen Plattformen, um Ideen aufzuspüren, gibt es längst.
Ein Beispiel, wie Ideengeber und Ideensucher zusammenfinden können, liefert die Open-Innovation-Plattform "Innovationskraftwerk", auf der Unternehmen aller Art erfolgreich zum Ideenwettbewerb aufrufen. Sie ist aus der Standortinitiative "Deutschland - Land der Ideen" erwachsen, die seit 2005 von der Bundesregierung zusammen mit der deutschen Wirtschaft unter Federführung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) vorangetrieben wird.
An der Entwicklung sind die Innovations-Manager namhafter Unternehmen und Forschungseinrichtungen beteiligt, darunter die Technische Universität München, Henkel, die Otto Group, die Deutsche Post, Evonik, Bayer Material Sciences und andere. Im Hintergrund zieht unterstützend die Unternehmensberatung inno-focus aus Berlin die Fäden. Eine Reihe von Beispielen zeigt, was möglich ist, wenn man den Innovationsprozess öffnet und ein bisschen Geld in die Hand nimmt.
Ideen für das Friseurhandwerk
Zu den Unternehmen, die einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben haben, gehörte vor zwei Jahren die auf Haarpflegeprodukte und Friseurbedarf spezialisierte Wella GmbH. Sie lobte Prämien in Höhe von 13.000 Euro aus für diejenigen, die brauchbare Vorschläge für erweiterte und neue Dienstleistungen von Friseuren beisteuern konnten. Insgesamt 100 Ideen erreichten das Innovationskraftwerk, 19 davon wurden mit Prämien belohnt.
Heraus kamen visionäre Vorschläge, deren Umsetzbarkeit Wella inzwischen gründlich geprüft haben wird. Einer der Gewinner regte beispielsweise eine datenbasierte Herangehensweise an das Friseurhandwerk an: Mittels eines Tablet-PC könnten die Hairstylisten Bilder vom Kopf ihres Kunden machen. Zudem sollten sie mit Hilfe eines handelsüblichen Mikroskops einzelne Haare des Kunden analysieren und fotografieren. Auch die Kopfhaut soll begutachtet und abgelichtet werden. Sämtliche Fotos werden anschließend mittels einer Spezialsoftware analysiert. Die gewonnenen Daten sollen dem Friseur helfen, quasi auf Knopfdruck ein Spektrum an mit hoher Wahrscheinlichkeit passenden Frisuren anzubieten.
"Farbe und Form der Frisur legen Kunde und Friseur gemeinsam fest; spielerisch erarbeiten sie am Tablet Variationen. Die Software sorgt dafür, dass dabei etwas herauskommt, das mit dem Haar des Kunden auch wirklich realisierbar ist", heißt es in dem Wettbewerbsbeitrag. Und warum sich das für Wella lohnen könnte, machte der Teilnehmer auch gleich deutlich: Die für Färbung, Dauerwelle oder Pflege zu verwendenden Produkte könnten einer neu zu konzipierenden "Wella Scientific Hare Care Premium Edition" entstammen. Die Software könnten Haarspezialisten von Wella zusammen mit Profis für Bildbearbeitung und CAD entwickeln. Diese Idee war dem Konzern 3000 Euro wert.
Hermes will Pakete aufblasen
Der Paketzusteller Hermes bat die Ideengeber: "Entwerfen Sie für uns die Dienstleistung der Zukunft." 5000 Euro gingen an den Gewinner, der vorschlug, auf Kundenwunsch Sendungen einzulagern und zeitversetzt zuzustellen. Gegen Aufpreis packt der Dienstleister Lieferungen in sein Lager, um sie dann so auszuliefern, dass sie exakt zum richtigen Zeitpunkt beim Adressaten sind. Über ein Portal kann der Versender Lieferdatum und Empfangsadresse nach Bedarf anpassen. Was banal klinge, könne viele Vorteile haben: Warum zum Beispiel nicht schon im August die Spielekonsole für den Neffen im Ausland bestellen und einlagern, wenn sie doch zum Weihnachtsfest höchstwahrscheinlich vergriffen ist?
In einem zweiten Vorschlag ging es um "aufblasbare Verpackungen": In den Paketstationen könne Kunden angeboten werden, leichtere Päckchen in sogenannten Air Packages zu transportieren, die eine zusätzliche Umverpackung durch Kartonagen überflüssig machen. Dank normierter Größe und sicherem Aufprallschutz ließen sich die Transportbedingungen vereinfachen und die Kosten reduzieren.
Im Falle des Paketversenders Hermes wurden folgende Kriterien für die Bewertung der Ideen angelegt:
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Neuartigkeit,
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Kundenmehrwert,
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Marktdurchdringung,
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wirtschaftliches Potenzial,
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Umsetzbarkeit,
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Nachhaltigkeit.
Die Jurymitglieder in diesem Fall kamen von der Hermes Logistik Gruppe Deutschland (CEO sowie Bereichsleiter Yield Management & Strategie), der Otto Group (Bereichsleiterin Corporate Strategy & Development sowie Direktor Kundenservice & Logistik) und dem Institute for Transformation in Business and Society der European Business School.
Evonik lässt die Städte leuchten
"Degaroute" ist ein seit mehr als 50 Jahren ständig weiterentwickeltes Material von Evonik, das für die Herstellung von Fahrbahnmarkierungen verwendet wird. Das Unternehmen suchte nach Ideen für neue Anwendungsfälle und Funktionen, an die noch niemand gedacht hatte. Ein Beitrag schlug vor, das Material mit einem phosphoreszierenden Effekt auszustatten, so dass es nach Sonnenuntergang noch eine Weile weiterleuchtet. Auf diese Weise ließe sich die Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen und der Elektrizitätsverbrauch im öffentlichen Bereich senken. Dabei sei eine Anbringung dieses Stoffgemischs nicht nur auf Straßen, sondern auch auf Gehwegen oder vertikalen Flächen wie Garagentoren, Fassaden, Schallschutzwänden etc. denkbar. Evonik prämierte den Vorschlag mit 5000 Euro.
Balkons und Fassaden
Carbon-Beton ("Carbocrete") ist ein hochsolider Verbundwerkstoff, den SGL Carbon entwickelt hat. Das Unternehmen sammelte Ideen, welche Produkte aus Carbocrete sinnvoll sein könnten - und bekam 293 Antworten. Der Gewinner schlug vor, mit dem stabilen, leichten und gut zu verarbeitenden Material die Balkone und Fassaden in den städtischen Betonwüsten modern und filigran zu gestalten. Architekten und Ingenieure könnten ganze Gebäudehüllen entwerfen und dabei von Anfang an neue Formen der Bepflanzung und der Balkonnutzung berücksichtigen. Erste Entwürfe zeigten dem Unternehmen, wie eine solche Carbon-Großstadt aussehen könnte. Küstenschutz-Anker, Fahrradständer, Sockel für den Bau von Offshore-Windanlagen - die Ideen zur Verwendung von Carbonbeton sind vielfältig und oft naheliegend.
Ariane Derks, Geschäftsführerin der Land der Ideen Management GmbH, berichtete auf der Berliner Messe "Tools 2014" über ihre Erfahrungen mit der Open-Innovation-Initiative. Demnach lässt sich der Ansatz, an dem sich ihren Ausführungen zufolge von Beginn an Teilnehmer aus aller Welt beteiligten, für folgende Handlungsfelder nutzen:
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Neue Ideen zu Produkten sowie Anwendungsbeispiele für bestehende Produkte und Materialien;
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Vorschläge zum Erschließen neuer Kundengruppen sowie zum Binden des vorhandenen Kundenstamms;
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Marktentwicklungen nachvollziehen, künftige Marktchancen frühzeitig erkennen;
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interne Strukturen verbessern, sich als interessanter Arbeitgeber positionieren.
"Wichtig ist, dass die Unternehmen voll dahinterstehen", sagte Derks. Sie müssten - angeführt von den Geschäftsleitungen - finanzielle, personelle und technische Ressourcen bereitstellen und dabei die eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung einbinden. Sonst entstehe das "Not-invented-here-Syndrom". Zudem gelte es, die richtigen Communities zu finden und zu einer Teilnahme zu ermuntern. Dazu sei Werbung über verschiedene Kommunikationsplattformen hinweg wirksam.
Matthias Wendt, Geschäftsführer der inno-focus Businessconsulting, ergänzte, dass für den Ideenwettbewerb auch transparent sein müsse, wer in der Jury sitzt und nach welchen Kriterien diese die eingereichten Projekte bewertet. Ferner sei eine Plattform wichtig, auf der sich die Unternehmen darstellen und ihre Problemlage individuell zum Ausdruck bringen könnten. Diese Plattform müsse offen für alle sein - doch es gebe auch Ausnahmen. Seien Fragen des geistigen Eigentums unmittelbar betroffen, könne Vertraulichkeit beziehungsweise die Öffnung nur für einen ganz bestimmten Teilnehmerkreis sinnvoll sein.