In einer vor wenigen Wochen veröffentlichten Studie ist das Kompetenzzentrum InfoCom von Roland Berger Strategy Consultants genau zu diesem Ergebnis gekommen - und hat in Fachkreisen große Überraschung und rege Diskussionen ausgelöst. Die herrschende Meinung, Vorreiterrollen in IT-Strategie und technischer Innovation seien durch nichteuropäische Firmen besetzt und europäische Anbieter eiferten vor allem den (meist US-amerikanischen) Marktführern nach, greift zu kurz.
Reaktionen der Fachpresse
Die Ergebnisse der Studie haben in der IT-Fachpresse Zustimmung, aber auch rege Diskussion und Überraschung hervorgerufen. Ein Brancheninsider kommentiert: "Vor diesem Hintergrund muss die Frage erlaubt sein, ob die jüngst beobachtete Internationalisierung in der höchsten Ebene europäischer IT-Firmen durch das Anwerben von US-Managern der richtige Weg ist." Andere Stimmen verweisen auf die zunehmende Internationalisierung der Top-Player ("Wie europäisch ist eine SAP noch…?") und auf die Wichtigkeit einer ausgeglichenen weltweiten Erlösverteilung, die bei europäischen Anbietern vergleichsweise gut sei.
Beispiel Siemens SIS und Atos Origin
Nicht zuletzt gab es zwischenzeitlich mit der Ankündigung der Übernahme von Siemens SIS durch Atos Origin einen weiteren marktseitigen Schritt in diesem Kontext - CEO Thierry Bréton hat das Ziel vorgegeben, "den attraktivsten europäischen Champion für IT zu schaffen". Bei allen - sicherlich signifikanten - operativen Herausforderungen, vor denen beide Unternehmen nach Zustimmung von Kartellbehörden und Sozialpartnern in der Integration stehen werden: Hier ist die Grundlage für einen Anbieter mit ausgeprägter "europäischer DNA" gelegt, mit dem man auf globaler Ebene rechnen muss.
Dabei ist die erfolgreiche handwerkliche Integration "nur" notwendige Bedingung, ein echter Erfolg wird die Transaktion, wenn es den Beteiligten gelingt, Ihre Stärken in Umfeldern wie Energie, Health oder Manufacturing auszuspielen, also Feldern, die für die Stärken der kontinentaleuropäischen Ökonomien stehen. Die Kapitalmärkte haben applaudiert, der Kurs von Atos ist nach der Ankündigung über 10 Prozent gestiegen.
Die Erfolgsfaktoren europäischer IT-Dienstleister
Roland Berger bekräftigt die Studienergebnisse, die auf spezielle Stärken europäischer Anbieter in bestimmten Marktumgebungen hindeuten. Um die empirischen Befunde besser zu verstehen, haben wir Gespräche mit IT-Entscheidern auf Kundenseite und mit dem Senior Management von IT-Anbieterfirmen geführt. Sie zeigen, welche Faktoren entscheidend für ein erfolgreiches IT-Geschäft im europäischen Markt sind:
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Die Verankerung in der starken industriellen Basis Kontinentaleuropas
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Eine klare Positionierung im Kerngeschäft
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Eine hohe Stabilität und (auch personelle) Kontinuität gegenüber Kunden
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Überzeugungskraft des CIO durch technische Kompetenz
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Eine professionelle Kundenansprache auf CEO/CFO-Ebene durch Mehrwertargumente
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Wettbewerbsfähige Kosten
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Die Akzeptanz bei Arbeitnehmervertretungen
Die Befragten wurden ebenfalls gebeten, zu beurteilen, inwieweit es hinsichtlich dieser Erfolgsfaktoren eine speziell europäische IT-Managementphilosophie gibt, die sich von der Philosophie nichteuropäischer Anbieter unterscheidet.
Langfristigere Strategie
Viele Anwenderunternehmen beobachten bei außereuropäischen IT-Anbietern eine an kurzfristigen Zielen orientierte Strategie ("Quartalsorientierung"). Oft sieht sich der CEO solcher Anbieter als "erster Verkäufer", agiert eher taktisch als strategisch und stellt seine Organisation betont flexibel auf, um schnell auf Markttrends reagieren zu können.
Europäische Anbieter legen dagegen Wert auf langfristige Kundenbeziehungen und Kontinuität. Ein über lange Jahre aufgebauter Mitarbeiterstamm, der außerhalb Europas vielleicht als Innovationshemmschuh und Mangel an Flexibilität verstanden würde, gilt bei europäischen Anbietern und deren Kunden gerade als Stärke.
CIO erster Ansprechpartner beim Verkauf
Europäische Anbieter denken beim Verkauf ebenfalls langfristig und sehen den Kunden-CIO als ersten Ansprechpartner. In ihrem Einkaufsverhalten sind europäische CIOs häufig risikoscheu und legen bei ihren Anbietern großen Wert auf einen exzellenten Ruf sowie langfristige Partnerschaften.
Um dieser Erwartungshaltung Rechnung zu tragen, tendieren europäische Anbieter dazu, auf überzogene Versprechungen zu verzichten. Stattdessen konzentrieren sie sich darauf, ihre Zusagen nicht nur einzuhalten, sondern möglichst sogar zu übertreffen. Die nichteuropäische Konkurrenz zeigt sich tendenziell risikofreudiger beim Verkauf innovativer Lösungen.
Der europäische Verkaufsansatz ist nicht ohne Nachteile - so sind europäische Verkaufszyklen wegen ihrer oft technischen Fokussierung häufig deutlich aufwendiger als die der nichteuropäischen Player. Tendenziell gehen nichteuropäische IT-Anbieter aggressiver vor und zeigen große Flexibilität, auch bei der Preisgestaltung, um zum schnellen Verkaufsabschluss zu kommen.
Europäischer Ansatz zum Effizienzgewinn
Sowohl europäische als auch nichteuropäische IT-Anbieter müssen ihre Kosteneffizienz ständig verbessern. WIe Sie das auf ganz unterschiedliche Art und Weise tun, lesen Sie auf der nächsten Seite:
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Nichteuropäische Anbieter sind neuen Technologien und Offshoring-Ansätzen gegenüber vergleichsweise aufgeschlossen und in ihren Lösungsangeboten vor allem auf Kosten fokussiert.
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In Europa ist beim Outsourcing kulturelle Nähe neben Kosten ein wichtiges Kriterium, so dass man hier häufig einem Nearshoring, etwa nach Osteuropa, den Vorzug vor einem Offshoring nach Indien oder China gibt.
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Hinzu kommt, dass europäische Anbieter auch mit anderen Hebeln Kostenvorteile erreichen. In der Standardisierung (beispielsweise ITIL, CMMI) nehmen sie oft eine Führungsrolle ein.
Ein weiteres wichtiges Kriterium in Europa ist die Akzeptanz bei Arbeitnehmervertretungen, zum Beispiel durch Sozialverträglichkeit bei der Umsetzung von Outsourcing-Entscheidungen und Personalreduzierungen (bis hin zu Fortbildungsmaßnahmen oder großzügigen Abfindungspaketen). Ein entsprechendes Vorgehen wird den europäischen Anbietern eher zugetraut als den außereuropäischen Wettbewerbern.
Fazit
Es ging in der Studie nicht darum, einseitig eine bestimmte Region zu loben oder andere schlecht zu reden. Das Ziel war viel eher, anlässlich der überraschend guten Performance europäischer Anbieter die kulturell bedingten Unterschiede heraus zu arbeiten und Vorurteile über die vermeintlich trägen und innovationsfeindlichen Europäer zu widerlegen. Die vielfältigen Reaktionen auf die Studie zeigen, dass es richtig war, diese Diskussion anzustoßen.
Carsten Roßbach ist Partner, Markus Puttlitz ist Senior Project Manager im Kompetenzzentrum InfoCom bei Roland Berger Strategy Consultants.