Die Deutschen und ihre Arbeit - das bleibt ein kompliziertes Verhältnis. Seit Jahren sei nur eine Minderheit mit Herzblut bei der Sache, stellt das Meinungsforschungsinstitut Gallup fest. Auch in einer aktuellen Umfrage unter mehr als 1400 Arbeitnehmern gäben 70 Prozent der Beschäftigten an, Dienst nach Vorschrift zu machen und sich emotional nur gering an den Job gebunden zu fühlen. 15 Prozent der Befragten haben innerlich sogar bereits gekündigt. Schuld daran haben für die Autoren der Studie vor allem die Chefs.
Fehlende Führungsqualitäten
"In punkto Führungsqualität klaffen die Wünsche der Mitarbeiter und die Wirklichkeit in den Unternehmen weit auseinander", heißt es in dem am Mittwoch in Berlin präsentierten Papier. Es seien vor allem grundlegende Dinge, die sich Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten wünschten, sagt Studienautor Marco Nink: "Habe ich Klarheit im Hinblick auf das, was erwartet wird? Sind Aufgaben und Prioritäten klar? Bekomme ich Wertschätzung und konstruktives Feedback?" Hier hätten viele Arbeitgeber große Defizite.
Gerade einmal jeder fünfte Arbeitnehmer gebe an, die Führung der Vorgesetzten motiviere, "hervorragende Arbeit zu leisten", schreibt Nink in der Studie. Leisten könnten sich die Unternehmen das nicht. "Fluktuation ist ein großes Thema, in vielen Branchen fehlen Fachkräfte." Die Betriebe müssten alles daran setzen, qualifizierte Mitarbeiter zu halten.
Auch eine angesagte Einrichtung der Geschäftsräume hilft laut Gallup nicht. Große Internet-Unternehmen wie Facebook, Amazon oder Twitter setzen gerne auf eine Wohlfühlatmosphäre. Sie bieten Beschäftigten Ruhe- und Rückzugsräume und Ablenkungsmöglichkeiten wie Tischtennis- oder Kickertische. "Das ist aber nicht der Hebel für die emotionale Bindung der Mitarbeiter", sagt Nink. "Damit jemand mit Hand und Herz dabei ist, müssen die Grundbedürfnisse befriedigt sein." Mitarbeiter suchten Klarheit über die Aufgaben im Job und Wertschätzung.
Vor allem bei der Beurteilung der Leistungen hätten die Betriebe in Deutschland Nachholbedarf. Mehr als die Hälfte der Befragten gab in der Studie an, im vergangenen Jahr ein Feedback-Gespräch mit dem Chef gehabt zu haben - zu wenig, befinden die Studienautoren.
Widerspruch zu anderen Studien
Widerspruch kommt von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). "Die Befragung geht weit an der betrieblichen Realität hierzulande vorbei", sagt ein Sprecher. "Deutschland verzeichnet auch im internationalen Vergleich Spitzenwerte bei der Arbeitszufriedenheit."
Tatsächlich scheint es eine Frage der Wahrnehmung zu sein: Bei einer Umfrage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gaben 72 der Betriebe an, jährlich Feedback zu geben. Bei größeren Betrieben mit mehr als 250 Beschäftigten waren es sogar mehr als 80 Prozent. In kleinen Unternehmen ersetze zudem der kleine Dienstweg formalisierte Kommunikation wie Feedback-Gespräche, meint zudem die BDA.
Umstritten ist auch, welche Rolle der Chef überhaupt bei der Mitarbeiterzufriedenheit spielt. "Das ist nur ein Teil des Ganzen", sagt etwa Stefanie Wolter, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Schaue man sich an, was wechselwilligen Beschäftigten wichtig ist, stünden andere Dinge ganz oben: "Bessere Bezahlung, Zusatzleistungen, veränderte Arbeitsinhalte, Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten und erst danach kommt der Chef", sagt Wolter.
Dennoch sei das Arbeitsumfeld in erheblichem Maße vom Führungsverhalten des Vorgesetzten geprägt, entgegnet Gallup-Autor Nink. "Und da fehlt es ganz eindeutig an Reflexion in der Thematik", sagt er. In der Umfrage gaben 97 Prozent der Befragten an, selbst über gute Führungsqualitäten zu verfügen. "Die meisten denken, sie machen in verantwortlicher Position alles richtig." (Matthias Arnold, dpa/ib)