Was macht ein Schaf, wenn es mit der Marschrichtung der Herde nicht einverstanden ist? Es geht so langsam wie möglich. Oder es versucht, nach vorne zu entwischen. Letztere Strategie haben die CIOs gewählt, die am Microsoft-Programm "TAP“ teilgenommen haben. Das "Technology Adaption Program“ dient dem Software-Konzern dazu, Firmenkunden an der Entwicklung von Vista zu beteiligen und bedeutet intensive Beratung und Service mit Eins-zu-eins-Support direkt von den Entwicklern aus Redmond. Rund 300 Teilnehmer hat TAP weltweit. In Deutschland nehmen 15 Kunden an dem Programm teil, darunter der TÜV Nord in Hannover, das Niedersächsische Justizministerium und der Infrastrukturdienstleister Computacenter. Bastian Braun, Produkt Marketing Manager der Windows Client Business Group bei Microsoft, sagt: "Wir hatten viel mehr Bewerber, die gerne teilgenommen hätten, als wir aufnehmen konnten.“
Pioniere beim TÜV Nord
Gunnar Thaden, IT-Leiter beim TÜV Nord , ist mit seinem Unternehmen gerne dabei, wenn es darum geht, Innovationen auszuprobieren. Sein Motto: "Entweder sind Sie Early Adopter“ - Pause -, "oder Sie warten eben ganz lange ab.“ Da gehört Thaden doch lieber zu den Pionieren. Der CIO fährt eine Zwei-Vendor-Strategie konsequent mit Microsoft und SAP. Gerade kommt er aus einer Telefonkonferenz mit Walldorf, in Redmond war er schon mehrmals zu Gast. Schöne neue Benutzeroberflächen sind seine Sache allerdings nicht - auch wenn er soeben der Vorstandsassistentin zur Aero-Oberfläche verholfen hat. "Wir machen die Umstellung nicht um der Innovation willen, sondern weil wir ein mobiles Unternehmen sind. Bei uns dreht sich alles darum, wie wir unsere Systeme noch besser administrieren können.“ Denn fällt beim TÜV ein Laptop aus, kann der Techniker in dieser Zeit kein Geld verdienen.
Mehr als 400 Windows-Server stehen beim norddeutschen TÜV, 7.000 Rechner und 2.500 SAP-Nutzer auf Notebooks gibt es, auch in 50 Auslandsfilialen. Ab sofort werden die Computer im normalen Drei-Jahres-Zyklus durch Rechner mit Windows Vista ersetzt. "Alle Geräte ab 2006 mit einem oder besser zwei Gigabyte sind Vista-fähig“, sagt Thaden. Mit dem neuen Betriebssystem sei Microsoft auf jeden Fall im Firmenumfeld angekommen, lobt er: "Windows 95 war Mickey-Maus-Software, Windows 2000 Überlebensmaßnahme und XP Pflicht. Vista ist Kür und auf jeden Fall großunternehmensfähig.“
Manche Schwachstelle des Vorgängers wurde allerdings nicht ganz so gelöst, wie sich CIOs das vorgestellt haben. Thema Sicherheit. Diese ist zwar deutlich erhöht worden. Jetzt aber nerven die ständigen und automatisierten Sicherheitsanfragen des Systems. Thaden meint dazu: "Sicherheit und Komfort schließen sich eben häufig aus. Für uns Anwender gibt es jetzt keine Ausreden mehr. Microsoft hat seinen Teil getan. Wir müssen nun das unsrige tun, sprich, wir müssen die Systeme sicher betreiben.“
Jochen Rapp, Practice Leader Workplace Solutions beim IT-Infrastrukturdienstleister Computacenter und ebenfalls TAP-Teilnehmer, teilt diese Meinung: "Man hat Windows XP immer die Sicherheitslücken vorgeworfen und nach höherer Sicherheit geschrien. Jetzt müssen sich die Firmen an die eigene Nase fassen.“ Sein Urteil: "Vista ist vom Sicherheitskonzept her richtig. Im Zusammenspiel mit Nicht-Microsoft-Anwendungen ist es aber noch verbesserungsfähig.“
Microsoft wirbt: Vista bringe den Unternehmen große Vorteile in Sachen Sicherheit, Mobilität, Produktivität und bei der Serien-Installation. Durch die automatisierte Installation, das Single Image Deployment, vereinfache sich das Roll-Out in großen Unternehmen. Die Mehrsprachigkeit, die Vista mitbringe, sei für multinationale Unternehmen sehr interessant. Und als erstes System beruhe Vista auf Trustworthy Computing. Braun: "Es gibt eine Vielzahl von Neuerungen - insgesamt 250.“
"No Rush, no Need"
"Doch für die meisten Anwender heißt es in Bezug auf Vista trotzdem: No Rush, no Need“, sagt Annette Jump, Research Director bei Gartner. Frage man CIOs in Westeuropa, ob und wann sie umstellen wollen, entschieden sich sehr viele für die Antwortmöglichkeit "Don‘t know.“ Selbst Wolfgang Berchem, Leiter Information Systems der Schüco International und Sprecher des Microsoft Business User Forums, urteilt: "Die Mehrheit der CIOs hat zurzeit andere Probleme.“
"Bei XP-Großkunden ist das Echo verhalten“, bestätigt Rapp. Diejenigen, die erst im letzten Jahr fertig geworden sind, fühlen sich im Moment sehr entspannt.“ XP-Kunden müssten sich auch nicht beeilen, sollten aber ihre eigenen Anforderungen etwa im Bereich Mobilität überdenken. "Viele Großunternehmen haben ja Windows XP, das 18 Monate später als Windows 2000 kam, einfach übersprungen. Ihnen empfehlen wir, jetzt mit der Planung zu beginnen. Denn das Produkt und alle Begleitwerkzeuge sind dafür reif genug“, sagt Rapp.
Microsoft zeigt sich naturgemäß sehr zufrieden mit dem Verkaufserfolg. Marketing-Mann-Braun berichtet von "sehr großem Interesse“. "Viele Firmen befinden sich in der Evaluierungsphase.“ Ein Flop ist Windows Vista wohl nicht: "Im ersten Monat nach Verfügbarkeit wurden bereits 20 Millionen Lizenzen von Windows Vista verkauft. Damit wurden die Zahlen der Vorgängerversion deutlich übertroffen“, so Isabell Scheuber, Leiterin des Geschäftsbereichs Windows Client. Wie viele davon Unternehmenskunden sind, ist öffentlich allerdings nicht bekannt. Windows XP verkaufte sich innerhalb von zwei Monaten nach Markteinführung "nur“ 17 Millionen Mal. Heute liegt der XP-Verbreitungsgrad bei Großkunden bei etwas über 60 Prozent.
Erst im Jahr 2010 werde es mehr Vista- als XP-Installationen in Unternehmen geben, so Gartner. Hintergrund: Windows-2000-Nutzer können von Microsoft nur noch bis Mitte 2010 Support erwarten. Der Support von Hardware- und Anwendungsherstellern für ältere Windows-Versionen läuft bereits jetzt nach und nach aus - das ist für die meisten Firmenkunden ein unkalkulierbares und damit entscheidendes Risiko.
Beim Niedersächsischen Justizministerium stellt Projektleiter Ralph Guise-Rübe deshalb 180 Gerichte, Staatsanwaltschaften, Justizvollzugsbehörden und andere Einrichtungen vom schon lange nicht mehr unterstützten System Windows NT 4 auf Windows Vista um. Beim 17 Millionen Euro teuren Großprojekt "mit@justiz“ - Migration der Informationstechnologie in der niedersächsischen Justiz - sollen bis Ende 2008 15.000 Arbeitsplätze Vista bekommen. Rund 3.000 Geräte werden es in diesem Jahr, im kommenden Jahr folgt dann der Rest. "Wenn die Ersatzbeschaffungszyklen noch mehr als drei Jahre ausmachen, rüsten wir den Speicher auf ein Gigabyte auf. Alle Geräte, die älter als drei Jahre sind, tauschen wir aus.“ Im Pilotprojekt beim Amtsgericht Uelzen läuft Vista bereits.
Von NT 4 auf Vista
Zudem werden in Niedersachsen gleichzeitig die Betreuungsstrukturen umorganisiert, die gesamte IT-Landschaft zentralisiert und in den Behörden ITIL eingeführt. Guise-Rübe: "Bei uns gab es bisher keine einheitlichen IT-Management-Prozesse. Deshalb führen wir jetzt strukturierte Betriebsprozesse ein." Die niedersächsische Justiz sieht sich damit als Vorreiter in der Behördenlandschaft auf europäischer Ebene.
Linux kam für den Justiz-Referatsleiter Guise-Rübe nicht in Frage, auch wenn es gründlich geprüft wurde: "Uns waren keine Beispiele bekannt, wo Verwaltungen einen ähnlichen Umstieg vollzogen hätten und performant betreiben. Die Umstellungskosten der Fachverfahren und der damit verbundene Schulungsaufwand standen in keinem vernünftigen Verhältnis zu einer möglichen Unabhängigkeit.“ Auch die Microsoft-Lizenzkosten sind für ihn nicht so wichtig: "Bei der Total Cost of Ownership machen diese im Vergleich zum Betreiben der IT-Systeme den geringsten Anteil aus.“
Der Infrastrukturdienstleister Computacenter aus Kerpen hat eine interessante Doppelrolle. "Intern haben wir die Migration durchgeführt. Gleichzeitig wollten wir aber unseren Kunden zeigen, dass wir es für sie schon erprobt haben“, sagt Projektmanager Rapp. Bereits im Oktober 2005 begann das Unternehmen damit, auszuprobieren, wie man Vista in großen Umgebungen möglichst schnell und einfach in die Fläche bringen kann. "Windows Vista ist ein dramatischer Generationswechsel mit vielen Neuerungen“, sagt Rapp.
Computacenter steht kurz vor dem internen Roll-out und wird insgesamt 4.000 Arbeitsplätze von Windows XP Service Pack 2 auf Vista migrieren. Die ersten Tausend werden Ende Juni produktiv genutzt; bis Ende des Jahres sollen es 95 Prozent der Rechner sein. "Die Geräte, die eine von uns definierte Grenze nicht erreichen, bekommen Vista erst, wenn sie sowieso getauscht werden müssen.“ Das bedeutet im Notebook-Bereich, dass alle IBM/Lenovo-T41-Modelle und höher (mindestens 1,6 GHz CPU und 1 GB RAM, 40 GB HDD, davon 20 GB für die Systempartition) umgestellt werden. Geräte mit nur 512 MB werden aufgerüstet. "Unsere Notebooks sind wegen ihrer Grafik größtenteils nicht Aero-fähig. Vista läuft dort aber ohne Probleme im Basis-Modus.“ Microsoft selbst unterstützt die Administratoren bei der Umstellung mit einer Reihe von Modulen wie Computing-Workshops der Beratungstochter Microsoft Consulting Services. Zudem gibt es für alle Nutzer E-Learning-Programme zu den Neuerungen.
Verwaltung der Lizenzen
Zur veränderten Lizenz-Policy stellt Microsoft zwar Whitepapers bereit, aber: "Die Verwaltung der Lizenzen ist noch einmal komplizierter geworden“, findet Rapp. "Darüber sind wir nicht glücklich. Das hat viel Verunsicherung ausgelöst und ist zu einem wichtigen Beratungsthema geworden.“ Die neue Lizenzpraxis bedeutet, dass Firmen keine aktivierten Volumenlizenzschlüssel mehr erhalten. Damit diese nicht später zu Microsofts Leidwesen auf dem grauen Markt auftauchen. "Die Firmen stellen sich entweder einen eigenen Aktivierungsserver auf oder nutzen einen Microsoft-Lizenz-Server“, sagt Braun von Microsoft. Sogenannte Key Management Server (KMS) speichern bei großen Vista-Installationen die Registrierungsdaten aller angeschlossenen Rechner. Damit das auf einem Client installierte Betriebssystem aktiviert bleibt, muss der Computer regelmäßig Kontakt mit dem KMS seines Netzwerkes aufnehmen.
Zwei Versionen für Professionals
Ebenfalls geändert: Statt einer gibt es jetzt zwei Vista-Versionen für XP Professionell: Business und Enterprise. "Das ist komplexer, auch wenn man eine Wirtschaftlichkeitsberechnung für ein Projekt aufstellen will, was heute viele machen“, sagt Rapp. Computacenter hat ermittelt, dass der Return on Investment bei der Einführung von Windows Vista in weniger als zwei Jahren erreicht werden kann. "Wir haben ein eigenes Kostenvergleichsmodell entwickelt. Dabei werden alternative Investitionen über eine zu wählende Laufzeit verglichen: Alternative 1: Migration der Client-Infrastruktur auf Windows Vista plus Betrieb für drei Jahre. Alternative 2: Beibehaltung der vorhandenen XP-Umgebung plus Betrieb für drei Jahre. Wir führen dann eine Kosten-Nutzen-Rechnung der Szenarien durch, wobei wir die für beide Alternativen gleichen Kosten und Nutzen nicht berücksichtigen.“
Die Migration sei heute kein langwieriger Prozess mehr, behauptet Microsoft. Das Betriebssystem wird ausschließlich als Image ausgeliefert, dessen Format hardwareunabhängig ist. Mit Hilfe neuer Tools könne der Administrator das Windows-Vista-Image offline per Drag & Drop um benötigte Gerätetreiber, Komponenten und Sprachpakete erweitern, verspricht das Unternehmen. Das Microsoft Desktop Optimization Pack (MDOP) reduziere die Deployment-Kosten, indem es spezielle Anwendungen als Services bereitstellt. Die Komponente Microsoft Softgrid wandelt bestehende Anwendungen in virtuelle, im Netzwerk verfügbare Dienste um.
Umstellung dauert Monate
"Die richtige Umstellungsplanung dauert Monate, bei großen Kunden über ein Jahr“, sagt Rapp. Laut Gartner gehen große Unternehmen sogar von einem Gesamtzeitraum von rund anderthalb Jahren aus. Eingeschlossen sind darin die Planung sowie Tests, ob die Releases der genutzten Anwendungen zu Vista kompatibel sind - sowie die eigentliche Migration. Die Neu- und Wiederinstallation von Systemen sei zwar tatsächlich wesentlich einfacher als früher, meint Rapp. "In der Vorbereitung ist Vista aber aufwendiger. Es sind über 1.000 Systemeinstellungen hinzugekommen, die beachtet werden müssen.“
Auch fehlende Treiber verursachen noch einige Probleme. Vista ist unter anderem auch deswegen so anspruchsvoll, weil alle Applikationen eine völlig veränderte Umgebung vorfinden. "Große Schwierigkeiten hatten wir bei der Zusammenarbeit mit Treibern und Client-Software-Komponenten wie VPN-Clients oder Virenschutzherstellern. Da fehlen bei einigen Firmen noch heute lauffähige Versionen“, kritisiert Rapp. Die Kunden werden, wenn sie auf Hersteller-Support Wert legen, gezwungen, sich neue Hardware zu kaufen. Beispiel: Die ATI Grafikkarten Mobility Radeon 7x laufen zwar in Vista-fähigen Geräten, werden aber nicht durch geeignete Treiber unterstützt. Vista-Treiber werden erst ab Generation Radeon 9x weiterentwickelt. Auch TAP-Kunde Thaden vom TÜV Nord brauchte nach eigener Aussage einige Zeit, um seine UMTS-Karte unter Vista zum Laufen zu bringen.
Träge Third-Party-Hersteller
Größtes Hindernis aus Sicht der Microsoft-Manager ist aber nicht die Treiberproblematik, sondern die Applikationsintegration. Diese könne man zwar mit Virtualisierungssoftware wie Softgrid umgehen. Doch so ganz glücklich ist Microsoft mit den Bemühungen der Third-Party-Hersteller offensichtlich nicht. Seit langem wüssten die Hersteller Bescheid. "Wir haben bereits früh alle Entwickler über Windows Vista informiert“, sagt Braun. Bereits auf der Professional Developer Conference (PDC) 2003 habe man detailliert über den Entwicklungsstand informiert. Mit vielen Firmen wie zum Beispiel Nvidia habe es auch eine enge Zusammenarbeit gegeben.
Da ist es im Ergebnis für alle unglücklich, wenn Virtualisierung für eine Vielzahl alter Applikationen die einzige Möglichkeit zu sein scheint, um sie unter Vista zum Funktionieren zu bewegen. Einigen Herstellern ist der für ein Patch erforderliche technische Aufwand wohl einfach zu groß. Sie streichen den Support ihrer Anwendungen für Windows Vista und verkaufen stattdessen lieber neue, Vista-taugliche Produkte.
Fazit: "Wir haben ein sehr sehr gutes Betriebssystem“, schwärmt Braun von Microsoft. Die Unternehmen müssten nicht warten, bis das erste Service-Pack auf dem Markt sei. "Das ist ein Vorurteil, das sich hartnäckig hält“, meint Braun. Rapp von Computacenter mäkelt: "Vista ist noch einmal viel komplexer als XP und ähnelt einer eierlegenden Wollmilchsau.“ Spielenden Teenagern zuhause und Sachbearbeitern im Großunternehmen müsse man gleichermaßen gerecht werden. Irgendwann sei so ein System nicht mehr beherrschbar. "Der monolithische Fat-Client-Ansatz wird sich deswegen in Richtung Modularisierung und Virtualisierung verändern“, prognostiziert Rapp.