CIO: Herr Nöllke, kann man Menschen und Tiere denn überhaupt vergleichen?
Nöllke: Natürlich kann man das. Unser biologisches Erbe bestimmt in weiten Teilen unser Denken und Verhalten. Wie in der Tier- und Pflanzenwelt haben sich unsere Strategien im Laufe der Evolution herausgebildet. Waren sie erfolgreich, haben sie überlebt.
CIO: Was habe ich denn von der Beschäftigung mit solchen Tiervergleichen?
Nöllke: Der Kybernetiker Frederic Vester hat es einmal so ausgedrückt: "Die Natur ist ein Erfolgsunternehmen, das in Millionen Jahren nicht pleite gemacht hat." Die Idee dahinter: Alles, was wir aus dem Business kennen: Wettbewerb, Organisation, Kundenansprache oder Ressourcen-Management gibt es auch in der Natur. Und die Strategien der Natur sind erfolgreich. Seit Millionen von Jahren.
CIO: Welche Strategien sind das?
Wenn ich mir beispielsweise anschaue, wie in der Affenhorde Konflikte geschlichtet werden, dann kann ich etwas für den beruflichen Alltag lernen - nämlich die Wichtigkeit von Versöhnungsritualen. Kollegen lausen sich in der Firma nach einer Auseinandersetzung zwar nicht gegenseitig das Fell wie die Affen, aber auch sie müssen sich wieder vertragen. Wenn man einen Konflikt nur mit Worten klärt, schwelt er weiter. Zusätzlich müssen sich beide Parteien durch ein Ritual versöhnen - sich zum Beispiel die Hand reichen.
CIO: Ihr Buch trägt den Titel "Von Bienen und Leitwölfen: Strategien der Natur im Business nutzen". Was kann man denn von diesen beiden Tierarten lernen?
Nöllke: Im Wolfsrudel herrscht eine bemerkenswerte Arbeitsteilung: Es gibt einen Betawolf, der sich darum kümmert, dass die Gruppenregeln eingehalten werden. Der Betawolf ist der strenge Erbenszähler, während der echte Leitwolf freundlich und tolerant ist. Er ist der Charismatiker, der Konflikte schlichtet und sich für das Rudel in Gefahr begibt. Dadurch hält er den Laden zusammen.
CIO: Und was lehren uns die Bienen?
Nöllke: Die zeigen uns unter anderem, dass komplexe Entscheidungen sehr sorgfältig getroffen werden müssen. Jedes Jahr muss sich ein Schwarm eine neue Unterkunft suchen. Von dieser Entscheidung hängt sehr viel ab. Trifft der Schwarm eine schlechte Entscheidung, kommt er nicht durch den Winter. Weil so viel an der Entscheidung hängt, schicken die Bienen Kundschafterinnen auf Standortsuche.
CIO: Was passiert, wenn sie fündig werden?
Nöllke: Dann müssen sie mit einem Tanz für diesen Standort werben und andere Bienen zu dem Standort locken, die ihrerseits für die neue Behausung werben - oder auch nicht. Durch dieses ausgeklügelte Verfahren wird sichergestellt, dass der Schwarm immer die optimale Unterkunft aufspürt.
CIO: Was können Unternehmen davon lernen?
Nöllke: Dass ein wichtiger Entscheidungsprozess klar strukturiert und sehr durchdacht sein sollte. Es ist hilfreich, möglichst viele an diesem Prozess zu beteiligen, die ihr Wissen direkt in die Entscheidung einfließen lassen können. Auch die zeitliche Begrenzung ist wichtig: Jeder Schwarm trifft spätestens nach zehn Tagen eine Entscheidung für eine neue Unterkunft.
CIO: Viele Arbeitnehmer leiden heute unter Stress. Was kann man hier von Tier-Strategien lernen?
Nöllke: Stress muss unbedingt reduziert werden. Dauerstress macht krank und kann Tiere regelrecht umbringen. Was hilft, das ist Bewegung zum Stressabbau. Auch wenn man sich mit anderen austauschen kann und den Stress gemeinsam bewältigt, ist das gut. Tests mit Ratten haben das beispielsweise gezeigt.
CIO: Gibt es noch etwas, das man lernen kann?
Nöllke: Stressphasen lassen sich wesentlich besser durchstehen, wenn man weiß, wann sie anfangen und wann sie wieder aufhören. Für Unternehmen heißt das: Seinen Mitarbeitern kann man also wesentlich mehr abverlangen, wenn man sie rechtzeitig über anstehende Stressphasen informiert - und natürlich darüber, wann es wieder vorbei ist
"Von Bienen und Leitwölfen. Strategien der Natur im Business nutzen" von Matthias Nöllke, Rudolf Haufe Verlag, August 2008, 304 Seiten, 19,80 Euro, im Internet.