Projekte richtig besetzen

Vorgehensmodell fürs Skill-Management

10.08.2011 von Alexander Müller-Herbst
Unternehmen sind heute kaum in der Lage, den Personaleinsatz in der IT angemessen zu verbessern. Ein Vorgehensmodell zum Skill-Management existiert höchstens in Ansätzen, meint Alexander Müller-Herbst von Compass in seiner Kolumne.
"Noch immer gibt es kein einheitliches Vorgehen, um die Personalstruktur einer Organisation zu beschreiben", sagt Alexander Müller-Herbst. Er ist Geschäftsführer der Compass Deutschland GmbH.
Foto: Information Services Group Germany GmbH

ITIL, CMM, CoBIT - für IT-Prozesse und -Organisation gibt es mittlerweile reichlich standardisierte Vorgehensmodelle. Wenn in den letzen Jahrzehnten IT-Optimierung gefragt war, richteten CIOs ihren Blick primär oder gar ausschließlich auf die Technologie. Dort wurden die Potenziale durch Standardisierung, Konsolidierung und Innovationen so weit wie möglich ausgereizt. Die Optimierung des Mitarbeitereinsatzes wurde hingegen nur zweitrangig betrieben. Häufig ist sie nur ein "C-Level"-Thema.

Ein Praxisbeispiel: In einem Reorganisationsprojekt sollten Infrastruktur, Organisation und Prozesse analysiert und verbessert werden. Als der Berater vorschlug, auch die Skills in den Fokus einzubeziehen, lautete die Antwort: Lieber nicht - das geht zu sehr ins Persönliche und ist zu konfliktträchtig.

Noch heute beträgt das Verhältnis von Technologie- zu Skill-Projekten bestenfalls 10:1. Werden Letztere doch einmal durchgeführt, ziehen sie sich aufgrund interner Unstimmigkeiten und hohem Abstimmungsbedarf oft sehr lange hin - nicht selten dauert es zwei Jahre bis zur Einführung.

So wundert es nicht, dass heute die Personalaufwendungen der größte Kostentreiber mit den wenigsten Lösungen sind. In vielen Unternehmen ist die HR überhaupt nicht in der Lage, den Personaleinsatz in der IT angemessen zu verbessern. Vor allem fehlt die faktenbasierte Grundlage in Form einer klaren Anforderungsdefinition, einem Risiko-Management und den entsprechenden Migrations- und Transitionsplänen.

Eine einheitliche Gesamtsicht auf die unterschiedlichen Anforderungen aller Organisationsebenen an das Skill Management ist Voraussetzung für wettbewerbsfähige Personalstrukturen.
Foto: Compass Publishing BV

Noch immer gibt es kein einheitliches Vorgehen, um die Personalstruktur einer Organisation zu beschreiben. Das beginnt bei so einfachen Kriterien wie Standards zur Benennung von Funktionen und Rollen. Unsere Erfahrung: Bittet man 20 Unternehmen um eine Definition des "IT-Managers", erhält man 30 verschiedene Aussagen.

Ursachen sind auch Managementfehler

Die Ursachen sind sowohl objektive Herausforderungen als auch Managementfehler. Zunächst ist das Skill-Profil der IT sicherlich sehr komplex. Es gibt zahlreiche IT-Disziplinen und Kompetenzen; die Vielfalt ist hier deutlich größer als in anderen Berufsbereichen. Allerdings haben sich die wenigsten Unternehmen in den letzten 20 Jahren bemüht, bessere Methoden zu entwickeln, um dieses komplexe Know-how zu orchestrieren. Die HR kann heute allenfalls einzelne Teams optimieren - was fehlt, ist eine Gesamtsicht.

Nehmen wir nur das Zusammenspiel von vertikalen und horizontalen Skills. Die vertikale Achse bilden die verschiedenen IT-Ebenen wie Infrastruktur, IT-Betrieb und Applikationsmanagement; innerhalb der Infrastruktur wiederum finden wir die Disziplinen Hosting, LAN, Internet, Voice, Desktop etc. Die horizontale Ebene bilden die Prozesse innerhalb des jeweiligen Bereichs wie zum Beispiel das Demand Management. In den meisten Fällen wird es in jedem Bereich separat aufgesetzt und parallel betrieben. Da die HR nur selten in der Lage ist, sich diese Funktion im Gesamtzusammenhang anzuschauen, werden die dazu notwendigen Skills im Unternehmen unkoordiniert eingesetzt und aufgebläht.

Auch findet man viele Überschneidungen, insbesondere beim Schnittstellenmanagement zwischen den Bereichen wie beispielsweise Infrastruktur, Applikationsbetrieb und -entwicklung. Diese Interfaces werden in über 60 Prozent der Unternehmen nicht integriert - also wertschöpfungsübergreifend - sondern in den jeweiligen Wertschöpfungsstufen aufgesetzt (zum Beispiel Infrastruktur und Applikationen getrennt).

Gemeinsames Skill-Verständnis fehlt oft

Das Problem multipliziert sich in nicht konsolidierten beziehungsweise international heterogen aufgestellten (etwa anorganisch gewachsenen) Unternehmen. Das trifft vor allem auf internationale Konzerne zu, die sich über die Jahre entwickelt haben und durch Zukäufe erweitert wurden. Zudem weisen die verschiedenen Einheiten meist eine unterschiedliche Prozessreife auf und sind deshalb schwer zu normieren. Die Folge: Es gibt kein einheitliches Vorgehen, kein gemeinsames Skill-Verständnis und häufig eine uneffektive Governance.

Um die richtige Organisation End-to-End zu bauen, ist ein 360-Grad-Blick sinnvoll. Nur so ist ein erfolgreiches Skill Management in der IT sichergestellt.
Foto: Compass Publishing BV

Die Skills richtiges auszutarieren - Projekte so zu besetzen, dass sie weder zu niedrige noch zu hohe (und damit teure) Qualifikationen aufweisen - ist wettbewerbsentscheidend. Doch wird dieses Ziel durch eine Reihe weiterer Komplexitätstreiber erschwert.

Komplexitätstreiber Fachkräftemangel

Ein Komplexitätstreiber ist der sich verschärfende Fachkräftemangel. In vielen Spezialdisziplinen - wie etwa SAP-Management - ist kaum noch Nachwuchs verfügbar. Und mittelständische Unternehmen erreichen in diesen Sektoren meist nicht die kritische Masse, um den betreffenden Mitarbeitern überhaupt attraktive Karriereperspektiven bieten zu können. Viele Unternehmen sehen deshalb im Outsourcing die einzige Lösung, um solche IT-Bereiche überhaupt noch funktionsfähig zu halten. Denn die Anbieter beschäftigen noch entsprechendes Personal und können ihm auch die notwendigen Perspektiven geben.

Umgekehrt besteht in vielen Bereichen eine Überqualifikation. Ein Beispiel: Ein Unternehmen arbeitete im IT-Betrieb über viele Jahre hinweg mit demselben Mitarbeiterstamm. Durch die üblichen Gehaltssteigerungen und Sozialleistungen wuchsen dessen Kosten im Laufe der Zeit, die Rollen und Skills blieben jedoch weitgehend gleich. Schließlich war dieser Bereich nicht mehr konkurrenzfähig. Als Lösungsstrategie prüften die Verantwortlichen schließlich Outsourcing-Szenarien und nahmen sie in Angriff.

Outsourcing ist aber keine wirkliche Lösung, wenn das Problem nur verschoben wird. In unserem Beispiel verpflichtete der Auftraggeber den Dienstleister, alle sozialen Leistungen gegenüber dem Personal - über die gesetzliche Regelung hinaus - zu übernehmen. Damit wurden dem Provider aber quasi Handschellen bei der Optimierung angelegt: Er musste seine Leistungen teurer anbieten, als dies im Marktvergleich notwendig gewesen wäre. Das Management-Problem wurde nicht gelöst. Die einzige Hoffnung liegt dann darin, dass der Dienstleister durch wachsendes Geschäft irgendwann besser ausgelastet ist.

Outsourcing erhöht die Komplexität im Skill-Management

Generell erhöht das Outsourcing die Komplexität im Skill-Management. Durch das Herauslösen von Funktionen muss eine vorher austarierte Organisation ganz neu ausgerichtet werden. Dabei ist in den meisten Fällen überhaupt nicht klar, welche Skills schließlich benötigt werden. Der Kunde hat zu Beginn des Prozesses zwar seine Vorstellungen. Doch dann folgen Ausschreibung und Vertragsverhandlungen, und jeder Anbieter setzt andere Schwerpunkte. Oft ändern sich die Skill-Anforderungen bis zum Schluss.

Wie in Technologie und Organisation sollten auch im Skill-Bereich Entscheidungen auf vergleichenden Analysen mit Hilfe von Katalogen und Best Practices basieren.
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Beispielsweise überlegte in einem Unternehmen die IT-Leitung, wegen des Drucks auf ihre Kosten den Bereich Managend Desktop einem externen Provider zu übertragen. Den Bereich Helpdesk, der recht gut aufgestellt war, wollte es jedoch behalten. Der Business Case zeigte dann allerdings, dass sich die Auslagerung nur lohnt, wenn der Dienstleister auch diese Support-Funktion übernimmt und seine Standardprozesse einführen kann, da ansonsten das Schnittstellenmanagement zu aufwändig würde. Damit ändert sich jedoch die Aufgabenstellung, und andere Rollen und Skills sind gefragt.

Outsourcing heißt neue Rollenverteilungen

Ein zweites Beispiel: Ein Unternehmen hatte eine historisch gewachsene Lieferantenbeziehung im Umfeld des IT-Betriebs mit einem kaptiven Service Provider. Das Capacity Management hatte es jedoch selbst gemacht. Um die Kosten zu reduzieren, erwog es, die Aufgaben des internen Dienstleisters auszulagern. Dabei musste es aber feststellen, dass der marktübliche Leistungsschnitt das Capacity Management beim Anbieter vorsieht. Es wäre also eine neue Aufgabenverteilung notwendig geworden - damit auch neue Rollen und Skills, um dies zu managen.

Die größte Herausforderung liegt darin, dass nach dem Outsourcing eine völlig neue IT-Wertekette verstanden und in notwendige Skills uminterpretiert werden muss: neue Anforderungen, neue Rollen, neue Organisationsstrukturen usw. Bleiben wir bei unserem Beispiel Managed Desktop:

Da Personalmaßnahmen langfristig wirken, müssen Unternehmen, die in diesem wettbewerbsentscheidenden Bereich gut aufgestellt sein wollen, jetzt handeln. Effektives Skill-Management ist zunächst einmal eine Frage des Bewusstseins: Es muss Aufmerksamkeit auf Vorstandsebene erhalten, und der CIO sollte zusammen mit dem Bereich HR die Strategie planen und Maßnahmen umsetzen. Dabei brauchen sie das richtige Handwerkszeug, um festzulegen zu können: Welche IT-Skills werden in welcher Menge langfristig benötigt?

Das Referenzmodell SFIA hat sich bewährt

Zunächst sollte die Strategie definiert werden: Wie sieht IT der Zukunft aus? Die Ergebnisse werden dann herunter gebrochen auf Organisation, Prozesse, Funktionen, Rollen und Qualifikationen, aus denen der künftige Skill-Mix abgeleitet wird. Eine GAP-Analyse zeigt Diskrepanzen zwischen Ist-Zustand, heutigem und künftigem Bedarf. Sehr hilfreich für die Ermittlung von Über- und Unterkapazitäten bei Personalstärke und -qualifikation einzelner Disziplinen sind Referenzdaten und Leading Practices. Dann können die Verantwortlichen entscheiden, ob sie Personal zukaufen, selbst weiterentwickeln oder auslagern und die notwendigen Maßnahmen bei Recruiting, Karriereplanung, Weiterbildung, eventuellen Ruhestandsregelungen usw. einleiten.

Bewährt für die Beschreibung von Rollen und die Zuordnung von Skills hat sich das Referenzmodell SFIA ("Skill Framework for the Information Age"). Dieser Industriestandard definiert in einer Matrix technologieunabhängig Kompetenzen durch eine Auswahl aus (derzeit) 90 Einzel-Skills in jeweils bis zu 7 Erfahrungs-Leveln. Damit lassen sich nach dem Baukastenprinzip beliebige Rollen zusammensetzen.

Beispiele für neue IT-Rollen und Skills

Zugleich muss natürlich eine Lösung auf den Einzelfall zugeschnitten sein. Das SFIA-Modell sollte deshalb individuell ergänzt werden, etwa um technisches und anderes fachliches Spezialwissen, Soft Skills, Zertifizierungen etc. Mit einem solchen Skill-Katalog können Unternehmen wichtige IT-Rollen vordefinieren und mit den entsprechenden Skills hinterlegen (siehe Kasten). Damit können sie Projektlaufzeiten bis um 80 Prozent verkürzen.

Beispiele vordefinierter IT-Rollen mit hinterlegten Skills

Demand-/ Querschnitt-orientiert:

  • Service Account Manager

  • Service Portfolio Manager

  • Service Design Manager

  • Finanzmanager / IT Controller

  • Risikomanager

  • Manager Beschaffung

  • HR Manager

  • Business Continuity Manager

  • Qualitätsmanager

Technologie-orientiert:

  • Technischer Analytiker

  • Configuration Manager

  • Sicherheitsmanager

Supply-orientiert:

  • Auftragsmanager

  • Vertragsmanager

  • Vertragskoordinator

  • Delivery Manager

  • Service Level Manager

  • Innovationsmanager

  • Lizenzmanager

  • Release-Koordinator

  • Change Manager

  • Compliance Manager

  • Projektmanager

Auch das beste Modell löst nicht allein die Probleme des Skill Management. Nur zusammen mit dem beschriebenem Vorgehen und der Einbeziehung von Leading Practices können CIOs gemeinsam mit dem HR-Bereich zukunfts- und wettbewerbsfähige Personalstrukturen sichern. Damit können sie auch Herausforderungen wie den demografischen Wandel besser bewältigen. Mit einer langfristigen Skill-Planung ist es beispielsweise einfacher, dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter, die im Laufe der Jahre mehr Gehalt und Sozialleistungen erhalten, nicht auf einfachen Skill-Leveln kleben bleiben, für die sie dann zu teuer sind.

Rechtzeitige Qualifizierung und Karriereplanung

Durch rechtzeitige Qualifizierung und Karriereplanung lassen sich ihr Wert und ihre Einsatzmöglichkeiten erhöhen. Wenn das Unternehmen den Mitarbeitern mehr Optionen anbieten kann, schafft dies mehr Flexibilität auf beiden Seiten. Um Fehlentwicklungen vorzubeugen, ist auch eine mittel- und langfristige Analyse der Altersstrukturen im Gesamtunternehmen, den einzelnen Bereichen und Standorten sinnvoll - beispielsweise damit nicht wegen zu homogener Strukturen plötzlich ganze Kompetenzgruppen durch Verrentung wegbrechen.

Alexander Müller-Herbst ist Geschäftsführer der Compass Deutschland GmbH.