Das Vermögen der Banken befindet sich nicht mehr in Tresoren, sondern auf ihren Rechnern. Ende Februar waren im Euro-Raum saisonbereinigt nur knapp 4,5 Prozent der Geldmenge M3 (umfasst Bargeld, Sicht-, Termin- und Spareinlagen sowie Pensionsgeschäfte und festverzinsliche Wertpapiere) in Form von Münzen und Banknoten im Umlauf - Tendenz fallend. Der Löwen-anteil der Reichtümer existiert in digitaler Form. Damit hängt es so direkt wie in keiner anderen Branche von der Informationstechnik ab, wie sicher die Werte sind und wie sich der Ertrag entwickelt.
Bei den Finanzinstituten ist deshalb der Anteil der IT-Ausgaben am Geschäftsvolumen im Durchschnitt viel höher als etwa im verarbeitenden oder produzierenden Gewerbe. Aber auch dort wird die IT ein immer wichtigerer Produktionsfaktor. IT-Verantwortliche und Vorstände in anderen Branchen sollten darum genau auf die Banken schauen - und sei es nur, um deren Fehler zu vermeiden.
Die IT als Kernkompetenz und strategisches Werkzeug - im Finanzsektor ist dies keine leere Formel. Das spiegelt sich auch in der Position der IT-Chefs wider, die hier üblicherweise im Vorstand sitzen.
Nicht gesagt ist damit allerdings, dass dieses Werkzeug auch immer mit Kompetenz, Kostenbewusstsein und Erfolg benutzt wird. Im Gegenteil: Der frühere CIO der Dresdner Bank, Gerhard Barth, wurde Ende vergangenen Jahres von Vorstandschef Bernd Fahrholz abgewatscht: Die IT habe "Speck angesetzt"; es bestehe "Handlungsbedarf, um die Kosten in den Griff zu bekommen". Barth musste gehen, Klaus-Michael Geiger kam. Der frühere COO der Dresdner-Bank-Tochter Kleinwort Wasserstein steckt nun mittendrin in den IT-Umbauarbeiten des Mutterkonzerns. Wie die sich bis dato auf der Kostenseite ausgewirkt haben, darüber gibt er jedoch keine Auskunft. Wenig überraschend angesichts der Zielvorgabe: Bis 2003 müssen die Verwaltungskosten, zu denen die IT zählt, um 15 Prozent - mehr als eine Milliarde Euro - runter.
Auf der Kostenbremse steht auch die Commerzbank, die im laufenden Geschäftsjahr 20 Prozent weniger in IT investieren will als 2001. Wie groß deren Anteil an den Verwaltungsausgaben insgesamt ist, darüber schweigt Commerzbank-CIO Michael Paravicini. "Die Abgrenzungen sind bei den Banken sehr unterschiedlich; damit ist eine Vergleichbarkeit nicht gegeben", argumentiert er. "Wir stehen aber nicht allein da mit unseren Einsparungen. Wenn ich mit meinen Kollegen rede, berichten alle dasselbe." Hermann-Josef Lamberti, COO mit IT-Verantwortung im Vorstand der Deutschen Bank, mag da nicht widersprechen. Anders als seine Kollegen nennt er jedoch eine konkrete Zahl: 14 Prozent vom Verwaltungsaufwand entfallen demnach in seinem Haus auf die IT und Operations - im Schnitt der Business-Lines wohlgemerkt. In den IT-intensiven, aber ertragsarmen Bereichen, etwa dem Custody-Geschäft (Verwaltung und Verwahrung von Wertpapieren), nähere sich dieser Wert der 20-Prozent-Marke. Insgesamt hat sich die "Cost-Income-Ratio" der Deutschen Bank deutlich verschlechtert: von 72,1 Prozent im Jahr 2000 auf 80,1 Prozent 2001.
Jedes zweite deutsche Kreditinstitut kämpft mit zu hohen Kosten, jedes vierte mit Ertragseinbrüchen. Nach einer Befragung der Unternehmensberatung Mummert + Partner, des FAZ-Instituts und des Manager Magazins kommen hierzulande auf 100 Euro Ertrag durchschnittlich 70 Euro, bei Großbanken sogar 80 Euro Kosten; der EU-Schnitt liegt bei etwa 60 Euro. Folglich lautete das diesjährige Motto des traditionellen Jahreseröffnungsgesprächs im Atrium der Dresdner Bank in Frankfurt: "Zukunft der Banken - Kostenreduzierung um jeden Preis."
Der wohl größte Kostenblock und das größte Einsparpotenzial stecken im Privatkundengeschäft. Nur noch 18 Prozent der Unternehmen investieren laut Mummert + Partner nicht in die Automatisierung von Zahlungsverkehr und Wertpapiergeschäft; im letzten Jahr waren es noch doppelt so viele. Für die Großbanken böte es sich an, die operativen Kosten mit einem Schlag zu reduzieren - durch eine gemeinsame Transaktionsbank. Im Prinzip einfach, sagt Lamberti: "Ich kann heute mit einem Koffer voller Lastschriften von uns zur Dresdner Bank laufen, die dort auf die Maschine legen, und sie kommen morgen bei unseren Kunden an, und umgekehrt."
Die Deutsche Bank hat mit der European Transaction Bank (ETB) bereits eine Tochter, an der sich mit einigen Sparda-Banken und Sal. Oppenheim bisher zwei Partner beteiligen. Weitere Großbanken sind nicht mit an Bord. Zumindest die Dresdner wolle auch nicht, sagt Geiger. Die große Lösung mit den Frankfurter Konkurrenten sei für ihn "derzeit kein Thema" - zu komplex, zu riskant. "Wenn eines der Systeme nur einen Tag steht, könnte es ein echtes Problem geben." Eine gemeinsame Abwicklung des Zahlungsverkehrs sei aber eventuell machbar.
Lamberti dagegen plädiert für eine große Lösung: "Wer wegen hoher Anlaufkosten auf Skaleneffekte verzichtet, zahlt die Kosten letztlich selbst. Für die Unterschiede im Transaction Banking bekommen wir von den Kunden kein Geld, und darum kann meines Erachtens die einzig sinnvolle Lösung nur eine gemeinsame sein."
Ob mit oder ohne gemeinsame Transaktionsbank: Die IT-Kapitäne müssen mit ihren Schiffen durch die Krise. Dazu wird Ballast abgeworfen. "Die Kosteneinsparungen müssen sein", weiß Paravicini. Die Commerzbank wird 3400 Stellen bis Ende 2003 streichen und bis Ende dieses Jahres 200 Filialen schließen. Das wirkt sich auch auf die IT aus. "Wir haben unser Projektportfolio durchleuchtet und viele Projekte entweder zurückgestellt, geändert oder gestrichen." Dennoch verbreitet der CIO Optimismus: "Ich bin überzeugt, dass wir auch dieses Jahr vernünftig investitieren können. Ich bin zwar 10 bis 15 Prozent vom letzten Budget entfernt; dennoch investieren wir in neue Projekte in einer Größenordnung von 57 Millionen Euro."
Paravicini stellt die Ertragskrise gar als Chance dar: "Wir können Konsolidierungen durchführen, die in Boom-Phasen nicht machbar waren. Wir können die vorhandenen Systeme im Investmentbanking auf ein paar wesentliche reduzieren und so die gesamte Komplexität." Zudem plant der Commerzbank-CIO, ausgelagerte IT-Aufgaben zurückzuholen.
So hoch die Wellen in den IT-Abteilungen der Banken auch schlagen: Die Situation muss an den gewaltigen Aufgaben gemessen werden, vor denen Lamberti, Geiger, Paravicini und Kollegen stehen. Unter dem enormen Druck hat sich die Banken-IT bereits deutlich weiter entwickelt als im verarbeitenden und produzierenden Gewerbe.
Paravicini beurteilt die IT beim Kontakt zum Kunden ebenfalls als wesentlichen Erfolgsfaktor. In beratungsunterstützender Software und den IT-getriebenen Vertriebswegen der Banken stecken für ihn interessante Chancen, die jedes Unternehmen, egal aus welcher Branche, für sich prüfen sollte. "Banken sind heute in der Lage, neue Vertriebswege und Produkte relativ schnell in ihre IT-Landschaft einzubauen", sagt Paravicini. "Denn damit kann man sich in der homogenen Bankenwelt immer noch Wettbewerbsvorsprünge erarbeiten." Außerdem entscheidend für den Erfolg der Banken seien Flexibilität und Skalierbarkeit, wie sie die komplexen Anwendungen und Systeme der Finanzkonzerne erreicht hätten.
Durch die tief greifende interne und externe Vernetzung der IT bedienen die Banken-CIOs Business-Schalthebel, auf die viele andere IT-Entscheider - noch - keinen Zugriff haben. Die Deutsche Bank etwa hat erst im Februar ihre Führungsstruktur umgekrempelt. Der Vorstand konzentriert sich nun ganz auf die strategische Führung, die Ressourcenverteilung, die Kontrolle und das Risikomanagement. Daneben gibt es ein Exekutivkomitee, in dem alle Vorstandsmitglieder und Geschäftsbereichsleiter vertreten sind. "Die Bank ist in diesem Modell aus Kundensicht organisiert", erklärt Lamberti. "Die IT wird dabei hart durchgefahren; sie trifft an jeder Stelle der Organisationsmatrix mit dem Business zusammen." Für die Kunden komme es darauf an, dass die organisatorisch getrennten Bereiche CIB (Firmenkunden, Investmentbanking) und PCAM (Privatkunden, Asset Management) funktional miteinander verbunden seien. "Kunden wollen Prozessorientierung; sie interessieren sich nicht für die internen Probleme von Produktion, Distribution und Infrastruktur." Der IT-Manager, resümiert Lamberti, hat nun eine andere Funktion als in klassischen Organisationen. "Er handelt nachfragegetrieben; er bestimmt an jeder Stelle zusammen mit den Geschäftsbereichen die Strategie und setzt Prioritäten."
Lamberti steht dafür ein zentrales IT-Budget zur Verfügung, das in zwei Bereiche aufgeteilt ist: Im Etatanteil RTB (Run the Bank) sind die Kosten für die Aufrechterhaltung des Status quo inklusive regulativer Anpassungen aufgeführt; der Bereich CTB (Change the Bank) bezieht sich auf die Kosten für die Weiterentwicklung der Prozesse, ihre Anpassung an sich verändernde marktwirtschaftliche und regulatorische Bedingungen.
Diese konzeptionelle Aufteilung bildet die Projektionsfläche, über die die Informationsverarbeitung in die Geschäftsabläufe eingespiegelt wird. Die Teilung zwischen Bankbetrieb und Bankentwicklung macht es einfacher, "die Matrix zu managen", erläutert Lamberti mit Bezug auf die Knotenpunkte im Organigramm, wo sich die IT in der Horizontalen mit den Geschäftsbereichen in der Vertikalen trifft.
Hinter dem Sammelbegriff "IT and Operations" verbergen sich alle IT-Ausgaben, nicht nur für Entwicklung und Infrastruktur, sondern auch für die Abwicklung im Backoffice samt der Gehälter für die Mitarbeiter im Zahlungsverkehr. Die European Transaction Bank etwa ist hier komplett enthalten, weil sie ausschließlich Payment- und Abwicklungsservices erledigt.
"In einem Unternehmen wie Daimler-Chrysler würden niemals die Kosten für die Produktion der S-Klasse im IT-Budget auftauchen", streicht Lamberti die Besonderheit heraus. "Da wir keine physische Produktion haben, sondern alle Produkte digital sind, gehört das gesamte Backoffice ins IT- und Operations-Budget."
IT-Projekte, die in den Geschäftsbereichen geplant werden, werden bei der Deutschen Bank erstens gegen das Budget und zweitens anhand der Prioritäten des Exekutivkomitees gecheckt. Da müssen die Global Business Heads, wie die Geschäftsbereichsleiter bei der Deutschen Bank neuerdings heißen, schon mal zurück-stecken. Denn "die Summe der Einzelinteressen ist oft anders gelagert als das Interesse des Ganzen", wie Lamberti es diplomatisch ausdrückt. "Wenn vier Bereiche expandieren wollen, die Gesamtmarkteinschätzung aber darauf hinausläuft, dass die Kostensituation balanciert werden muss, dann zwinge ich die Geschäftsbereiche, ihre IT-Projekte zu priorisieren. Bei dieser Priorisierung können Projekte unter den Tisch fallen, verschoben oder anders strukturiert werden."
Bei der Dresdner Bank hoffen die Verantwortlichen auf Synergieeffekte aus der Fusion mit dem Allianz-Konzern. Doch die Zusammenlegung der beiden IT-Dienstleister Dregis (Dresdner Bank) und Agis (Allianz) soll laut Geiger ohne Entlassungen über die Bühne gehen. "Wir reden derzeit nicht über einen Personalabbau. Die Mitarbeiter werden wir weiterhin brauchen. Es wird kein Standort aufgelöst. Es wird Synergien geben beim Zusammenwachsen im IT-Einkauf und bei der Nutzung der Hardware-Plattformen." In den Frontends der Bankensilos, also den Bereichen Investmentbanking, Privatkunden und Asset Management, stecke dagegen kaum Synergiepotenzial.
Auch Geiger hat seit seinem Amtsantritt im Herbst vergangenen Jahres mit neuen Strukturen zu tun, die durch die Fusion mit der Allianz entstanden sind. Doch er zeigt Gelassenheit: "Auf der IT-Seite verläuft ein Zusammenschluss immer relativ schnell und mit wenig Emotionen. Natürlich diskutieren wir hart über die Systemauswahl. Dabei gewinnt mal der eine, mal der andere. Aber das machen wir inhouse genauso."
In einem großen Projekt analysiert die Dresdner Bank derzeit ihr gesamtes IT-Produktportfolio. "Redundante Systeme, das heißt alle, die nicht unbedingt notwendig sind, schalten wir ab. Wir haben sowohl im Corporate- als auch im Investment-banking ein System entwickelt, das die Bestandsabstimmung zwischen Konten darstellt. Nur eins davon werden wir in Zukunft brauchen", beschreibt Geiger die Situation.
Der Blick hinter die IT-Kulissen mache aber nicht nur in Richtung der Banken Sinn, gibt Lamberti zu bedenken. Auch andersherum sei ein Lernprozess wünschenswert, findet er und schwärmt von den "Revolutionen", die die Industrie seit den 70er-Jahren erlebt habe: "Da gab es durch die in den letzten 30 Jahren dramatisch verschärfte Wettbewerbssituation einen Vorsprung beim prozess-orientierten Denken. Das produzierende Gewerbe, vor allem die Automobilindustrie, musste sich neu aufstellen. Hier hat das Finanzgewerbe noch großen Nachholbedarf."
Damit nicht genug: Die Banken könnten zudem von der Industrie lernen, wie sich die Wertschöpfungskette verkürzen lässt. Lamberti: "Banken bieten ausschließlich digitale Produkte und wickeln alles selbst ab. Die Autoindustrie kontrolliert nur 18 Prozent der Wertschöpfung."
Dennoch sei der Markenwert von Mercedes oder VW eher gestiegen. "Wie eine Marke gesehen wird, hat offenbar nichts zu tun mit dem Eigenanteil eines Unternehmens an der Wertschöpfung. Daimler muss die Einspritzpumpe nicht selbst bauen, um als hochwertige Marke wahrgenommen zu werden."