Herr Gebhard, Sie haben für Ihre Dissertation mit 30 hochrangigen deutschen Managern über deren Verantwortungsverständnis gesprochen. War es einfach, Zugang zu bekommen?
Es war zunächst extrem schwierig. Hilfreich war aber mit Sicherheit, dass über verschiedene persönliche und universitäre Kontakte erste Referenzen vorhanden waren. Empfehlungsschreiben von Gesprächspartnern haben mir dann zu immer weiteren Interviews verholfen.
Mit wem haben Sie gesprochen?
Ich habe mit 30 Vorständen aus Dax- und MDax-Konzernen beziehungsweise Firmen dieser Größenordnung gesprochen. Dabei habe ich Wert auf ein möglichst breites Spektrum gelegt was etwa Alter der Interviewten oder ihre Branche angeht. Absolute Anonymität war den Beteiligten höchst wichtig ...
... weil sie sich Ihnen gegenüber geöffnet haben?
Ich denke schon. Einige Vorstände kamen zunächst mit ihrem Manager für Compliance-Fragen in das Gespräch, also einem Mitarbeiter, der für die Regeleinhaltung im Unternehmen zuständig ist. Doch im weiteren Verlauf haben wir uns unter vier Augen unterhalten.
Warum?
Über das eigene Verständnis von Verantwortung zu reden, war für die Manager interessant. Aber das ist eine persönliche Sache für sie. Denn im Arbeitsalltag ist dafür kein Platz. Das Gespräch kam vielen als Möglichkeit zur Selbstreflexion gelegen. Über Verantwortung nachzudenken - dafür gibt es in Konzernen meiner Meinung nach zu wenig Raum. Die Manager an der Spitze machen das Thema nur mit sich selbst aus.
Das ist ein wenig erschreckend.
Es gibt nur äußerst selten einen Gegenpart, der dabei hilft, die eigene Verantwortung zu hinterfragen. Das wird maximal mit der Ehefrau offen besprochen. Manche Manager haben zwar einen Mentor. Ein Gesprächspartner hat aber offen gesagt, dass er mit dem nur die nächsten Karriereschritte bespreche.
Comeback als Vorstandschef
Woher beziehen die Manager dann ihr Verständnis von Verantwortung?
Aus ihrer Kindheit. Was Vater und Mutter beigebracht und vorgelebt haben, das ist für viele der letzte Bezugspunkt zu einer Diskussion über die eigene Verantwortung und deren Grenzen.
Aber alle Großunternehmen setzen doch auf "Corporate Social Responsibility" (CSR), also die Stärkung der Firma als verantwortungsvoller Teil der Gesellschaft.
Was ich jetzt sage, wird viele CSR-Manager gegen mich aufbringen, denn es ist ernüchternd. Die dicken Wälzer zu CSR haben nichts mit dem Verantwortungsverständnis der deutschen Spitzenmanager zu tun. CSR-Themen widmen sich die Vorstände in der Regel, weil es zum guten Ton gehört, dafür stellt man ein Budget zur Verfügung. Aber die persönliche Verantwortungsrolle koppeln die Spitzenmanager meist vollständig davon ab.
Weil die Vorstände ihre eigene Verantwortung anders definieren?
Die meisten sagen, dass es ihre Verantwortung ist, die Balance zwischen den Zielen und Ansprüchen zu schaffen, die an das Unternehmen herangetragen werden. Das wird dann je nach Lage der Firma anders definiert. Aber wirkliche Verantwortungsziele setzten sie sich nicht. Eben auch deswegen, weil es keine offene Diskussion darüber gibt.
Auch nicht im Vorstand?
Gerade nicht im Vorstand.
Weil dort jeder auf eine Schwäche des Anderen wartet?
Das ist wohl leider so. Ein Manager hat mir gesagt, dass es sein größter Fehler ist, sich persönlich keinen Bereich geschaffen zu haben, der kein Haifischbecken ist. Um einen solchen Raum zu schaffen muss man sich aber bewusst auf den Weg machen. Möglichkeiten dafür gibt es. Für manche ist das institutionalisierte Gespräch mit Freunden aus Studientagen ein solcher Schutzbereich. Das können aber auch wirklich Vertraute im Unternehmen oder Mitglieder des Aufsichtsrats sein.
Warum ist ein solcher Diskussionsraum nötig?
Die eigene Entscheidung mit Distanz zu betrachten, das muss für jeden Manager im Arbeitsalltag zur Überforderung werden - bei dem Stress. Aber wenn der Abbau von 20.000 Stellen ansteht und sie niemanden haben, der offen mit ihnen spricht, ob sie alles Mögliche getan haben, um so einen Schritt zu verhindern oder so stark zu begrenzen wie möglich - dann stumpfen sie entweder ab oder werden verrückt. Der Vorstand als Organ nimmt diese drückende Last der Verantwortung nicht ab.
Der Trend geht zu stromlinienförmigen Karrieren
Es regieren also kalte Manager in deutschen Konzernen?
Nein, diese Floskeln von "Nieten in Nadelstreifen" oder der "fehlenden Elite" teile ich nicht. Vorstände sind keine Monster an den Schaltstellen von Unternehmen. Aber die Frage der Verantwortung diskutiert die Mehrheit nur mit sich selbst. Um so beeindruckender wirkt die Ernsthaftigkeit mit der sich gut ein Drittel der befragten Vorstände ihrer Verantwortung zuwendet.
Heute kommt die Management-Elite aus den Business Schools dieser Welt. Die Lebensläufe ähneln sich immer mehr. Ist das ein Problem?
Ja, der Trend zeigt viele stromlinienförmige Karrieren und Lebenswege. Die Herauslösung aus der Familie erfolgt immer früher. Da ist es wichtig, wirkliche Mentoren zu haben. Es stimmt mich daher zuversichtlich, wenn in Business Schools und Universitäten neben rein betriebswirtschaftlichen- auch andere sozialwissenschaftliche Inhalte wieder eine größere Rolle spielen.
Das ist doch Show.
Nicht zwangsläufig. Ethik im Ausbildungsplan ist ein Instrumentarium, um auch außerhalb des Familienkontexts zu erkennen, dass man als Manager einen Verantwortungsauftrag hat. Es muss vermittelt werden, dass dies ein wichtiger Punkt in der Persönlichkeitsreifung ist. Denn nicht jeder bringt das von Haus aus mit.
Und die Kurse sind mehr als eine lästige Pflichtübung?
Ich habe in der Lehre an der Universität die Erfahrung gemacht: Die Sehnsucht bei Studenten für solche Themen ist vorhanden – häufig sogar trotz zusätzlicher Belastungen im Curriculum. Was zunehmen muss, ist die Wertschätzung des Verantwortungsbewusstseins in den Unternehmen. Denn ein belegter Ethikkurs ist im Bewerbungsgespräch noch zu oft keine einzige Nachfrage wert.
Nikolas Gebhard
"Das Verantwortungsverständnis deutscher Spitzenmanager"
UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2013
270 Seiten
(Quelle: Handelsblatt)