Wie können Unternehmen Arbeitsplätze gestalten, um den neuen Lebensgewohnheiten und Vorstellungen ihrer Mitarbeiter besser zu entsprechen?
Chris Böhnke: Durch die Integration von Arbeitsmodi und Lebenskontext. Der Startpunkt für Unternehmen sind vier Modi: Fokusarbeit, Kollaboration, Kreativarbeit und sozialer Austausch. Jede Form von Arbeit hat einen Mix dieser Komponenten. Jedes Unternehmen muss die gewünschte Mischung dieser für das eigene Ziel je Rolle kennen. Denn: Diese Modi lassen sich in bestimmten Kontexten besser oder schlechter leben. Und der nahtlose, räumliche Wechsel zwischen ihnen ist ebenso wichtig. So ist eine Aufgabe mit viel Fokusarbeit und hybrider Kollaboration einfacher 'Remote' zu erledigen.
Und wechselt ein Team nicht leicht aus direkter Kollaboration zu Fokusarbeit im Büro, verlieren die Mitarbeitenden das 'Warum' des Kommens. Hilft der Arbeitsplatz beim persönlichen Erfolg im Mix der Arbeitsmodi, passen Teams ihre Lebensgewohnheiten an. Denn: Wegen der Starre zuvor haben wir Flexibilität in den letzten drei Jahren schätzen und lieben gelernt. Menschen halten an ihr nicht aus Prinzip fest. Aber Unternehmen müssen dieses Jahr durch einen sinnvollen Mix der Arbeitsmodi, die Kombination aus Hoffice (Home-Office), Hybrid und Büro reizvoller als die Starre der Vergangenheit gestalten.
Innovation entsteht oft durch Austausch
Was sind die immateriellen Vorteile des Bürolebens und wie können Mitarbeiter und Unternehmen davon profitieren? Wie lassen sie sich in die neue Arbeitswelt integrieren/ übertragen?
Böhnke: Die Vorteile des Bürolebens liegen in einem in der DACH-Region oft belächeltem Wort: dem Informellen. Lernen im Büro ist zum großen Teil informell. Beobachtung, Nachahmung und unbewusstes Verarbeiten helfen Talenten zu wachsen. Der Clou: keine Trainingskosten. Drei Einsteigerjahrgänge haben diese Lernkurven zu Hause verpasst. Und ihnen ist auch ein weiterer immaterieller Vorteil durch Informelles genommen gewesen: Innovation durch Inklusion und Inspiration. Durch Studien im MIT ist bewiesen, dass Innovation oft im Zuge eines zufälligen Austauschs passiert. Zufällig zu sehen, was andere tun, kann neue Wege für die eigene Arbeit öffnen.
Im Büro lässt sich dieser Austausch ohne zusätzliche Aufwände ermöglichen. Gleiches gilt für eine starke und unbewusst verhandelte Kultur: Im Büro passiert die Zusammenarbeit sichtbar und Werte, Karrierewege sowie Verbindungen werden in eine Gruppe übertragen. Diese Effekte lassen sich nicht einfach ins Virtuelle übertragen. Unternehmen müssen dieses Jahr ihre Ziele und Arbeitsmodi darauf ausrichten, diese immateriellen Werte zu maximieren. Was vorher 'per Zufall' ein Vorteil war, muss dieses Jahr als Kennzahl den Weg in Abläufe, Räumlichkeiten, Kalenderplanung und Begegnung finden. Zu messen ist dann nicht nur die Produktivität, sondern etwa die Qualität des Mentorships für neue Kollegen.
Der Ansatz "Wo ihr wollt" ist zu einfach gedacht
Wie können praktikable Zukunftsmodelle der Arbeitswelt konkret aussehen?
Böhnke: Der erste Schritt ist eine neue Balance zwischen Produktivität und Qualität. Viele Manager haben Angst vor niedriger Produktivität aus dem Home-Office. Sie sollten Angst vor niedriger Qualität der Resultate und des persönlichen Wachstums ihrer Talente haben. Man braucht also ein klares Ziel für beides. Aus dem Ziel lassen sich die vier Arbeitsmodi in einen Mix bringen. Hieraus ergibt sich dann die individuelle Arbeitswelt eines jeden Unternehmens von der Anwesenheitsfrage bis hin zum digitalen Kalender. Denn allein das Design unserer Kalender hilft uns nicht.
Hier müssen Unternehmen dieses Jahr anleiten, vorgeben und versuchen. Die Ansätze 'alle zurück' oder 'wo ihr wollt' scheinen einfach. Aber die Ergebnisse für viele Unternehmen mit diesem Vorgehen bleiben weiterhin fraglich. Führungskräfte müssen sich dieses Jahr fragen: Wenn ich Ziele der Arbeit und Arbeitsmodi zum Erfolg kenne, welche praktischen Elemente führen meine Talente zum Erfolg. Ist es dieses Jahr noch wichtiger an Prestigeorten mit teuren Mieten zu sein oder den Mix der Arbeitsmodi durch das Umfeld reizvoll zu gestalten?
Wo KI helfen kann
Welchen Einfluss hat Künstliche Intelligenz auf kreative Prozesse im Unternehmen?
Böhnke: Den größten Einfluss wird KI auf das Selbstbewusstsein haben. Und zwar nicht durch die Angst, ersetzt zu werden. Sondern positiv: "Welche neuen Prozessschritte sollte ich mir ausdenken?" "Welche neuen Probleme kann unser Produkt lösen?". Der erste Schritt ist oft voller Sorge, ist langwierig, voller Workshops mit vielen Menschen und noch mehr Post-Its. Durch KI wie ChatGPT, Midjourney, Magenta und andere können wir einfach starten. Wir stellen eine Frage oder geben ein Prompt und es geht von 0 auf 1- oder sogar auf 10. Anzufangen schafft Selbstvertrauen.
Durch dieses Selbstvertrauen werden wir höhere Qualität in den kreativen Prozessen erleben. Nicht, weil die KI schneller oder smarter ist. Sondern weil die menschliche Komponente des 'Warum' schneller und mit mehr Fläche arbeiten kann. Schlägt ein LLM die zehn wichtigsten Features einer neuen Gesundheitsapp vor, kann der Mensch klarer überlegen: Was fehlt? Was braucht mein Kontext wirklich? Warum sollten wir das tun?
Menschliches Handwerk skaliert nicht so gut
Und KI ermöglicht größeres Testen. Der Kreativprozess wird immer besser durch Validierung. Validierung wird stärker durch mehr Realität. Und Realität braucht ohne KI oft Zeit. Menschliches Handwerk skaliert nicht wie KI-getriebene Ausgestaltung. Will ein Unternehmen heute eigene Ideen zum Metaverse testen oder gar ein Eigenes aufstellen, braucht es sehr lange, um alle Inhalte menschlich zu generieren und in eine Welt zu übersetzen. Durch KI können menschlich geführte Ideen schon dieses Jahr ihren Weg in skalierte 3D Modelle finden. Es geht dabei nicht um die Tiefe der Kreation, sondern die Fläche, um zu testen. KI wird uns helfen, Prototypen im Sinne der Erfinderin echter, schneller zu machen. Die Ergebnisse des Testens helfen wiederum dem Menschen, das 'Warum' zu ändern und neue Wege zu gehen.
Was müssen Unternehmen tun, um sich von der Masse hochwertiger KI-generierter Inhalte (Stichwort ChatGPT/GPT-3) abzuheben?
Böhnke: Auch hier geht es um Selbstbewusstsein. Nämlich das Vertrauen und die Weiterentwicklung der eigenen, handwerklichen Kompetenz in der Kreation. Denn Unternehmen müssen sich nicht gegen KI-Inhalte wehren. Die KI-Inhalte sind ja nutzergeneriert. Diese Nutzer sind oft die eigenen Kunden. Firmen müssen also über den eigenen Schatten springen.
Lernen von den Kunden
Wenn eigene Kunden innovative Rezepte, inspirierende Erlebnisse, und bahnbrechende Produktideen haben, ist die Frage nicht "Hätten wir das nicht machen müssen?". Sie ist: Wie können wir im Austausch mit diesen zusätzlichen - übrigens aktuell kostenlosen - Inputs unser Handwerk einbringen: die Gerichte kochen und liefern, die eigene Markenwelt vertieft realisieren, neue Produkte mit hoher Kaufrelevanz herstellen.
Es geht also nicht um das Abheben. Es geht um das Öffnen einer Tür für die eigenen Teams. Können wir aus schnellen Ideen anderer durch KI mehr und etwas Echtes machen? Dazu braucht es Partizipation und Offenheit. Und es braucht eigene Teams, die nicht nur mit den KI-Ergebnissen anderer arbeiten können. Sie müssen auch selbst geschult sein, etwa ihr Designtalent mit dieser neuen Möglichkeit zu verbinden - also ein Investment in tiefere Designtalente.
Wie können Mitarbeiter vom Einsatz von KI-Technologien wie ChatGPT und andere (bitte Beispiele nennen) in der Arbeitswelt profitieren?
Böhnke: Wir kommen aus der Ära der Fragen: Menschen nutzen Google und erhalten viele Antworten auf jede Frage. Durch LLM KI, visuelle Tools wie Midjourney oder Dall-E, musikalischen Kompositionen von Magenta, etc. treten wir in eine neue Ära ein: den inneren Diskurs. Denn durch vermeintlich eindeutige Antworten auf meine Fragen entsteht Reibung. Und diese Reibung fördert kritisches Denken. Das 'Warum sollte etwas so sein' tritt in den Vordergrund. Wenn alle Möglichkeiten nur ein 'Prompt' entfernt sind, lernt das Team durch kritischen Fokus auf das Warum. Und Lernen wird produktiver: Die Talente können Fachwissen im Lösungskontext verstehen und nicht erst durch die Theorie gehen.
Noch pragmatischer sind dieses Jahr vermeintlich einfache Fähigkeiten wie Ausdrucksform im Schriftlichen auf einer ganz anderen Lernkurve. Wenn ganze Texte paraphrasiert in Sekunden zur Verfügung stehen, lernt der Nutzer schneller und basierend auf der eigenen Arbeit. Der Schritt zu besserem Computercode eigener Engineers ist klein. Der Wert dieser Lerninteraktion liegt in der höheren Qualität durch Lernen im eigenen Kontext, nicht darin, dass KI besser coden kann.
Ethische Anforderungen nicht vergessen
Welche Anforderungen stehen heute im Gegensatz zu früher im Vordergrund? Welche Skills, welches Wissen benötigen Mitarbeiter noch, wenn KI ohnehin bald alles erledigen kann?
Böhnke: Die beste Analogie liegt hier in der Kunst: Künstler wurden nicht durch die Reproduktion von Landschaften durch Fotografie ersetzt. Künstler hatten einen neuen Weg gewonnen, sich auszudrücken und ein Medium für ihren Prozess. Genauso verhält es sich mit der KI. Wiederholbare Prozesse werden von ihr übernommen. Sie werden für uns einfacher. Das 'Warum' aber verbleibt bei uns. Was stimmt ist, dass Mitarbeitende ihre Fähigkeiten für Qualität schärfen dürfen, das 'Warum' zu definieren, es zu erkennen, und dessen Erfolg zu verstehen. Wir tun dies heute schon.
Es rückt mehr in den Vordergrund. Was zum Glück durch KI in den Vordergrund rückt, ist die Anforderung nach Ethik und Dankbarkeit: Nur weil alles schnell geht, ist es noch lange nicht ethisch korrekt. Und wenn ein Algorithmus die Arbeit anderer als Training nutzt, sollte die Dankbarkeit für diese Arbeit auch monetär bei den Erschaffenden ankommen.