Ein Ort als Denkweise

Was das Silicon Valley Deutschland voraus hat

08.10.2016
Apple, Facebook, Google, Microsoft - alle aus den USA, alle von Studenten gegründet, alle heute unter den teuersten Unternehmen der Welt. Ähnliche Erfolgsgeschichten wiederholen sich fortlaufend im kalifornischen Silicon Valley. Nur nicht in Deutschland. Warum nur?

Catalin Voss hat den Wert seiner Universität schnell umschrieben: "Das hier ist ein Umfeld, in dem ich sehr gut und glücklich scheitern kann." Glücklich scheitern? Das sagt einer, dem dieses Prinzip vor allem Erfolg brachte. Voss ist ein deutscher Student an der kalifornischen Elite-Universität Stanford - und zwar, seit er 17 ist. Das App-Programmieren brachte er sich als Kind bei.

Im Silicon Valley gibt es Globale Tech-Firmen soweit das Auge reicht.
Foto: Michael Kvakin - Fotolia.com

Heute erlaubt die von Voss mitentwickelte Technik seines Start-ups Sension, mit künstlicher Intelligenz menschliche Mimik zu erkennen. Diese Rückschlüsse auf die Gemütslage helfen Autisten. Oder der Firma GAIA, die zu Toyota gehört. Sie hat Sension inzwischen gekauft.

So kann es gehen mit Talenten in einem akademischen Umfeld, in dem sie "gut und glücklich scheitern" dürfen. Für diesen Geist hat die Stanford-Uni allerdings auch einen Jahresetat über fast sechs Milliarden Euro - gut zehnmal mehr als etwa die Uni in Hannover.

Geschichten wie die von Catalin Voss überraschen. Aber es überrascht nicht, dass sie im kalifornischen Silicon Valley passieren. Dort und rund um die benachbarte Bay Area bei San Francisco liegt eine ganz eigene Welt: Globale Tech-Firmen - soweit das Auge reicht. Apple, Google und Facebook haben dort ebenso ihre Zentrale wie jüngere Senkrechtstarter, darunter etwa der Elektroautopionier Tesla, der Taxifahrtenvermittler Uber oder der Hotelschreck Airbnb.

WEF 2016: Technologie-Ranking
10. Systems Metabolic Engineering
Aufgrund zahlreicher Umweltprobleme und der Begrenztheit fossiler Brennstoffe arbeiten Wissenschaftler schon seit Jahren daran, Treibstoffe, Chemikalien und andere Rohstoffe aus erneuerbaren Ressourcen zu gewinnen - zum Beispiel Pflanzen. Das Weltwirtschaftsforum ist ein Verfechter dieses Ansatzes, denn die Gewinnung von Rohstoffen aus Pflanzen sei wesentlich einfacher und kostengünstiger.
9. Optogenetik
Die Optogenetik beschäftigt sich mit der Kontrolle von genetisch modifizierten Zellen mit Hilfe von Licht. Im WEF-Report wird berichtet, dass Wissenschaftler unter Einsatz von Licht und Farben in der Lage waren, mit den Neuronen des Gehirns zu interagieren. Neueste Entwicklungen lassen das "kommunikative Licht" noch tiefer in (lebendiges) Hirngewebe eindringen, woraus neue Behandlungsformen für Hirnleistungs- und -funktionsstörungen entwickelt werden könnten.
8. Offenes KI-Ökosystem
Enorme Datenmengen kombiniert mit den neuesten Algorithmen für soziales Verhalten und natürliche Sprache treiben die Entwicklung von smarten, digitalen Assistenten voran. Diese könnten ihre Nutzer künftig in vielerlei Hinsicht unterstützen - zum Beispiel wenn es um Finanzen oder Gesundheit geht.
7. Solarzellen aus Perowskitstrukturen
Ein Perowskit besteht aus Mineralien und keramischen Materalien, die eine bestimmte kristallene Struktur aufweisen. Dieses Material bietet laut dem WEF gegenüber traditionellen Solarzellen aus Silikon zahlreiche Vorteile: Sie sollen einfacher zu produzieren sein und gleichzeitig für eine effizientere Energiegewinnung sorgen. Gute Vorzeichen für die künftige Versorgung mit erneuerbarer, sauberer Energie.
6. Organe auf einem Chip
Wissenschaftler haben Modelle menschlicher Organe erschaffen, die die Größe eines USB-Sticks nicht übersteigen. Dieses Forschungsfeld habe laut dem Weltwirtschaftsforum das Zeug dazu, "die medizinische Forschung zu revolutionieren." Die digitalen Miniatur-Organe könnten völlig neuartige, bisher undenkbare, biologische Studien ermöglichen.
5. Autonome Autos
Vor allem die Entwicklungsarbeit von Google hat dafür gesorgt, dass die selbstfahrenden Autos steigendes Interesse auf sich ziehen. Das WEF zeigt sich nicht nur begeistert von den Möglichkeiten, die die autonome Mobilität Menschen mit Handicap bietet. Auch die gesteigerte Fahrsicherheit und die Abgasreduktion machen die Technologie zum Enabler für die Wirtschaft der Zukunft.
3. Blockchain
Diese Technologie ist so etwas wie eine öffentliche Datenbank für alle jemals durchgeführten Bitcoin-Transaktionen. Das chronologische Register weise laut WEF "das Potenzial dazu auf, die Funktionsweise von Märkten und Regierungen fundamental zu verändern". Alleine im vergangenen Jahr wurden rund eine Milliarde Dollar in das Projekt investiert.
2. Next-Gen Akkus
Geht es nach dem Weltwirtschaftsforum, ist die Akku-Technologie der Schlüssel zu echtem Fortschritt bei den erneuerbaren Energien. Der Einsatz von Akkus auf Sodium-, Aluminium- und Zink-Basis könnte im Zusammenspiel mit fortschrittlichen Energiespeicher-Lösungen dafür sorgen, dass künftig ganze Dörfer oder Städte mit sauberer Energie aus Batterien versorgt werden können.
1. Nanosensoren
Das WEF antizipiert, dass das Internet of Things mit seinen prognostizierten 30 Milliarden Devices bis zum Jahr 2020 eines der aufregendsten Technologie-Felder überhaupt wird. Dabei dürften vor allem die Nanosensoren boomen, von denen die Experten annehmen, dass sie künftig sowohl in Möbelstücken als auch in Wänden und menschlichen Körpern arbeiten werden und auch in sämtlichen Industrien zum Einsatz kommen.

Denkweise und Mentalität im Silicon Valley

Viele der größten Firmen aus dem Valley erwuchsen aus dem Umfeld der Universitäten dort. Sie benötigten nur Jahre zur Weltspitze. Die Geschäftsmodelle der Valley-Größen basieren auch auf Innovationen, doch die generieren nicht nur mit neuen Produkten neue Märkte, sondern lassen parallel bestehende wegbrechen. "Desruptiv" heißt das im Branchensprech - also zerstörend, unterbrechend. Und dort im Valley ist die Zentrale, das Epizentrum dieser neuen Spielregeln.

Uber attackiert die Taxiwelt, Airbnb die der klassischen Hotelketten. Alten Riesen wie etwa dem Handyhersteller Nokia wurde im Valley das Grab gegraben - denn natürlich stammt auch Apples iPhone von dort.

Warum gedeiht so etwas im Valley? Warum nicht in Berlin oder Tokio? Auch fern der USA gibt es schließlich exzellente Unis, Geldgeber für Wagniskapital und erfahrene Mentoren. Was macht also den Unterschied?

"Das Silicon Valley ist eher kein bestimmtes Areal auf der Landkarte, sondern eine bestimmte Denkweise und Mentalität", sagt Chuhee Lee, der bei Volkswagen im Valley an der Mobilität von Morgen forscht. Und auch er sagt: "Ohne aus Scheitern schon einmal schlau geworden zu sein, wird man hier eigentlich nicht so richtig ernst genommen."

Rene van den Hoevel meint: "Hier geht halt alles ein bisschen schneller." Der Managing Director der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer weiß zu berichten: "Die Amerikaner warten nicht ab, die machen einfach. Ihre Stärke ist die Dynamik." Und Stefan Schlüter, Generalkonsul in San Francisco, betont: "Sie werden keinen Professor in Stanford treffen, der nicht mit einem Bein in der realen Wirtschaft steht - etwa bei einem Start-up oder als ein Berater."

Ein Stück mehr Silicon Valley in Deutschland

Unternehmen wie Volkswagen erheben daher schon längst den Geist des Valley zur Maxime. "Wir brauchen ein Stück mehr Silicon Valley", forderte VW-Konzernchef Matthias Müller Ende 2015. Doch kann man das ausrufen? "Es gibt Dinge, die sehen so aus, als könne man sie einfach transformieren", sagt Ferdinand Dudenhöffer, der an der Universität Duisburg-Essen das Center Automotive Research (CAR) leitet. Doch nur ein paar Wagniskapitalgesellschaften anzusiedeln und dann ein paar junge Unternehmen mit hippen Ideen zuzukaufen, das reiche eben nicht.

Dudenhöffer sieht in den USA entscheidende Vorteile, bei denen der Staat die Weichen stellt. Wettbewerbe für visionäre Technologien gehörten dazu. Etwa diejenigen des US-Verteidigungsministeriums, die die Keimzellen für Roboterautos und Drohnen waren. Das habe Tradition bis zurück zu den Weltraumprogrammen der NASA. "So etwas gibt es bei uns nicht", moniert Dudenhöffer. Und die EU sei auch nicht besser.

In den USA zwinge staatliche Regulierung zu Innovation. Das sei mit dem Drei-Wege-Katalysator wegen der strikten US-Abgasvorschriften in den 1970er Jahren schon so gewesen, und ziehe sich bis heute zu den alternativen Autoantrieben. "Bei uns ist es umgekehrt. Man versucht den Diesel ins 21. Jahrhundert zu hieven und glaubt damit, dass man dann innovativ ist, obwohl jeder Politiker die Nebenwirkungen und Abgasemissionen im realen Fahrbetrieb kannte", wettert Dudenhöffer. "Bei uns wird Diesel niedriger besteuert, weil man glaubt, damit der Menschheit den Fortschritt zu bringen." Die USA seien da cleverer.

Deutschland habe stattdessen die Ökostromförderung, die Strom derart teuer mache, dass sich das Land "aus dem Wettbewerb katapultiert". So habe der deutsche Fortschritt bei grünem Strom - etwa aus Windrädern - fatale Nebenwirkungen. Denn wettbewerbsfähige Strompreise seien eine der wichtigsten Ressourcen für die Digitalisierung, sagt Dudenhöffer. Die Kritik ließe sich fortsetzen, etwa bei fehlenden Masterplänen für Stromtankstellen, Starkstromtrassen und schnelles Internet. Oder an Verwaltungsbürokratie und tariflichen Zwängen, die Start-ups lähmten.

Die Stanford-Uni hat übrigens einen Spitznamen: "The Farm". Und man darf getrost annehmen, dass dort weiter kräftig geerntet wird. (dpa/ib)