Zur Effizienzsteigerung in Unternehmen gewinnt die Möglichkeit der lateralen Führung zunehmend an Bedeutung. Laterale Führung bezeichnet die wirksame Einflussnahme auf gleichrangige Mitarbeiter zur Erreichung von definierten Zielen. Im Fokus stehen dabei Motivation durch Kompetenzerwerb und Zielerreichung, sowie Macht aus Wissen und Netzwerken.
Laterale Führung - Definition
Laterale Führung bezeichnet die Steuerung von Mitarbeitern ohne Nutzung von herkömmlichen hierarchischen Macht- und Entscheidungsstrukturen. Das klassische vertikale Modell zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern mit disziplinarischen Führungsinstrumenten kommt dabei nicht zur Anwendung.
Vielmehr steht die horizontale Dimension im Blickfeld. Laterale Führung wird von der Seite praktiziert, was auch die Begriffsbildung anzeigt: das Adjektiv lateral ist vom lateinischen Begriff latus (d.h. Seite) abgeleitet. Steuernde Akteure an der Seite sind gleichrangige Mitarbeiter mit Fachverantwortung und definierten Zielen, denen die üblichen Steuerungsmöglichkeiten eines Vorgesetzten nicht zur Verfügung stehen.
Keine Bestandteile von lateraler Führung sind somit:
Weisungen,
formale Beurteilungen,
Weiterbildungs- und Entwicklungspläne,
Gehaltssteigerungen,
Sonderzahlungen, usw.
Im Gegenteil, die Kunst der lateralen Führung besteht darin, ohne diese etablierten Führungsmittel die gesteckten Ziele eines Geschäftsauftrags zu erreichen. Zentrale Fragen lateraler Führung sind:
Wie kann Einfluss auf die beteiligten Mitarbeiter zur Realisierung von Zielen genommen werden?
Welche Aspekte sind bei lateraler Führung relevant?
Welche Arbeitsweisen sind wirksam?
Laterale Führungsmethoden
In der Literatur sind Verständigungs-, Vertrauens- und Machtprozesse die vorherrschenden Kernbestandteile der lateralen Führung (z. B. Kühl, Schnelle & Schnelle, 2004). Diese Prozesse ergänzen sich und werden je nach Situation unterschiedlich gewichtet. Verständigung bezeichnet alle Formen verbaler Kommunikation über die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens. Bedeutsam sind dabei die Haltungen und Interessen des jeweiligen Gegenübers. Zur Verständnisbildung wird Empathie an beiden Enden der Kommunikation, d.h. von dem Sender und den Empfänger einer Nachricht, beansprucht.
Aktives Zuhören ist dabei eine wirksame Methode. Die verständnisbildende Kommunikation ist eine Voraussetzung zur Vertrauensbildung zwischen den Beteiligten. Es ist ein subjektiver und emotionaler Prozess. Kommunikation und Vertrauensprozesse sind zwar wichtig, jedoch nicht typisch für die laterale Führung. In konventionellen, hierarchischen Führungsstrukturen sind diese nicht minder wesentlich. Insofern sind weitere Aspekte und Methoden zu betrachten, vornehmlich formlose Macht und intrinsische Motivation.
Formlose Macht entsteht allein aus persönlichen Attributen, im Gegensatz zu den Befugnissen und organisatorischen Kompetenzen mit denen klassische, disziplinare Vorgesetzte für deren Führungsrolle ausgestattet werden. Formlose Macht ist komplex und abstrakt. Sie entsteht durch persönliche Verbindungen in realen sozialen Netzwerken, über die wichtige informelle Nachrichten fließen. Derartige Informationsquellen beruhen auf etablierten und langfristigen Kommunikationskanälen und Vertrauensverhältnissen zwischen einflussreichen Personen. Diese Informationsnetzwerke sind exklusiv und ein Mittel zur Steuerung von Interessen.
Das wohlbekannte Sprichwort Wissen ist Macht bringt den zweiten zentralen Aspekt lateraler Führung auf den Punkt. Mit Fachkenntnissen erzielt man fachliche Führung. Der persönliche Wissensvorsprung zählt. Nur mit fundierter, tiefgehender Expertise und der nötigen Weitsicht (der berühmte Blick über den Tellerrand) kann man inhaltlich argumentieren, überzeugen und die Richtung vorgeben. Wer über fundiertes Wissen verfügt und dieses überzeugend überträgt, leitet fachlich und gewinnt Respekt, Anerkennung und das Vertrauen anderer Mitarbeiter. Unter dieser Voraussetzung, folgen die Mitarbeiter dem fachlichen Führer. Laterale Führung wird durch die Anerkennung fachlicher Kompetenz des Führenden von "Folgenden" erst möglich. Dieses Phänomen ist in modernen sozialen Medien mit den Rollen Influencer und Follower populär geworden. Entscheidend ist hierbei die Anerkennung des Meinungsführers durch die Follower, auch wenn Sachkenntnis und Fachverstand in sozialen Medien nebensächlich sein können.
Die Förderung der intrinsischen Motivation ist ein weiterer essentieller Ansatz für laterale Führung, der jedoch in der Literatur zur lateralen Führung weitgehend übersehen wurde. Intrinsische Motivation wird nicht von externen Quellen (z. B. Gehalt, andere monetäre Anreize, Position) gespeist, sondern entsteht vornehmlich aus dem persönlichen Interesse an Herausforderungen und Arbeitsinhalten, sowie der aktiven und strukturierten Einbeziehung des Einzelnen in die Arbeitsgruppe. Mitarbeiter spüren Lerneffekte und erfahren die Erweiterung eigener Kompetenzen, die die individuelle Motivation weiter antreiben. Kompetenzen werden durch das Bearbeiten fachlicher Aufgaben und durch methodisches Lernen in der Gruppe erworben. Motivation entsteht durch Erfolgserlebnisse aus Problemlösungen und Zielerreichung. Voraussetzung ist jedoch, dass der jeweilige Mitarbeiter gemäß seines persönlichen Kompetenzprofils eingesetzt wird, die übertragenen Aufgaben dürfen nicht zur Über- oder Unterforderung führen.
Erfolgsfaktoren der Lateralen Führung
Zur Ausschöpfung des Leistungsvermögens von Mitarbeitern bedarf es gleichzeitiger hoher Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung. Der lateral Führende befindet sich also in einem zweidimensionalen Spannungsfeld, sie/er muss individuelle und gemeinsame Anstrengungen zur Zielerreichung antreiben und dabei die zwischenmenschlichen Beziehungen angemessen berücksichtigen. Das Führen mit Zielen und das Management der Team-Motivation sind dabei ausschlaggebende Erfolgsfaktoren.
Führen mit Zielen (engl. Management by Objectives) ist eine bewährte und wirkungsvolle Möglichkeit zur Entfachung intrinsischer Motivation. Verantwortungen für definierte Arbeitsergebnisse werden an Mitarbeiter übertragen. Diese können in Form von Projektaufträgen, Arbeitspaketen oder Sprints dargestellt werden. Entscheidend ist jedoch, dass die Ziele klar beschrieben und realisierbar sind. Die Ziele müssen vom verantwortlichen Mitarbeiter und dem Team akzeptiert werden. Es ist ebenso wichtig, nicht nur die Verantwortungen zuzuweisen, sondern auch Rechte und Befugnisse zu delegieren. Somit schafft man Freiräume. Die geführten Mitarbeiter erhalten das Gefühl etwas bewegen zu können. Sichtbare bzw. spürbare Erfolge steigern die Motivation im weiteren Verlauf.
Es ist wichtig, dass die Aktionsräume der lateral geführten Mitarbeiter erhalten bleiben. Lateral Führende müssen die Mitarbeiter auf dem Weg zum Ziel begleiten, stets Hilfsbereitschaft signalisieren und fachliche Unterstützung anbieten. Lateral Führende dürfen jedoch kein Mikromanagement betreiben und sich nicht als detailverliebte Controller aufführen, sondern müssen den geführten Mitarbeitern die Freiräume lassen und sich auf deren Ergebnisse konzentrieren.
Der Aufbau und der Erhalt der Motivation der Team-Mitarbeiter ist eine besondere Herausforderung, wenn die Ziele anspruchsvoll gesteckt wurden und eine hohe Leistung von den Mitarbeitern abgerufen wird. Der lateral Führende hat die Gruppe so zu organisieren, dass eine Gleichrangigkeit unter den Mitarbeitern empfunden wird. Alle Mitarbeiter agieren auf ein und derselben Ebene, trotz unterschiedlicher Rollen und Aufgaben - der Teamgedanke soll im Vordergrund stehen. Es ist auf ein gesundes Arbeitsklima im Team zu achten, das von gegenseitigem Respekt und einer sachorientierten Arbeitsweise geprägt ist. Rang- oder Positionierungswettbewerb soll vermieden werden. Sobald sich derartige Konflikte im Team erkennen lassen, hat der laterale Führer gegenzusteuern.
Persönliche Gespräche mit den Beteiligten helfen die Ursachen von Auseinandersetzungen frühzeitig zu identifizieren, um noch rechtzeitig Gegenmaßnahmen einleiten zu können, zum Beispiel durch Reorganisation der Arbeitsgruppe. Änderungen der Arbeitsinhalte unter den Team-Mitarbeitern sorgen für Abwechslung und halten das Interesse hoch.
Zur Motivation von leistungsorientierten Mitarbeitern steht den lateralen Führern ein sehr einfaches und doch höchstwirksames Mittel zur Verfügung: Das Loben. Ein einfaches, ausgesprochenes Lob hat erheblichen Einfluss auf die Leistungsbereitschaft und den Kooperationswillen im Arbeitsalltag. Der Ausdruck von Anerkennung kann Mitarbeiter regelrecht beflügeln, während die Ignoranz von guten Mitarbeiterleistungen zu Frustration oder zu innerer Kündigung führen kann.
Laterale Führungsweisen müssen situativ angepasst werden
Verschiedene Mitarbeiter zeigen unterschiedliche Grade an Motivation und Qualifikation. Die Führungsweise muss diesen individuellen Voraussetzungen angepasst werden. Im Idealfall sind die zu führenden Mitarbeiter hochmotiviert und sehr gut ausgebildet, der laterale Führer kann dann komplette Arbeitspakete delegieren und dazu Handlungsräume freigeben (Situation 1).
Sind die Mitarbeiter noch unmotiviert für die vorgesehenen Aufgaben, obwohl sie ausgeprägte Fähigkeiten dazu mitbringen, muss der laterale Führer die Mitarbeiter enger in die Entscheidungsprozesse und die Arbeitsorganisation mit einbeziehen (Situation 2). Weisen die Mitarbeiter Fähigkeitsdefizite für die avisierten Ziele und Arbeiten auf, ist der Motivationsgrad für die Führungsweise entscheidend. Bei hoher Motivation (Situation 3) soll der laterale Führer die Meinungen der Mitarbeiter aktiv anhören, auch wenn diese Standpunkte nicht in die Entscheidungen unbedingt einfließen müssen. Ist neben dem geringen Fähigkeitsgrad auch die Motivierung der Mitarbeiter nicht ausreichend (Situation 4), bleibt nur noch die Möglichkeit des Anweisens. Laterale Führung ist dann nicht mehr möglich.
Die Kunst der lateralen Führung besteht im Erkennen der jeweils zutreffenden Situation, sodass die geeignete Führungsweise angesetzt wird. Einflussmöglichkeiten bestehen vornehmlich in der Mitarbeitermotivierung durch den lateralen Führer. Individuelle Fähigkeiten hingegen, können nicht kurzfristig entwickelt werden; sie bedürfen einer strategischen persönlichen Entwicklungsplanung, die außerhalb der Einflussnahme lateraler Führung liegen. Die Linienorganisation und Human Resources sind dabei gefragt. Sie müssen die Mitarbeiter für die vorgesehene Ziele und Aufgaben qualifizieren.
Einsatzbeispiele für Laterale Führung
Für verschiedene Aufgaben können Arbeitsgruppen über Abteilungs- oder Unternehmensgrenzen temporär zusammengesetzt werden:
Task Forces, eingesetzt von der Unternehmensleitung, zur Lösung eines organisatorischen oder technischen Problems, das eskaliert ist.
Selbstorganisierte Teams für kontinuierliche Qualitätsverbesserungen
Netzwerkartige Formen der kreativen Zusammenarbeit für Prozess- oder Produkt-Innovationen.
Bei der agilen Softwareentwicklung werden Rollen mit klaren Aufgaben und Verantwortungen zugeteilt, jedoch sind diese nicht hierarchisch strukturiert. Man versteht sich als gleichrangige Mitglieder eines Entwicklungs-Teams. Bei Scrum erfolgt die Steuerung größtenteils über Zielsetzungen (ähnlich dem Ansatz Management by Objectives), denen bestimmte Zeitabschnitte (sogenannten Sprints) zugeordnet werden.
In Projekten mit Matrix-Organisationen ist laterale Führung ebenfalls von Bedeutung. Der Projektmanager steht zwar in der Projektstruktur über den Projektmitarbeitern, ihm fehlen jedoch die disziplinarischen Führungsmittel. Die Mitarbeiter werden für das Projekt aus Linienfunktionen abgeordnet und bleiben ihren Linienvorgesetzten disziplinarisch unterstellt. Die fachliche Führung obliegt dem Projektmanager und beinhaltet Zielsetzung/-verfolgung und Motivierung.
Kernaussagen
Laterale Führung erfolgt horizontal von gleichrangigen Mitarbeitern; Instrumente disziplinarischer Führung stehen nicht zur Verfügung.
Bei der lateralen Führung wird Macht aus Wissen und informellen Netzwerken geschöpft.
Intrinsische Motivation entsteht durch Kompetenzerwerb, Erfolge durch Zielerreichung und deren Anerkennung durch Lob.
Das Führen mit Zielen ist eine wirksame Möglichkeit zur Steuerung und zur Motivierung der Mitarbeiter.
Gleichrangigkeit im Team und der Teamgedanke sind bei der lateralen Führung zentral.
Laterale Führung muss den individuellen Fähigkeiten und Motivationen eines Mitarbeiters angepasst werden (situative Führung).
Hinweis: Aus Gründen der Lesbarkeit und der Verständlichkeit kommt hier das generische Maskulinum, das alle Geschlechter gleichermaßen einbezieht, zur Anwendung. (bw)