Wie Business Insider berichtete, führte Elon Musk im April 2022 - zwei Tage, nachdem er verkündet hatte, Twitter kaufen zu wollen - ein privates Telefongespräch mit Microsoft-CEO Satya Nadella. Es wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, sich einige Tipps abzuholen, um Twitter auf die Beine zu bringen. Schließlich hat Nadella einen der erfolgreichsten Turnarounds in der Geschichte der Tech-Branche hingelegt.
Im Jahr 2014 übernahm er das Ruder eines richtungs- und gesichtslosen Microsofts, das von Zwietracht und Stagnation geplagt war. Heute weist der Windows-Konzern unter Nadellas Ägide die drittgrößte Marktkapitalisierung der Welt auf und ist als führender Anbieter zahlreicher Spitzentechnologien bestens für die Zukunft gerüstet.
Offensichtlich ist es jedoch nicht zu einem Austausch darüber gekommen, denn der Tesla-, SpaceX- und Neuralink-CEO hat seit seiner Übernahme des Kurznachrichtendienstes alles daran gesetzt, das Unternehmen so schnell wie möglich an die Wand zu fahren. Wäre es anders gelaufen, hätte der Microsoft-CEO Musk wohl folgende fünf Tipps mit auf den Weg gegeben.
1. "Brenn' nicht gleich alles nieder"
Nadella wurde CEO bei Microsoft, als sich der Konzern auf einem Tiefpunkt seiner Geschichte befand. Der Aktienkurs hatte sich unter dem ehemaligen CEO Steve Ballmer halbiert, der Konzern litt unter der katastrophalen Einführung von Windows 8 (dem möglicherweise schlechtesten Windows aller Zeiten) und butterte gleichzeitig Milliarden in sein (irgendwie von Anfang an sterbendes) Windows-Phone-Betriebssystem.
Nadella brachte viele Ideen mit, wie man das Unternehmen retten könnte. Zum Beispiel wollte er die Unternehmenskultur von Konflikt auf Zusammenarbeit umstellen, sich aus dem Smartphone-Geschäft zurückziehen und die Zukunft von Microsoft mit der Cloud statt mit Windows verknüpfen. Dabei sah Nadella allerdings davon ab, der Belegschaft seine Vorstellungen aufzuzwingen. Stattdessen versuchte er in Gesprächen mit der Belegschaft und den Kunden herauszufinden, welche Bereiche diese für verbesserungswürdig hielten und was sie ändern würden. Anschließend krempelte er das Unternehmen langsam und mit Bedacht um.
Im Kontrast dazu hat Elon Musk seit seiner Übernahme von Twitter alles dafür getan, das Unternehmen in Schutt und Asche zu legen: Er entließ das Management sowie die Hälfte der Mitarbeiter und bedrohte die andere (was weitere Kündigungen zur Folge hatte). Er beleidigte und bedrohte seine Werbekunden, die ihr Geld in der Folge lieber woanders investieren und setzte nicht zuletzt ein Zeichen für die "Redefreiheit", indem Verschwörungstheoretiker und Alt-Right-Gallionsfiguren die Plattform aufs Neue missbrauchen lässt. Zuletzt ging er sogar soweit, sich als "Chief Twit" sogar selbst an der Verbreitung zweifelhafter, alternativer "Wahrheiten" zu beteiligen. Im Ergebnis hat Musk in den ersten Wochen seiner "Regentschaft" Twitter so schwer geschädigt, dass sich das Unternehmen wahrscheinlich nie wieder vollständig davon erholen kann.
2. "Lass' die Cash Cow leben"
Nadellas zentrales Dilemma, als er Microsoft übernahm, war die Notwendigkeit, sich zu diversifizieren. Microsofts Goldesel war bis dahin Windows. Dessen Dominanz und folglich auch die Einnahmen aus diesem Geschäft waren auf dem absteigenden Ast und gefährdeten das Unternehmen. Nadellas Plan: Microsoft zum Cloud-Unternehmen zu machen. Dabei wollte er die Cash Cow allerdings weiter melken, um den Konzern über Wasser zu halten.
Der Plan ging auf: Nadella verbesserte Windows mit jeder neuen Version und nutzte die Einnahmen, um Microsofts Cloud-Business aufzubauen. Heute muss sich Microsoft in Sachen Cloud-Marktanteilen nur noch gegenüber AWS geschlagen geben - die Cloud ist mittlerweile größte Einnahmequelle der Redmonder. Prognosen zufolge soll der Cloud-Umsatz auch weiter steigen, während der Windows-Umsatz schrumpft.
Bei Twitter hat Musk hingegen darauf gewettet, dass die Zukunft des Unternehmens in kostenpflichtigen Diensten liegt - und nicht im Anzeigenverkauf, der derzeit etwa 90 Prozent der Einnahmen generiert. Stattdessen machte er sich daran, das Werbegeschäft von Twitter nachhaltig zu zerstören. Die Befürchtungen der Werbekunden versuchte Musk zu zerstreuen und versprach, Twitter zur "am meisten respektierten Werbeplattform" zu machen.
Das war nicht mehr als eine glatte Lüge: Der neue CEO hat die Moderation von Inhalten fast vollständig abgeschafft und entsperrte parallel etliche zuvor gesperrte Personen. Indem er selbst eine Verschwörungstheorie per Tweet teilte, setzte er sogar noch einen obendrauf. Imran Ahmed, Geschäftsführer beim Center for Countering Digital Hate, kommentierte das Vorgehen Musks gegenüber der New York Times wie folgt: "Elon Musk hat allen Rassisten, Frauenfeinden und Homophoben signalisiert, dass Twitter ihnen offensteht. Sie haben die Einladung dankend angenommen."
In der Folge haben die Werbekunden in weiten Teilen die Flucht ergriffen: Die Hälfte der 100 größten Twitter-Werbekunden (die 2022 mehr als 750 Millionen Dollar auf Twitter ausgaben) verließen die Plattform. Musk sieht die Schuld dafür bei Aktivisten, die Druck auf die Werbetreibenden ausüben - und ließ diesen eine Drohung zukommen, standesgemäß per Tweet:
Die Kunden sind allerdings weder zurückgekehrt, noch beschämt - im Gegenteil, sie sind sogar stolz darauf, Twitter verlassen zu haben und es ist kein Ende der Abwanderung in Sicht. Das könnte Twitter in Gefahr bringen, bankrott zu gehen: Wie die New York Times berichtet, muss Twitter jährlich rund eine Milliarde Dollar an Zinsen tilgen, für die Kredite, die Musk für den Kauf aufgenommen hat. Im Jahr 2021 betrug der Cashflow allerdings nur 630 Millionen Dollar. Und das war, bevor Musk die Werbekunden vergraulte.
3. "Nimm das Skalpell, nicht das Schlachterbeil"
CEOs sind oft mit schwierigen Phasen konfrontiert. Die Art und Weise, wie sie damit umgehen, sagt dabei oft mehr über deren Erfolg aus als Errungenschaften, die in guten Zeiten realisiert wurden. Wenn CEOs zu Entlassungen greifen, hat das nicht nur Auswirkungen auf die Betroffenen selbst, sondern auch die verbleibenden Mitarbeiter, die Unternehmenskultur und das Betriuebsklima. Bekommen die Mitarbeiter das Gefühl, sie könnten die nächsten sein, ist es um die Mitarbeiterbindung nicht gut bestellt.
Satya Nadella musste im Laufe der Jahre viele Mitarbeiter entlassen - weit mehr als Musk (bislang) bei Twitter. Eine besonders große Entlassungswelle gab es im Jahr 2014, als Microsoft rund 18.000 Mitarbeiter entließ (12.500 davon bei Nokia). Dabei erstellte der Microsoft-CEO allerdings einen Layoff-Plan und gestand den Betroffenen angemessene Kündigungsfristen sowie Abfindungsangebote zu. Darüber hinaus nahm sich Nadella viel Zeit, um zu erklären, warum die Entlassungen notwendig waren. So konnte er den verbliebenen Mitarbeitern vermitteln, wohin sich das Unternehmen entwickeln wird und welche Rolle sie dabei spielen würden.
Musk hingegen kam mit dem Schlachterbeil und löste bei Twitter scheinbar wahllos ganze Abteilungen auf. Dabei schien es weder einen Plan noch einen (objektiven) Grund für die Entlassungen zu geben. Manche Mitarbeiter wurden nicht einmal informiert und erfuhren von ihrer Kündigung, weil sie sich nicht mehr an den Unternehmenssystemen anmelden konnten. Viele Entlassungen erfolgten offensichtlich zudem aus persönlichen Gründen - einfach, weil Dinge gesagt wurden, die Musk nicht in den Kram passten. Insgesamt wurde etwa die Hälfte der 7.500 Twitter-Mitarbeiter entlassen. Der "Prozess" war dabei so chaotisch, dass das Unternehmen später einzelne Personen anflehen musste, zurückzukommen - nachdem man erkannt hatte, dass diese offensichtlich nicht so einfach zu ersetzen waren. Das hatte nur teilweise Erfolg.
Im Anschluss versuchte Musk, die verbliebenen Mitarbeiter darauf einzuschwören, zugunsten ihrer Tätigkeit bei Twitter auf ihr Privatleben und ihre Freizeit zu verzichten. Das brachte rund weitere 1.000 Beschäftigte dazu, selbst zu kündigen - darunter auch ranghohe Mitarbeiter in der Werbeabteilung des Unternehmens. Auch der CIO, der Datenschutzbeauftragte und der Chief Compliance Officer verließen das Schiff. Das löste wiederum eine Warnung der US Federal Trade Commission aus.
Im Ergebnis ist unklar, ob Twitter noch das richtige beziehungsweise genug Personal hat, um weiter zu arbeiten - geschweige denn, um die neuen Funktionen zu entwickeln, die Musk als entscheidend für eine Trendwende bei Twitter ansieht.
4. "Behandle die Mitarbeiter nicht wie Dreck"
Satya Nadella hat Microsoft nicht zulasten seiner Mitarbeiter zu einem Zwei-Billionen-Dollar-Konzern gemacht - sondern mit ihnen gemeinsam. Dabei hat der Manager erkannt, dass Talente zu finden und zu binden die vielleicht schwierigste, aber auch wichtigste Aufgabe eines Unternehmens darstellt. Beispielhaft dafür steht eine Maßnahme, die er im Mai 2022 ergriffen hat: Er verdoppelte das Maximalgehalt für seine Mitarbeiter und erhöhte deren Aktienanteile.
Anschließend begründete er die Maßnahme in Form eines Memos: "Immer wieder stellen wir fest, dass unsere Talente sehr gefragt sind, weil Sie mit Ihrer großartigen Arbeit unsere Kunden und Partner unterstützen. Im gesamten Führungsteam wird Ihr Einfluss sowohl anerkannt als auch sehr geschätzt - und dafür möchte ich Ihnen herzlich danken. Deshalb investieren wir langfristig in jeden von Ihnen."
Dabei weiß Sadella auch um die Bedeutung eines emphatischen Führungsstils, wie er etwa im Interview mit dem Harvard Business Review deutlich machte: "Die Quelle aller Innovation ist die menschlichste Eigenschaft, die wir alle haben, nämlich Empathie."
Elon Musk setzt hingegen auf eine Regime der Angst und Herabwürdigung. Einige der besten Twitter-Mitarbeiter wurden entweder entlassen oder haben gekündigt. Die ersten Klagen sind bereits eingereicht. Was Emphatie angeht: Dieses Wort wurde bislang noch nie in einem Satz mit Elon Musk verwendet, es sei denn, die Worte "absoluter Mangel an" sind vorangestellt. Und genau das wird dem "Chief Twit" zum Verhängnis werden: Er hat den Respekt seiner Mitarbeiter verloren.
5. "Lass' die Brücken intakt"
CEOs sind nicht für die Ewigkeit - irgendwann gehen sie. Wenn Nadella das tut, wird es sicherlich mit Stil und Anmut tun - ähnlich, wie er auch Microsoft führt. Und er würde Musk ohne Zweifel raten, es ihm gleichzutun.
Der würde allerdings kaum auf diesen Rat hören. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass er unter lautem Geschrei und Geheule abtritt und am Ende so viele Brücken wie nur möglich verbrennt. Falls es dann noch Brücken geben sollte.
Der allgemeine Unmut gegenüber Musk und seinen Eskapaden zeigte sich erst kürzlich bei einem Auftritt des reichsten Mannes der Welt in San Francisco. Nachdem Comedian Dave Chapelle ihn bei einem Event überraschend auf die Bühne holte, wurde er minutenlang vom Publikum ausgebuht:
(fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Network World.