Sie sollen den Menschen helfen, aber sie nicht ersetzen: Digitale Produkte und Lösungen sind mit großen Hoffnungen, aber auch Zweifeln und Sorgen verbunden. Weil es viele von ihnen so vorher noch gar nicht gab, ist Marktforschung für die Anbieter schwierig - denn dabei können sie sich nicht auf Alltagserfahrungen stützen, sondern nur auf das Vorstellungsvermögen potenzieller Kunden. D
as Zeitalter der Digitalisierung dürfte deshalb auch manche Dinge hervorbringen, die über kurz oder lang wieder in der Versenkung verschwinden werden - oder erst allmählich den Markt erobern.
Viel verspricht sich die Industrie etwa vom vernetzten und selbstfahrenden Auto, das im Schlepptau zahlreiche neue Geschäftsmodelle hervorbringen wird, wie der Präsident des Elektronik-Branchenverbandes ZVEI, Michael Ziesemer, erwartet. Weil die Fahrzeuge über ihre Sensoren zu Datensammlern werden, könnten sie künftig etwa den Rohstoff für bessere Verkehrsprognosen liefern oder sich selbst melden, wenn sie gewartet und repariert werden müssen.
Während solche Innovationen bei den Verbrauchern noch vergleichsweise gut ankommen, bereitet der Gedanke, dass Autos künftig selbst das Steuer übernehmen und eigenständig zum Zielort fahren, vielen noch eher Unbehagen. Das ergab auch der Trend-Index zur diesjährigen Messe Electronica in München, für den 1000 Menschen in Deutschland befragt wurden.
ZVEI-Präsident Ziesemer findet die Bedenken erst einmal nachvollziehbar. "Ein sich bewegendes Fahrzeug hat eben ein Risikopotenzial", sagt er. Das echte autonome Fahren werde aber ohnehin in Schritten kommen "und in diesen Schritten wird auch Vertrauen entstehen". Bis dahin gelte es, für das vernetzte Auto und andere digitale Entwicklungen Aufklärungsarbeit zu leisten: "Wir müssen die Menschen bei allen Fortschritten mitnehmen und das Wissen weitergeben."
Ähnlich argumentiert Robert Wucher, Digital-Experte bei der Marktforschungsfirma GfK. "Seit sich Carl Benz 1886 seinen dreirädrigen Motorwagen patentieren ließ, sind Konsumenten es gewohnt, Autos selbst zu fahren", sagt Wucher. "Da kann es doch nicht verwundern, dass ein über 130 Jahre erlerntes und bewährtes Verhalten sich nicht über Nacht ändert, sondern zunächst Skepsis hervorruft." Eine ähnliche Skepsis habe es anfangs auch bei Mobiltelefonen und später bei Smartphones gegeben - was aus heutiger Sicht kaum noch nachvollziehbar sei. "Im Hinblick auf autonomes Fahren gehen wir von einer ähnlichen Entwicklung aus."
Auch andere Innovationen aus der digitalen Welt finden bisher dann die meiste Zustimmung, wenn sie das Leben erleichtern, nicht aber das eigene Denken überflüssig machen: Beim vernetzten Zuhause sind das beispielsweise Notrufsysteme, Service-Roboter oder intelligente Betten, die künftig dazu beitragen sollen, dass Menschen länger eigenständig in den eigenen vier Wänden leben können.
Wichtig ist dabei auch, wie die Anbieter mit dem Thema Datensicherheit umgehen. Gerade beim vernetzten Zuhause mit Haushaltsgeräten, Unterhaltungselektronik oder intelligenter Gebäudetechnik hatten sich zuletzt teils gravierende Sicherheitslücken offenbart - von dem Angriff auf Telekom-Router bis hin zu Babyphones, zu denen sich Fremde per Schadsoftware Zutritt verschafften. Weit mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland befürchten nach einer Umfrage des Branchenverbandes Gesellschaft für Unterhaltungselektronik (gfu), dass Fremde von außen irgendwann die Steuerung über ihren vernetzten Haushalt übernehmen könnten.
Sehr wenig Vertrauen in digitale Produkte
Schon in ihrem eigenen Interesse sollten die Hersteller solche Bedenken sehr ernst nehmen, sagt Lina Ehrig vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Schon heute sei das Vertrauen vieler Menschen in digitale Dienstleistungen und Produkte teils "erschreckend gering". Vielen fehle der Überblick darüber, was mit ihren Daten passiert. "Das Gefühl der Kontrolle schwindet zunehmend", sagt Ehrig. Bisher nähmen das viele Verbraucher noch in Kauf, da der Reiz der neuen Angebote groß sei.
Hinzu kommen aber steigende Anforderungen an das technische Verständnis der Verbraucher. Neu zu sein, kann ein Produkt attraktiv machen - aber ein zu Viel an Neuheit könne die Kunden auch überfordern, sagt GfK-Experte Wucher. Größter digitaler Innovationserfolg der vergangenen Jahre seien zweifellos Smartphones inklusive der damit verbunden "Appconomy" gewesen, sagt Wucher. Inzwischen sind die Zeiten großen Wachstums aber vorbei - in diesem Jahr würden erstmals rückläufige Umsatz- und Verkaufszahlen im deutschen Smartphone-Markt erwartet.
Als neue digitale Produkt-Generation stünden nun vor allem "Wearables" - also am Körper tragbare Technologien - sowie Produkte rund um das vernetzte Zuhause und Auto in den Startlöchern. So erwartet der Welt-Roboter-Verband IFR, dass von 2016 bis 2019 weltweit insgesamt rund 31 Millionen Roboter verkauft werden, die beim Rasenmähen, Staubsaugen, Fensterputzen und anderen Hausarbeiten helfen. "In unseren Studien messen wir großes Potenzial für diese neuen digitalen Produkte - aber die Frage nach "Top oder Flop" wird erst in Zukunft abschließend beantwortet werden können", sagt Wucher. (dpa/rs)