Der wahre Konflikt spielt sich in uns selbst ab, glaubt der Consultant und Psychologe Henry Cloud. Sein Buch "The One Life Solution" beschäftigt sich mit Work Life Balance.
Cloud vertritt die Ansicht, dass Work Life Balance früher nie zum Problem wurde, weil Privat- und Berufsleben stets voneinander getrennt waren. Heute ist das anders: Wir definieren uns stark über unsere Arbeit. Und umso mehr wir uns bemühen, eine Balance zwischen Arbeit und Privatem zu finden, umso enger verknüpfen sich die beiden Lebensbereiche. Cloud verlangt, klare Prioritäten zu setzen. Nur so verhindert man, dass Arbeit unser Leben bestimmt. Und er verlangt diese Prioritäten mit Hilfe von festen Regeln zu schützen.
Der Autor fordert, dass wir den Unterschied zwischen dringenden Angelegenheiten (Deadlines, E-Mails, Meetings, Konferenzen) und wesentlichen, revitalisierenden Dingen verstehen müssen. Dazu zählt er etwa die Beziehung zu unserer Familie und unsere Hobbies. Wenn wir diesen Unterschied nicht erkennen, werden wir den Fehler begehen, das Dringende dem Vitalen vorzuziehen. Schieben wir Dringendes wie ein berufliches Meeting auf, verursacht das bereits auf kurze Sicht Stress, das Vitale lässt sich erst einmal einen Tag aufschieben. Aber mit diesem Verhalten gefährden wir unsere Beziehungen und unser persönliches Glück.
Unsere Schwesterpublikation CIO.com sprach mit dem Autor darüber, wie bedeutend es ist, Prioritäten zu setzen und Grenzen zu ziehen. Er bietet zudem einen Einblick in das Leben eines Workaholics und gibt Ratschläge für den Umgang mit Blackberries.
CIO.de: Immer weniger Berufstätige scheinen eine Grenze zwischen Arbeit und Privatem zu ziehen. Läuft da etwas schief?
Der Einfluss von Internet und E-Mail
Henry Cloud: Früher einmal waren Leben und Beruf zwei unterschiedliche Dinge. Arbeit war mit einem ganz bestimmten Ort verbunden und wenn man sich nicht an diesem Ort befand, hatte man sein Privatleben. Es gab auch feste Zeiten, etwa von acht bis um fünf, zu denen man zur Arbeit kam. Wenn man nicht in der Arbeit war, hatte man tatsächlich frei. Diese Zeit- und Raumbegrenzungen von früher gibt es heute nicht mehr. Mit den Pagern hat es angefangen. Auf einmal konnte dein Boss dich überall und zu jeder Zeit erreichen. Dann kamen die Handys, das Internet, E-Mails. Wir müssen uns darüber im Klaren werden, wie wir unsere Zeit nutzen. Das sollte man wirklich unter Kontrolle haben. Ansonsten fühlt man sich zerrissen und verloren.
CIO.de: Also liegt das Problem darin, dass wir zwei Dinge trennen wollen, die man einfach nicht mehr voneinander trennen kann?
Henry Cloud: Eine Trennung muss möglich sein. Wenn sie darüber nachdenken, haben wir nur zwei Dinge: unsere Zeit und unsere Energie. Ich berate häufig Spitzenkräfte in großen Unternehmen und stelle immer wieder fest, dass sie Zeit und Energie am besten verteilen, wenn es privat und im Job gut läuft. Menschen allerdings, bei denen Job und Privatleben nicht nach ihren persönlichen Vorstellungen verlaufen, haben häufig das Gefühl, dass sie fremdbestimmt sind und kaum Zeit haben. Das stimmt nicht. Sie haben genauso viel Zeit wie die anderen - sie entscheiden sich nur dafür, sie anders zu verbringen.
CIO.de: Viele Menschen sind mächtig stolz darauf, immer und überall ihr Handy dabei zu haben. Sie sind dauererreichbar - im Urlaub, zu Hause und in der Mittagspause. Warum? Und - gibt es an diesem Verhalten etwas auszusetzen?
"Ich liebe Multi-Tasking"
Henry Cloud: Ich habe selbst einen Blackberry. Ohne ihn könnte ich nicht arbeiten, weil ich sehr viel unterwegs bin. Entscheidend ist - betrachten Sie den Blackberry als ein Arbeitswerkzeug oder hat er die Kontrolle über sie und blockiert so die wirklich wichtigen Dinge? Menschen die Dinge wie "Arbeit ist mein Leben" oder "Ich liebe Multi-Tasking" sagen, offenbaren nur einen kleinen Aspekt ihres Lebens. Sie haben eine hohe Mauer konstruiert und werden irgendwann verstehen, dass sie nichts haben außer ihrer Arbeit. Menschen die auf diese Art und Weise arbeiten, zeigen häufig auch Krankheitssymptome wie Beklemmung, Schlafstörungen, Sucht. In meinem Job als Consultant und Psychologe habe ich nicht nur einmal Menschen gesehen, die sehr stolz auf ihre Multitasking-Fähigkeiten waren und schließlich an einer Kneipentheke endeten und sich fragten, warum ihre letzte Beziehung in die Brüche gegangen ist.
CIO.de: Also sagen sie, dass Workaholics mit Arbeit etwas ersetzen möchten, das ihnen in ihrem Leben fehlt?
Henry Cloud: Häufig ist das so. Diese Menschen merken nicht sofort, dass sie auf diese Art vitale Dinge aus ihrem Leben ausschließen. Auf lange Sicht kann diese Ignoranz tödlich sein: Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Krebs. Wenn Arbeit die Kontrolle über unser Leben übernimmt, verlieren wir das wirklich Bedeutende. Der einzige Ausweg ist es, über Folgendes nachzudenken: Was in meinem Leben bedeutet mir am meisten? Und genau mit diesen Dingen verbringt man dann so viel Zeit wie möglich. Damit man sich etwa später nicht als Vater vorwirft, man habe nicht genug Zeit mit seinen Kindern verbracht.
CIO.de: Kann es denn sein, dass die Unternehmen eine Mitschuld an dieser Entwicklung tragen? Sie motivieren ihre Arbeitnehmer, vor allem Führungskräfte, dazu, zu viel zu arbeiten und ein unausgeglichenes Leben zu führen. Diese Menschen bekommen finanzielle Boni - zum Teil hohe Summen - für das Erreichen bestimmter Ergebnisse von ihren Arbeitgebern.
Boni schaden Mitarbeitern
Henry Cloud: Manchmal schaden diese Anreize den Arbeitnehmern viel mehr, als dass sie ihnen Gutes tun. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diejenigen die besten sind, die sich auch einmal zurücklehnen, eine Sache in Ruhe betrachten und sich dann für die beste Vorgehensweise entscheiden. Dabei lassen sie auch einmal andere gute Wege außen vor, um sich auf den besten zu konzentrieren. So ist es in bestimmten Fällen ratsam, einen Kunden zu feuern, der vor allem Zeit und Energie aus einem gesaugt hat. Ich sage immer, dass diejenigen nach oben kommen, die auch mal loslassen können.
CIO.de: Wie verhindert man denn, dass Arbeit all unsere Energiereserven frisst?
Henry Cloud: Ich halte häufig Vorträge vor großem Publikum. Vor einiger Zeit bemerkte ich Veränderungen an mir. Die Auftritte machten mir keinen Spaß mehr. Ich habe nach den Ursachen geforscht und herausgefunden, dass zwei, drei Dinge das schlechte Gefühl auslösten. Dazu gehört unter anderem, dass ich in fremden Städten immer Meetings zeitlich eng vor und nach den Vorträgen vereinbarte. Ich presste meine Vorträge in ein Korsett und versetzte mich in Stress. Seit ich dieses Problem erkannt habe, schaffte ich die Meetings vor und nach den Vorträgen ab und führte einige weitere Regeln ein. Auf einmal machten mir die Vorträge wieder Spaß.
CIO.de: Was würden Sie denn jetzt denjenigen raten, die 50 oder mehr Stunden pro Woche arbeiten, die ihre Handys nicht abschalten wollen und die sagen, dass Arbeit ihr Leben ist?
Denken Sie doch mal nach
Henry Cloud: Ich würde sie fragen: Glaubt ihr denn wirklich, dass es nur auf eure Arbeit ankommt? Ist die Arbeit wirklich das, was euch ausmacht? Das, was ihr seid? Sie kann es schon sein. Es ist schließlich euer Leben. Aber ich wünsche diesen Menschen, dass sie über die Fragen nachdenken und eine andere Antwort geben. Jeder kennt die Binsenweisheit - am Ende seines Lebens wünscht man sich bestimmt nicht, man hätte mehr Zeit im Büro verbracht.