Autoindustrie

Wenn alle verlieren

02.09.2009 von Philipp  Schalla
Nur zusammen kommen Autohersteller aus der Krise. Die Abhängigkeiten in der Automobilindustrie zwischen Herstellern, Zulieferern und Dienstleistern belegen das eindrucksvoll. Dabei kommt der IT als "Kommunikator" eine besondere Rolle zu, meint Analyst Philipp Schalla von PAC.
Philipp Schalla ist Analyst bei PAC (Pierre Audoin Consultants).
Foto: PAC

Kennen Sie Wortketten? Eine Wortkette ist ein Spiel, bei dem jeder Teilnehmer versucht, aus dem letzten Teil eines mehrsilbigen Wortes des Spielers vor ihm ein neues Wort mit ebenfalls mehreren Silben zu bilden. Gelingt dies, geht das Spiel weiter. Andernfalls hat man verloren.

Kennen Sie auch Wertketten? Ähnlich wie beim oben beschriebenen Spiel wird auch in einer Wertkette (auch als Wertschöpfungskette bezeichnet) immer ein bestimmter Teil eines Gegenstandes, nennen wir ihn einmal Produkt, an ein nachfolgendes Glied der Kette weitergegeben. Dort wird es mit einem neuen Bestandteil angereichert - veredelt - und so setzt sich der Prozess dann fort.

Im Gegensatz zur zeitlich begrenzten Spielsituation allerdings besteht eine Wertkette über einen längeren Zeitraum und aus zwei verschiedenen Richtungen, nennen wir sie Ebenen. Auf der oberen Ebene wird das Produkt transportiert und fortlaufend veredelt. Zeitgleich besteht auf der unteren Ebene ein in die entgegen gesetzte Richtung laufender Strom an Vergütung, jeweils zwischen zwei benachbarten Gliedern der Kette und zumeist in monetärer Form. Sozusagen als Belohnung für die zuvor erbrachte Leistung.

Die Bewegungen sind fließend, fast wie im Spiel, jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: sollte es einem Glied der Kette nicht gelingen, das Produkt weiter zu reichen, verliert nicht nur einer, sondern alle.

Beispiel R&D- und STIE-Markt

Und was hat dies mit dem Dienstleistungsmarkt von R&D (Research and Development) und STIE (Scientific, Technical, Industrial and Embedded IT) in Deutschland zu tun? Lassen Sie uns am Beispiel der Automobilindustrie etwas konkreter werden:

Mit über 30 Prozent Marktanteil ist die deutsche Automobilindustrie der bedeutendste Taktgeber des lokalen R&D- und STIE-Marktes. Schwächelt die Industrie, so leiden auch die nachfolgenden Dienstleister, in diesem Fall die IT.

Doch zurzeit schwächelt die Industrie nicht nur, sie darbt. Es ist die Rede vom stärksten Einbruch der wirtschaftlichen Gesamtleistung seit dem schwarzen Freitag vor beinahe achtzig Jahren.

Und eine Industrie, die bereits zuvor vor immensen strukturellen Herausforderungen stand, spürt nun den Rückgang am Absatzmarkt, dem nachgelagerten Glied der Kette, umso deutlicher. Da helfen auch keine Konjunkturprogramme, die die Auswirkungen der Probleme lediglich zeitlich hinauszögern, sie im Kern jedoch nicht zu lösen vermögen.

Denn der Schlüssel zur Lösung liegt in der Kette an sich. Wenn alle verlieren, müssen sich auch alle zusammen anstrengen, um wieder Gewinne zu erwirtschaften. Und der IT kommt als "Enabler" dabei eine tragende Rolle zu.

Die Wertschöpfungskette in der Autoindustrie

Betrachtet man die Wertschöpfungskette in der Automobilindustrie im Detail, so kann man obiges Problem am Absatzmarkt weiterreichen, vom Hersteller zum T1-Zulieferer, von diesem zum T2-Zulieferer und so weiter bis hin zur Nummer T-n. Dabei überschreitet diese Kette spielend die Grenzen einzelner Industrien.

Stellen Sie sich einmal die Vielfalt der industriellen Disziplinen vor, mit denen Sie in Berührung kommen, sobald Sie sich hinter das Steuer Ihres Wagens setzen. Elektronik, Informatik, Chemie, Metall, Maschinenbau - sie alle tragen ihren Teil zur Wertschöpfung bei und hängen gleichzeitig in ihren jeweiligen Verästelungen in gesonderten Ketten fest.

In diesem Fall bietet sich der Begriff "Netzwerk" zur besseren Klassifizierung dieses Prozesses an. Anbieter von R&D- und STIE-Dienstleistungen sind dabei fester Bestandteil jeder einzelnen Abzweigung dieses Netzwerks, sozusagen das Nervengerüst der Industrie. Und in dieser Funktion bekommen sie nicht nur unmittelbar und an unterschiedlichsten Stellen die Probleme und Schwachstellen dieses Veredelungsprozesses zu spüren. Sie haben auch die Möglichkeit, durch ihr Handeln entscheidend zum Wohlergehen der Wertschöpfung beizutragen.

Produkte und Prozesse stellen dabei die zwei wichtigsten Handlungsfelder in diesem Markt dar. Es geht vor allem um die Frage: "Was wird produziert und wie effizient wird es produziert?"

Sowohl Anbieter von IT-bezogenen (z.B. Entwicklung von Embedded-Systemen) als auch nicht IT-bezogenen (z.B. Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten) Dienstleistungen sitzen an der Schaltstelle hinsichtlich technologischer Innovation im Endprodukt. Dies ist der Unternehmensbereich, an dem Hersteller nicht sparen können. Denn ein Großteil der aktuellen Probleme am Absatzmarkt ist auf die eigene Inflexibilität hinsichtlich sich verändernder Kundenwünsche zurück zu führen.

Beispiele sind die Nachfrage nach energieeffizienten Antriebssystemen im Automobilbereich oder auch die verbrauchsbezogene Abrechnung im Utilities-Sektor (Stichwort "Smart Metering"). Hier können Anbieter von Embedded- und R&D-Dienstleistungen ihre branchenübergreifende Erfahrung einbringen und dynamisch Entwicklungsressourcen zur Verfügung stellen. Ziel sollte eine effektive Produktentwicklung sein, auf Basis der Kundenwünsche.

Vertikale und horizontale Prozesse

Und wie lassen sich diese Wünsche erfüllen? Ziehen Sie die oben beschriebene Kette wieder als Beispiel heran und beachten Sie: Diese ist rein vertikal und fokussiert auf die Produktion eines Gutes. Doch was ist mit den horizontalen Prozessen? Auch die Verbindung zwischen Entwicklung, Produktion, Vertrieb und Service gilt es zu beachten. Erst aus der Optimierung dieser Matrix lässt sich ein Nutzen in Form von Kostenreduzierung und Produktivitätssteigerung erzielen. Daher ist es vor allem wichtig, diese Optimierung nicht als Insellösung zu begreifen.

Leider geschieht dies jedoch zuhauf. Es geht hier um unternehmensübergreifende Verbesserungsmaßnahmen entlang der Wertschöpfungskette und innerhalb des gesamten Netzwerkes. Genau hier können Anbieter von STI-Systemen erfolgreich anknüpfen. Wie? Durch Kommunikation. Beispielsweise ermöglichen PLM-Systeme eine ganzheitliche Kommunikation über den Entwicklungs- und Produktionsprozess hinweg. Diese wird bereits abgestimmt mit den direkt angrenzenden Gliedern der Kette (Stichwort "Just-in-time"). Ein notwendiger erster Schritt. Aber es bedarf einer durchgehenden Abstimmung - auch auf horizontaler Ebene.

Hier sind Schnittstellen ein wichtiges Thema, um diese Systeme und somit die Kommunikation an bestehende Infrastrukturen verschiedener Unternehmen anzubinden. Das geschieht natürlich bereits, doch leider sind es momentan genau diese Projekte, die teils gestreckt, teils geschoben, aber definitiv in strategisch wichtig oder unwichtig klassifiziert werden. Hier müssen IT-Anbieter klar stellen: "Wir bieten die Transparenz, Flexibilität und Dynamik für Ihre Prozesse, die Sie gerade in Krisenzeiten dringend benötigen."

IT wieder auf dem Prüfstand

Die These "IT als Enabler" steht momentan auf dem Prüfstand, allerdings nur temporär. Am Nutzen wird dabei nicht gezweifelt. Vielmehr wird kalkuliert, wie dringend im Moment ein Enabler benötigt wird.
Zum Abschluss ein Versuch:

Wertkette – Kettenglied – Gliedmaßen – Massenbeschäftigung – Beschäftigungsverhältnis – Verhältnismäßig – Mäßigung – Ungern – Erneuerung.

Wie gesagt: ein Versuch.

Philipp Schalla ist Analyst bei PAC (Pierre Audoin Consultants).