Moderne Arbeitswelt

Wenn das Mitarbeitergespräch schadet

19.10.2023 von Christiane Pütter
Wer keine Mitarbeitergespräche führen kann oder will, ist ein schlechter Chef – dieser Aussage widerspricht Armin Trost. Der Professor für Personalmanagement fordert, das Standard-Instrument auf Herz und Nieren zu prüfen.
  • Die Ansprüche der Generation Y und die Notwendigkeit, nach agilen Methoden zu arbeiten, passen nicht zum herkömmlichen Mitarbeitergespräch
  • Der Begriff "Gespräch" ist falsch. Der moderne Chef, der einerseits fördernd und coachend führen soll, wird plötzlich in die Rolle eines Richters gedrängt
  • Dass ein jährlicher standardisierter Fragebogen in die Personalakte kommt, kann das Vertrauensverhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeiter belasten
Armin Trost unterrichtet Personalmanagement an der Hochschule Furtwangen.
Foto: Armin Trost

Mehr als 10.000 Zugriffe - mit so viel Resonanz hatte Armin Trost damals nicht gerechnet. Trost ist Professor für Personalmanagement an der Business School der Hochschule Furtwangen und hatte bereits 2012 für den Harvard Business Manager eine Kolumne zum Thema Mitarbeitergespräche geschrieben, die Spiegel Online übernahm. Das Hamburger Nachrichtenmagazin zählte am ersten Tag nach Veröffentlichung über 10.000 Aufrufe. Trost hat einen Nerv getroffen. Für ihn genug Anlass, dieses Standard-Instrument "einmal gründlich auseinander zu nehmen", wie er gegenüber cio.de sagt. Das Ergebnis ist das Buch "Unter den Erwartungen - warum das jährliche Mitarbeitergespräch in modernen Arbeitswelten versagt".

Eines will der Experte klargestellt sehen: "Ich bin nicht grundsätzlich für oder gegen das Mitarbeitergespräch", so Trost. Seine Mission liegt darin, einen differenzierten Blick auf dieses komplexe Mittel der Personalführung zu werfen, um entscheiden zu können, ob und in welcher Form solche Gespräche zum jeweiligen Unternehmen passen. Und er will mit dem Klischee aufräumen, dass ein schlechter Chef ist, wer Mitarbeitergespräche nicht führen kann oder nicht führen will.

Wie Trost beobachtet, löst das Mitarbeitergespräch oft ein "komisches Gefühl" aus. Das gilt für Führungskräfte ebenso wie für deren Mitarbeiter. Dennoch scheint dieses Instrument fest etabliert und unersetzlich. Das würde der Experte gerne ändern.

Prof. Dr. Armin Trost "Unter den Erwartungen"
Künstliche Situation
Trost erklärt: Der Begriff "Mitarbeitergespräch" verzerrt, dass es sich um ein standardisiertes Bewertungsverfahren handelt, bei dem betriebswirtschaftliche Kennzahlen abgefragt und Metriken wie Leistung, Kompetenz und Potenzial beurteilt werden. Geführt wird dieses "Gespräch" oft in einer Situation, die den Teilnehmern künstlich vorkommt. Weil sie künstlich ist.
Wenn das "Gespräch" schadet
Heute ist eine partnerschaftliche Führungskultur gefragt. "Wir sprechen ja auch vom Chef als Coach", so Trost. Der Chef, der motivieren, fordern und fördern soll, wird beim Mitarbeitergespräch plötzlich in die Rolle eines Richters gedrängt. Die Beteiligten sind nicht mehr auf Augenhöhe. Das funktioniert nicht und kann im schlimmsten Fall sogar schaden.
Neue Ansprüche der Generation Y
Die Unternehmen werden umdenken müssen. Schließlich gibt sich die Generation Y mit einem solchen institutionalisierten Termin einmal pro Jahr nicht zufrieden. Die begehrten jungen Mitarbeiter fordern sehr viel häufiger Feedback ein.
Knackpunkt Talent-Management
Als nächsten Punkt will sich Trost das klassische Talent-Management vornehmen. Seine These: "Das jetzige Talent-Management reproduziert bestehende Systeme. Wir züchten die Führungskräfte heran, die wir schon haben."
Armin Trost
Armin Trost ist Professor für Personalmanagement an der Business School der Hochschule Furtwangen. "Ich bin nicht grundsätzlich für oder gegen das Mitarbeitergespräch", sagt er. Seine Mission liegt darin, einen differenzierten Blick auf dieses komplexe Mittel der Personalführung zu werfen, um entscheiden zu können, ob und in welcher Form solche Gespräche zum jeweiligen Unternehmen passen.
Buch "Unter den Erwartungen"
In seinem Buch "Unter den Erwartungen" erklärt Prof. Dr. Armin Trost, warum das jährliche Mitarbeitergespräch in modernen Arbeitswelten versagt.

Für den Personalmanagement-Professor beginnt die Manipulation schon mit dem Begriff. Gespräch, das klinge so flauschig. "Wer kann den etwas gegen ein Gespräch haben?", sagt Trost. Der Begriff verzerre, dass es sich um ein standardisiertes Bewertungsverfahren handelt, bei dem betriebswirtschaftliche Kennzahlen abgefragt und Metriken wie Leistung, Kompetenz und Potenzial beurteilt werden. Geführt wird dieses "Gespräch" oft in einer Situation, die den Teilnehmern künstlich vorkommt. Weil sie künstlich ist.

Chef und Mitarbeiter sind nicht auf Augenhöhe

Das gilt zumal in der IT, so Trost weiter. Wer heute als Chef erfolgreich sein will, zielt für das gesamte Unternehmen auf innovative Prozesse und Produkte, Systeme und Anwendungen ab. Das erfordert eine partnerschaftliche Führungskultur. "Wir sprechen ja auch vom Chef als Coach", erklärt Trost.

Der Chef, der motivieren, fordern und fördern soll, wird beim Mitarbeitergespräch plötzlich in die Rolle eines Richters gedrängt. Die Beteiligten sind nicht mehr auf Augenhöhe. Das funktioniert nicht und kann im schlimmsten Fall sogar schaden. Denn dass der anzukreuzende Schema F-Bogen in die Personalakte wandert, kann das Vertrauensverhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeiter belasten.

Nicht nur in der IT werden Unternehmen umdenken müssen, so der Experte weiter. Schließlich gibt sich die Generation Y mit einem solchen institutionalisierten Termin einmal pro Jahr nicht zufrieden. Die begehrten jungen Mitarbeiter fordern sehr viel häufiger Feedback ein. "Das sehe ich ja auch an meinen Studenten", berichtet Trost. "Die fragen ständig: War die Präsentation gut? Was kann ich besser machen? Mit wem soll ich reden?"

Damit zeigt der Nachwuchs ein Verhalten, das Trost als "erwachsen" schätzt. Feedback ist für ihn zunächst einmal eine Holschuld. Er kenne kompetente Fachkräfte, Mitte vierzig, zwei Kinder, die sich über zu wenig Feedback beschweren. "Ich sage denen immer, dann hole es Dir", erklärt Trost.

Der Professor für Personalmanagement will nicht falsch verstanden werden. Er sieht sich nicht als prinzipieller Gegner des Mitarbeitergesprächs, eher als Reformator. Die Generation Y und ihr neuer Anspruch an Firmenkultur sind nur ein Teil seiner Argumentation. Ein anderer läuft unter dem Stichwort der Agilität.

Warum HR so oft nicht ernstgenommen wird

Die neue Lebensrealität von Unternehmen, die schnell auf Marktveränderungen reagieren und immer selbstbewusstere Kunden binden müssen, erfordert den Einsatz agiler Methoden. Nach Beobachtung von Trost ist das immerhin schon in einigen Köpfen angekommen. "Es scheint mehr Unternehmen zu geben, die sich von hierarchischen hin zu agilen Strukturen bewegen als umgekehrt", sagt er.

Das bisherige Mitarbeitergespräch passt nicht in diesen Wandel. Trosts Appell: Human Ressources-Entscheider (HR) sollten angesichts der sich wandelnden Rahmenbedingungen nicht mehr versuchen, "mit zum Teil erstaunlicher Naivität an diesem überladenden Instrument" festzuhalten. Es überrascht den Experten auch nicht, dass HR von den Fachabteilungen oft nicht ernstgenommen wird.

Als nächsten Punkt nimmt sich Trost das klassische Talent-Management vor, sagt er im Gespräch mit uns. Seine These: "Das jetzige Talent-Management reproduziert bestehende Systeme. Wir züchten die Führungskräfte heran, die wir schon haben." Schlagworte wie Diversity, das Besetzen von Entscheider-Positionen mit Menschen unterschiedlicher kultureller und biografischer Herkunft also, sieht Trost nüchtern. Große Aktivitäten oder detailliert ausgearbeitete Programme seien ja gar nicht nötig - man müsse Diversity einfach zulassen. Ob das gelingt, da zeigt sich Trost skeptisch: "Klassisches Talent-Management verträgt keine Spinner."

Armin Trost hat Psychologie studiert und wurde 2001 in Philosophie über das Thema "Messung lateraler Kooperation bei Mitarbeiterbefragungen" promoviert. Er ist Professor für Personalmanagement an der Business School der Hochschule Furtwangen.