IT-Arbeitsmarkt

Wenn der Headhunter dreimal klingelt

05.05.2008 von Anja Tiedge und Claus G. Schmalholz
Der IT-Branche fehlen Tausende Berufseinsteiger und erfahrene Experten. Gute Zeiten also für die Computer-Spezialisten: Sie können sich ihre Jobs aussuchen.

Das Angebot, das ein Headhunter Lutz Buchholz (41) am Telefon machte, war lukrativ: "Ich kann ihnen einen 200.000-Euro-Job bei einem bekannten IT-Unternehmen anbieten, der Standort ist in Südfrankreich bei Nizza." Doch der Ingenieur für Nachrichtentechnik lehnte lässig ab. Er hatte keine Lust, mitsamt der Familie nach Frankreich umzuziehen.

Kurz danach kam wieder ein Angebot. Diesmal lockte ein Plus von 50 Prozent beim Gehalt, allerdings mit einem variablen Gehaltsanteil von ebenfalls 50 Prozent. Buchholz schlug das Angebot erneut aus.

Wichtiger war dem IT-Experten der "Wohlfühlfaktor". Buchholz wollte zwar aus dem Vertriebsjob bei EMC, einem der größten Unternehmen für Datenspeichertechnologie, aussteigen. Er wollte aber nicht den nächstbesten Job annehmen. Er suchte eine neue Aufgabe in der praktischen Umsetzung von IT-Projekten und ein Unternehmen, das ihm einen sicheren Arbeitsplatz für die nächsten zehn bis 15 Jahre bieten konnte. Diesen Job fand er schließlich über einen Personalberater bei Netapp, einem Unternehmen für Daten-Management. Hier berät er Großkunden bei der Installation von IT-Systemen zur Speicherung und Sicherung von Geschäftsdaten. Sein erfolgsabhängiger Gehaltsanteil beträgt 20 Prozent, für Buchholz genau das richtige Maß an monetärer Motivation.

IT-Fachkräfte sind Mangelware

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Der Job-Wechsel des Software-Spezialisten steht beispielhaft für die derzeit traumhaften Bedingungen am Arbeitsmarkt für IT-Experten. Der eklatante Mangel an Fachkräften in der Branche sorgt dafür, dass Leute wie Buchholz von den Unternehmen umworben werden wie zuletzt zu den Hype-Zeiten um das Jahr 2000.

Gesucht sind gut ausgebildete IT-Profis mit mehrjähriger Berufserfahrung: Software-Entwickler, Netzwerkspezialisten und IT-Berater mit einschlägigem Studium, am besten ergänzt um kaufmännisches Know-how und die Fähigkeit, Leistungen souverän beim Kunden zu präsentieren. Die können sich derzeit ihre Jobs aussuchen. Oder sie warten einfach, bis das Telefon klingelt und ein Headhunter anruft.

So konnte etwa Jens Tinapp (39) unter den ständig eingehenden Offerten der Personalberater das passende Angebot auswählen. Nach zehn Jahren im Marketing bei Bacardi und Danone unterschrieb der Diplomkaufmann mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik und Marketing schließlich bei Microsoft.

Mehr Gehalt, ein attraktiver Dienstwagen und ein Aktienpaket

Die deutsche Niederlassung suchte den Marketingchef für die Spielekonsole Xbox 360, und Tinapp musste nicht lange überlegen, weil er sich mit dem Wechsel in sämtlichen Kategorien verbessern konnte. Er zog von Wiesbaden an den "höchst attraktiven Standort München", legte beim Gehalt ein gutes Stück zu, bekam außerdem ein Paket Microsoft-Aktien und einen Audi A6 als Dienstwagen.

Selbst große Namen der Branche müssen sich also mehr Mühe geben. Das trifft für Microsoft zu wie für IBM. So räumt Jens Poppe, Personalexperte bei IBM, ein: "Das Recruiting wird mehr und mehr zu einer echten Herausforderung". Um den Nachwuchs für eine Karriere bei IBM zu begeistern, eröffnete das Unternehmen im vergangenen Jahr sogar ein eigenes Rekrutierungscenter in der virtuellen Online-Welt von Second Life.

Die deutsche Microsoft-Niederlassung hat mit der Web-Seite ein eigenes Jobportal gestartet, um ihre 33.000 Partnerunternehmen bei der Suche nach den raren Fachkräften zu unterstützen. Denn die Personalknappheit bei den Kunden von Microsoft führte dazu, dass das Unternehmen im vergangenen Jahr im Segment Mittelstandskunden "nur um 30 Prozent wachsen konnte, obwohl 35 Prozent möglich gewesen wären", wie Deutschland-Chef Achim Berg sagt.

IT-Experten: Anders als Bewerber anderer Branchen

Gerade der Mittelstand hat Schwierigkeiten, talentierte Einsteiger und erfahrene Profis zu locken. Deshalb bieten auch immer mehr kleinere IT-Firmen attraktive Jobbedingungen: flexible Arbeitszeiten, ein Home-Office-Tag, Kinderbetreuung sowie eine Altersversorgung. Das wichtigste Werbemittel aber: Bei den kleinen und mittleren Firmen genießen die IT-Fachleute oftmals eine Alleinstellung im Unternehmen, arbeiten eng mit der Geschäftsleitung zusammen und können ganze Abteilungen eigenverantwortlich aufbauen.

Mit Geld allein ließen sich erfahrene Computer-Experten ohnehin nicht ködern, sagt Headhunter Carsten Hackstein, Geschäftsführer der Personalberatung Conargus: "IT-Experten ticken oft ganz anders als Bewerber aus anderen Branchen. Die wollen vor allem mit den modernsten Technologien arbeiten und legen deshalb besonderen Wert auf das Weiterbildungsangebot im Unternehmen. So ist es inzwischen absolut üblich, einen Passus in den Arbeitsvertrag einzufügen, in dem bis zu 15 Schulungstage pro Jahr garantiert werden."

Unternehmen, die derartige Bedingungen bieten, haben Chancen, den Kampf um die raren Experten zu gewinnen, selbst wenn sie abseits der Metropolen ihren Sitz haben und nicht mit einem großen Namen locken können.

So entschied sich etwa Robert Rückeshäuser (47) nach elf Jahren bei der IT-Beratung CSC und einem Intermezzo als Mitgründer einer Consulting-Firma für die mittelständische IT-Beratung BTC, die, im Jahr 2000 gegründet, schon über 1.200 Mitarbeiter hat. "BTC ist eine junge Firma, die dynamisch wächst und hervorragende Entwicklungschancen bietet", sagt er. Rückeshäuser ist gerade dabei, ein Team von rund zwei Dutzend Mitarbeitern zusammenzustellen, die das Beratungsgeschäft mit SAP-Betriebs-Software bei mittelständischen Großunternehmen aufbauen sollen.

Eine Aufgabe, die er nach eigenem Gusto gestalten kann, in einem weitaus freundlicheren Klima, als es sein früherer Arbeitgeber bietet. "Hier herrscht nicht diese zahlenfixierte Hire-and-fire-Mentalität, jeder duzt jeden bis hinauf zum Vorstandschef", sagt Rückeshäuser.

Dass die Unternehmenskultur zur Person passt, ist für die Bewerber das wichtigste Auswahlkriterium, mehr noch als ein hohes Gehalt, beobachtet Wolfgang Rogge, der für Firmen wie Dell und Atos Origin nach passendem Personal sucht: "Vielen IT-Experten sitzt noch der Schock aus der geplatzten Internet-Blase in den Knochen, als aus hoch bezahlten Gebietsleitern auf einen Schlag wieder einfache Berater mit bescheidenem Einkommen wurden."

Die schnelle Million ist heute kaum mehr möglich, weil die Arbeitgeber aus den Gehaltsexzessen der Jahrtausendwende gelernt haben. Das Einkommensniveau bei Einsteigern liegt zwischen 40.000 und 50.000 Euro, erfahrene Systemingenieure können mit rund 80.000 Euro rechnen. Key-Account-Manager durchbrechen die 100.000-Euro-Marke, und Top-Berater verdienen bis zu 170.000 Euro, wenn sie einen erfolgsabhängigen Gehaltsanteil von 50 Prozent akzeptieren.

Manche selbstbewussten IT-Experten, denen die ständigen Offerten der Headhunter ihren Status als seltene Spezies überdeutlich signalisieren, legen aber auch schon mal eine zusätzliche Pokerrunde bei der Festlegung des Gehalts ein. Headhunter Rogge kennt einen Fall, bei dem der Bewerber nach der Job-Zusage frech 10.000 Euro mehr verlangte - und schließlich auch bekam, weil sein Know-how dringend gebraucht wurde und sein Vorgesetzter die Forderung als Ausdruck einer kompetitiven Einstellung wertete, die der Unternehmenskultur entsprach.

Wie groß die Not der Branche ist, zeigte sich auch bei der diesjährigen Cebit, die sich als Schauplatz einer gigantischen Job-Börse präsentierte. Der Personaldienstleister Randstad offerierte den Besuchern auf dem sogenannten IT-Fitness-Campus in Halle 16 gar mehr als 1.000 freie Jobs und eine Karriereberatung. Wer seinen Lebenslauf und einen Nachweis seiner IT-Expertise mitbrachte, hatte die Chance, mit einem Arbeitsangebot nach Hause zu gehen.

Personalmangel bremst das Wachstum: Warum der IT-Branche Profis, aber auch Berufseinsteiger fehlen.

Zu wenig: Rund 43.000 Spezialisten fehlen im IT-Markt nach Angaben des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom).

Zwei Drittel der Unternehmen, die der Verband befragte, bekommen nicht so viel Personal, wie sie brauchen. Die größte Personalnot verzeichnet der Handel. Den Umsatzausfall durch Projekte, die wegen Personalmangels nicht angenommen werden können, schätzt Bitkom auf eine Milliarde Euro.

Zu deutsch: Mit Fachleuten aus dem Ausland ließe sich der Mangel an Experten verringern. Doch die Hürden für die Einstellung ausländischer IT-Profis sind zu hoch. Erst ab einem Jahresgehalt von 86.400 Euro dürfen Unternehmen hierzulande die Spezialisten ohne Auflagen beschäftigen. Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte es unlängst beim zweiten nationalen IT-Gipfel ab, die Zuwanderungsregeln zu lockern: " Zunächst müssen wir uns der Qualifizierung der heimischen Fachkräfte widmen", sagte sie. Wichtig sei außerdem, vor allem bei jungen Menschen mehr Begeisterung für ITBerufe zu wecken.

Zu schwierig: Doch auch bei den Berufseinsteigern klafft eine große Lücke zwischen Angebot und Nachfrage. So verlassen derzeit nur 14.000 Absolventen jährlich die Universitäten, nötig wären aber mindestens 20.000, um den Bedarf zu decken. Nach Einschätzung von Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer müsste die Ausbildung vereinfacht werden; so bricht derzeit jeder Zweite den Studiengang Informatik ab. Der Grund: Die mathematischen Anforderungen seien zu hoch. Scheer fordert eine Abkehr vom bisherigen Ausleseprinzip. Stattdessen soll durch eine bessere Betreuung im Studium die Vielfalt der Begabungen der Studenten mit der Vielfalt der Job-Möglichkeiten in der Branche kombiniert werden.