Deutschland geht gerne mit gutem Beispiel voran und gefällt sich in der Rolle als Vorreiter, Pionier oder Wegbereiter. In manchen Bereichen ist das Hochtechnologieland jedoch erstaunlich rückschrittlich. Beispiel Mobile Payment: Während in Entwicklungsländern das Bezahlen mit dem Handy boomt, gilt es hierzulande noch als exotische Zahlmethode. Doch woran liegt es, dass Mobile Payment noch nicht im Alltag der Deutschen angekommen ist? Wer ist verantwortlich für den schleppenden Ausbau und die stockende Entwicklung? Die Anbieter, der Handel oder die Kunden?
Mehr als zwei Dutzend Anbieter in Deutschland versuchen derzeit Lösungen für das kontaktlose Zahlen am Checkout zu etablieren. Während die ersten Payment-Dienstleister bereits erfahren mussten, wie mühsam Handel und Kunden in Deutschland zu überzeugen sind, stehen die nächsten bereits in den Startlöchern. Dieses Gewimmel von Anbietern ist jedoch problematisch; besonders weil es bisher ausschließlich Insellösungen gibt und kein Unternehmen, das Standards setzt. Nahezu jeder Supermarkt oder Laden bietet derzeit andere Bezahlsysteme für das Handy.
Für die Kunden wirkt diese Unübersichtlichkeit abschreckend und die Wenigsten haben Interesse daran, sich gleich für zwei oder mehr Dienste zu registrieren. Für zusätzliche Verwirrung sorgen die verschiedenen technischen Ansätze der Anbieter: Cashcloud, Vodafone, T-Mobile und O2/Eplus setzen beispielsweise auf die NFC-Technologie (Near Field Communication); kesh, PayCash und Yapital auf QR-Codes. Die neue Funktechnologie BLE (Bluetooth Low Energy) wird unter anderem von Apple und PayPal favorisiert. Welche Technologie sich schlussendlich durchsetzen wird, steht noch in den Sternen und erschwert für viele Kunden zusätzlich den Einstieg in die Handyzahlung.
Auch für den Handel sind die technischen Unwägbarkeiten ein Hauptgrund für die bisherige Zurückhaltung im Mobile Payment. Eine Um- oder Aufrüstung der Kassensysteme verursacht Kosten. Einmalig wären diese sicher zu verschmerzen. Doch kaum ein Händler wird das Risiko eingehen, auf eine Bezahllösung zu setzen, die ein halbes Jahr später schon überholt sein kann und abermals erneuert werden muss. Zudem wird befürchtet, dass die Kassen mit verschiedenen Bezahlterminals zugebaut werden und die Gebühren der Kreditkarten- und Mobiltelefonfirmen zu hoch sind.
Die Bedenken des deutschen Handels sind natürlich nachvollziehbar. Dennoch gilt es, den Fokus nicht nur auf die Kosten zu richten, sondern auch auf Innovation und Marketingnutzen. Kunden wünschen sich eine zuverlässige Bezahllösung, die schnell, einfach und möglichst immer einsetzbar ist. Die Handyzahlung verspricht, eine solche Lösung zu sein. Und die Händler profitieren auch direkt davon: Ein schnellerer Checkout bedeutet, dass mehr Kunden in der gleichen Zeit bedient werden können.
Zudem sind die Transaktionsgebühren niedrig, die Personalkosten geringer und die Geldübermittlung sicher. Setzen die Händler ausschließlich auf Mobile Payment entfällt die Aufbewahrung von Bargeld, das Wechseln, das Zählen, das Transportieren und Lagern. Auch die Lesegeräte für Handys sind weniger störanfällig als traditionelle Kassen, denn es treten keine mechanischen Abnutzungseffekte auf. Vergessen wird außerdem oft, dass Mobile Payment-Dienste kaufentscheidende Zusatznutzen bieten können: Über gewisse Applikationen können Kaufempfehlungen, Coupons oder Cashback-Aktionen den Gang zum Händler entscheidend anstoßen.
Großes Interesse der Kunden an Mobile Payment
Doch haben die Kunden überhaupt Lust, mit dem Handy zu zahlen? Neun von zehn Deutschen über 14 Jahre besitzen dem Branchenverband Bitkom zufolge ein Handy und Meinungsumfragen belegen immer wieder, dass an Mobile Payment durchaus großes Interesse besteht. Eine kürzlich in Auftrag gegebene Online-Studie zum Thema "Mobile Payment" bestätigte die Ergebnisse vorangegangener Befragungen: Nur ein Drittel der Teilnehmer zeigt sich "nicht interessiert". Dennoch bezahlen aktuell erst rund 15 Prozent der Deutschen mit ihrem Smartphone. Zum Vergleich: In Entwicklungsländern nutzt etwa jeder Dritte Mobile Payment; in China sogar jeder Zweite. Doch nicht nur in Asien oder Afrika sind die Nutzerzahlen deutlich höher als in Deutschland. Auch ein Blick in unsere Nachbarländer wie die Schweiz oder Österreich zeigt den enormen Nachholbedarf, der hierzulande beim Bezahlen mit dem Handy herrscht.
Dieser Vorwurf gilt jedoch nicht den deutschen Kunden, denn das grundsätzliche Interesse an der Bezahltechnologie wird von den derzeitig ungünstigen Rahmenbedingungen ausgebremst. Wenn ohnehin nur ein Bruchteil der Geschäfte Mobile Payment anbietet und der kleine Rest jeweils auf unterschiedliche Systeme und Anbieter setzt, ist der Anreiz für die Kunden einfach zu gering, die vertrauten Zahlgewohnheiten abzulegen und auf Handyzahlungen umzusteigen. Die Kunden schätzen und nutzen den Service der kontaktlosen Bezahlung, wenn er ihnen angeboten wird. Das beweist der Blick ins Ausland. Doch erst wenn es mehr Möglichkeiten gibt, um mit dem Smartphone zu zahlen, wird sich die Technologie auf Kundenseite auch in Deutschland durchsetzen.
Bislang wird Mobile Payment von den Deutschen nur als nettes Extraangebot gesehen. Wer Online-Banking nutzt oder bereits eine EC- oder Kreditkarte besitzt, scheint durch das Zahlen mit dem Handy aktuell keinen großen Vorteil zu haben. Nur eine All-in-One-Lösung, die überall und jederzeit funktioniert, wird dies ändern. Daher sind primär die Anbieter in der Pflicht, allgemeingültige Standards und eine echte Cross-Channel-Payment-Lösung für alle Kanäle zu entwickeln. Doch auch der Handel muss sich öffnen und konsequent auf Mobile Payment setzen. Wer nicht rechtzeitig auf technologische Entwicklungen wie diese reagiert, wird Wettbewerbsnachteile haben. Es muss darum gehen, nicht den Anschluss im internationalen Vergleich zu verlieren und den Kunden im stationären Handel ein stimmiges Gesamtkonzept inklusive Web-Verzahnung und mobilen Zahlungslösungen anzubieten.