Um diese Situation war Hilti nicht zu beneiden: Die Patente für die namhaften exklusiven Bohrmaschinen des Liechtensteiner Unternehmens liefen nach und nach ab. Mehr oder weniger gute Nachahmer stürmten auf den Markt. Plötzlich reifte die Erkenntnis, dass das Produkt allein nicht mehr länger Marktanteile sichern konnte. Also konzipierten die Bauspezialisten spezielle Dienstleistungen für ihre Geräte und Lösungen - rund um die Befestigungslösungen. So lieferten sie etwa einem Kunden, dessen Gerät einen Defekt hatte, innerhalb kürzester Zeit eine neue "Hilti". Und sie waren damit relativ schnell für neue Anforderungen auf dem Markt gewappnet. CIO Martin Petry stützt die Strategie, indem er global standardisierte Prozesse aufsetzt, mit denen die 100.000 täglichen Kundenkontakte weltweit problemlos zu bewältigen sind - und die Services nicht bloß als Werbespruch in den Köpfen bleiben.
Ständige Selbsterneuerung nötig
Für Rudolf Wimmer, Experte für Transformation an der Universität Witten-Herdecke, ist die "rasche Veränderbarkeit zu einer Existenzfrage für das Unternehmen geworden". Eine lernende Organisation, so seine Erkenntnis, müsse die Fähigkeit zur ständigen Selbsterneuerung ins Zentrum der Veränderungsbemühungen stellen.
Das ist leichter gesagt als getan. Zumal sich die Prioritäten in den Unternehmen in den wirtschaftlich mageren Jahren auf die alles dominierende "Management Direktive Cost Cutting" reduziert haben. "Mit solchen Maßnahmen werden vornehmlich kurzfristige Produktivitätsgewinne erreicht", sagt Wimmer, der eine ingenieurmäßige Herangehensweise in Transformationsprozessen anprangert. "Das Management erarbeitet eine perfekte Soll-Vorstellung, die dann nach Plan umgesetzt werden muss", kritisiert er. Das Problem: Eine gewisse Eigendynamik der Organisation wird von vornherein ausgeschlossen. "Die Organisation verhält sich aber nicht vorhersehbar", so Wimmer.
Bestes Beispiel dafür ist die gescheiterte Fusion des Autokonzerns Daimler-Chrysler, der damals bereits nach neun Monaten den erfolgreichen Abschluss des Mergers verkündete. "Da wurden die ersten Kontrakte gerade erst geschlossen", schaut Wimmer zurück, der bei den Stuttgartern gerade dieses ingenieurmäßige Denken ausmacht. Bei derartig einschneidenden Veränderungen müsse der Prozess jedoch für mindestens ein bis zwei Jahre begleitet werden, fordert er.
Studien über Veränderungsprozesse in den Unternehmen belegen: An "unrealistischen Planungen und Erwartungen" scheitern Change-Projekte am häufigsten, so beispielsweise das Ergebnis einer aktuellen Umfrage der IBM-Unternehmensberatung, die zusammen mit dem Zentrum für Evaluation und Methoden (ZEM) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn durchgeführt wurde. An erster Stelle der Top-10-Ursachen für misslungene Transformationsprojekte steht bei einer Analyse der Uni St. Gallen der "Widerstand gegen den Wandel" (siehe Grafik). Auf Rang zwei beider Untersuchungen folgt die oft mangelhafte Unterstützung durch das Top-Management.
Und nicht nur das: "Nehmen sich Führungskräfte aus dem Veränderungsprozess heraus, bleiben die angestrebten Erfolge letztlich aus", konstatiert Wimmer von der Universität Witten-Herdecke. Eine stabile und intakte Führungskonstellation, in der der Vorstand zusammen mit dem Top-Management einen "gemeinsamen Energiefokus" haben, gehöre zu den entscheidenden Erfolgfaktoren für gelungene Veränderungsprozesse. Daraus resultiere ein "Spannungsbogen für Veränderungsenergie", der gerade durch Kooperation und Kommunikation von Schlüssel-Spielern aus der Mitte und der Basis entstehe - "durch Fachleute, Führungskräfte, informelle Meinungsbildner".
IT-Vorstand als Treiber
Bei Vattenfall Europe gehörte der damalige IT-Vorstand Hans-Jürgen Cramer zu den Treibern und Gestaltern des Wandels. Und doch ließen sich kulturelle Unvereinbarkeiten der Fusionspartner nicht vermeiden. 2002 und 2003 verschmolzen die regionalen Energieunternehmen Laubag, Bewag, Veag und HEW zum Berliner Energiekonzern Vattenfall Europe. 2003 erklärte das Management die Integration für abgeschlossen. Im Zuge der Fusion wurden auch die vier regionalen IT-Dienstleister in einer IT-Gesellschaft zusammengefasst - Vattenfall Europe Information Systems (VEIS).
Das Konzept, für das der VEIS-Geschäftsführer Stefan Keese nach eigenen Angaben "viel Freiheiten" bekam, ließ sich in der erwarteten Geschwindigkeit umsetzen. Damit war Keese absolut zufrieden. Trotzdem wurde noch zwei Jahre später "viel Wasser getrunken", wie der IT-Manager die Situation beschreibt. Obwohl Vattenfall Europe die Berater von Booz Allen Hamilton ins Unternehmen holte, die die Transformation mit Workshops moderierend begleiteten, war es schwierig, die verschiedenen deutschen Kulturen - Hamburger, West-Berliner, Ost-Berliner und Lausitzer - zusammenzubringen. "Einzelne Begriffe wurden ganz anders ausgelegt", beschreibt Keese die Situation. Er musste feststellen, dass Formulierungen wie "Übergang in die Produktion" oder "System Ready" nicht in allen Teams die gleiche Bedeutung hatten. Keese hat daraus seine Lektion gelernt. Er will für die bevorstehende internationale Konsolidierung der IT-Infrastruktur drei Punkte besonders beachten:
(1) sich ausreichend Zeit für Prozesse nehmen,
(2) intensiv kommunizieren und Mitarbeiter einbinden und
(3) Key Player als "primi inter pares" aus einzelnen Abteilungen ins Boot holen.
Unterschätzte Komplexität
Allerdings bleibt Keese Realist. Er geht davon aus, dass Mitarbeiter, die die Umstrukturierungen nicht verstehen, dennoch wieder unzufrieden sein werden und dagegen Sturm laufen. Die Fusion, so ein Fazit aus der Zusammenführung von vier ehemals eigenständigen Unternehmen, hat gezeigt, dass Ängste und Unsicherheiten Veränderungen niemals zu einem Vergnügen werden lassen. "Man kann aber helfen, dass die Mitarbeiter die Einschnitte besser verstehen", so Keese.
Witten-Herdecke-Professor Wimmer hat seine Zweifel in dem Text „Wider den Veränderungsoptimismus" schon 1999 niedergeschrieben. Sein Schluss damals und heute sogar verschärft: Die hohe Komplexität, die mit jeder Transformation unweigerlich verknüpft ist, wird in den allermeisten Fällen weit unterschätzt. "Das Veränderungstempo hat sich weiter erhöht", so Wimmer, "es gibt immer mehr einschneidende Veränderungen in den Unternehmen." Als Ursachen nennt Wimmer Fusionen, Internationalisierung von Unternehmen, In- und Outsourcing von Dienstleistungen sowie neue IT-Architekturen etwa durch Zentralisierung der IT.
Das Konzept der IT, der Komplexität entgegenzuwirken, heißt "Kommodisierung": keine Extravaganzen und Individuallösungen mehr, sondern hochstandardisierte und möglichst universelle IT auf Knopfdruck. So betreut etwa der CIO des Spezialmaschinenbauers GEA AG Rolf Parschau seine IT-Infrastruktur seit kurzem zentral. Zudem hat Parschau sie "rigoros standardisiert". Für den Chef von weltweit 300 IT-Mitarbeitern bringt diese Vereinfachung Vorteile in puncto Kommodisierung der IT, wie Parschau die letzte Stufe der Standardisierung nennt. Konkret will der IT-Chef im nächsten Investitionszyklus prüfen, ob es sich für GEA lohnt, Rechenleistung je nach Bedarf einzukaufen.
Emirates - die IT aus dem Nichts
Auch der CIO der Fluggesellschaft Emirates Airlines, Patrick Naef, hat "Standardisieren, Zentralisieren und
Integrieren" als neues Rezept ausgegeben, nachdem er zum IT-Chef des Flugkonzerns aus Dubai ernannt wurde. Drei Worte, die schon aus finanziellen Gründen weniger zum Vokabular des Firmenbesitzers Scheich Ahmed bin Saeed Al Maktoum zählten. Naef jedoch setzt mit seinem Konzept darauf, dass neue Geschäftsmodelle schnell zum Laufen gebracht werden. Die Situation, die er zu Beginn seiner Arbeit vorfand, war gekennzeichnet durch wenig Governance und Strategie sowie einer IT, die vor allem als Dienstleister fungierte. Dies stellte den CIO nicht zufrieden. Heute setzt Naef beispielsweise eine zentrale Informationsplattform für "Flight Attendants" ein, was ohne Zusammenführung der Systeme nicht möglich gewesen wäre.
"Der CIO befindet sich in einer heiklen Position", sagt Walter Brenner, Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen. "Er muss IT als Commodity verstehen und gleichzeitig Neues ins Geschäft bringen. Seine Leistung ist, diesen Transfer hinzubekommen." Dabei plädiert Brenner keineswegs für zügellose Innovation: "Es muss ein Gleichgewicht zwischen Veränderung und Stabilität geben", sagt Brenner und erklärt dies am Beispiel Singapur. "Im Wirtschaftsboom wurden dort die alten Gebäude abgerissen und durch moderne, neue ersetzt. Heute baut man diese chinesischen Stadtteile naturgetreu wieder auf", sagt Brenner. Sein Rat: Nur jeder zehnte bis zwanzigste Mitarbeiter sollte im Unternehmen neue Ideen kreieren. Weitere 20 Prozent sollten dann diese Neuheiten mit möglichst geringem Risiko in Projekten umsetzen.
Allerdings hat der Wirtschaftseinbruch um die Jahrhundertwende den Spielraum für Innovationen eingeengt. Inzwischen suchen Unternehmen wieder händeringend nach IT-Managern, die Trends in Impulse für das Unternehmen verwandeln können und letztlich auch neue Geschäftsmodelle nach dem Hilti-Vorbild realisieren. "Diese Leute sind in den Unternehmen heute nicht mehr zu finden", so Brenner, "und man sucht sie auf dem Arbeitsmarkt verzweifelt."
Gerade im wirtschaftlichen Aufbruch mit guten Jahresbilanzen und einem DAX, der als Geschäftsindikator der Top-30-Unternehmen zeitweise wieder über 8000 Punkte geklettert ist, haben die Unternehmen theoretisch wieder Spielraum für Innovationen. Allerdings: ohne Veränderer keine Innovation. Um das zu ändern, eröffnete ein großer deutscher Logistikkonzern vor wenigen Monaten ein Innovationszentrum an der Uni St. Gallen und läutet damit die Wende ein: Er will weg vom Cost Cutting und hin zu Neuem - zu schrittweisen Veränderungen im Gesamtkonzern.
"Etwa drei bis fünf Jahre dauern die Arbeiten an einer Idee, bis daraus ein marktfähiges Produkt entsteht", sagt Brenner. So entwickelten deutsche Unternehmen zusammen mit der Uni Stanford in Palo Alto und Universitäten wie der TU München und der Uni St. Gallen in globalen Lehrveranstaltungen Trainingssysteme für Fahrer, VW neuartige Displays, und SAP sowie die Bahn arbeiten an Arbeitsplätzen für Knowledge Worker.
Kein Anhänger der Langsamkeit ist Michael Pesch, Chef des IT-Dienstleisters und Profit-Centers der Bertelsmann-Gruppe Arvato Systems. Der Mann aus der Medienbranche fordert die "serielle Innovation - so lange, bis sich Erfolg einstellt". Das bedeutet für ihn: eine Innovation pro Monat. Geschüttelt von der Umwälzung des Marktes, ausgelöst auch durch Erfolge von Google, Youtube und Wikipedia, steigt der Druck für Veränderung. Daher fordert der CEO mehr Fehlertoleranz: "Nur wer auch mal scheitern darf, kann kontinuierlich neue Ideen entwickeln". Und mit dem Tempo des Marktes Schritt halten. Inzwischen kann er Erfolge aufweisen. Als Beispiel für ein innovatives Neugeschäft nennt Pesch die Download-Plattform für das neue Betriebssystem von Microsoft-Windows-Vista. Der Online-Verkauf und das Lizenz-Management sind Sache der Gütersloher, und Pesch ist stolz auf zweistellige Renditen der Bertelsmann-Tochter.
Innovationen ohne Brimborium
Außerhalb der "hippen" Medienbranche gibt es Innovationen, die nicht mit großem Brimborium daherkommen. Wie Audi-CIO Klaus Straub beweist, der für seine Finanz- und Beschaffungsprozesse nur noch einen Mandanten im Einsatz hat: "Und das ist einmalig in der Autoindustrie." Die Technikbasis für Geschäftsmodellinnovationen beim Baukonzern Hilti besteht ab Ende 2008 nur noch aus einem SAP-Standard-Client. Auf den ersten Blick ein unspektakulärer Ansatz, der jedoch das Überleben sichern kann - und mit dessen Hilfe sich neue Geschäftsideen weitaus leichter umsetzen lassen als zuvor.