Bosch-Geschäftsführer Kübel

"Wer zehn Stunden im Büro ist, muss nicht der Leistungsstärkere sein"

07.06.2016 von Alexandra Mesmer
Wenn statt der Anwesenheit das Ergebnis zählt, müssen sich Manager umstellen. Ein Gespräch mit Christoph Kübel, Geschäftsführer und Arbeitsdirektor von Bosch, über neues Führen, flexibleres Arbeiten und warum gerade IT-Mitarbeiter viel Freiraum brauchen.

Bosch will in Deutschland 2100 Akademiker einstellen. Jede zweite der Stellen hat einen Bezug zu IT. Warum ist IT so zentral für Sie?

Christoph Kübel ist Geschäftsführer und Arbeitsdirektor bei Bosch.
Foto: Robert Bosch GmbH

Christoph Kübel: Als Anbieter von Lösungen für vernetz­tes Leben spielt das Internet der Dinge bei uns eine wesentliche Rolle. Jedes elektronische ­Erzeugnis von Bosch soll internetfähig sein. Deshalb suchen wir viele Spezialisten, die im IT- und Softwareumfeld zuhause und sich auch in Elektrotechnik oder im Maschinenbau wohl fühlen - also Soft- und Hardware lieben. Wir brauchen interessierte und ideenreiche Mitarbeiter, um kreative Lösungen zu entwickeln.

Was bringt Mitarbeiter auf neue Ideen?

Christoph Kübel: Kreativität und neue Ideen entstehen in einer stimulierenden Arbeitskultur, die bei uns verschiedene Bestandteile hat. Als erstes und wichtigstes haben wir Werte definiert, die die Basis für unser Handeln sind. Auf deren Basis entwickeln wir unsere Führungskultur weiter. Starre Präsenzzeiten, fehlende Vielfalt oder Silodenken sind Innovationskiller. Darum setzen wir zum Zweiten statt auf eine Präsenzkultur auf mehr Ergebnisorientierung. Diese wird mit vielen unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen umgesetzt und stellt die Verantwortung des Mitarbeiters in den Vordergrund.

Dazu gehört drittens eine Diversity-Strategie in allen Dimensionen, das heißt Männer und Frauen, unterschiedliche Generationen, Arbeitskulturen und Nationalitäten. Wir legen viertens großen Wert auf die Vernetzung der Mitarbeiter untereinander, vor allem in Forschung und Entwicklung. Schließlich arbeiten wir in einer agilen Arbeitsorganisation und haben viele Projektteams und Start-ups, die autonom agieren können.

Welche der Bestandteile ihrer Arbeitskultur lässt sich am schwierigsten umsetzen?

Christoph Kübel: Eine Arbeitskultur ständig weiter zu entwickeln, ist insgesamt anspruchsvoll. Ein Beispiel ist das Thema Führung. Vernetzte Lösungen erfordern eine zunehmend engere Zusammenarbeit, auch über Organisationsgrenzen und Fachdisziplinen hinweg, starre Hierarchien lösen sich auf. Welche Rolle hat künftig die Führungskraft? Wir beschäftigen uns damit, wie sich durch viele, flexible Arbeitszeitmodelle die Führung der Mitarbeiter verändert.

IT- und Software-Spezialisten wünschen sich deutlich mehr Flexibilität, sie wollen nicht von neun bis fünf arbeiten, sondern gegebenenfalls nur abends oder nur morgens. Hier bieten wir schon maximalen Freiraum, auch wenn uns dran gelegen ist, dass die Teams regelmäßig zusammenkommen. Gleichzeitig bringt jede Generation an Absolventen neue Bedürfnisse mit.

Was bedeutet maximaler Freiraum für IT-Mitarbeiter?

Christoph Kübel: Wir bekennen uns zu einer flexiblen und familienbewussten Arbeitskultur, in der mobiles Arbeiten einen hohen Stellenwert hat. Das liegt auch bei IT-Spezialisten hoch im Kurs. Die meisten Mitarbeiter in Deutschland können Arbeitsort und -zeit selbst festlegen, sofern es ihre Aufgabe zulässt - egal ob zu Hause, im Zug oder Café. Es steht die Ergebnisorientierung im Mittelpunkt, so dass es keine Rolle spielt, von welchem Ort aus die Mitarbeiter arbeiten.

Mobiles Arbeiten

Es hat sich so eingespielt, dass viele Mitarbeiter im Schnitt rund einen Tag von zuhause aus arbeiten. Dass doch die meiste Zeit in Büros gearbeitet wird, kann an der attraktiven Büroumgebung liegen, aber auch daran, dass die persönliche Kommunikation eine zentrale Rolle spielt. Mobiles Arbeiten geht für deutlich mehr Bereiche, als man auf den ersten Blick annimmt. Auch in der Fertigung gibt es schon erste Ansätze.

Mobiles Arbeiten hat bei Bosch einen hohen Stellenwert.
Foto: Robert Bosch GmbH

Wie gehen die Führungskräfte mit der veränderten Arbeitskultur um?

Christoph Kübel: Auch für die Führungskräfte war es eine längere Reise. Ich selbst bin seit 30 Jahren Führungskraft und in einer Präsenzkultur groß geworden: Man kam morgens möglichst früh ins Büro und verließ es erst wieder möglichst spät. Heute sind wir der Überzeugung, dass Anwesenheit und Ergebnisse nicht direkt etwas miteinander gemein haben. Wer zehn Stunden im Büro ist, muss nicht besser sein als sein Kollege, der in sieben Stunden extrem effizient arbeitet. Das heißt nur, dass er vielleicht ausdauernder, aber nicht zwingend der Leistungsstärkere ist.

Gehen flexibles Arbeiten und Führung im klassischen Sinn zusammen?

Christoph Kübel: Mittlerweile schon. Anfangs war es für viele Vorgesetzte und auch für mich ein Lernfeld: Ich sehe meine Mitarbeiter nicht, wie soll ich sie steuern? Wir haben bereits früh verschiedene Programme für Führungskräfte initiiert, um flexibles Arbeiten selbst auszuprobieren. So haben wir 2011 ein Pilotprogramm für Führungskräfte gestartet, die mindestens einen halben Tag pro Woche nicht an ihrem Arbeitsplatz verbrachten. Viele haben das Modell im Anschluss beibehalten und standen den Wünschen der Mitarbeiter nach Home Office offen gegenüber. Führungskräfte konnten als Vorbilder so helfen, Vorbehalte abzubauen. Anfangs starteten wir mit 200 Führungskräften, heute ist das Arbeitsmodell in der Breite etabliert.

Christoph Kübel, Geschäftsführer von Bosch, über die Veränderungen in der digitalisierten Arbeitswelt.
Christoph Kübel, Geschäftsführer und Arbeitsdirektor der Robert Bosch GmbH
Der studierte Betriebswirt begann als Trainee bei der Robert Bosch GmbH und ist bis zum Personalgeschäftsführer aufgestiegen. Seit vier Jahren ist Kübel als Arbeitsdirektor für 375 000 Mitarbeiter verantwortlich. Der Konzern will in diesem Jahr weltweit rund 14.000 Hochschulabsolventen einstellen, davon 2100 in Deutschland. Fast jede zweite offene Position hat einen Bezug zu IT oder Software. Vor allem steige der Bedarf an Softwareentwicklern für IT-Systeme (etwa Web-Applikationen) oder für Embedded Systems (etwa Sensorsysteme).
Vernetzte Lösungen als Jobmotor
Für gute Arbeitsbedingungen baut Bosch seine weltweit 240 000 Bildschirmarbeitsplätze mit moderner Bürosoftware aus. Ziel ist es, mobiles Arbeiten auch mit aus dem privaten Umfeld vertrauten Social-Media-Anwendungen weiter zu erleichtern.
Bosch-Forschung
Dr. Lutz Bürkle sorgt mit seiner Forschungsarbeit in Renningen für mehr Sicherheit von Fußgängern. Lässt sich ein Zusammenstoß mit einem plötzlich auftauchenden Passanten allein durch Bremsen nicht mehr verhindern, berechnet der von Bürkles Team erdachte Assistent blitzschnell eine Ausweichroute.
Bosch-Forschungscampus Renningen
Viel Raum für spontane Treffen bietet der Bosch-Forschungscampus in Renningen. Dort können sich Mitarbeiter abseits der Schreibtische austauschen.
Unter dem Namen "Inspiring Working Conditions" ...
... entwickelt Bosch Konzepte für die Arbeitswelt der Zukunft. In Feldtests erprobt Bosch neue Arbeitsmodelle, Arbeitsplatzausstattungen und beschäftigt sich mit neuen Anforderungen in Sachen Führung und Zusammenarbeit. Eine zentrale Rolle für das Arbeitsklima spielt auch die Bürogestaltung. Sie soll Rückzugsmöglichkeiten bieten, aber auch den Austausch und die Zusammenarbeit fördern. Mobiles Arbeiten erleichtert es, dass die Mitarbeiter für sich den richtigen Arbeitsort wählen. Dabei gibt es viele Möglichkeiten – etwa im Büro an Stehtischen oder in Lounge-Zonen, genauso wie am Schreibtisch Zuhause.
Bosch Gesundheitsmanagement
Christoph Kübel (erste Reihe, 2.v.l.) ist begeisterter Hobby-Läufer und joggt in der Mittagspause gern auch mit sportinteressierten Mitarbeitern am Konzernsitz Gerlingen-Schillerhöhe. Flexible Arbeitszeitmodelle schaffen bei Bosch entsprechenden Freiraum, den viele Mitarbeiter nutzen. Im Rahmen des Bosch Gesundheitsmanagements bietet das Unternehmen für seine Beschäftigten bundesweit Fitnessangebote zum Erhalt der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit.

Welche Veränderungen zieht die digitalisierte Arbeitswelt bei Ihnen nach sich?

Christoph Kübel: Digitalisierung ist für uns nicht neu, wir gestalten sie vielmehr aktiv mit - etwa mit der Vernetzung von Produkten und Lösungen über das Internet der Dinge. Das erfordert immer mehr Zusammenarbeit über Fachdisziplinen und Geschäftsbereiche hinweg. Dazu fördern wir bereichsübergreifende, hierarchiefreie Teamarbeit. Das verändert Führung. Heute muss ein Vorgesetzter eher ein Leader sein, der seinen Mitarbeiter mehr selbst bestimmen lässt und weniger kontrolliert. Oft gilt es auch, etwas auszuprobieren statt nur zu planen. Andererseits erfordert mehr Selbstbestimmung auch mehr Eigenverantwortung, stärkere Entscheidungsfähigkeit und Selbstorganisation der Mitarbeiter.

Wie fördern Sie die bereichsübergreifende Zusammenarbeit?

Christoph Kübel: Zum einen durch unsere Social-Business-Plattform Bosch Connect, über die sich mehr als 180.000 Mitarbeiter hierarchiefrei austauschen. Zum anderen investieren wir in moderne Bürosoftware mit Werkzeugen für Videotelefonie und Online-Chats. Zudem haben wir bei den Führungskräften die erfolgsabhängige Vergütung von der individuellen Zielerreichung entkoppelt. Die Erfolgsbeteiligung orientiert sich künftig nur noch am Ergeb­nis des Geschäftsbereichs und des gesamten Unternehmens. So stärken wir die übergreifende Zusammenarbeit in einer vernetzten Welt. Damit tragen wir auch einer immer volatileren Welt Rechnung: Wir können Ziele auch während des Jahres ändern, ohne dass es sich auf die Incentivierung auswirkt.

Attraktiver Arbeitgeber

Was macht einen Arbeitgeber attraktiv?

Christoph Kübel: Arbeitgeber sind für IT- und Software-Spezialisten attraktiv, wenn sie ihnen Freiraum und Selbstständigkeit ermöglichen. Genauso wichtig sind sinnstiftende Aufgaben. Mit unseren Erzeugnissen tragen wir dazu bei, Umweltressourcen zu schonen und die Lebensqualität des Menschen zu verbessern.

Die Geschichte von Bosch - Von der Zündkerze ins Internet der Dinge
Der Gründer
Die Anfänge von Bosch sind stark vom Firmengründer Robert Bosch geprägt: "Immer habe ich nach dem Grundsatz gehandelt: Lieber Geld verlieren als Vertrauen. Die Unantastbarkeit meiner Versprechungen, der Glaube an den Wert meiner Ware und an mein Wort standen mir stets höher als ein vorübergehender Gewinn." Er führt die 8-Stunden-Woche ein, ist aber auch für Sparsamkeit berüchtigt: "Der Vadder kommt, löschet die onötige Lichter aus!" warnen sich die Mitarbeiter, wenn der Firmengründer einen Kontrollgang macht.
Mit einem Magnetzünder fängt alles an
Der erste Niederspannung-Magnetzünder wird von Bosch 1887 für einen stationären Benzinmotor gebaut. Für ein Kraftfahrzeug sind diese Zünder noch viel zu groß.
Die Diversifikation beginnt
Die Weltwirtschaftskrise ist ein Anlass für die Diversifikation: 1926 kommen auch Scheinwerfer zum Produktportfolio, ein Jahr später Diesel-Einspritzpumpen, Gasgeräte von Junkers und die erste Bohrmaschine.
Der Durchbruch in den 30ern: Zündkerze...
Die Zündkerze - hier ein berühmtes Werbeplakat von 1930 - bringt Bosch den Durchbruch und macht das Unternehmen zum international agierenden Großkonzern. Bis zum ersten Weltkrieg hat Bosch kaum Konkurrenten.
... und Kühlschrank
Der erste Bosch-Kühlschrank ist kreisrund: Die Trommelform hat im Erscheinungsjahr 1933 Kostengründe, setzt sich aber nicht durch.
Die Waschmaschine
Ab 1958 hat Bosch seine erste Waschmaschine im Programm, die das Unternehmen bald zum ersten Waschvollautomaten weiter entwickelt.
ABS
Ein Patent auf ein Antiblockiersystem hatte Bosch schon 1936 eingereicht, erst 1978 ist es aber marktreif und wird in die ersten Autos eingebaut. 1995 kommt ESP auf den Markt, das nicht zuletzt dank dem berühmten "Elchtest" erfolgreich ist.
#Fail
Nobody is perfect: Eine der größten Rückrufaktionen betrifft die Hausgeräte von Bosch: Wegen Brandgefahr muss das Unternehmen 5 Millionen Geschirrspülmaschinen zurückrufen, die zwischen 1999 und 2005 hergestellt wurden.
Das vernetzte Heim
Auch bei seinen Haushaltsgeräten setzt Bosch stark auf Vernetzung und Sensortechnik: Die Backöfen und Geschirrspüler der neuen Serie 8 sind per WLAN verbunden und per iOS-App steuerbar. Per App kann man einen Backvorgang starten oder erhält per Push-Nachricht Infos über den Füllstand des Geschirrspülers. Ein Kühlschrank mit integrierter Kamera soll bald erscheinen.
Ab ins Auto
Von Bosch stammt auch das neue Kombiinstrument des neuen Hybridsportwagens i8 von BMW. Verschiedene Modi stehen zur Wahl, der Modus "Eco Pro" zeigt Übergänge zwischen E- und Benzin-Betrieb besonders detailliert an. Der Raum zwischen den Hauptinstrumenten wird flexibel für Navigations-, Radio- und Telefoninformationen genutzt.
Parklückenvermessung
Zu den vielen Fahrassistenzsystemen von Bosch gehört unter anderem die Parklückenvermessung. Ein Sensorsystem im Citroen C4 Picasso teilt dem Fahrer mit, ob eine Parklücke groß genug für sein Auto ist.
Es geht ins IoT
Bei dem IoT-Projekt "Track and Trace", auch "Vernetzte Werkzeuge in der Fertigung" genannt, testet Bosch vernetzte Industriewerkzeuge. Dank Ortung ist dann beispielsweise der Standort eines Werkzeuges immer bekannt.
Neue Kooperationen
Bosch SI arbeitet unter anderem mit MongoDB eng zusammen. Zu den Kooperationspartnern gehören Tech Mahindra und Cisco.
Übernahme von Prosyst
Die deutsche Bosch hat nie vor Firmenübernahmen zurückgescheut, Mitte Februar 2015 übernimmt Bosch die IoT-Softwarefirma ProSyst. Das auf Gateway-Software und Middleware spezialisierte Unternehmen setzt auf die OSGi-Technologie und beschäftigt rund hundert Mitarbeiter in Deutschland, Sofia und Bulgarien. Kunden sind unter andere BMW, Schneider, EnBW und viele mehr. Ergänzen soll die Software von Pro-syst die so genannte "Bosch IoT Suite", eine Eigenentwicklung der Bosch-Tochter Software Innovations.
Bosch Rexroth
Open Core Engineering von Bosch Rexroth soll eine Brücke zwischen Automatisierung von Maschinen und der IT-Welt schlagen. Ein direkter Zugriff auf den Steuerungskern ist dabei möglich.
2010: Neues Werk in Reutlingen
In der 2010 eingeweihten WaferFab in Reutlingen baut Bosch ASICs, analoge ICS, Hochleistungsbauelemente und MEMS. Fabless Production ist zwar in Mode, Bosch hat aber andere Kunden als Nvidia und Co.
Embedded-Entwicklung
Etas ist ein Embedded-Entwickler mit 700 Mitarbeitern und 135 Millionen Euro Umsatz (2008), der zu hundert Prozent der Muttergesellschaft Bosch gehört.