Als Service-Organisation möchte auch das NGO Save the Children sicherstellen, dass seine Programme wirksam sind. Die Informationen, die die britische Nichtregierungsorganisation benötigt, um das zu ermitteln, unterschieden sich dabei grundlegend von den Daten, die üblicherweise mit Reporting-Software erfasst würden, erklärt Sarah Angel-Johnson, CIO und Vice President of Business and Technology Solutions.
Traditionelle Metriken, etwa für den Projekt-Output, hätten laut der Managerin weder für die Mitarbeiter der Organisation, noch für die Kinder, die diese unterstützt, optimal funktioniert. Deshalb hat sich das IT-Team unter der Führung von Angel-Johnson ein neues Mindset gegeben, das sich auf die Grundsätze des Human-Centered Design stützt. Dazu erstellen die ITler Personas - darunter auch eine, die Kinder repräsentiert - um die Dinge aus deren Perspektive zu betrachten und so alle Bedürfnisse zu ermitteln.
"Das hat die Art und Weise, wie wir an Technologie und Daten herangehen, revolutioniert", konstatiert die IT-Chefin, die sich auch selbst als Praktikerin in Sachen menschenzentriertes Design bezeichnet. "Wir haben schon kurz nach meinem Eintritt im Jahr 2020 damit begonnen, diese Disziplin innerhalb unseres Technologieteams zu kultivieren. Auch weil ich der Meinung bin, dass die traditionelle IT in Bezug auf das, was sie liefert, oft das Ziel verfehlt. Bezüglich Technologie steht zu oft das 'Wie' im Vordergrund - das 'Wer' wird dabei übersehen. Das führt dazu, dass Technologien eingeführt werden, die am Ende keiner nutzt."
Human-Centered Design im Kommen
Angel-Johnson beschreibt Human-Centered Design als einen Ansatz, der den Menschen in den Mittelpunkt der Arbeit stellt: "Es geht darum, sich in die Menschen einzufühlen." Dabei weist die CIO darauf hin, dass es sich beim menschenzentrierten Design auch um eine Disziplin handle, die spezifische Skills und Techniken in den Produkt- oder Serviceentwicklungsprozess einbringe. "Wenn Technologieteams den Menschen, seine Bedürfnisse und seinen Lebensweg wirklich verstehen, können sie bessere und langlebigere Produkte und Dienstleistungen entwickeln", so die IT-Verantwortliche. "Unsere Ergebnisse sind näher an dem, was wirklich benötigt wird, und gleichzeitig verzeichnen wir höhere Renditen, weil der menschenzentrierte Ansatz auch dazu beiträgt, schneller und zu geringeren Kosten zu entwickeln."
Um dahin zu kommen, etablierte die IT-Managerin einen Human-Centered-Designansatz als Teil ihrer allgemeinen Transformationsagenda beziehungsweise ihrer Digital- und Datenstrategie. Sie bildete Teams, in denen Human-Centric-Profis mit Produktmanagern und Softwareexperten zusammenarbeiten und agile Prinzipien anwenden, um Ideen zu verwirklichen. Eine Arbeitsgruppe habe beispielsweise vor kurzem ein kinderzentriertes Tool entwickelt, das auf Salesforce aufsetzt und Daten sammelt und konsolidiert. Das Ziel sei dabei gewesen, herauszufinden, ob alle Projekte, die ein einzelnes Kind unterstützen, auch dazu beitragen, dessen Bedürfnisse zu befriedigen. Das gibt im Fall von Save the Children nicht nur Auskunft über den Projekt-Output, sondern auch über das Ergebnis beziehungsweise den Impact insgesamt.
Für diejenigen, die mit diesem Konzept nicht vertraut sind, mag menschenzentriertes Design Ähnlichkeiten zu User-Experience- oder Interface-Konzepten aufweisen. Doch der Ansatz geht darüber hinaus: Er rückt den Menschen in den Mittelpunkt des gesamten Prozesses - nicht nur wenn es um Benutzerschnittstellen oder User Experience geht. "Das stellt eine Abkehr von der traditionellen IT-Denkweise dar, die bei der Technologie ansetzt", erklärt Lane Severson, Senior Director bei Gartner.
Menschenzentriertes Design beginne mit Personas und Fragen rund um deren Bedürfnisse, Wünsche und Ambitionen sowie auch des Lebenswegs. Das ist nach Ansicht von Praktikern das, was menschen- und benutzerzentriertes Design unterscheidet: Letzteres geht allein vom Produkt aus und fragt, wie die User es verwenden und erleben werden.
Forschungsergebnisse zeigen, dass eine Verlagerung auf Human-Centered Design mit dem Ziel, einen neuen Ausgangspunkt für Innovation und Ideenfindung zu schaffen, zu messbaren Erfolgen führt: So verweist Gartner-Mann Severson auf eine Studie, die Arbeitgebern mit einem solchen Ansatz folgende Vorteile zuschreibt:
eine um bis zu 45 Prozent geringere Burnout-Rate in der Belegschaft,
eine um bis zu 45 Prozent höhere Bleibeabsicht unter den Mitarbeitenden sowie
eine um bis zu acht Prozent gesteigerte Performance.
Trotzdem spielt Human-Centered Design in vielen Unternehmen und Organisationen bislang keine Rolle - wahrscheinlich weil CIOs oft drängendere Probleme zu bewältigen haben.
Menschenzentriertes Design in der Praxis
Katrina Alcorn, General Manager for Design bei IBM, praktiziert seit mehr als zwanzig Jahren Human-Centered Design und sieht den Ansatz nicht als Disziplin, sondern als einen Akt gesunden Menschenverstandes. Sie räumt dabei aber ein, dass Human Centric sich nur langsam durchsetzt. "Oft neigen wir dazu, vor allem bei hochtechnischen Lösungen, mit der Kerntechnologie zu beginnen und dann herauszufinden, wie man die Menschen dazu bringt, sie zu benutzen. Das ist falsch."
Laut Alcorn hat IBM viel in den Bereich Design Thinking investiert und bietet inzwischen auch Schulungen und Zertifizierungen an, die nicht nur Designern, sondern auch Mitarbeitern aus anderen Bereichen dabei unterstützen sollen, ein gemeinsames Verständnis dieses Konzepts und seiner Prinzipien zu vermitteln. Das alleine reiche jedoch nicht aus, so die Expertin: "Wenn Unternehmen mit menschenzentriertem Design erfolgreich sein wollen, müssen sie die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich Designer entfalten können. Daher ist die Einbettung von Human-Centered Design in die Produkt- und Serviceteams von entscheidender Bedeutung. Diese Teams müssen mit Mitarbeitern ausgestattet werden, die mit den Grundsätzen vertraut sind, den Ansatz schätzen und genügend Zeit bekommen. Die Designer sollten bereits in der Phase der Problembeschreibung einbezogen werden."
Joseph Cevetello, seit 2017 CIO der kalifornischen Stadt Santa Monica und schon seit seiner Unizeit Anhänger des menschenzentrierten Designansatzes, ist einer der CIOs, die genau so vorgehen: "Es gibt keinen besseren Weg, um sich den Bedürfnissen der Menschen zu nähern. Ich kann mir zumindest keine bessere Herangehensweise an Innovation vorstellen", konstatiert der IT-Entscheider. Die ersten Schrittr in Sachen menschenzentriertes Design machte sein Team im Rahmen eines Projekts mit der Public-Sector-Initiative Cal Poly Digital Hub. Wie Cevetello berichtet, hat sich das ausgezahlt: "Auch beim nächsten Vorhaben setzte das Team Human-Centered Design erfolgreich ein. Dabei ging es darum, eine mobile App zu entwickeln, mit deren Hilfe die Bürger von Santa Monica einfacher mit den städtischen Behörden in Kontakt treten können."
Für Cevetello steht beim Human-Centered Design in erster Linie Emphatie im Fokus: "Für mich ist Einfühlungsvermögen der Schlüssel zu allem. Das bedeutet, sich intensiv mit den Kunden und deren Herausforderungen oder Problemen auseinanderzusetzen. Das zu vermitteln, war eine meiner ersten Aufgaben, als es darum ging, meinem Team das neue Mindset zu vermitteln. Ich musste Sie dazu bringen, unsere Mitbürger als Kunden zu betrachten - mit Bedürfnissen, Wünschen und Problemen. Das hört sich einfach an, ist aber ein transformatives Unterfangen, wenn man es ernsthaft angeht."
Sathish Muthukrishnan ist Chief Information, Data und Digital Officer beim US-Finanzdienstleister Ally Financial - und ebenfalls ein Verfechter des Human-Centric-Ansatzes. "In meinem Fall lautet die maßgebliche Frage: Welche Kundenbedürfnisse muss Banking erfüllen? Dabei sind wir von der Problemlösung zur Problemdefinition übergegangen und kollaborieren mit Marketing, Vertrieb, unseren internen Engineers und der Finanzabteilung, um herauszufinden, welche Probleme wir wirklich lösen wollen. Das ist etwas völlig anderes, als einfach etwas zu entwickeln, das die Leute dann kaufen sollen."
Um die Kapazitäten für die Human-Centered-Designprozesse zu schaffen, hat der IT-Entscheider ein Innovationslabor eingerichtet. Dessen Mitarbeitende arbeiteten direkt mit den Kunden zusammen, betrieben externe Forschungsarbeit und prüften das Feedback der Kunden, erzählt Muthukrishnan und fügt hinzu: "Die Mitglieder des Technologieteams werden im Rotationsverfahren im Innovationslabor eingesetzt, um ihre Skills in Sachen menschenzentriertes Design zu verbessern."
Der IT-Entscheider erwartet von seinem Team, dass es die Grundsätze von Human-Centered Design bereits ganz zu Beginn von Projekten anwendet: "In dieser Phase lernt man über die Menschen, die man adressiert, taucht in ihr Leben ein und findet heraus, was sie wirklich wollen. Darauf folgt die Ideenfindung und anschließend die Umsetzung des eigentlichen Produkts oder der Dienstleistung."
Laut Muthukrishnan stellt diese Taktik sicher, dass das, was geliefert wird, für die Kunden nützlich und benutzbar ist. "Zudem ermöglicht es, alle potenziellen Lösungen in Betracht zu ziehen, nicht nur eine bevorzugte Technologie - oder überhaupt eine Technologie", erklärt der Manager und führt als Erfolgsbeispiel den KI-Chatbot seines Unternehmens an: "Ally Assist" nehme Kundenanrufe entgegen und leite diese bei Bedarf an menschliche Mitarbeiter weiter.
"Durch unseren Fokus auf die Kunden haben wir erkannt, wann ein Problem auftritt, das eine menschliche Schnittstelle erfordert. Das ist Human-Centered Design", konstatiert Muthukrishnan. (fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.