Wie sieht die digitale Transformation in der Praxis aus und welche Auswirkungen hat sie auf Führungs- und Unternehmenskultur? Um diese Frage kreist der zweite Teil einer groß angelegten Studie der Hochschule St. Gallen (HSG). Deren Institut für Wirtschaftsinformatik hat dabei mit T-Systems Multimedia Solutions und dem Bundesverband Digitale Wirtschaft zusammengearbeitet. Die Ergebnisse sind unter dem Titel "Rollen, Prozesse und Führung in der digitalen Transformation" dokumentiert.
Adidas will raus aus den Silos
Adidas bietet ein Beispiel. Die Sport- und Modebranche mit ihren schnellen Produkt- und Innovationszyklen suggeriert, dass ein solches Unternehmen Vorreiter im agilen und flexiblen Arbeiten ist, schreibt die HSG. Ein an der Studie beteiligter Manager sorgte zunächst für Desillusionierung. Man sei ein Unternehmen mit Tradition, wandte er ein. Weniger poetisch ausgedrückt: "Tatsächlich war Adidas als globales Unternehmen mit mehr als 50.000 Mitarbeitern und aufgrund seiner über 90-jährigen Geschichte stark in Silos orientiert."
Starre Strukturen identifiziert die HSG denn auch als Ausgangslage in vielen Unternehmen. Viele Ideengeber beklagten "Trägheit", schreiben die Studienautoren. Adidas reagierte: der Konzern nahm das Thema "Speed" als zentrale Säule in seine Konzernstrategie auf, wie der Manager berichtet.
Das schlägt sich etwa in Kommunikation und Collaboration des Sportartiklers nieder. Direkt auf der Intranet-Startseite hat Adidas einen Social Communication Kanal platziert, der wie Twitter arbeitet. Man habe nun das Gefühl, die ganze Firma sei näher zusammengerückt, sagt der Manager. Im kommenden Jahr wolle Adidas solche Kanäle über die Unternehmensgrenzen hinaus erweitern - obwohl die erhofften Ergebnisse bisher ausbleiben. Dazu der Adidas-Manager: "Die Art und Weise, wie wir Wissen austauschen, Projekte managen oder wie man seinen Stellenwert als Mitarbeiter kommuniziert, hat sich dadurch nicht verändert. Vielleicht braucht es einfach mehr Zeit, als wir uns vorgestellt haben."
Treiber dieser Neuerung waren die jungen Mitarbeiter bei Adidas. Für sie sei es ein "kleiner Kulturschock", wenn nur per Mail kommuniziert würde.
Stichwort Treiber: Wer steuert die digitale Transformation und den damit verbundenen Change? Die Wirtschaftsinformatiker von der HSG bringen den Chief Digital Officer ins Spiel. Sie umreißen vier Möglichkeiten:
1. Chief Digital Officer (CDO) oder Mitglied der Geschäftsleitung: Immer mehr Unternehmen führen die Position eines CDO ein, beobachtet die HSG. Dessen Aufgabe ist das Forcieren der Vernetzung von IT und Fachabteilungen. Seine Rolle ist die eines Evangelisten im Unternehmen. Die Studienautoren zitieren einen Teilnehmer mit den Worten: "Ich glaube, es braucht den CDO schon, aber nicht auf ewig. Ich finde es wichtig, dass es so eine Art Katalysatorfunktion ist und es ihn für eine gewisse Zeit gibt, um ein Signal zu setzen und eine Verankerung des Themas im Unternehmen zu gewährleisten."
2. Eigener Digitalbereich: Richtet ein Unternehmen beispielsweise eine "Digital Business"-Abteilung ein, kann die Expertise für digitale Themen gezielt aufgebaut und dann an andere Abteilungen weitergegeben werden. Die Unternehmensspitze muss diese Abteilung dann aber auch ermächtigen, tiefgreifende, strategische Entscheidungen im Unternehmen anzustoßen.
3. Stab (Team außerhalb der Linienfunktion): Bilden Unternehmen einen Stab, so treibt dieser Digitalisierung abseits vom Tagesgeschäft und außerhalb der Linienorganisation. Der Stab sollte aus etwa zehn Mitarbeitern unterschiedlicher Unternehmensbereiche bestehen.
4. Verteilte Organisation: Viele Unternehmen hängen dem Ideal nach, dass "eine digitale Denkweise integraler Bestandteil der Gesamtstrategie ist". Eine zentrale Verantwortung für die digitale Transformation wäre damit überflüssig. Den Studienteilnehmern ist allerdings klar, dass das erst der zweite Schritt sein kann - nachdem ein CDO, eine Digital Unit oder der Stab ein zentrales Programm initiiert hatten.
Die HSG sieht digitale Transformation in erster Linie als Wandel von Prozessen, Strategien, Geschäftsmodellen sowie Kultur und Zusammenarbeit. Erst in zweiter Linie gehe es um digitale Technologien. Die Studienautoren schreiben: "Auch wenn aus der IT wichtige Impulse für Einsatzszenarien von innovativer Technologie kommen, sind die Methoden der IT nicht dafür geeignet, die Auswirkungen auf Kultur und Organisation effektiv zu berücksichtigen." Zudem seien CIOs oft nicht in Budget-Entscheidungen eingebunden.
"Teure Leute, die man sich nicht leistet"
Einer der Befragten erklärte, für den digitalen Wandel brauche man einen Manager mit einem besonderen Job-Profil, das IT- und Strategiekompetenz kombiniert. Sein resigniertes Fazit: "Das sind ganz häufig teure Leute, die man sich nicht leistet."
Bleibt jenseits der Entscheider-Ebene die große Zahl an Sachbearbeitern überall im Unternehmen. Bei denen beobachten die Studienteilnehmer die ganze Palette an Reaktionen, von Zustimmung über Skepsis bis zu Angst. Adidas hat sich zum großen Wurf entschlossen. "Pitch" heißt das neu errichtete Gebäude, in dem der Sportartikler "die Zukunft der Arbeit testet". Das Gebäude verfügt über "offener gestaltete Arbeitsflächen, mehr Besprechungsräume und flexible Arbeitsplatzkonzepte", wie der Manager sagt.
Gerade die kritischen Mitarbeiter seien von Anfang an miteinbezogen worden. Adidas habe ihr Feedback bei der Planung berücksichtigt. Heute arbeiten 300 Kollegen in "Pitch". Der Konzern habe nicht nur Change- und Communications-Agenten aus der Mitte der Belegschaft ausgewählt, sondern auch mit einer externen Agentur zusammengearbeitet, die auf Change spezialisiert ist.