Ein flinker Hieb und das kleine Autofenster zersplittert. Von dort ist es nur ein kurzer Weg bis zum Navi, zum Radio, zum Airbag oder zum Lenkrad. Innerhalb weniger Momente ist alles vorbei. Zurück bleibt ein zertrümmertes Armaturenbrett. In ähnlicher Weise soll auch eine Bande mutmaßlicher Autoknacker vorgegangen sein, die die Polizei nun gefasst hat. Es seien mindestens 279 einzelne Taten aufgeklärt worden, der Schaden liege bei mehreren Millionen Euro, teilten die Staatsanwaltschaften Heilbronn und Mosbach am Donnerstag mit. Eine besondere Vorliebe zeigte die Bande laut Polizei für BMW-Modelle.
Seit Dezember 2017 seien 13 Verdächtige festgenommen und viele von ihnen schon verurteilt worden, hieß es weiter. Andere Verfahren liefen noch. Die Männer stammten alle aus derselben litauischen Stadt Panevežys. Ihre Spur führt durch Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Bayern und Belgien.
Immer wieder sorgen organisierte Autoknacker-Banden wie diese für Schlagzeilen. Während Autos allerdings zunehmend komplett geklaut werden, sinkt die Zahl der Aufbrüche stark. Laut Landeskriminalamt wurden im vergangenen Jahr 1.785 Fälle registriert - das sind 25 Prozent weniger als im Jahr zuvor. "Es wird anscheinend häufiger nicht nur ein Teil gestohlen, sondern gleich der ganze Wagen geklaut und zerlegt", sagt Kfz-Händler Dietmar Clysters vom Landesverband des Kraftfahrzeuggewerbes.
Navigationsgeräte und Airbags von BMW im Visier
Auf fest verbaute Navis und Airbags haben es nach den Erfahrungen der Ermittler überwiegend gewerbs- und bandenmäßig handelnde Täter abgesehen. "Zahlreiche Festnahmen litauischer Staatsangehöriger sorgen für eine abschreckende Wirkung", erklärt das LKA im Sicherheitsbericht für Baden-Württemberg. Grund für die Fahndungserfolge seien auch gemeinsame Ermittlungsgruppen mit Litauen.
Nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) ist der baltische Staat ein führender illegaler Absatzmarkt für die gestohlenen Produkte in Osteuropa. Außerdem ist er ebenso wie Polen als Transitland bekannt. "Über diese Staaten verlaufen auch die Hauptverschieberouten entwendeter Kraftfahrzeuge in Richtung Zentralasien", heißt es beim BKA.
In Deutschland geknackte Autos oder Teile würden meistens ins Ausland geschmuggelt, die Wagen dort zerlegt. "Insbesondere in afrikanischen und osteuropäischen Staaten besteht nach wie vor eine hohe Nachfrage nach günstigen Kfz-Ersatzteilen", heißt es im Bundeslagebild Kfz-Kriminalität des BKA. "Diese kann durch die Entnahme von Ersatzteilen aus entwendeten Kfz gedeckt werden." Verkauft würden Teile wie Airbags oder Navis, aber auch größere Komponenten wie Motoren, Getriebe und Karosserieteile "über gängige Internetportale".
Attraktives Betätigungsfeld für Straftäter
Die Motivation zum Beutezug? Laut BKA lohnt sich vor allem das geringe Risiko. "Beim Diebstahl von Kfz-Teilen handelt es sich um ein Massendelikt, bei dem hohe kriminelle Erträge einer in der Regel geringen Straferwartung gegenüberstehen", teilt das BKA mit. Autobesitzern machen die Ermittler wenig Hoffnung: Das Phänomen werde "ein attraktives Betätigungsfeld für Straftäter bleiben".
Die Autoknacker und -diebe gingen immer professioneller vor und seien sehr flexibel bei der Planung einer Tat, erklären die Ermittler. Viele Banden arbeiteten in "netzwerkähnlich organisierten Strukturen". Sie teilten sich die Beutezüge und die Hehlerei auf. Ein Teil kümmere sich um die elektronischen Sicherungen, andere um den Transport der Beute oder das Zerlegen der Wagen, das Fälschen der Nummernschilder und Fahrzeugpapiere, den Verkauf oder die Logistik.
"In der Regel sind die verschiedenen Ebenen einer Tätergruppierung voneinander abgeschottet, und nur selten hat der einzelne Tatbeteiligte Kenntnis über den Gesamtablauf einer Kfz-Verschiebung", erklärt das BKA im Bundeslagebild. Dabei seien die Diebe stets auf der Höhe der Zeit: "Die Tätergruppierungen arbeiten mit elektronischen Überwindungstools, mit denen sie in der Lage sind, die Sicherungseinrichtungen auch neuer Fahrzeuggenerationen unwirksam zu machen."
Besonders Modelle der Marke BMW sind bei den Dieben beliebt. "Die Scheibe hinten ist klein und macht weniger Lärm beim Aufbruch", erklärt BMW-Pressesprecher Dieter Frankensteiner auf Anfrage. Außerdem sei die Oberflächenspannung geringer als zum Beispiel an der Fahrertür.
Laut Kfz-Gewerbeverband verlassen sich die Abnehmer in Asien schon auf erfolgreiche Beutezüge in Deutschland: "Neuwagen werden dort ohne Zubehör wie Navis geordert und danach über das Internet nachgerüstet", sagt Kfz-Händler Dietmar Clysters. BMW wappnet sich erst seit kurzer Zeit dagegen: Damit die Hehlerware in Asien weniger Chancen hat, würden einige Modelle nur noch mit Navi nach China ausgeliefert, sagte der Sprecher in München. (dpa/rs)