HBM: Laut einer US-Studie findet nur jeder dritte Ex-CEO wieder einen Job im aktiven Management. Fällt abgestürzten Vorständen in Deutschland der Wiedereinstieg genauso schwer?
Sendele: Meiner Erfahrung nach finden in Deutschland etwa zwei Drittel aller entlassenen Vorstände wieder eine ähnliche Position. Es gibt allerdings eine Ausnahme. Das sind die Manager über 60. Ich schätze, dass es dort nur noch jedem Zehnten gelingt, nach einer Kündigung ins aktive Management zurückzukehren.
HBM: Es scheint, als würde die Arbeit als CEO schwieriger. Seit dem Jahr 2000 haben 21 der 30 Dax-Konzerne einen neuen Vorstandsvorsitzenden bekommen. Die durchschnittliche Verweildauer an der Spitze von Unternehmen liegt bei etwas über vier Jahren.
Sendele: Das stimmt. Der Job für Vorstände wird schwieriger. Sie stehen immer stärker unter Beobachtung. Nicht nur durch die Öffentlichkeit, auch die Aufsichtsräte nehmen ihre Aufgabe zunehmend ernst. Bei Managementfehlern greifen sie schneller ein als früher.
HBM: Woran scheitern Topmanager am häufigsten?
Sendele: Für einen Absturz aus dem Olymp des Managements gibt es ganz unterschiedliche Gründe. Sehr oft sind es reine Machtspiele und Intrigen, mit denen Vorstände kämpfen müssen. Dann gibt es natürlich die handwerklichen Fehler, wenn ein Manager zum Beispiel nicht in der Lage ist, das Wachstum eines Unternehmens erfolgreich zu steuern, er in die falschen Bereiche investiert oder nicht rechtzeitig erforderliche Restrukturierungsmaßnahmen einleitet und sich deshalb Verluste anhäufen. Immer wieder verlieren Manager aber auch den Bezug zur Realität. Sie nehmen sich selbst zu wichtig, produzieren sich in der Öffentlichkeit und vernachlässigen ihre Arbeit. Schließlich gibt es noch Manager, die mit illegalen Geschäften in Verbindung gebracht werden.
HBM: Kommen wir auf den Kampf um die Macht zu sprechen. Der beschäftigt einen CEO offenbar sehr intensiv.
Sendele: Das stimmt. Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen. Wer Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens wird, muss zu Beginn seiner Tätigkeit ganz genau prüfen, ob er mit seiner Führungsmannschaft klarkommt. Solange ihm Widersacher aus den eigenen Reihen Knüppel zwischen die Beine werfen können, wird er seine Entscheidungen nicht effizient umsetzen können.
Der frühere Vorstandsvorsitzende von Volkswagen, Ferdinand Piëch, hat gleich nach Amtsantritt in Wolfsburg seinen Vorstand mehr oder weniger komplett ausgetauscht. Nur so konnte er die Neuausrichtung des VW-Konzerns meistern. Sein Nachfolger Bernd Pischetsrieder ist dagegen sehr unentschlossen auf personelle Erfordernisse zugegangen. Als es um die Nachfolge des Personalvorstands Peter Hartz ging, hat ihm dann der Aufsichtsratsvorsitzende Piëch die Entscheidung abgenommen und Horst Neumann durchgesetzt.
"Die Geschäftsfreunde wenden sich ab"
HBM: Am Ende wurde Pischetsrieder selbst abgelöst, obwohl er inhaltlich gute Arbeit geleistet und viel für Volkswagen erreicht hat.
Sendele: Fachliche Qualitäten allein reichen eben nicht. Pischetsrieder hat es versäumt, sich seine Machtposition gerade gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch zu sichern. Das gehört aber dazu, wenn man so unpopuläre Aufgaben bewältigen muss wie im Fall Volkswagen.
Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel, um zu zeigen, wie schnell ein Manager fallen kann. Beim Machtkampf zwischen den DaimlerChrysler-Vorständen Eckhard Cordes und Dieter Zetsche um die Rolle des künftigen Vorstandsvorsitzenden wurde Cordes lange als Jürgen Schrempps Nachfolger gehandelt. Nach einigen Auseinandersetzungen zwischen den Kontrahenten wurde dann überraschend Dieter Zetsche Vorstandsvorsitzender. Cordes bat daraufhin den Aufsichtsrat, seinen Vertrag aufzulösen. Wäre Cordes CEO geworden, hätte vermutlich Zetsche gekündigt. Einer musste gehen.
HBM: In solchen Fällen gelingt den Betroffenen der Wiedereinstieg offenbar leicht.
Sendele: Für Cordes trifft das zu. Er ist übergangslos beim Duisburger Mischkonzern Haniel als Vorstandschef eingestiegen. Aber auch hier gab es wieder ein Opfer. Denn drei Monate zuvor hatte die Familie Haniel Theo Siegert eingestellt. Und um Cordes Platz zu machen, wurde Siegert brüsk entlassen.
Im Übrigen dauert es, wenn jemand entlassen wird, häufig eher ein bis zwei Jahre, bis ihm eine neue Aufgabe auf gleicher Ebene angeboten wird. Das gilt vor allem für eine Kündigung, die auch in der Öffentlichkeit viel Wirbel verursacht hat. Viele Aufsichtsräte scheuen das Risiko des Imageverlustes, würden sie einen derart umstrittenen Kandidaten einstellen. Auch wenn sie von seinen Qualitäten überzeugt sind, wollen sie trotzdem etwas Gras über die Geschehnisse wachsen lassen.
HBM: Für Manager, die ganz oben angekommen waren, muss der Jobverlust ein immenser Schlag sein. Wie fühlen sich Vorstände nach ihrer Entlassung?
Sendele: Viele Manager fallen in eine tiefe Depression. Die erlittenen psychischen Verletzungen sind oft erheblich. Sie müssen sich vorstellen, dass in Deutschland im Gegensatz zu den USA das Verlassen eines Unternehmens generell ein eher unangenehmes Thema ist. Auch wenn jemand selbst kündigt, passiert es häufig, dass die Kollegen auf Distanz gehen. Hinter vorgehaltener Hand wird kolportiert, dass es ja auch gar nicht schade sei, dass dieser Kollege nun weg sei.
Bei einer Entlassung potenziert sich dieser Hang zum Nachtreten noch. Die Geschäftsfreunde wenden sich ab, das Netzwerk geht auf Distanz - und der Ex-Vorstand spürt sehr rasch, dass es nicht einfach sein wird, wieder Fuß zu fassen.
"Selbstmitleid ist die falsche Strategie"
HBM: Was raten Sie einem Betroffenen, der sich im vermutlich schlimmsten Tief seiner Karriere befindet?
Sendele: Er darf sich vor allem nichts anmerken lassen. Er muss analysieren, warum er gescheitert ist, welche Fehler passiert sind und was gut lief, das heißt, wo seine wirklichen Stärken liegen. Selbstmitleid ist die falsche Strategie. Ich habe viele Manager erlebt, die ihren Absturz ganz sachlich analysiert haben. Das half ihnen, einen klaren Kopf zu bekommen. Dann kommt in der Regel auch der alte Kampfgeist zurück. Der Prozess der Selbsterkenntnis ist ganz entscheidend für das Comeback.
HBM: Manche Manager nutzen in so einem Moment die Gelegenheit und verreisen erst einmal für ein paar Monate, um Abstand zu gewinnen und zu sich selbst zu finden.
Sendele: So ein Verhalten kann den Karriereplänen empfindlich schaden. Sie dürfen niemals den Anschein erwecken, dass Sie nicht weitermachen wollen. Erst einmal eine Auszeit zu nehmen und für ein halbes oder gar ganzes Jahr zu verreisen, wie das einige tun, ist ein Kardinalfehler. So etwas spricht sich in den Führungsetagen und bei den Personalberatern schnell herum. Und plötzlich hat der ehemalige CEO das Image, für konkrete Aufgaben nicht ansprechbar zu sein. Man wird schnell abgeschrieben - und bleibt dann arbeitslos.
HBM: Was sollte ein Ex-Vorstand stattdessen tun?
Sendele: Um wieder nach oben zu kommen, müssen Manager eine offensive Kampagne starten. Wie in ihrem Job sollten sie auch in eigener Sache strategisch vorgehen. Dazu gehört auch, realistisch zu bestimmen, auf welche Art von Position in welcher Branche und in welches Unternehmen man passt oder nicht passt. Leider erlebe ich häufig ein hohes Maß an Selbstüberschätzung. Über ihre Ziele sagen mir Ex-Vorstände immer wieder: "Ich möchte wieder ein Unternehmen von mindestens gleicher Größe führen." Das ist banal. Keiner darf sich zu schade sein, auch ein kleineres Unternehmen zu leiten, wenn dessen Führung eine fordernde Aufgabe ist.
Ich habe vorhin über den Prozess der Selbsterkenntnis gesprochen. Hier müssen die Betroffenen ansetzen und genau ausarbeiten, was sie wirklich gut können. Das kann zum Beispiel ein Talent für das Management eines Turnarounds sein. Ein anderer ist besonders gut darin, Wachstum zu managen.
HBM: Wie sieht eine Kampagne in eigener Sache im Detail aus?
Sendele: Wenn ein Manager die beschriebenen Hausaufgaben gemacht hat, sollte er festlegen, welche Unternehmen aus seiner Sicht als potenzielle Arbeitgeber infrage kommen. Um sein Urteil abzurunden, kann er auch mit einigen Personalberatern seines Vertrauens sprechen. Diese werden ihm wiederum über aktuelle Suchprojekte berichten, auf die er möglicherweise passt. Parallel dazu sollte er die für ihn infrage kommende Unternehmenslandschaft durchforsten und dabei seine Stärken berücksichtigen.
Wenn er überzeugt ist, ein Unternehmen gefunden zu haben, in das er passt, sollte er dem Vorstandsvorsitzenden oder dem Aufsichtsratsvorsitzenden in einem persönlich gehaltenen Schreiben darstellen, warum er an einer eventuell zu besetzenden Führungsaufgabe interessiert ist. Für diese Form der Eigenbewerbung darf sich eine Führungskraft nicht zu schade sein. Wichtig ist, dass eine derartige Bewerbung inhaltlich durchdacht, überzeugend formuliert und auf das Unternehmen zugeschnitten ist. Ein standardisiertes Massenmailing ist falsch.
"Auf inquisitorischen Fragen nicht vorbereitet"
HBM: Auf wie viele Unternehmen sollte sich ein Manager konzentrieren?
Sendele: In der Regel sind es drei bis fünf Unternehmen, für die Manager in dieser Situation infrage kommen. Sie sollten ruhig auch den Kontakt zu fünf bis acht prominenten Personalberatern suchen. Denn die Unternehmen vergeben eine Suche ausschließlich an einen Berater. Wer die Kampagne auf ein bis zwei Personalberater beschränkt, reduziert seine Jobchancen.
HBM: Welche Rolle spielt die Vorgeschichte des Managers in diesen Gesprächen?
Sendele: Natürlich wollen die Gesprächspartner alles über die Hintergründe der Kündigung wissen. Ich habe es schon erlebt, dass ein Kandidat auf die häufig inquisitorischen Fragen nicht vorbereitet war. Jede Antwort führt dann zu weiteren Fragen. Ein Bewerbungsgespräch ist in der Regel nach einer Stunde zu Ende - und es wurde über nichts anderes gesprochen. Ein positives Bild über den Bewerber kommt so natürlich nicht zustande.
Die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis
HBM: Wie sieht die Alternative aus? Man kann die Fragen ja nicht ignorieren.
Sendele: Sie müssen den Fragen zuvorkommen und eine Art Presseerklärung in eigener Sache mental ausarbeiten. Dann können Sie in wenigen Sätzen plausibel darlegen, warum es zur Kündigung kam. Manager dürfen bei ihrer Selbstdarstellung nie den Eindruck erwecken, nichts aus ihren Fehlern gelernt zu haben. Die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und zum Lernen werten Aufsichtsräte besonders positiv. VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch hatte Bernd Pischetsrieder unter anderem deshalb als Vorstandsvorsitzenden für VW eingestellt, weil er überzeugt war, dass Pischetsrieder aus seinen Fehlern bei BMW gelernt hatte.
Wenn der Bewerber die Hintergründe seiner Kündigung in knappen Worten erzählt hat, sollte er weitere Nachfragen konsequent zur Seite schieben und darauf verweisen, dass er alles gesagt habe, was es zu sagen gebe. Er muss gekonnt insistieren, dass er nun über seinen beruflichen Werdegang und seine fachlichen Erfahrungen berichten will. Ein Manager muss in dieser Situation demonstrieren, wer er ist und was er kann. Er muss das Gespräch mitgestalten, vorantreiben und kluge Fragen zum Unternehmen und zu der zu besetzenden Position stellen. Dazu gehört eine solide Vorbereitung.
HBM: Auf dieser Führungsebene sollte das eigentlich selbstverständlich sein.
Sendele: Sie haben recht. Aber ich erlebe es häufig, dass sich Manager auf diese Gespräche ungenügend vorbereiten und meinen, ihre allgemein gehaltenen Ausführungen seien ausreichend. Natürlich merken es die Gesprächspartner sofort, wenn ein Kandidat den Geschäftsbericht nicht evaluiert hat und im Internet verfügbare Informationen über das Unternehmen nicht kennt. Banale Fragen sind tödlich, und der Aufsichtsratsvorsitzende reagiert entsprechend.
Mit Hermann Sendele sprach Michael Leitl, Redakteur des Harvard Businessmanagers.