Beispiel Boehringer Ingelheim

Wie Firmen gegen Burnout kämpfen

15.11.2012 von Werner Kurzlechner
Verschärft oder lindert virtuelles Arbeiten Burnout? Ein Fachartikel der FH Mainz umreißt das Problem und erläutert, wie Boehringer Ingelheim damit umgeht.
Der Sammelband der FH Mainz ist über die Homepage www.trends-in-der-it.de zu beziehen.
Foto: FH Mainz

Burnout ist mittlerweile ein unübersehbares gesellschaftliches Phänomen geworden – und es macht auch vor IT-Abteilungen nicht Halt. Ein Dilemma bei der Prävention ist die Vielschichtigkeit von Ursachen und Erscheinungsformen des Ausgebranntseins. Stress beispielsweise trägt zum Burnout bei, weshalb flexible Arbeitszeiten und Arbeit im Home Office als Gegenmittel naheliegen. Nur verschärfen just diese Maßnahmen möglicherweise die Isolation der Betroffenen, die Zuspruch und Anerkennung der Kollegen bräuchten. Bei aller Widersprüchlichkeit ist wohl beides richtig, was zeigt: Burnout ist kein Feld für einfache Antworten.

Wohl ist Burnout auch keine schlichte Modekrankheit. Dennoch haben Anett Mehler-Bicher und Lothar Steiger, beide Professoren an der Fachhochschule Mainz (FH Mainz), einen Beitrag zum Thema in ihren von Studierenden verfassten Sammelband „Trends in der IT“ aufgenommen. Die Autoren Dennis Fleischer, Dominik Erik Otto und Philipp Schumacher betrachten die Zunahme psychisch bedingter Ausfälle jenseits der technologischen Neuheiten als negativen Trend, der die IT-Branche eben auch charakterisiert. Fleischer, Otto und Schumacher skizzieren kurz, inwieweit Burnout die IT betrifft. Zudem lassen sie mit dem Diplompsychologen Stefan Leidig und Dirk Weitzel, Abteilungsleiter IS Business Partnering Enabling Functions bei Boehringer Ingelheim Pharma, Experten aus der Praxis zu Wort kommen.

Führungskräfte schulen, damit sie Burnout erkennen

Um Burnout vorzubeugen bedarf es nach Einschätzung der Autoren keines großen Aufwandes. „Schulungen für Führungskräfte zur Sensibilisierung im Umgang mit Burnout und das Schenken von Aufmerksamkeit sowie Anerkennung sind wichtige Faktoren, die einen hohen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden der Arbeitnehmer nehmen“ können, schreiben Fleischer, Otto und Schumacher. Aber auch die Arbeitnehmer seien in der Pflicht, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, sich einen Ausgleich zur Arbeit zu suchen und sich Auszeiten zu gönnen. „Gerade in Stresssituationen ist ein effektives Zeitmanagement wichtig“, schreiben die Autoren.

Im Beitrag zitiert werden Studien, nach denen sich die Zahl der durch Burnout bedingten Krankheitstage zwischen 2004 und 2009 verzehnfacht hat – auf 98 Tage pro 1000 Versicherte. Bei Frauen trete das Problem gehäufter auf als bei Männern, laut WHO koste ein Burnout-Fall im Durchschnitt 30,4 Krankheitstage. Burnout sei mit Leiden bei den Betroffenen verbunden, koste die Arbeitgeber Geld wegen Ausfallzeiten und belaste letztlich auch die Gemeinschaft der Versicherten.

„Generell ist davon auszugehen, dass Mitarbeiter in leitenden Positionen wie Projektleiter einen größeren Workload und damit mehr Druck verspüren, was sehr schnell in Stress umschlagen kann“, so die Autoren im Hinblick auf Risikogruppen in der IT. Allerdings hätten Führungskräfte anders als einfache Mitarbeiter die Möglichkeit, Aufgaben zu delegieren. Deshalb gebe es das Burnout-Risiko auch auf der unteren Sprosse der Hierarchieleiter. „Oftmals bleibt auch die Anerkennung für die geleistete Arbeit bei den Führungskräften hängen und wird nicht an die Personen weitergegeben, die die eigentliche Arbeit geleistet haben“, so das Autoren-Trio weiter.

Häufung nach Umstrukturierung

Psychologe Leidig unterstützt diese Sichtweise. „Ein Top-Manager hat mehrere Assistenten“, so der Experte. „Somit gibt es dort viel mehr Spielraum, weswegen sie auch viel höhere Arbeitsbelastungen verkraften.“ Stress bestehe nämlich aus mindestens zwei Komponenten: der tatsächlichen Arbeitsbelastung und der individuellen Freiheit, mit dieser umzugehen. Hinzu kämen private Aspekte.

„Wichtig ist, dass es im Betrieb einen Fachmann wie einen Betriebspsychologen oder einen Betriebsarzt gibt, der sich damit auskennt und Führungskräfte kompetent beraten kann“, empfiehlt Leidig. Man könne von einer Führungskraft keine diagnostischen Kenntnisse erwarten. Aber sie müsse wissen, an wen man sich wenden kann. „Innerbetriebliche Ansprechspartner sind heute so notwendig wie nie“, so Leidig.

Dirk Weitzel von Boehringer Ingelheim geht davon aus, dass der Trend zu globalen Strukturen im Unternehmen großen Einfluss auf die gefühlte Arbeitsbelastung habe. „Früher hatten wir lokale Teams, während wir heute in virtuellen, global agierenden Teams arbeiten“, so Weitzel. „Somit ist schon alleine die Koordination von Projekten und Meetings eine Herausforderung.“ In seinem Unternehmen gebe es zwar sehr flexible Arbeitszeitmodelle, die aber auch von den Mitarbeitern genutzt werden müssten.

„Wir haben mittlerweile auch einige Fälle in unserer IT-Organisation“, berichtet Weitzel weiter. „Seit der Umstrukturierung unserer weltweit verteilten IT-Einheiten zu einer globalen IT-Einheit im Jahr 2010 sind mir mehrere Burnout-Fälle bekannt geworden“ Es lasse sich allerdings nicht feststellen, ob dies mit der Umstellung zu tun habe.

Als Gegenmittel nennt Weitzel Schulungsangebote speziell für Führungskräfte. „Diese sollen besonders das frühzeitige Erkennen von Burnout-Symptomen und den richtigen Umgang mit den Betroffenen schulen“, so der Manager, der einst selbst an der Mainzer FH studierte. Es gebe im Unternehmen regelmäßige Gespräche zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten, um die Work-Life-Balance ins Lot zu bringen.

30 Prozent leiden seelisch

Neben flexiblen Arbeitszeitmodellen und Home-Office-Lösungen könnten Mitarbeiter Meetings von zu Hause aus mit Dienstnotebook, entsprechender Software und einer Webcam durchführen. „Natürlich ersetzt dies nicht die persönlichen Kontakte, es stellt aber eine sehr gute Ergänzung dar“, so Weitzel.

IT-Lösungen bieten aus dieser Warte allgemein einen Ansatzpunkt im Kampf gegen Burnout. Allerdings weisen die Autoren der FH Mainz auch auf die Bedeutung direkter sozialer Kontakte hin: „Soziale Beziehungen sind ein wichtiger Bestandteil, um Burnout vorzubeugen, aber auch in einem schon aufgetreten Fall den Betroffenen zu stützen.“ Daneben gebe es auch Fälle, in denen mit Hilfe einer Diagnose versucht werde, Arbeit auf andere abzuwälzen. „Auch hier ist es Aufgabe der Führungskräfte, steuernd einzugreifen und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen einzuleiten“, so die Autoren.

Was aber ist noch einmal der Unterschied zwischen Burnout und Depression? „Burnout ist keine Unterklasse von Depressionen“, erläutert Leidig. Angsterkrankungen, Depressionen, Essstörungen, Süchte, Zwangserkrankungen seien Beispiele für klar zu beschreibende klinische Diagnosen. „Burnout ist hingegen ein sehr unklarer Begriff, weil er zu viele Symptome beinhalten kann und damit beliebig wird“, so der Psychologe. Offiziell sei Burnout eine Zusatzkodierung zu einer Hauptdiagnose. „Wenn ein Behandler nur ‚Burnout‘ diagnostiziert, bezahlt die Krankenkasse keinen Cent“, stellt Leidig klar.

Wichtig sei festzuhalten, dass psychische Störungen jeden treffen könnten. Die Betroffenen seien keine Spinner. „30 Prozent aller Deutschen erleiden im Laufe ihres Lebens mindestens einmal ein psychische Störung“, so der Psychologe. „Man sollte dann auch keine Angst haben, sich von Fachleuten helfen zu lassen.“ Auch IT-Profis seien keine „Weicheier“, wenn sie zum Psychotherapeuten müssten.

Der Sammelband „Trends in der IT“ kann im Internet bestellt werden.