mm.de: Sie coachen seit über einem Jahrzehnt Manager aus den oberen Führungsriegen. Welche Veränderungen in Ihrer täglichen Arbeit bemerken Sie derzeit im Umgang mit Ihren Klienten?
Fischer: Zu meinem Metier gehören unter anderem die Beratung bei der Übernahme einer neuen Verantwortung, Leadership-Themen, Selbstmanagement und die Begleitung als Sparring-Partner, auch ohne ein konkretes Problem. Diese Anlässe treten ein Stück weit zurück und brennende Krisenthemen überwiegen. Ebenso kommen Aufträge hinzu, die aus speziellen Belastungen in besonderen Situationen oder Geschäftsbereichen entstehen.
mm.de: Welche Themen sind es konkret, die jetzt in den Vordergrund rücken?
Fischer: Da ist zum einen die hohe Arbeitsbelastung zu nennen, die aktuell noch größer geworden ist. Auch die Zwickmühle zwischen den eigenen Belangen und denen des Unternehmens und der Mitarbeiter ist ein Thema. Hinzu kommen Sorgen um die eigene Karriere und eigene Existenzängste und zum anderen die Sorgen und Ängste der Mitarbeiter sowie schließlich der Marktkampf des Unternehmens. Diese Konstellation hat sich sehr verschärft.
mm.de: Wie offen äußern sich die Führungskräfte angesichts der Probleme Ihnen gegenüber? Benennen sie ihre Ängste ganz konkret? Oder wird in Unkenntnis ein bisschen drum herumlaviert?
Fischer: Sie sagen es - oft in Unkenntnis. Vielleicht auch in Ermangelung eines Vokabulars. Eine Führungskraft ist dazu da, Probleme aufzuspüren und Lösungen zu finden. Es ist ein rationales Vorgehen, das nach Möglichkeit nicht zu sehr von Emotionalität überlagert werden soll. Und wenn so etwas wie Angst aufkommt, wird diese nicht immer konkret benannt. Vielfach auch, weil man glaubt, sie nicht benennen zu dürfen.
mm.de: Wie ist die Nachfrage nach Ihren Coaching-Leistungen?
Fischer: Es werden mehr Klienten. Das normale Executive Coaching geht ganz normal weiter. Aber es gibt darüber hinaus die Coachings und die Seminare, die speziell aus dieser Krise heraus motiviert sind. Zurzeit besteht eine Tendenz zur Desintegration. Das heißt, fast jeder hat beispielsweise Angst um seine Projekte und versucht, sich selbst so gut wie möglich zu positionieren. Deswegen habe ich das Konzept entwickelt, Führungskräfte auch in Teamcoachings zusammenzubringen, um diesem Desintegrationsvorgang entgegenzuwirken.
mm.de: Vom Tenor her: Wir haben die gleichen Ängste ...
Fischer: ... genau. Und: Gemeinsam sind wir stark. Ein Stück weit. Auch wenn es klar ist, dass es zum Teil auch Konkurrenten sind. Aber es sind auch die gleichen Ängste und Probleme, die man hat, und durch Vernetzung lösen sich manche Probleme eher.
mm.de: Wie sieht es denn im Einzelnen aus - inwieweit schlägt die Wirtschaftskrise auf das Gemüt der Manager?
Fischer: Schwer. Ziemlich schwer.
Der Körper reagiert
mm.de: Wie äußert sich das?
Fischer: Zum Beispiel anhand von bekannten psychosomatischen Symptomen, wie beispielsweise Appetitstörungen, Schlafstörungen, Libidostörungen. Wenn Kopf, Seele und Herz mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind, leidet der Alltagsrhythmus, was viele als sehr quälend empfinden. Das kann im Extremfall sogar zu depressiven Verstimmungen und zu Sinnkrisen führen. Kurzum: Die Welt steht für viele Kopf.
mm.de: Sie haben eine sehr lange Erfahrung auch als Psychotherapeut. Gibt es Ihrer Erfahrung nach einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Rezessionszeiten und psychologischen Krisenzuständen?
Fischer: Jede Führungskraft ist auf ein planbares, sicherheitsstiftendes Handeln ausgerichtet. Eine Krise verursacht zunächst Unsicherheit. Beispielsweise haben wir aktuell eine Situation, in der Planungen teilweise nur noch wöchentlich, wenn nicht sogar täglich stattfinden. Das erzeugt Verunsicherung, Planlosigkeit, Aktionismus, aber auch bisweilen Trägheit und Entscheidungszähigkeit. Und das wiederum verursacht große Reibungsverluste in der Alltagsarbeit.
mm.de: Wie reagieren Führungskräfte typischerweise auf solche Zustände?
Fischer: Einige tun am liebsten so, als gäbe es diese Krise nicht, als sei sie zumindest für sie und ihr Unternehmen nicht so brennend. Also eher das Muster der Verleugnung, der Verdrängung. Dann gibt es andere, die dazu neigen, die Situation zu überspielen, etwa durch Entfachen einer Vielzahl von Aktivitäten. Wiederum andere verlassen sich auf ihr Charisma und geben den Retter. Und nicht zu vergessen die Gruppe derjenigen, die sehr analytisch vorgehen und versuchen, den neuen Herausforderungen mit neuen Antworten zu begegnen.
mm.de: Diese verschiedenen Verhaltensweisen sind aber darin begründet, dass es unterschiedliche Charaktere sind?
Fischer: Genau. Der Stimulus von außen ist für alle gleich, und jeder Charakter entwickelt seine eigenen Strategien. Die einen erfolgreicher, die anderen weniger erfolgreich.
mm.de: Wird die Krise unter den Führungskräften auch als Chance begriffen?
Fischer: Ja. Als Chance, das bisherige Tun zu überprüfen und sich auch in einer kritischen Situation zu bewähren, nach der Vorstellung: Wer sich jetzt bewährt, der kann es wirklich.
Opfer-Täter-Perspektiven
mm.de: Ex-Lehman-Chef Richard Fuld oder der frühere CEO der Hypo Real Estate Georg Funke weisen Schuld von sich und sehen sich als Opfer der Finanzkrise. Wie ist das eigentlich aus psychoanalytischer Sicht zu erklären? Eine klassische Verdrängung?
Fischer: Die Fälle sind sehr unterschiedlich und nicht über einen Kamm zu scheren. Manchmal werden sämtliche Abwehrmechanismen ins Feld geführt. Verdrängung, Verleugnung, Selbstüberschätzung - oder eine Gewöhnung, daran zu glauben, dass es nur diesen und keinen anderen Weg gibt, als den, den ich eingeschlagen habe. Hinzu kommt das Heranzüchten von Umfeldern, die dem entsprechen. Das heißt von Umfeldern mit wenig Kritikfähigkeit und -bereitschaft.
mm.de: Warum haben diese Herren so viel Angst davor, Schuld einzugestehen? Was spielt sich da ab?
Fischer: Bei sehr vielen entsteht das Selbstbild der Unfehlbarkeit. Das Selbstbild der unanfechtbaren Hochintelligenz, der unanfechtbaren kritischen Analysefähigkeit und der letztgültigen Entscheidungsmacht und Entscheidungsweisheit. Und wenn ich lange genug daran gearbeitet habe und die dazugehörige Persönlichkeit habe, entsteht ein System, das in sich wasserdicht ist und das keiner Hinterfragung bedarf und auch keine erträgt. Dann ist der Perspektivenwechsel eben nicht mehr möglich.
mm.de: Das heißt, ohne einen kompletten Zusammenbruch des eigenen Selbstbilds wäre ein Eingeständnis gar nicht mehr möglich?
Fischer: Genau. Das wäre dann vollkommen absurd, an so etwas auch nur zu denken. Es ist außerhalb jeglicher denkbaren Möglichkeit, dass es nicht so ist, wie ich es sehe.
mm.de: Die Prognosen für die Zukunft sind derzeit immer noch recht düster. Was richten fehlende Zuversicht und Aussichtslosigkeit in der Psyche der Führungskräfte an?
Fischer: Ich vermag es noch nicht zu sagen. Es gibt den Begriff der Überwältigungsangst. Und die entsteht dann, wenn wir nicht wissen, wann die Bedrohung zu Ende sein wird. Das sind ganz bittere Situationen. Darunter leidet man am allermeisten. Und in der Tat kann niemand auf eine seriöse Art und Weise eine Voraussage machen, wann voraussichtlich die Talsohle durchschritten sein wird.
mm.de: Und wie sehen die Reaktionen auf diese Ängste aus?
Fischer: Ein sich Ducken und warten bis der Sturm vorübergeht, ist ein Mittel, zu dem sehr viele Leute greifen, wenn sie nicht wissen, wie lange das noch dauert. Die ziehen sich zurück, exponieren sich nicht, versuchen Fehler zu vermeiden, gestalten aber auch nicht. Sie hoffen wohl, dass in absehbarer Zeit das Gröbste vorbei ist, und wir zum Ende des Jahres anfangen, wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Ältere Manager als Ermutiger
mm.de: Gut, das ist die eine Möglichkeit zur Reaktion. Und die andere?
Fischer: Die andere ist: trotzdem - oder "erst recht". Da muss man eine Lanze für die Diversität brechen und sich die etwas Älteren anschauen. Man hat ja vor etwa 15 Jahren angefangen, "Alte" abzubauen, und ich erlebe es jetzt immer wieder, dass auch hoch erfolgreiche junge Manager heilfroh sind, wenn Ältere da sind, die mal ein paar Krisen mehr durchgestanden haben, die erfahren sind und mehr Seniorität haben. Erfahrung zu haben, heißt viele Erfahrungen gemacht zu haben und auch oftmals gescheitert und wieder aufgestanden zu sein - das vergisst man leicht.
mm.de: Können die Älteren als Vorbild auch helfen, die Herausforderungen der Zukunft mit zu meistern?
Fischer: Sie können als Mentoren und als Vorbilder dienen. Sie könnnen als "enabler" oder Ermutiger dienen, und sie können mit ihrer Gewichtigkeit und Senioriät ein Stück weit vorneweg gehen und jemanden den Mut geben, zu handeln.
mm.de: Was kann noch helfen, sich als Manager für die Zukunft optimistischer einzustellen?
Fischer: Auf das zu setzen, was das Kapital von morgen sein wird. Das heißt, die Menschen so mitzunehmen, dass sie mir auch morgen wieder folgen werden, wenn ich als Führungskraft vor sie trete.
Auch wenn das Wort von der Vertrauenskrise inflationiert wird: Es geht in einem sehr hohen Maße um Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Um Vertrauen in die Führungsqualitäten der Führungskräfte, in die Strukturen des Systems, Vertrauen in das Unternehmen. Und wenn man Führung definiert als die Kunst, Menschen zu überzeugen und sie zur Gefolgschaft einzuladen, sodass sie freiwillig das tun, was ich für das Richtige halte für mein Unternehmen, dann muss ich genau darauf setzen und klar führen.
Und zur klaren Führung gehört, nicht immer die passende Antwort parat zu haben, sondern die richtigen Fragen zu stellen. Und zur glaubwürdigen Führung gehört bisweilen, gerade in diesen Tagen, auch zu sagen, wo ich keine Rezepte habe. Das ist immer noch viel mehr Führung als zu schweigen und gar nichts zu tun, oder aber so zu tun, als wüsste ich alles. Im Englischen würde man sagen, das ist kein Leadership, das ist Misleading.
In seiner Coaching-Praxis auf der Düsseldorfer Königsallee begleitet Georg Th. Fischer Manager der ersten und zweiten Führungsebene. Sein Ansatz basiert auf tiefenpsychologischen, hirnbiologischen und systemischen Konzepten. Der promovierte Arzt und Psychoanalytiker ist außerdem Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsfakultät der Privaten Universität Witten/Herdecke.