Gut 1163 Punkte bringt das Baby der Deutschland AG auf die Waage, als der Dax am 1. Juli 1988 das Licht der Welt erblickt. Es ist etwas zu kühl für diese Jahreszeit, im Radio dudelt Modern Talkings "Brother Louie", Manfred Wörner tritt sein Amt als Nato-Generalsekretär an. Und während die Mehrzahl der Deutschen weiße Tennissocken trägt und mit dem korrekten Justieren von Zauberwürfeln ziemlich beschäftigt ist, arbeiten zwei Männer fleißig an ihrer Karriere.
Wolfgang Reitzle hat bereits zwei Studiengänge plus Promotion sowie diverse Stationen bei BMW hinter sich, seit gut einem Jahr ist er Vorstand für Forschung und Entwicklung. Werner Wenning startete bei Bayer als Auszubildender, wurde Trainee, baute für den Konzern das Finanz- und Rechnungswesen in Peru auf und verantwortet seit 1987 den weltweiten Vertrieb des Geschäftsbereichs Kunststoffe: Ob er Modern Talking hört, ist nicht überliefert - aber er verkauft das Polycarbonat für die CDs der Band. Zwei Dekaden später, als der Dax seinen 20. Geburtstag feiert, ist Wenning Bayer-Chef, und Reitzle ist zum Vorstandsvorsitzenden von Linde aufgestiegen.
Ein Doppeldiplomierter mit Doktortitel und ein ehemaliger Azubi - die Wege an die Spitze eines Dax-Konzerns weisen bisweilen verblüffende Unterschiede auf. Doch bei aller Individualität gibt es eine Reihe von Fähigkeiten und Kompetenzen, ohne die kein Manager zum CEO eines Dax-Unternehmens wird. Schon gar nicht heute, da Persönlichkeit und Führungsstärke der Nummer eins mehr denn je über den Firmenerfolg entscheiden.
Anlässlich des 20. Geburtstags des Börsenindex hat die Personalberatung Odgers Berndtson die Werdegänge von Vorstandsvorsitzenden der Dax-30-Unternehmen der Jahre 1988 und 2008 verglichen. Die Studie, die manager magazin exklusiv veröffentlicht, zeigt die wichtigsten Trends in Ausbildung und beruflicher Laufbahn der CEOs.
Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung von manager magazin.de.
Doch mehr noch: Die Untersuchung öffnet auch den Blick nach vorn. Vor dem Hintergrund der empirischen Ergebnisse wurden die Aufsichtsräte im Dax gefragt, wie sich Kompetenzen und Karrierestationen der Vorstandschefs entwickeln werden. Welchen Anforderungen muss der Firmenprimus künftig gerecht werden? Und wie kann er die geforderten Fähigkeiten erwerben? Welche Lehren für den Aufstieg lassen sich daraus ziehen?
Zwei dominate Megatrends
Zwei Megatrends dominieren die Entwicklung: Kurzfristiges Shareholder-Value-Denken wird zugunsten nachhaltiger Wertsteigerung zurückgedrängt. Und die Globalisierung wird an Intensität weiter zunehmen. Entsprechend werden vor allem zwei Treiber Aufgaben und Profile des CEOs verändern, meint Patrick Schild, der Leiter der Studie: "Der Fokus verlagert sich vom Aktionär auf andere Stakeholder, insbesondere die Kunden. Und Internationalität, sowohl in der Ausbildung als auch im Beruf, wird weiter an Bedeutung gewinnen."
So ist zwischen 1988 und 2008 der Anteil ausländischer Vorstandschefs im Dax von 3 auf 23 Prozent gestiegen und wird weiter zunehmen. Der Anteil der CEOs mit Berufserfahrung im Ausland stieg von 23 auf 65 Prozent. "Das Amt wird noch viel offener und kommunikativer werden, auch in Richtung der nationalen und europäischen Politik", sagt Ex-Wirtschaftsminister Hans Friderichs, der langjährige Aufsichtsratsvorsitzende von Adidas . Persönliche Erfahrungen mit den Kulturen in ausländischen Märkten sind da unabdingbar.
Bei aller Begeisterung für die Macht der Worte erteilen die Aufsichtsräte dem schaumschlägerisch begabten Nur-Kommunikator allerdings eine klare Absage. Fundiertes Fachwissen bleibt nicht nur Trumpf - es wird sogar immer wichtiger. Denn anders als noch vor 20 Jahren erwächst die Stellung eines CEOs nicht mehr in erster Linie aus seiner hierarchischen Position. "Er muss täglich um Akzeptanz kämpfen und seine Leute motivieren, nur intensives Know-how bringt ihm den nötigen Respekt", sagt Rolf Krebs, der frisch gekürte Aufsichtsratschef von Merck . Das erfordert auch vom Vorstandsvorsitzenden ein immer tieferes Verständnis des Kerngeschäfts.
Wie der für seine Detailkenntnis berüchtigte Wenning kann man sich dieses Wissen von der Pike auf aneignen - doch in Summe sind Vorstandschefs ohne Studienabschluss wie Wenning oder René Obermann (Deutsche Telekom ) Exoten im Dax. Verändert haben sich aber die Fachrichtungen: Hatte 1988 noch fast die Hälfte der CEOs Jura studiert, ist dieser Anteil 2008 auf 19 Prozent gesunken - das Fach gilt als zu abstrakt für internationale ökonomische Zusammenhänge. Wirtschafts- sowie Natur- und Ingenieurwissenschaften haben dagegen zugelegt und werden künftig weiter dominieren.
Auch die Promotion hat an Glanz verloren (gegenüber 68 Prozent im Jahr 1988 hatten 2008 nur noch 55 Prozent der CEOs promoviert). Dagegen schwoll der Anteil der Vorsteher mit MBA, unter ihnen etwa Siemens-Chef Peter Löscher und Commerzbank-Primus Martin Blessing, von null (1988) auf 23 Prozent (2008) an. Diese Gruppe werde weiter wachsen, prognostizieren die Aufsichtsräte. "Beide Abschlüsse demonstrieren Durchhaltevermögen und analytisches Können", sagt Patrick Schild. "Die Promotion ist wissenschaftlicher, der MBA stärker auf Unternehmensführung ausgerichtet. Zusätzlich bietet er breite internationale Vernetzung und Einblicke in andere Branchen."
Es heißt: "Karriere MACHEN"
Hainer: Wichtig ist, seine Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen, Initiative zu zeigen, sich weiterzubilden und damit für die nächste Aufgabe zu empfehlen.
Gerade die sind nämlich ansonsten Mangelware: Weniger als ein Drittel der CEOs hat in anderen Branchen Spuren hinterlassen. Auch die Zahl der Firmen, in denen die Vorstandsvorsitzenden vor ihrer Berufung tätig waren, ist mit im Schnitt knapp 1,5 verblüffend gering.
Noch sind Manager wie Reto Francioni, der vor seiner Berufung zum Chef der Deutschen Börse in sechs anderen Firmen tätig war, krasse Ausreißer. Doch das wird sich ändern, die Zahl der Unternehmensstationen wird zunehmen, prophezeien Experten, weil in einem dynamischeren und internationaleren Umfeld die Bedeutung interner Kontakte sinkt. "Man muss sein Netzwerk stärker diversifizieren, die Kaminkarrieren werden abnehmen", sagt Thomas Hutzschenreuter, Professor für Unternehmensentwicklung an der WHU. Das gilt für die auf ihr Fachgebiet spezialisierten Vorstände noch mehr als für den generalistisch agierenden Vorstandsvorsitzenden.
Gleichzeitig aber wird sich der mit 77 Prozent sehr hohe Anteil intern rekrutierter CEOs (1988: 84 Prozent) kaum weiter verringern. Denn der Schritt vom Vorstand zum Vorsitzenden ist enorm politisch, etwa was das Verhältnis zu Arbeitnehmern betrifft. Viel stärker als vor 20 Jahren, meint Adidas-Chef Herbert Hainer, "ist der CEO heute ständiger Botschafter des Unternehmens nach innen und außen". Das heißt: Er muss zu allen Stakeholdern eine Brücke schlagen. "Da ist eine langjährige Verwurzelung im Unternehmen oft das entscheidende Argument", sagt Hutzschenreuter.
Die Ausnahme: Krisensituationen wie die, welche den externen Manager Peter Löscher an die Spitze von Siemens spülte, oder ein anstehender Radikalumbau wie der, den Wolfgang Reitzle ab 2002 bei Linde erst als Technikvorstand und ab 2003 als CEO in Angriff nahm.
Der Aufstieg von der einfachen Führungskraft bis an die Spitze eines Dax-Konzerns, er hat also etwas von einem komplizierten Balanceakt zwischen fachlicher Tiefe und breit angelegter Motivationskunst, zwischen hausmachtförderner Kontinuität und netzwerkbildenden Firmenwechseln. Konstant scheint allein das Alter, in dem Manager zum Vorstandschef ernannt werden: Es lag sowohl 1988 als auch 2008 im Schnitt bei gut 52 Jahren. Sollte sich diese Regel fortsetzen, dann wäre ein im Jahr 2028 berufener Vorstandsvorsitzender, wenn der Dax 40 wird, heute 33 Jahre alt. Und damit im besten Alter, um die ent-scheidenden Weichen seiner Karriere zu stellen.
Natürlich ist ein Aufstieg bis an die Spitze nicht planbar, darin sind sich alle CEOs einig. Ein starrer Plan verstellt den Blick auf Opportunitäten und vermindert die Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln. Aufstiegsplanung, sagt Wenning, sei wie eine Kapitalanlage: "Je steiler man den Karriereweg anlegt, also auf Rendite hofft, desto größer ist das Risiko, zu scheitern." Gerade ambitionierte Jungmanager, sagt Kollege Hainer von Adidas, erwarteten zuweilen regelrecht ihre Karriere. "Dabei heißt es zu Recht ,Karriere MACHEN'."
Abwechslung wird großgeschrieben
Die Frage ist also: Welche Kompetenzen sollte ein Jungmanager Anfang 30 bereits erworben haben? Und welche Stationen sollte eine künftige Topführungskraft weiter durchlaufen? Welche Lehren lassen sich aus dem Aufstieg der Vorstandsvorsitzenden von 1988 und 2008 für den virtuellen CEO des Jahres 2028 ziehen?
Obwohl der Vorstandsvorsitz noch nie sein Ziel gewesen ist, kann man sagen, dass Björn Dressler, der kürzlich seinen 34. Geburtstag feierte, schon ziemlich viel richtig gemacht hat. Lehre als Kfz-Mechaniker, Wirtschaftsingenieur-Studium, Trainee im Junior Managers Program bei Bosch, dann Projektleiter beim Aufbau einer Fertigungsreihe in Ungarn. Konsequent ist Dressler, der bedächtig spricht und Autos mag und Zahlen, seinen Schwächen zu Leibe gerückt: Weil er sich mit Sprachen schwertut, ging er schon während des Studiums nach Finnland und Australien. Und auf seinen Fachhochschulabschluss sattelt er derzeit noch einen MBA drauf. "Schon in der Schule merkte ich, dass ich gern Verantwortung übernehme", sagt er. "Auch deshalb habe ich mich für eine Führungs- statt Fachkarriere entschieden." Am ungarischen Bosch-Standort Hatvan leitet er derzeit zwei Fertigungsstraßen für Bremssysteme mit 300 Mitarbeitern.
Als Gruppenleiter könne er hier Führungskompetenz sammeln und "interkulturelle Geländegängigkeit" üben, lobt Bosch-Personaler Johannes Elling, der die leitenden Angestellten und Direktoren des Unternehmens betreut. Als Nächstes könnte der Wechsel in einen anderen Geschäftsbereich oder eine Station in der Zentrale sinnvoll sein. Zwar gibt es bei Bosch keinen festen Karrierefahrplan. Doch auf häufigen "Perspektivenwechsel", zwischen Funktionen, Geschäftsbereichen, Ausland und Inland, legt man großen Wert. "Ohne diese Bausteine ist ein Aufstieg in den Bereichsvorstand kaum möglich", sagt Elling.
Abwechslung wird also großgeschrieben, nicht nur bei Bosch: Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen strategischen und Linienfunktionen empfehlen die befragten Aufsichtsräte. Als besonders aufstiegsförderlich gelten Positionen in Finance, Controlling, Operations sowie Marketing, idealerweise eine oder mehrere davon im Ausland.
Allerdings, prophezeien die Aufseher, werde der Finanzvorstand künftig nicht mehr automatisch Kronprinz sein. Schon unter den 2008 amtierenden CEOs waren nur noch 39 Prozent vor ihrer Berufung in Finance tätig - 1988 waren es mehr als die Hälfte. "Der Königsweg wird stärker über das jeweilige Kerngeschäft führen", sagt Personalberater Schild. Dass sich etwa Herbert Hainer seine Sporen im Marketing und Vertrieb verdiente, verschaffte ihm beim Markenartikler Adidas eine gute Startposition. "Eine ,Vermarkterseele' ist bei uns sicher unabdingbar", sagt er selbst.
Geringere Chancen, ganz nach oben zu kommen, hat, wer sich im Personalwesen oder der Unternehmensentwicklung tummelt. Und auch ein vermeintlicher Startvorteil könnte sich als Hindernis entpuppen: die Strategieberatung. Zwar ist der Anteil der CEOs mit Berufserfahrung bei McKinsey und Co. zwischen 1988 und 2008 von null auf 10 Prozent gestiegen - dank Vorstehern wie Frank Appel (Post ) oder Martin Blessing. Eine weiter wachsende Bedeutung der Consulting-Branche sehen die Aufsichtsräte aber nicht. Dort, sagt Ex-Adidas-Aufsichtsratschef Friderichs, lerne man gerade das nicht, was künftig wichtiger werde: den Ausgleich zwischen verschiedenen Stakeholdern und Firmenbereichen. "Statt abstrakte Strategien zu entwickeln, ist es sinnvoller, sichtbar Dinge zu bewegen."
Die Jobhopper melden sich ab
Einfach drauflosarbeiten also? Das klingt banal, und doch nennen CEOs und Aufsichtsräte die möglichst frühe echte operative Leitung als entscheidende Lehre für den Aufstieg. "Nicht auf die Summe der Bausteine kommt es an", meint Wenning, "sondern darauf, dass mit jeder neuen Funktion auch die Verantwortung wächst." Nur so kann man den Mut zu Veränderung und Innovation unter Beweis stellen, die Herbert Hainer als Ausweis von Führungsstärke definiert. Wer die Mühen der Ebene nicht scheut und in der Linie sein Projekt oder seinen Bereich konkret verbessert, macht damit mehr auf sich aufmerksam als mit dem Abhaken einer vermeintlich perfekten Aufstiegs-Checkliste.
Thilo Höllen etwa ist gerade 33 Jahre alt, mit 27 war er jüngster leitender Angestellter der Telekom, heute verantwortet er das "Operative Produktionscontrolling Technik", gut 50 Mitarbeiter, zweite Führungsebene der T-Home. Ein ziemlich schneller Aufstieg, den Höllen auch der Tatsache verdankt, dass er seine ursprünglichen Pläne über Bord geworfen hat. "Ich hatte recht konkrete Vorstellungen über meine Karriereschritte, aber es kam jedes Mal anders." Beispielsweise wollte er nie ins Controlling, bis ihn vergangenen November der Technikvorstand anrief und Höllen seine jetzige Position anbot. Bis dahin war der Jungmanager stellvertretender Leiter einer Telekom-Technik-Niederlassung und verantwortete die Produktion im Festnetzgeschäft mit rund 2500 Mitarbeitern. Jetzt hatte er ganze 24 Stunden Bedenkzeit, den neuen Job anzunehmen. Wahrscheinlich hätten ihm aber auch zwei gereicht.
Höllen ist in der Eifel aufgewachsen, was man ganz leicht beim Sprechen hört, und die Bodenständigkeit des Landstrichs schimmert durch sein persönliches Karriereprinzip: Den aktuellen Job bestmöglich zu machen, auch wenn es nicht das ursprünglich Geplante ist. Ganz schlicht, sehr effektiv. Höllen nahm den Controlling-Job an, weil es gerade nicht der Weg des geringsten Widerstands war: "Da kann ich am besten beweisen, was ich kann."
Dieser Effekt ist der wahre Grund, warum Personaler, Vorgesetzte und Experten das Hohelied von früher operativer Verantwortung und Auslandserfahrung singen: haarige Personalgespräche, Budgethoheit, der Kampf um Innovationen und Marktanteile - hier wird am ehesten klar, wer wirklich Einsatz zeigt, auch wenn's schwierig wird. Deshalb wird künftig auch die Verweildauer auf einzelnen Positionen länger werden. Die klassischen zweieinhalb Jahre sind schlicht zu kurz, um nachhaltige Resultate der eigenen Handschrift zu liefern. Die Jobhopper melden sich ab, es geht wieder um Substanz.
Denn fachliche Exzellenz, stetige Weiterbildung, schillernde Stationen, kurz: Alles, was durch Zeugnisse und Zertifikate nachweisbar ist, das wird bei Topmanagement-Aspiranten schlicht vorausgesetzt. Die wahre Hürde bilden die persönlichen Fähigkeiten eines CEOs, wie sie die befragten Aufsichtsräte erwarten: Führungsstärke, soziale Kompetenz, Visions- und Teamfähigkeit, analytische Begabung und Kommunikationsgeschick liegen hier auf den ersten sechs Plätzen. "All das muss glaubwürdig gelebt und langfristig orientiert sein", sagt Ex-Adidas-Aufseher Friderichs. "Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.
Fragt sich nur, ob man diese Fähigkeiten überhaupt lernen kann. Merck-Aufseher Krebs ist da skeptisch: "Eine gewisse Basis muss schon in Kindheit und Jugend gelegt werden. Man kann nicht mit Anfang 30 plötzlich beschließen, führungsstark zu werden." Anders gesagt: Klassensprecher, Kapitän beim Fußball oder auch nur Organisator einer Examenslerngruppe, das wäre sicher nicht verkehrt. Siemens-Chef Löscher etwa brachte es als junger Mann bis zum Spielführer des Kärntener Volleyballverbands. Der Rest kommt ganz preußisch-diszipliniert durch üben, üben, üben. Stichwort: operative Verantwortung in der Linie. "Die Grundvoraussetzung für Erfolg", sagt Wenning, "ist nicht Anpassung, sondern der Wille, Veränderungen selbst zu gestalten."
"Etwas mehr Demut"
Wobei mit "Gestaltung" die Arbeit selbst gemeint ist, nicht der eigene Karrierestatus. Denn "nur wer mit Leidenschaft bei der Sache ist, wird erfolgreich sein", sagt Wenning. Fachlich brillant sind viele Führungskräfte, aber auch extrem strategisch. Mit einem festen Karrierefahrplan im Kopf erachten sie es beinahe schon als unter ihrer Würde, eine Position unterhalb der Bereichsleiterebene zu bekleiden. Statt für die Sache, brennen sie vor Ehrgeiz, bisweilen über die Grenze zur Unhöflichkeit hinaus. Und verpassen mit ihrer Verbissenheit die besten Chancen für den Aufstieg. Nicht wenigen Jungmanagern, oft gerade den talentierten, "täte etwas mehr Demut ganz gut", mokieren sich einige Aufsichtsräte hinter vorgehaltener Hand.
Wenn hierarchischer Ehrgeiz die inhaltliche Leidenschaft übersteigt, fliegt das früher oder später auf. Merck-Aufsichtsratschef Krebs, der sich sehr für Psychologie interessiert, hat seine ganz eigene Methode entwickelt, um die wahren Motive potenzieller Vorstandskandidaten zu überprüfen. Beiläufig fragt er etwa, was die Familie von einer Auslandsentsendung halte. "Wer antwortet, ,Kein Problem, das bestimme immer noch ich', beweist nicht gerade gesteigerte Teamfähigkeit." Dann erkundigt sich Krebs über einem Glas Wein zwanglos nach den Urlaubsplänen des Anwärters. Wenn der von seinem Traum, dem eigenen Segelboot und dem Haus auf den Malediven, schwärmt, dürfte auch die Frage nach der Bedeutung der finanziellen Motivation geklärt sein.
Die Karriere lässt sich nicht planen
Karrieren, erst recht bis ganz hinauf an die Spitze, lassen sich eben nicht durchplanen. Und die sicherste Methode, kein CEO zu werden, ist vielleicht die, es unbedingt zu wollen. Clemens Fischer kann das bestätigen, auch wenn die Ausgangslage bei ihm genau umgekehrt war. Fischer ist 34 Jahre alt, also ein potenzieller CEO des Jahres 2028, und tatsächlich kann er einen Lebenslauf vorweisen, wie ihn sich Personalentwickler nicht in ihren kühnsten Träumen auszumalen wagen. Studium der Medizin und Betriebswirtschaft, beides mit "sehr gut" abgeschlossen. MBA an der renommierten Harvard Business School. Mit 17 eine Mobilfunkfirma gegründet (die er für mehrere Hunderttausend Mark verkaufte), später einen Krebstest entwickelt und diverse neue Firmen aus der Taufe gehoben.
Seinen Vater kennt er nicht, seine Mutter ist Krankenschwester, kleine Verhältnisse in der bayerischen Provinz. Fischer ist einer der ganz wenigen Jungmanager, die offen über ihr Berufsziel CEO sprechen: "Ich wollte immer unbedingt in einem Großkonzern Karriere machen." 2002 beginnt er als Senior Product Manager bei Novartis , es ist die ideale Position, Fischer denkt schnell, hat gute Ideen, er steigt rasch auf, bis zum Mitglied der Geschäftsleitung für Deutschland. Er hatte jetzt einen gut Teil des Weges geschafft, weit mehr als die allermeisten in seinem Alter. Doch dann die Überraschung: Er, der allzeit Aktive ("Bei mir muss immer Feuerwerk sein"), sitzt in Meetings, liest Protokolle, zeichnet Aktennotizen ab. "Diese Konzernstrukturen, das war nichts für mich. Nur Absicherung, während kreative Ideen verschlafen werden."
Novartis drängt ihn zu bleiben, doch im Dezember 2008 steigt Fischer aus. Er konzentriert sich jetzt ganz auf seine eigene Firma Fischer Healthcare, eine Art Unternehmensberatung für Pharmafirmen, zweieinhalb Millionen Euro Umsatz. Viele schlaflose Nächte gingen dem Abschied von seinem Traum voraus, doch jetzt hat er sie wieder, die Freiheit, die Kreativität, die Arbeit, die sich anfühlt wie ein Hobby: "Ich konnte mich meiner Veranlagung nicht entziehen."
Es ist genau die Leidenschaft, von der Hainer spricht. Nur dass sie im Fall Fischer bis 2028 voraussichtlich nicht zum CEO-Posten führen wird. Es sei denn in seinem eigenen Unternehmen.