Führungspersönlichkeiten in der IT sind häufig bestrebt, die Leistung ihrer Mitarbeiter zu steigern. Aber wie oft treten sie selbst einen Schritt zurück, um sich darauf zu konzentrieren, wie gut sie ihre Teams führen? Viele Chef sind zu sehr damit beschäftigt, ihre Erfolge und Visionen zu verkaufen. Dabei übersehen sie die Anzeichen dafür, dass ihr eigenes Fundament gestärkt werden muss.
Erfahrene Tech-Profis verweisen auf verschiedene Warnzeichen, bei denen Tech-Führungskräfte ihren Ansatz überdenken sollten. Bestimmte Verhaltensweisen, die Art und Weise wie IT-Manager ihre Autorität einsetzen, ihren Führungsstil ausleben und ihre Kollegen einbeziehen, können Hinweise darauf liefern, dass etwas nicht stimmt. Hier sind einige Anzeichen, die darauf hindeuten, dass Sie eine schwächere Führungskraft sind, als Sie denken.
Die Leute gehen von der Fahne
Für Nabila Salem, Präsidentin der Revolent Group, ist das sicherste Zeichen einer schwachen Führung eine hohe Personalfluktuation. Das Problem, sagt sie, ist häufig ein Mangel an Empathie an der Spitze. "Wenn Ihre Mitarbeiter nicht das Gefühl haben, dass Sie sich um sie kümmern, warum sollten sie sich dann für Sie und Ihre Ziele interessieren?"
Man könne so viel erreichen, wenn man seinen Mitarbeitern einfach nur zuhöre, argumentiert Salem, "und letztlich können wir nicht erwarten, dass unsere Mitarbeiter überdurchschnittliche Leistungen erbringen, wenn sie nicht das Gefühl haben, dass wir ihre Interessen in den Vordergrund stellen". Wenn die Mitarbeiter sich nicht inspiriert, unterstützt und motiviert fühlten, ihr Bestes zu geben, würden sie das Unternehmen verlassen.
Besonders besorgniserregend sei die Fluktuation, wenn es sich bei den Abgängern vor allem um unterrepräsentierte Gruppen in der Branche handelt, so Salem. "Als jemand, der mehr als 15 Jahren Führungserfahrung hat und selbst eine Frau ist, habe ich oft erlebt, dass Frauen und Minderheiten es in der Tech-Branche schwer hatten, sich durchzusetzen." So zeige ein Blick in den Jahresbericht von Google zum Thema Vielfalt beispielsweise, dass im Jahr 2020 nur 32,5 Prozent der Google-Angestellten Frauen waren - "und das ist im Vergleich zum Rest der Branche noch ein relativ guter Schnitt. Ich habe zwar positive Veränderungen gesehen, aber diese erfolgen oft langsam und schrittweise.
Sich selbst auf die Schulter klopfen
Ein weiteres besorgniserregendes Zeichen sei, wenn IT-Manager ständig davon sprechen, was für eine starke Führungspersönlichkeit sie sind, sagt Noa Matz, Operating Partner und Startup-Psychologe bei F2 Venture Capital. "Eine gute Führungskraft reflektiert in der Regel über ihre Führungsqualitäten, stellt ihre Skills stetig in Frage und sucht aktiv nach Feedback zu ihren Fähigkeiten", so Matz. "Ein sicheres Zeichen für eine gute Führungskraft ist es, die Mitarbeiter zu fragen, wie zufrieden sie beruflich sind, sicherzustellen, dass sie sich für ihre eigene Arbeit verantwortlich fühlen, und dafür zu sorgen, dass sie Raum für Kreativität haben."
Frauen im Team werden nicht wertgeschätzt
Nancy Wang, General Manager von AWS Data Protection and Governance und Gründerin sowie CEO von Advancing Women in Tech, berichtet davon, dass die "gläserne Decke" in der Tech-Branche oft erkannt, aber selten thematisiert werde. Ein unglückliches Ergebnis sei beispielsweise, wenn Frauen und Farbige im Zuge einer Krise befördert werden.
"Die unglückliche Wahrheit ist, dass Unternehmen oft schon gescheitert sind, und die Frauen, die es umkrempeln sollten, im Grunde genommen keine reelle Chance hatten. Aber trotzdem mussten sie den Kopf hinhalten, wenn sich die Rentabilität nicht verbessert hat." Dies schade dem beruflichen Aufstieg von Frauen wahrscheinlich mehr, als dass es ihm helfe, so Wang. Und weil es so wenig Erfolgsgeschichten gibt, würden Frauen entweder mit dem "Halo"- oder dem "Horn"-Effekt beurteilt - entweder über den grünen Klee gelobt oder von Anfang an verrissen. Wang: "Wir müssen einen ausgewogeneren Ansatz finden."
Eigene Projekte nehmen zu viel Platz ein
Ein Teil der Herausforderung, die Motivation eines IT-Teams aufrechtzuerhalten, besteht darin, die Bedürfnisse der Kunden mit den Anforderungen der Teammitglieder in Einklang zu bringen. Diese wollen gerne an der modernsten technischen Umsetzung arbeiten, was möglicherweise nicht den Bedürfnissen des Kunden entspricht. In der Folge kann es zu einer Überfrachtung mit Funktionen kommen. "Das Gleichgewicht zu halten ist eine Herausforderung, mit der jede IT-Führungskraft im Laufe ihrer Karriere konfrontiert wird", sagt Matz: Einerseits das Tech-Team zu ermutigen, zu begeistern und ihm das Gefühl zu geben, dass es die Welt verändert, und gleichzeitig sicherzustellen, dass das Produkt und die Kundenbedürfnisse aufeinander abgestimmt werden.
Ergebnisse fallen durchwachsen aus
Susanne Tedrick, leitende Infrastrukturspezialistin bei Microsoft und Autorin des Buches "Women of Color in Tech", sagt, dass schwache Führungskräfte oft unrealistische Erwartungen an den Umfang und den Zeitplan von Projekten hätten. Derartige Chefs würden weder die Verfügbarkeit von Ressourcen noch die Fähigkeiten ihrer Teams sowie bestehende Verpflichtungen berücksichtigen. "Wenn das Team nicht weiß, was realistischerweise erreichbar ist, können die Teammitglieder ausbrennen, weil sie versuchen, vielen Anforderungen gleichzeitig gerecht zu werden", argumentiert Tedrick. Dies führe dazu, dass talentierte Mitarbeiter das Unternehmen verlassen und die Ergebnisse nach Abschluss eines Projekts durchwachsen sind.
Tedrick erinnert sich an eine Organisation, in der der Manager verlangte, dass mehrere Projekte zur Einführung neuer Technologien gleichzeitig und innerhalb eines engen Zeitrahmens durchgeführt werden sollten, ohne die Fähigkeiten der Teams zu berücksichtigen. "Ich stimmte zwar zu, dass die Änderungen für das Unternehmen von Vorteil sein würden, aber die vorgegebenen Zeitpläne waren bestenfalls ehrgeizig und schlimmstenfalls lächerlich", sagt sie. "Ich lehnte die Zeitvorgaben ab, weil ich wusste, dass mein Team und ich nicht über die notwendigen Fähigkeiten verfügten, um die Technologien in diesem Umfang zu implementieren."
Zudem sei das Unternehmen nicht bereit gewesen, Geld für zusätzliche Schulungen oder externe Ressourcen auszugeben, und es gab andere ausstehende Projekte und Aufgaben, deren Fristen nicht angepasst werden konnten. IT-Führungskräfte müssten verstehen, so Tedrick, dass die Ressourcen begrenzt sind und dass eine Überforderung zu negativen Ergebnissen führen kann. "Konzentrieren Sie sich auf die Projekte und Aufgaben, die echte Prioritäten sind, hören Sie auf Ihre Teams, wenn Sie sie um Rat fragen, und seien Sie bereit, in externe Ressourcen zu investieren, um den Projekterfolg sicherzustellen."
Personalkennzahlen entwickeln sich schlecht
"Die Unfähigkeit, das Wachstum Ihrer Belegschaft zu unterstützen, ist ein sicheres Zeichen für eine schwache Führung", sagt Wang. "Schauen Sie sich ihre Kennzahlen an - Einstellung, Beförderung und Mitarbeiterbindung - im Zeitalter der Great Resignation stimmen die Leute mit den Füßen ab." Viele Menschen, vor allem Frauen, hätten Schwierigkeiten, Mentoren zu finden, argumentiert sie, und diese Mitarbeiter verlassen wahrscheinlich das Unternehmen, um einen anderen Arbeitgeber zu finden, der ihre berufliche Entwicklung besser unterstützt. Dies gelte insbesondere für Positionen im mittleren Management und in der Geschäftsführung.
"Menschen haben Schwierigkeiten, in Führungspositionen aufzusteigen, weil es an kompetenzbasierten Schulungen, Mentoren und Bildungsinhalten mangelt", berichtet Wang. "Um dem entgegenzuwirken, müssen Unternehmen in die Förderung und Entwicklung ihrer nächsten Generation von Führungskräften durch Mentorenprogramme investieren und Vielfalt sowie Wachstum innerhalb ihrer Organisation fördern." Ohne Möglichkeiten, die Karriere über das mittlere Management hinaus zu beschleunigen, werde die Lücke, die bei den oberen Führungspositionen besteht, nicht geschlossen.
Aus dem Gleichgewicht geraten
Jamie Peers, Vice President of Business Development bei Synatic, ist der Meinung, dass sich Führungsqualitäten grob in drei Bereiche unterteilen lassen: Einfühlungsvermögen, Entscheidungsfreudigkeit und Teamzuordnung. Dies funktioniere am besten zu gleichen Teilen, sagt er. Schwache Führungskräfte könnten sich zu sehr auf einen Bereich konzentrieren und die anderen vernachlässigen. "Ich habe festgestellt, dass ein Manager, der einen dieser drei Bereiche entweder über- oder unterbewertet, ein negatives Umfeld schafft", so Peers. "Wenn eine Führungskraft beispielsweise übermäßig entschlossen ist, neigt sie dazu, Teammitglieder zurückzulassen. Wenn ein Manager nicht entscheidungsfreudig ist, kann er wichtige Dinge nicht erledigen."
Peers räumt ein, dass er selbst dazu neigt, zu viel Entschlossenheit an den Tag zu legen. "Ich musste sehr hart an meinem Einfühlungsvermögen arbeiten, damit ich die Standpunkte anderer verstehe", sagt er. Er habe gelernt, Teammitglieder anzuleiten, anstatt sie zu zwingen, seine Entscheidungen mitzutragen. So könne er verhindern, dass Kreativität und Innovationskraft eingeschränkt und die Fähigkeit, ein gewisses Maß an Autonomie zu spüren, zunichte gemacht werde. "Ohne das Gefühl der eigenen Autonomie sinkt die Akzeptanz sofort."
Das Team ist nicht leistungsfähig
Wenn Sie ständig frustriert und wütend auf Ihr Team sind, könnte das Problem tatsächlich bei Ihnen und nicht bei Ihren Kollegen liegen, sagt Denise Brinkmeyer, Präsidentin und CEO von Jump Technology Services. "Letzten Endes lässt sich dies auf die Fähigkeit des Managers zurückführen, das Team zu motivieren, die Vision zu formulieren, effektives Feedback zu geben oder den Mut zu haben, die Richtung zu ändern, wenn es nötig ist."
Die Führungskraft müsse belastbare Beweise dafür sammeln, dass das Team die Anforderungen nicht erfüllt. Oft deuten die Beweise jedoch auf eine schlechte Kommunikation seitens der Führungskraft hin, die sich entweder zu beschäftigt fühlt, um klare Anweisungen zu geben - oder die Kommunikation stellt sich als nicht existent heraus. "Manchmal glauben Manager, dass sie Informationen geliefert haben, die sie nicht geliefert haben."
Das Problem verschärfe sich ihrer Meinung nach, weil die Führungskraft möglicherweise zusätzliche Arbeit übernimmt, wodurch weniger Zeit für Coaching und Feedback an das Team bleibt. Dies ende in einem Teufelskreis, der dazu führt, dass die Führungskraft überlastet und das Team unzufrieden ist. "Eine Führungskraft muss sich vielleicht eingestehen, dass sie ihre eigene Führung als mangelhaft empfindet", sagt sie. "Wenn sich die Führungskraft zu Veränderungen verpflichtet und diese auch umsetzt, kann das Team neuen Respekt finden, was die Einstellung und Leistung verbessert."
Sie versprechen zu viel
Manche IT-Führungskräfte versprechen zu viel und halten nicht, was sie versprechen. Brinkmeyer erinnert sich an den Manager, der den Softwareingenieuren ein Projekt mit unklaren Anforderungen und einem unmöglichen Zeitplan auferlegte. Trotz dieser und weiterer Herausforderungen ließ sich der Chef nicht beirren. "Die zugrundeliegende Technologie war gerade erst aus der Betaphase heraus, und die Dokumentation für die Technologie war spärlich", sagt sie.
Am Ende sei die Technologie nicht in der Lage gewesen, die Erwartungen zu erfüllen, aber den Teams sei gesagt worden, dass alles Nötige getan würde, um das Projekt zu realisieren. "Ich werde nie vergessen, wie ich am Büro von zwei meiner Teammitglieder vorbeiging, nachdem ich selbst gerade eine 12-Stunden-Schicht beendet hatte", so Brinkmeyer. "Als ich mich gerade verabschieden wollte, sah ich sie vor dem Bürofenster stehen und auf den Parkplatz starren. Zwei Monate später arbeiteten sie bereits für andere Unternehmen."
My way oder no way
Vinay Hiremath, CTO und Mitbegründer von Loom, unterscheidet zwischen persönlicher und positioneller Autorität. Seiner Meinung nach tendieren schwache Führungskräfte dazu, sich auf Letztere zu verlassen. Manager hätten die Positionsautorität, Befehle zu erteilen, einzustellen und zu entlassen. Effektive Führungskräfte hingegen, so argumentiert er, bauen ihre persönliche Autorität auf, indem sie zuhören, Möglichkeiten eröffnen und eine Vision vorschlagen, die andere teilen und zu deren Umsetzung sie sich ermächtigt fühlen.
"Wenn Führungskräfte nicht respektiert werden, ihre Überzeugung nicht stark ist oder sie ihrem Team keinen Raum lassen, sich an der Entwicklung der Strategie zu beteiligen, haben sie eine geringe persönliche Autorität in ihrem Team, und alles wird schwieriger", sagt Hiremath. Der Erfolg einer Führungskraft sollte daran gemessen werden, wie oft sie sich auf ihre Autorität stützt, um Veränderungen in ihrem Unternehmen herbeizuführen. "Wenn die Antwort 'nicht oft' lautet, handelt es sich wahrscheinlich um eine starke Führungskraft. Wenn die Antwort 'oft' lautet, sind sie wahrscheinlich keine so starke Führungskraft, wie sie vielleicht denken."