Mobile Computing etabliert sich als Bestandteil von Enterprise Content Management. Der Bitkom-Studie "ECM im Mittelstand" zufolge, die unter mehr als 300 Entscheider aus dem Mittelstand betrieben wurde, besteht unter IT-Anwender ein großer Bedarf an schnellen und ortsunabhängigen Zugriffsmöglichkeiten auf Informationen (siehe Grafik).
Dem wachsenden Interesse steht ein breites Angebotsspektrum gegenüber, denn knapp die Hälfte der 135 im ECM-Marktspiegel von Trovarit aufgelisteten ECM-Systeme verfügen über Frontends für das iPad (44 Prozent) und iPhone (43 Prozent). Windows Mobile basierte Geräte werden von 29 Prozent, Android-Devices von 27 Prozent der Lösungen unterstützt. Die Tatsache, dass Windows Mobile häufiger genannt wird, als die Android-Plattform, die im Endgerätemarkt eine bedeutend größere Rolle spielt, überrascht Karsten Sontow, Gründer und Vorstand der Trovarit AG: "Ich führe dieses Ergebnis darauf zurück, dass sowohl CRM- und ERP-Anwendungen von Microsoft, als auch die wachsende Zahl SharePoint-basierter ECM-Systeme dazu führen, dass mobile Windows-Clients eine attraktive Plattform für die Anbieter sind."
Allerdings halten sich die Hersteller bis dato noch zurück, die mobile Devices als vollwertige Clients zu gestalten. "Grundsätzlich haben sich die Anwendungen mittlerweile zu hoch funktionalen, ergonomischen Anwendungen entwickelt", beobachtet Maximilian Gantner, Senior Analyst & Leiter Pentadoc Radar. "Die meisten Apps konzentrieren sich jedoch auf das Anzeigen von Dokumenten und Workflows. Die mobile Bearbeitung wird im Moment noch eher weniger fokussiert."
Mobile ECM - nur eine Schnittstelle?
Für Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der Project Consult Unternehmensberatung GmbH in Hamburg, ist Mobility im Enterprise Content Management (ECM) und Enterprise Information Management (EIM) eine Begleiterscheinung, die die Branche selbst nicht aktiv gestaltet. "Die Innovationen kommen von außen. Die ECM-Hersteller versuchen nur, sie zu adaptieren", beobachtet Kampffmeyer. Wenn aber Information den größtmöglichen praktischen Nutzen für Endanwender entfalten soll, ist Mobility eine Grundvoraussetzung.
Daraus ergeben sich für Kampffmeyer zwei zentrale Herausforderungen: "Erstens: Wie kommt Information heute in traditionelle ECM-Systeme hinein? Zweitens: Wie werden diese Informationen auf neuen Geräten zur Verfügung gestellt? Die Basis der klassischen ECM-, DMS- oder EIM-Anwendungen ändert sich wenig. Es geht um neuen Nutzungsmodelle, neue Oberfläche, neue Devices bei Eingabe und Ausgabe."
Neue Datenquellen einbinden
Trivial sind die Herausforderungen der mobilen Arbeitswelt an das Informationsmanagement keinesfalls, denn es gilt teilweise ganz neue Informationsquellen und Informationsformate in die Systeme zu integrieren: So werden beispielsweise Dokumente zunehmend fotografisch erfasst. Die dabei entstehenden Dateien unterscheiden sich oft erheblich von "klassisch" gescannten Dokumenten. Kampffmeyer verweist in diesem Zusammenhang auf die Unterschiede in der Auflösung sowie auf Verzerrungen, die dadurch entstehen, dass ein Kamera-Objektiv ein Dokument nicht so genau rechteckig erfassen kann wie ein herkömmlicher Flachbettscanner. "Es gibt allerdings bereits Smartphones und Kameras mit speziellen Dokumenten-Foto-Modi, die diese Unzulänglichkeiten ausgleichen", weiß Kampffmeyer. Wie erheblich die Abweichungen sind zeigt sich spätestens dann, wenn Anwender versuchen, ihre Dokumente mit einer OCR-Software in editierbaren Text umzuwandeln.
Der zweite, noch gravierendere Unterschied bei der Erfassung besteht im Umgang mit den Metadaten, die beim Import der Dokumente in die ECM-Software mit übergeben werden müssen, um die Dokumente systematisch zu indizieren. Mobiles Content- oder Informations-Management benötigt daher spezielle Apps für Mobilgeräte. "Und was derzeit am Markt angeboten wird, unterstützt gerade das Indizieren nur eingeschränkt. Vielfach hat man nur die Wahl eines Zielordners", konstatiert Kampffmeyer. "Das liegt daran, dass die meisten verfügbaren Apps noch auf Consumer-Upload und Social-Media-Verwendung ausgelegt sind und nicht auf professionelle geschäftliche Anwendungen."
So bestehe dann beispielsweise die Gefahr, dass durch Fehlbedienung solcher zum Teil kostenlos verfügbaren Apps vertrauliche Daten automatisiert auf Social-Media- und Sharing-Plattformen wie Google, Facebook, SkyDrive, Dropbox oder Box landen, was mit den Compliance-Anforderungen für Unternehmen in Deutschland selten vereinbar ist. "Hier werden spezielle Authentifizierungs- und Sicherheitsmechanismen benötigt, um Digitalkameras, Handys und Tablets zur Erfassung von Content für Unternehmensanwendungen verwenden zu können", betont Kampffmeyer.
Ähnlich sieht es beim mobilen Erstellen von Dokumenten durch den Anwender in Form von Skizzen, Sprachmemos, E-Mails oder Chat-Nachrichten aus. Es gilt es, zwischen privater und geschäftlicher Tätigkeit zu unterscheiden und die jeweils adäquate Plattform zu verwenden.
Vorsicht mit Content aus dem Social Web!
Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus der zunehmenden Nutzung sozialer Medien für die Kommunikation mit Kunden, Partnern und anderen Marktteilnehmern. Diese Systeme liegen häufig auf öffentlichen Plattformen und entziehen sich einer geordneten Dokumentation. Auch die dabei entstehenden Daten und Dokumente wollen und müssen immer mehr Unternehmen speichern und verwalten. Hier sollte die Nutzung reglementiert werden - zum Beispiel wenn Mitarbeiter unterwegs Informationen zu ihrem Standort oder aktuellen Tätigkeiten posten, sich an Diskussionsrunden zu Produkten des Arbeitgebers beteiligen oder während der Arbeitszeit im Social-Web surfen.
Zur Dokumentation solcher externer Seiten mit Unternehmensinhalten bedarf es geeigneter Software wie Web-Archivierung. Nicht zu unterschätzen sind die Probleme mit unterschiedlichen Formaten sowie die Anforderungen hinsichtlich Sicherheit, systematischer Indizierung und des Digital Rights Managements (DRM). Die Dokumentation der Unternehmensaktivitäten, besonders im mobilen Bereich, ist daher häufig sehr aufwändig.
Zur manuellen Eingabe gesellt sich die automatisierte Erfassung von Content aus mobilen Quellen, die das Datenmaterial für Big-Data-Anwendungen liefert. Kampffmeyer sieht eine gigantische Menge neuer Informationen auf die Unternehmens-IT einstürmen, wenn künftig Sicherheitskameras, Rauchmelder, Thermostate, Maschinen, Stromzähler sowie viele andere statische und mobile Sensoren vernetzt werden.
Einmal mehr hinken traditionelle ECM-Anbieter einem aktuelle Markttrend hinterher. Absehbar ist, dass sie ebenso langsam auf die Entwicklungen im Mobility-Markt reagieren, wie zuvor schon auf den Cloud-Trend, meint zumindest Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der Project Consult. Ursache dafür seien Technologie und Architektur der ECM-Lösungen, die noch der Client-Server-Welt verhaftet sind. „Vieles, was an Apps angeboten wird, ist daher nur der Versuch, neue Interfaces für die traditionellen Lösungen anzubieten“, bemängelt der ECM-Experte. Als besonders problematisch stellt sich häufig die Größe von Dokumenten und deren Anzeige auf mobilen Endgeräten dar. Die Bereitstellungs-Performanz sei dürftig und das Blättern und Scrollen in TIFF- und PDF-Dokumenten unkomfortabel. Ein echter mobiler ECM-Einsatz nimmt aber auch die Anwender in die Pflicht: „Stellen Sie sich eine elektronische Akte in Form einer PDF-Datei mit 500 Seiten vor. Wenn die beim Abruf auf einen Schlag mit allen zugehörigen Dokumenten geöffnet werden, ist der mobile Client erst einmal lahmgelegt“, beschreibt Kampffmeyer häufige Probleme. Weitere Grenzen ergeben sich durch Leitungsbandbreite, Zwischenspeicher, Betriebssysteme und Displaygrößen der mobilen Clients. |
Neue Optionen in der Workflow-Gestaltung
Mit der Integration von mobilen Abläufen in die ECM-Systeme ergeben sich neue Möglichkeiten in der Gestaltung der Workflows. In dem klassischen Modell haben die Vertriebs- und Servicemitarbeiter vor Ort erhobene Daten in der Regel zunächst lokal auf ihren Notebook gespeichert haben, um sie später mit der zentralen Datenhaltung zu synchronisiert. Dieser zweistufige Prozess kann mit modernen mobilen Clients einstufig mit direktem Zugriff auf die zentralen Systeme gestaltet werden. "Es gibt sehr interessante branchenspezifische Entwicklungen für mobile Vertreter und Wartungstechniker, die bestimmte technische und wirtschaftliche Produktdaten vor Ort abrufen", berichtet Kampffmeyer. "Die Techniker ergänzen eigene Informationen, die dann möglichst gebündelt in einer Schadens-, Produkt- oder Kundenakte im Unternehmen systematisch erfasst werden."
Allerdings benötigt dieses Vorgehen Vorkehrungen, um die Sicherheit zu gewährleisten. Häufig werden zunächst nur Kopien der relevanten Daten in einer demilitarisierten Zone (DMZ) zwischen zwei Firewalls abgelegt. Werden die mobil zugänglichen Informationen korrumpiert, hält sich der Schaden in Grenzen.
Den missbräuchlichen Abruf von kundenbezogenen Daten verhindern die Anwender dieser Methode beispielsweise, indem sie in der DMZ nur Referenzcodes statt kompletter Kundendatensätze ablegen. Das Vorgehen ist aufwändig und daher aus Kostengründen vornehmlich großen Unternehmen vorbehalten bleiben. Zudem benötigen die Lösungsanbieter ein hohes Maß an Prozesswissen über die jeweilige Branche, um eine solche Zone zu implementieren und den Nutzern etwa im Außendienst dennoch Zeitersparnis in Aussicht zu stellen.
Elektronische und Papierdokumente zusammenführen
Der Einstieg in eine mobile ECM-Anwendung geht aber auch einfacher. Ein dankbares und branchenübergreifendes Thema ist das Erfassen von Belegen für die Reisekostenabrechnung. Hier drängt sich eine Nutzung auf, weil viele Quittungen ohnehin elektronisch ausgestellt werden. "Ob Taxiabrechnung mit MyTaxi, Online-Flugticket der Lufthansa oder Hotelbuchung über HRS: immer mehr Services werden elektronisch - per Internet oder mobil - bezahlt", zählt Kampffmeyer auf. "Die abendliche Restaurantrechnung ist demnächst vielleicht der einzige Papierbeleg, den ich auf einer Geschäftsreise erhalte." All diese unterschiedlichen Informationen müssen zusammengeführt und an einem sicheren Ort im Unternehmen abgelegt werden.
Im Alltag siegt dabei gerne der Pragmatismus über die Compliance-Anforderungen. "Schon heute ist die Dropbox ja in vielen Unternehmen eine etablierte Schnittstelle, wenn es darum geht, Dokumente zwischen Windows- und Apple-Welt auszutauschen. Das handhaben vielen Entscheider auch mit Office-Dokumenten", schildert Trovarit-Chef Sontow eine gängige Praxis.
Um den Austausch über unsichere Plattformen nicht ausufern zu lassen, werden wirklich sicherheitsrelevante Informationen für die mobile Nutzung gesperrt. Der große Rest aber wird je nach Bedarf mit mehr oder weniger Sicherheitsaufwand so zur Verfügung gestellt, dass alle an den Geschäftsprozessen Beteiligten den für sie wichtigen Content möglichst jederzeit und überall nutzen können.
Diese Praxis ist nicht ohne Risiko, weil der Zugriff immer häufiger über Unternehmensgrenzen hinweg, aus unterschiedlichen Anwendungen und mit einer Vielzahl verschiedener Endgeräte erfolgt. Für den geregelten Zugang wäre eine Klassifizierung von Daten und Dokumenten im Rahmen eines intelligenten Informations-Managements erforderlich. Doch das ist nur in wenigen Unternehmen implementiert. (jha)
Von der kurzen E-Mail bis zum Produktkatalog, vom umfangreichen Vertragswerk bis zum Webseiten-Impressum reicht der Anwendungsbereich von Enterprise Content Management (ECM). Zunehmend spielen dabei auch Chat-Protokolle und Multimedia-Dateien aus dem Social Web eine Rolle. Ihren vollen Nutzen entfalten diese oft als „unstrukturiert“ bezeichneten Daten jedoch nur, wenn sie mit den strukturierten Daten aus den Unternehmensanwendungen sowie aus externen Quellen in Beziehung gesetzt werden. Experten sehen daher einen Wandel vom Enterprise Content Management (ECM) zum Enterprise Information Management (EIM). Die bisherigen Grenzen zwischen „strukturiert“ und „unstrukturiert“ werden überwunden. Software muss heute in der Lage sein, alle denkbaren Formen von Daten und Informationen auf allen Arten von Geräten zu verwalten. Einen tieferen Einblick gewährt ein Beitrag, den sie hier finden. |