Organisation und Geschäftsmodelle

Wie sich E.ON agil aufstellt

21.11.2018 von Rolf Röwekamp
Neue Geschäftsfelder wie Smart Home oder Energie-Management im eigenen Haushalt fordern E.ON Deutschland. In der Digitalagenda des Energieversorgers steht der Kunde mit seinen sich rasant verändernden Anforderungen im Mittelpunkt. Digitalchef von E.ON Deutschland Martin Endress entwirft ein Bild, wie E.ON in fünf Jahren aussehen könnte.
  • Der Kunde steht im Mittelpunkt der Digitalstrategie, weil der Energiekonzern mit diesem klaren Fokus auf Erfolge in neuen Geschäftsfeldern hofft.
  • Scrum-Teams brauchen Entscheidungsfreiheiten und keine Hierarchien mehr.
  • Der Bedarf an klassischen Führungskräften geht zurück.
  • In Zukunft sollten die Digitaleinheiten und die IT idealerweise zusammengeführt werden.
Künftig wird es weniger klassische Führungskräfte alter Prägung geben, andere Anforderungen verlangen andere Fähigkeiten," sagt Martin Endress, SVP Digital bei E.ON Deutschland, voraus.
Foto: E.ON

Anna weiß wirklich viel. Wo finde ich meine Zählernummer? Wie funktioniert ein Umzug? Wie viel Strom erzeugt eine Photovoltaikanlage? Wenn man solche Fragen in das Live-Chat-Fenster auf der Website von E.ON eingibt, erhält man sofort eine Antwort von Anna. Nur ist Anna kein Mensch, sondern die neue digitale Kundenberaterin, die in diesem Sommer ihre Arbeit aufgenommen hat.

Zurzeit erkennt der Chatbot rund 250 Fragen und Themen, zu denen er sofort automatisiert Antworten liefert. Erst wenn Anna auch im dritten Anlauf nichts zu sagen weiß, geht die Frage an einen menschlichen Kollegen im E.ON-Service weiter. "Aus dem Stand heraus konnten wir 70 Prozent der Kundenanfragen mit dem Chatbot beantworten", berichtet Senior Vice President Digital Martin Endress von E.ON Energie Deutschland. Das Unternehmen mit Sitz in München ist die deutsche Landesorganisation des Essener Energiekonzerns E.ON SE.

Machine-Learning-Algorithmus soll den Chatbot trainieren

Betreute bisher ein Mitarbeiter zwei bis drei Chats parallel, so erledigt das nun der Chatbot zu jeder Tages- und Nachtzeit automatisiert allein. Dafür hatte die IT das gesamte Wissen von E.ON über Produkte, Services und Themen in einem Datenpool zusammengeführt, auf den Anna nun zurückgreift. Noch kontrollieren Mitarbeiter die Ergebnisse des Bots und verbessern seine Antworten, im nächsten Schritt soll dann ein Machine-Learning-Algorithmus den Bot trainieren.

Kunde jetzt immer im Mittelpunkt

Anna symbolisiert den Wandel bei E.ON: Der Versorger stellt den Kunden bewusst ins Zentrum allen unternehmerischen Handelns. Alle Kernpunkte der digitalen Agenda wie Automatisierung, Machine Learning und Artificial Intelligence zielen darauf ab, besser auf das Kundenverhalten zu reagieren.

Den eigenen Stromverbrauch auf dem Smartphone ablesen.
Foto: E.ON

Angesichts des sich massiv wandelnden Markts ist das auch nötig. Der Energiekonzern rückt mit neuen Geschäftsfeldern wie Smart Home, Energie-Management zu Hause, E-Mobility oder Konzepten vom Solardach bis zur Powerwall im heimischen Keller immer näher an den privaten Kunden heran.

Neue Services für Kunden geschaffen

Martin Endress kümmert sich in seiner Rolle als Digitalverantwortlicher um Themen wie Business Intel­ligence, Data Warehousing, Data Analytics und die Entwicklung der Website Eon.de für Privat- und Geschäftskunden. Die Website weiterzuentwickeln klingt für einen Energiekonzern vielleicht nicht nach einem Kernthema. Doch angesichts der neu entstandenen Geschäftsfelder kommt der Internet-Seite eine immer wichtigere Bedeutung zu. So eröffnete E.ON im vergangenen Jahr erstmals einen eigenen Webshop, weil das Angebot an Produkten ständig gewachsen war. Zurzeit werden zusammen mit 13 Partnern rund 60 Produkte angeboten, das Sortiment reicht von Leuchtmitteln über Thermostate und Rauchmelder bis hin zu Mäh­robotern.

Die SolarCloud für Photovoltaik-Anlagen

Im Solarbereich können Privatkunden heute beispielsweise die neue "SolarCloud" erwerben, die den von häuslichen Photovoltaik-Anlagen erzeugten Strom virtuell speichert. Kunden können damit ein persönliches Stromguthaben ansammeln und sich mehr und mehr unabhängig von der traditionellen Stromversorgung machen. Künftig sollen sie auch personalisierte Energiespartipps erhalten, wenn beispielsweise von einem Smart Meter ermittelte Verbrauchsdaten von E.ON analysiert werden.

"Ein Scrum-Team muss empowered sein, das ist das Wichtigste für agiles Arbeiten", erläutert Digitalchef Endress. "Es muss mit festen Rollen, aber ohne Hierarchie funktionieren und ein klares Ziel haben."
Foto: E.ON

Um das Verhalten und die Wünsche von Kunden künftig besser verstehen und daraus neue Services ableiten zu können, setzt das Digitalteam auf Techniken wie Machine Learning und Artificial Intelligence. Acht Data Analysts und Data Scientists sitzen in der Münchner Deutschland-Zentrale. Darüber hinaus arbeitet Endress mit den rund 45 Mitarbeitern des E.ON Data Lab zusammen, das ebenfalls in München sitzt und seine Dienste allen Konzernsparten anbietet.

Agile Methoden und Scrum-Teams

Der Kundenfokus, die entstehende Produktvielfalt und der Bedarf an schnellen Ergebnissen verlangen nach agilen Arbeitsweisen. So ist die Web-Entwicklung komplett agil aufgestellt, fünf DevOps-Teams arbeiten nach Scrum. "Ein Scrum-Team muss empowered sein, das ist das Wichtigste für agiles Arbeiten", erläutert Endress. "Es muss mit festen Rollen, aber ohne Hierarchie funktionieren und ein klares Ziel haben."

Die Unternehmens- und IT-Fakten der E.ON SE.
Foto: cio.de

Lokal an einem Ort sollte das Team idealerweise nicht nur wegen des ständigen Austauschs arbeiten, sondern auch, um den Dokumentationsaufwand und den sonstigen Overhead zu verringern. Es soll sich ganz auf den Output fokussieren und schnell zu Ergebnissen kommen. Scrum ist laut Endress ein extrem fokussierter Ansatz, bei dem sich das Team von Sprint zu Sprint abspricht und die nächsten Schritte vereinbart. "Innovationstheater ist dagegen eher die Vorstellung, Scrum sei Jugend forscht, alle hätten Spaß und man klebe irgendwo bunte Zettel an die Wände", spöttelt Endress.

Agile Methoden breiten sich gerade auch im Business aus

Gut 100 Mitarbeiter nahmen in diesem Jahr an Kursen für agiles Arbeiten teil. "Das machen alle freiwillig, Zwang bringt da wenig", so Endress. Neben Scrum arbeitet die Digitaleinheit auch mit anderen agilen Methoden wie Kanban, Design Thinking sowie Lean Startup und Business Model Canvas. Und das neue Arbeiten färbt ab: Agile Methoden machen sich gerade auch im Business breit. Immer mehr Projektteams in den Fachbereichen nutzen ebenfalls Scrum.

Um Mitarbeiter agil arbeiten zu lassen, braucht es den Mut des Unternehmens, Fehler zuzulassen und diese nicht zu sanktionieren. Stimmen die Rahmenbedingungen, dann können die Entwickler selbst entscheiden, ohne lange auf eine Erlaubnis von Vorgesetzten, Boards oder Komitees zu warten. Ebenso werden sie bereit sein, Unterstützung von Dritten anzunehmen.

Mittleres Management wird sich künftig stark ändern

Am mittleren Management geht diese Entwicklung allerdings nicht spurlos vorbei: Es verändert sich. "Künftig wird es weniger klassische Führungskräfte alter Prägung geben, andere Anforderungen verlangen andere Fähigkeiten", ist sich Endress sicher. "Wir stehen am Beginn der Digitalisierung und wir lernen stetig dazu."

Der Digitalchef ist mittendrin

An Scrum-Schulungen hat Digitalchef Endress schon teilgenommen, doch jetzt taucht er noch tiefer ein. So fing er zu programmieren an und lernte HTML, CSS und aktuell Javascript. SQL und PHP sollen folgen: "Als Führungskraft ist es wichtig, sich tief im Thema auszukennen."

Die wichtigsten CIOs der deutschen Energiebranche
Gülnaz Önes
Gülnaz Önes ist seit November 2024 Group CIO bei RWE. Sie kommt von der Mercedes-Benz Mobility AG.
Damian Bunyan
Damian Bunyan ist seit Januar 2016 CIO der E.ON-Abspaltung Uniper in Düsseldorf. In dem Unternehmen werden die E.ON-Bereiche konventionelle Stromerzeugung, Energiehandel und Exploration & Produktion gebündelt. Von 2006 bis 2013 war Bunyan Mitglied der Geschäftsführung des E.on Business Services.
Sebastian Weber
Seit 1. Juli verantwortet Sebastian Weber als CTO bei Eon den IT-Betrieb. Er soll auch die digitalen Plattformen des Konzerns ausbauen. Zudem hat er gemeinsam mit Christopher d'Arcy in einer Doppelspitze die Geschäftsführung der IT-Tochter Eon Digital Technology GmbH übernommen. Beide berichten direkt an Digitalvorständin Victoria Ossadnik.
Martin Hölz
Ab 1. April 2020 wird Martin Hölz CIO der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) mit Sitz in Karlsruhe. Er löst Frank Krickel ab, der seit Juni 2017 die Position des Leiter der Funktionaleinheit Informationstechnologie (C-TI) innehatte und das Unternehmen auf eigenen Wunsch verlässt.
Philip Lübcke
Philip Lübcke ist seit September 2019 Geschäftsbereichsleiter IT der TEAG Thüringer Energie. Er berichtet an den Vorstand Personal und IT Wolfgang Rampf. Zuvor war Lübcke sechseinhalb Jahre lang CIO der Frankfurter Mainova AG. Insgesamt brint er 15 Jahre Erfahrung aus der Energiebranche mit.
Jan-Wilm Buschkamp
Jan-Wilm Buschkamp ist seit August 2019 Bereichsleiter IT der Mainova AG. Seitdem hat das Team um den CIO mit „hybrIT2023“ ein IT-Transformationsprogramm erarbeitet, um den Frankfurter Energieversorger zukunftsfähig zu machen. Ziel des Programms ist es unter anderem, mehr Wert zu generieren, das Unternehmen lean und agil aufzustellen sowie Prozesse end-to-end zu gestalten.
Oliver Herzog
Zum 1. September 2023 übernimmt Oliver Herzog den CIO-Posten bei der Thüga. Seine Vorgängerin Annette Suckert scheidet altersbedingt aus dem Unternehmen aus.
Thorsten Steiling
Thorsten Steiling ist seit Februar 2019 CIO Oerlikon Group & Managing Director Oerlikon IT Solutions AG. Er berichtet an Boris von Bieberstein, Head of Group Business Services. Zuvor war Steiling von September 2017 bis Januar 2019 CIO/Head of Corporate IT beim Automobilzulieferer Veritas AG in Gelnhausen.
Marcus Schaper
Marcus Schaper ist CIO bei der neuen RWE-Tochter Innogy. Er kommt von der Mutter RWE. Er war zuvor Head of IT bei der RWE Supply & Trading. Schaper hat an der WWU Münster Wirtschaftsinformatik studiert und war seit dem Jahr 2000 bei McKinsey. Zu RWE kam er im April 2010. Bis zum Börsengang der neuen RWE-Tochter fungierte Schaper als CIO für beide Konzernteile, seitdem ist er CIO der neuen Tochtergesellschaft. Übergreifende IT-Aufgaben in der RWE AG werden derzeit von Winfried Bröring wahrgenommen.
Beate Edlefsen
Beate Edlefsen ist seit Juni 2024 Leiterin Konzern-IT/ CIO der Stadtwerke Düsseldorf. Sie beschreibt sich selbst als strukturgebende und verbindliche Möglich-Macherin, die Transformation treibt und dabei als Managerin die Menschen und das Business fest im Blick hat.
Jan Leitermann
Seit Juni 2017 ist Jan Leitermann Group CIO beim österreichischen Öl- und Erdgaskonzern OMV in Wien. Leitermann war zuvor Managing Director und Board Member beim Beratungsunternehmen Accenture AG Schweiz.
Jürgen Skirde
Jürgen Skirde ist CIO der RAG. Gleichzeitig hat er die operativ ausgerichtete Funktion des IT-Leiters inne. Im Konzern arbeitet der Diplom-Ingenieur schon seit 1985 - zunächst zehn Jahre auf Bergwerken, seither im IT-Management. Unter anderem leitete er SAP-Einführungsprojekte, von 2004 bis 2011 war er für die Infrastruktur verantwortlich.
Jan-Hendrik Semkat
Seit November 2017 ist Jan-Hendrik Semkat neuer Bereichsleiter Innovations- & IT-Management bei Natgas. Der gebürtige Oldenburger war mehrere Jahre in den Bereichen Softwareentwicklung, Projektmanagement und Beratung in der Energiewirtschaft tätig. Zuletzt war er Geschäftsführer der SIV Utility Services.
Jörg Ochs
Jörg Ochs (51) hat am 2. September die Leitung der Informationstechnologie der Stadtwerke München (SWM) übernommen. Er berichtet an den technischen Geschäftsführer der SWM Helge-Uve Braun. Ochs ist bereits seit 2017 Geschäftsführer der SWM Infrastruktur GmbH, der SWM Infrastruktur Region GmbH und der RegioNetzMünchen GmbH. Insgesamt ist er bei der SWM seit 2003 beschäftigt, unter anderem als Senior-Manager IT-Security, Leiter IT-Security und Datacenter/Infrastruktur und als Leiter Telekommunikation bei der SWM Services GmbH.
Michael Seiferth
Im Oktober 2021 hat Michael Seiferth die Geschäftsführung der N-Ergie IT übernommen. Vorgänger Klaus Vogl hat das Unternehmen verlassen.
Sebastian Träger
Seit April 2024 leitet Sebastian Träger die IT des Energieversorgers Enercity. Er soll unter anderem das ERP-System modernisieren.

Der studierte Politologe promovierte in Energiewirtschaft, begann seine berufliche Karriere bei Microsoft und wechselte später als Berater zur Boston Consulting Group. 2014 kam er zu E.ON, wo er zuletzt im Bereich Customer Retention Loyalty viel mit Online- und CRM-Themen zu tun hatte. Zwar verlor er über die Jahre nie den Kontakt zur IT, "trotzdem ist die Lernkurve für die neue Position steil, ehe man wieder auf dem Stand der Technik ist", berichtet Endress. Wer heute im Digitalumfeld arbeite, müsse viel dafür tun, am Ball zu bleiben.

CDO und CIO

E.ON hat in allen Länderorganisationen Digitalchefs eingesetzt, außerdem gibt es mit Matthew Timms einen Konzern-CDO. Im September hat Timms zusätzlich die Rolle des Konzern-CIO von Edgar Aschenbrenner übernommen. Aschenbrenner wird jetzt den Workstream IT/Digital bei der Integration des Energieversorgers Innogy leiten. Die Digitalchefs arbeiten eng mit der "klassischen" IT und dem CIO zusammen, etwa bei den Themen DevOps, Vendor-Management, Cloud oder in Architekturfragen. Doch formal laufen beide Organisationen noch getrennt. Beim Start der Digitaleinheit vor vier Jahren sei die Teilung sehr gut gewesen, um Geschwindigkeit in die Entwicklung zu bekommen, sagt Endress. "Wir arbeiten heute sehr eng zusammen."

In Zukunft wird sich laut Endress bei den Energieversorgern noch viel mehr ändern als bisher. So wagt er die Prognose, dass in fünf Jahren das Geschäft mit Kundenlösungen über digitale Kanäle genauso groß sein wird wie über klassische Kanäle.

Bis dahin werde man sich von allen Legacy- und On-Premise-Systemen gelöst und diese in die Cloud verlagert haben. Dann ließen sich beispielsweise komplexe Online-Preisanalysen mit vielen historischen Daten in der Cloud betreiben. Solche riesigen Datenmengen könnten die Systeme heute noch nicht verarbeiten.

Reden statt eintippen

"Mit der entstehenden ausgezeichneten Infrastruktur können wir uns dann ganz auf Customer Experience konzentrieren und uns damit von Wettbewerbern differenzieren", blickt Endress tatenhungrig nach vorn. Und spätestens dann werden Kunden mit Anna reden können, anstatt ihre Fragen in den Chatbot eintippen zu müssen.