Die bunte neue Welt des lebenslangen und von IT-Technologie unterstützten Lernens - sie lässt sich in ein einziges Puzzle-artiges Bild bringen. Zwei US-Institutionen - die ACT Foundation, die sich der Bildung und Weiterbildung widmet, und das die Zukunft erforschende Institute for the Future (IFTF) - haben jedenfalls eine derartige Landkarte erstellt und prägnant überschrieben: "Learning is earning in the national learning economy".
Lernen werde zur Währung für alles, was man so macht, meinen die beiden Organisationen: "Mischungen von digitalen und physischen Erfahrungen schaffen Plattformen, die die Integration des Lernen in Workflows ermöglichen, die die Grenzen zwischen Leben und Arbeit und zwischen Lernen und Leben verschwimmen lassen."
Algorithmen zur Vernetzung
Das klingt zunächst reichlich abstrakt. Diese Plattformen bieten laut ACT und IFTF ein beständiges und handlungsleitendes Feedback, das bei der Anpassung und Gestaltung des persönlichen Umfeldes helfe. Ferner nutzen die Plattformen Computer-Algorithmen, um die User mit Menschen und Möglichkeiten zu vernetzen, die einem bei der Suche nach Verdienstchancen und Bedeutung Wege weisen.
Und die Plattformen unterstützen Netzwerke der Zusammenarbeit, die das Denken über die eigenen Probleme verändern und Lösungen für die Arbeit, das Privatleben und die Gemeinschaft bereitstellen. Jeder kann mit ihrer Hilfe die eigene Marke für Arbeit, Lernen und Leben ausbilden, die ihn in einer beschleunigten Ökonomie des Wandels von anderen abhebt.
Auf Tablet-Rätselspiel folgt Einladung ins Gründernetzwerk
Reichlich abstrakt klingt das bis hierhin immer noch. Konkret wird das Ganze naturgemäß beim Blick auf die Karte. Sie enthält unter anderem Profile von Menschen, die von den neuen Plattformen profitieren. Diese Profile sind konstruiert. Die Autoren versichern aber, dass es sich dabei um erdachte Beispiele handelt, die auf Basis aktueller Forschungen erstellt wurden.
Da ist etwa die 15-jährige Migrantentochter, die zwar als clevere Problemlöserin gilt, aber in der Schule nur durchschnittliche Noten einheimst und ihre Freizeit mit Tablet-Rätselspielen totschlägt. Dann gewinnt sie just dabei einen Preis bei einem Wettbewerb zum Thema Protein-Faltung.
Dem folgt die Einladung eines Gründernetzwerks, bei einem Bio-Hackathon mitzumachen. Und schließlich kann der begabte Teenager richtig Geld verdienen: durch Arbeiten am Nachmittag und am Wochenende, die von Risikokapitalinvestoren beauftragt werden.
Microskilling-App auf dem Smartphone hilft
Da ist außerdem der gut ausgebildete 28-Jährige, der seinen Job bei einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen in New York verliert. Er muss daraufhin beim Lebensstil abspecken, kleinere Jobs annehmen und leidet deshalb unter Geld- und Zeitmangel. Just das würde er aber benötigen, um sich zum Spezialisten weiterzubilden und die Karriere wieder in Schwung zu bringen.
Den Ausweg aus dem Dilemma bietet ihm eine Microskilling-App, die er auf seinem Smartphone findet. Er kann dadurch jederzeit 15-minütige Lektionen machen, wenn es ihm gerade passt. Schließlich hebt er die selbst gestaltete Weiterbildung auf eine neue Stufe und eignet sich in seiner Freizeit mit Hilfe von Virtual Reality Hardware aus der Bibliothek um die Ecke neue Skills in mathematischen Visualisierungen für Fortgeschrittene an. So hat er am Ende doch wieder gute Perspektiven auf dem Jobmarkt.
7 Zukunftskräfte
Beispiele wie diese veranschaulichen den Möglichkeitsraum, der auf der Landkarte durch sieben Kräfte der Zukunft und acht Innovationszonen bestimmt wird. Die sieben "Future Forces" gestalten nach Ansicht der Autoren die Art und Weise neu, in der wir arbeiten, lernen und leben. Es handelt sich um Trends, die unterhalb der neuen Lernerfahrungen liegen und jeden Aspekt des täglichen Lebens betreffen.
1. Learning Commons: Die digitalen Ressourcen sind eine neue Form von Gemeingut. Mit einer sehr positiven Eigenschaft allerdings. Sie gewinnen nämlich an Wert, je mehr sie genutzt werden. Und sie bilden die Basis für alle neuen Formen von Wissensaustausch.
2. Maker Mindset: Ein Ethos des Selbermachens sorgt für einen neuen Unternehmergeist. Die Menschen werden zu Machern - bei der Arbeit, im Leben und beim Lernen.
3. Digital Natives: Die nach 1990 Geborenen sind mit smarten Geräten und dem Internet aufgewachsen - und damit die natürlichen Pioniere einer neuen Ökonomie der digitalen Skills.
4. Coordination Platforms: Diese Plattformen sind so gestaltet, dass sie Menschen mit einem Angebot an Aufgaben und Ressourcen zusammenbringen - egal ob das kommerziell geschieht oder nicht. Die Autoren der Lern-Landkarte gehen davon aus, dass sich dadurch die Marktchancen lernender Arbeitnehmer schnell verbessern.
5. Collaborative Tools: Digitale Medien haben die Möglichkeiten der Zusammenarbeit rasant ausgeweitet - von der wissenschaftlichen Forschung über globale Teams von Mitarbeitern bis hin zu Online-Musikgruppen. Diese Entwicklung geht einher mit einem schnellen Zuwachs an Wissensressourcen und Problemlösungsansätzen.
6. Human-Machine Symbiosis: Smarte Maschinen ersetzen einen Teil der bisher menschlichen Arbeit, einen anderen Teil verbessern sie. "Maschinen schreiben neue Regeln dafür, wie wir arbeiten, wie wir lernen oder sogar wie wir unseren Haushalt führen", heißt es in der Legende zur Landkarte.
7. Decoded Brain: Fortschritte in der Neurowissenschaft und in der Verhaltensforschung generieren neue Techniken und Tools für ein optimiertes Lernen und eine bessere Organisation von Arbeitsaufgaben.
8 Innovationszonen
Diese sieben Kräfte wirken in den kommenden Jahren nach Einschätzung der beiden Institutionen insbesondere in acht sogenannten Innovationszonen:
1. Unbounded Resources: 2010 prognostizierte Bill Gates, dass man in fünf Jahren - also in etwa heute - im Internet die besten Vorlesungen der Welt finden werde. "Das wird besser sein als jede einzelne Universität", prophezeite der Microsoft-Gründer damals. Genauso ist es gekommen. Das Wachstum an Online-Wissen - teil gratis, teils gegen Gebühr - ist enorm und umfasst eine Vielzahl an Formaten. Es gibt Massively Open Online Courses (MOOCs), Live-Streaming über Plattformen wie Periscope und eine Fülle an Video-Anleitungen und Augmented Realities. Ein Angebot, dass sowohl strukturiertes als auch informelles Lernen ermöglicht. Was nach Ansicht der Autoren noch fehlt, sind Roadmaps, die das Lernangebot und die sich dadurch eröffnenden Karriereoptionen miteinander verbinden.
2. Digital-Physical Blends: Die beiden Organisationen bringen es so auf den Punkt: "In einer Welt der eingebetteten Intelligenz, werden wir alle zu Sensoren und zu Sinn-Erzeugern." Mobile Geräte, Sensoren und Geo-Location-Tools definieren neu, wie wir mit Hilfe physischer Räume und Objekte lernen und arbeiten. Ob auf der Baustelle, im Technologie-Shop, im Auto oder im Co-Working Space - überall ist Context Aware Information verfügbar, die in Produktivität, Innovation oder in Lerneffekte konvertiert werden kann. Das Verschwimmen der Grenzen zwischen digitaler und physischer Welt fräst sich auch ins Freizeitleben. Etwa auf dem Bauernmarkt, wenn man unbekanntes Gemüse mit Hilfe des Smartphones identifiziert und sofort nach passenden Rezepten suchen kann.
3. Continuous Learning Flows: In der globalen Innovationsökonomie überholt ist die Periodisierung des Lernens, das in Klassenräumen mit Lehrpersonal stattfindet und sich auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene beschränkt. Gelernt wird lebenslang, ständig und überall.
4. Personalized Experiences: "Jeder lernende Arbeitnehmer hat ein einzigartiges Profil", so die Autoren. "Eine Kombination aus Computer-Analyse und neuen menschlichen Einstellungen hilft uns, Lernen und Arbeiten auf unsere individuellen Bedürfnisse und Umstände zuzuschneiden." Das wird also in etwa so wie mit dem persönlichen Trainer im Fitness-Studio. Nur, dass es Datenanalysten und Mentoren sind, die die eigenen Ziele, Stärken, Schwächen, Lernansätze und zeitlichen Begrenzungen analysieren und daraus personalisierte Lern- und Arbeitspfade ermitteln, die zugleich die Lebenszufriedenheit maximieren sollen. Während die Welt insgesamt immer unvorhersehbarer wird, hilft dieser personalisierte Ansatz bei der ständigen Neuerfindung des eigenen Ichs.
5. Actionable Feedback: Big Data und Advanced Analytics ermöglichen immerzu ein detailliertes persönliches Feedback, auf dem sich sofort aufbauen lässt. Das Vorbild für Performance-Tools des Lernens sind Computerspiele, bei denen man zunächst häufig scheitert, aber stets motiviert bleibt, den nächsten Level zu erreichen. Ganz ähnlich gibt es beim Lernen keine Zensuren, sondern Lernanreize und hochaufgelöste Metriken, die die Komplexität der heutigen Lern- und Arbeitswelt widerspiegeln - wertvolle Instrumente zur Steuerung der eigenen Lerninvestitionen.
6. Algorithmic Matching: Algorithmen verändern das alltägliche Leben - und auch das Lernen und Arbeiten. Laut ACT und IFTF werden sie künftig die ideal passenden Institutionen, Kurse, Tutoren, Praktika und Arbeitgeber für jeden heraussuchen können. Sie können auch anhand früherer Leistungen und Erfolge die passenden Aufgaben für einen finden. "Die vergleichenden Algorithmen und die digitalen Spuren, die sie auswerten, sind die Währungen, die uns über institutionelle Silos hinweg verbinden", kommentieren die Autoren. "Jedenfalls dann, wenn sie gut nutzen."
7. Solutions Networks: Dank Plattformen wie Quora können große Netzwerke über die ganze Welt zusammenarbeiten bei der Lösung von Problemen - seien es komplexe wissenschaftliche Fragen oder solche des täglichen Lebens. Mobile Endgeräte machen das Anzapfen dieser Netzwerke jederzeit und überall möglich. Entscheidende Erfolgsfaktoren sind deshalb bald nicht mehr die individuelle Performance oder der persönliche IQ, sondern die Network-Performance und der Networking IQ.
8. Dynamic Reputations: Wichtiger als Noten oder Arbeitszeugnisse sind laut ACT und IFTF künftig die Reputation und die digitalen Spuren der eigenen Leistungen: "Tatsächlich haben digitale Plattformen für Freiberufler herausgefunden, dass Auftraggeber weniger auf formale Ausbildung als auf vergangene Performance oder die Erledigung vergleichbarer Aufgaben achten."
Die genannten Kräfte der Zukunft und Innovationszonen bilden das Gerüst, um das die Landkarte des Lernens aufgebaut ist. Wer sie kennt, kann auch die Karte lesen. Nach dem Willen ihrer Ersteller dient sie dazu, die eigenen Möglichkeiten in der lernenden Ökonomie auszuloten, eine Strategie für den eigenen Erfolg zu entwickeln und sich aufs Ausprobieren der Zukunft einzulassen.