Management-Innovation

Wieso Denken und Handeln trennen?

14.05.2013 von Andreas Zeuch
Die Art und Weise, wie Unternehmen gestaltet und gesteuert werden, geht auf ein Werk von Frederick Taylor aus dem Jahr 1911 zurück. Eine antike Lehre, findet Andreas Zeuch.
Andreas Zeuch ist freiberuflicher Berater, Trainer, Coach und Speaker.
Foto: Dr. Andreas Zeuch

Innovation ist in aller Unternehmen Munde. Überall wird davon gesprochen, geredet, geschrieben. Kein Unternehmen möchte von sich selbst behaupten: "Wir liefern nur Altbewährtes, Innovationen suchen Sie bei uns vergebens." Klar, soweit. Allerdings herrscht ein ziemlich uninnovatives Verständnis von Innovation. Denn erstens wird in 99 Prozent aller Fälle Innovation mit technischen Neuerungen gleichgesetzt. Zweitens werden immer nur dieselben alten Verdächtigen erneuert:

"Produkte und Dienstleistungen, Prozesse und - mit etwas Glück und viel Mut - noch Geschäftsmodelle. Aber wie steht es um das Management, oder anders formuliert: Die Art und Weise, wie ein Unternehmen gestaltet und gesteuert wird?"

Hier herrscht ein nahezu antikes Vorgehen. Immer noch wird ganz generell zwischen Steuerung und Ausführung, zwischen Denken und Handeln unterschieden. Die ausführenden Mitarbeiter organisieren und verantworten ihre eigene Arbeit nicht selbst, sondern müssen von "oben" durch das Management gesteuert werden. Und natürlich auch motiviert.

Diese Trennung, die uns teilweise die heutigen Effizienzerfolge beschert hat, geht auf Frederick Taylors wegweisendes Werk Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung aus dem Jahr 1911 zurück. Damit ist dieses grundlegende Prinzip mittlerweile über 100 Jahre alt. Und längst nicht mehr haltbar - falls es das überhaupt war, aber die Frage ist wohl nicht zu beantworten und hilft uns heute auch nicht weiter.

Prototyp der menschenverachtenden Wirtschaft

Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden. Taylor ist der Prototyp für eine menschenverachtende Wirtschaft, die in den gemeinen (Mit-)Arbeitern nur tumbe und faule Menschen sieht:

Einen intelligenten Gorilla könnte man so abrichten, dass er ein mindestens ebenso tüchtiger und praktischer Verlader würde als irgendein Mensch. Und doch liegt im richtigen Aufheben und Wegschaffen von Roheisen eine solche Summe von weiser Gesetzmäßigkeit, eine derartige Wissenschaft, dass es auch für den fähigsten Arbeiter unmöglich ist, ohne die Hilfe eines Gebildeteren die Grundbegriffe dieser Wissenschaft zu verstehen oder auch nur nach ihnen zu arbeiten.

Taylor F. (2004): Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung. VDM Verlag Dr. Müller, Seite 44.

Die Arbeiter sind also die Affen, die von den weisen und gebildeten "Leitern" geführt werden müssen. Um sein Gewissen etwas zu schonen, forderte Taylor noch ein "herzliches Einvernehmen" zwischen Letzteren und deren Mitarbeitern. Seinen wahren Geist kann er damit jedoch nicht verschleiern. Die Arbeiter brauchen aufgrund Ihrer Dummheit die intelligenten Manager, womit die eingangs erwähnte Trennung zwischen Denken und Handeln begründet wird. Mit diesem Ansatz, den er Scientific Management nannte, revolutionierte Taylor die Betriebsführung.

Mittlerweile leben wir erstens in einer anderen Wirtschaftswelt und wissen zweitens ein bisschen mehr über die Motivation von Menschen. Heute werden die meisten Arbeiten, die zu Taylors Zeiten noch durch Menschen ausgeführt wurden, automatisiert. Es sind all die stumpfsinnigen, sich wiederholenden Tätigkeiten ("Aufheben und Wegschaffen von Roheisen"), für deren Ausführung man keinerlei Kreativität braucht, sobald sie optimiert sind. Dieser Trend wird weitergeführt, Automatisierungen nehmen weiter zu. Demgegenüber wird die Dienstleistungs- und Kreativitätswirtschaft immer wichtiger.

Dienstleistungsprodukte machen bereits heute etwa 70 Prozent der Bruttowertschöpfung in Deutschland aus. Das ist ziemlich wichtig, denn in diesem Bereich brauchen wir kreative und motivierte Mitarbeiter, die wir nicht als Gorillas denunzieren, indem wir ihnen ihre Intelligenz absprechen. Robotik hilft uns hier momentan nicht weiter.

Intrinsische Motivation gewinnt an Bedeutung

Mit dieser Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Situation geht unser Wissen über die Motivation von Menschen einher, all das, was wir in den vergangenen Jahren über extrinsische und intrinsische Motivation herausgefunden haben. Zweierlei ist diesbezüglich heute klar: Erstens, extrinsische Motivation über fixe Gehälter, variable Anteile und diverse Incentives wirken - aber meist nur dann, wenn es sich um repetitive Arbeiten handelt. Also genau jene Arbeitsaufgaben, die wir so erfolgreich an willenlose Roboter auslagern.

Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die bestätigen das Gros der Regel. Viel wichtiger wird zunehmend die intrinsische Motivation: Dass das Arbeiten an sich bereits Freude bereitet, dass das Produkt oder die Dienstleistung, für die man mit verantwortlich ist, als sinnvoll erlebt wird, das die eigene Leistung menschlich anerkannt wird. Und überhaupt: Dass man als Mensch in der Maschinerie des Unternehmens wahrgenommen wird.

Das sind keine Ansichten eines Hippie-Clowns, der mit buntem Blümchenkränzchen über eine Frühlingswiese hüpft. Das sind Fakten, die wir ganz unterschiedlichen und unabhängigen Arbeitszufriedenheitsstudien entnehmen können. Darauf habe ich bereits mehrfach verwiesen - siehe: Intuition statt Top-Down sowie im Integral Blog. Die Studien und ihre Ergebnisse sind kaum noch zu übersehen. Eine der wichtigsten Ursachen für Demotivation, Leistungslücken und -verweigerung ist die mangelnde Erlaubnis, die eigene Arbeit selber zu organisieren und zu verantworten.

Selbstorganisation ist wirtschaftlich sinnvoll

Damit sind wir bei der Innovation des Management. Das wichtigste Prinzip lautet: Selbstorganisation. Es ist keineswegs nur aus moralischer oder ethischer Sicht sinnvoll, Mitarbeiter zu ermächtigen. Es ist auch wirtschaftlich sinnvoll. Denn das hilft, die 85 Prozent der Mitarbeiter, die Dienst nach Vorschrift schieben oder sogar schon in der inneren Kündigung sind (Gallup Engagement-Index 2012), wieder hinterm Ofen hervorzulocken.

Natürlich wird dies weder von heute auf morgen geschehen, denn Kulturwandel braucht Zeit, noch wird es allen Mitarbeitern gefallen. Zuviele haben sich längst darin eingerichtet, eine ruhige Kugel zu schieben. Wer von uns würde sofort wieder Verantwortung übernehmen, wenn sie uns Jahre oder gar Jahrzehnte lang unter Strafe verweigert wurde? Es wird Menschen geben, die weiterhin gesagt bekommen wollen, was sie zu tun und zu lassen haben, selbst dann, wenn sie noch nicht jahrelang gemanagt wurden. Leistungsträger sind das allerdings nicht. Und sie dürften wohl kaum ein schlagendes Argument dafür sein, all die anderen weiter mit (Mikro-)Management an der kurzen Leine zu halten.

Andreas Zeuch promovierte in Erwachsenenbildung über das Training professioneller Intuition. Er arbeitet seit dem Jahr 2003 als freiberuflicher Berater, Trainer, Coach und Speaker mit dem Schwerpunkt unternehmerischer Entscheidungen und Managementinnovation. (CFOworld)