„SCHLANGENLINIEN“ heißt das neue Werk von Minette Walters. Im Buchclub-Katalog steht der Krimi neben „Liebe öffnet Herzen“ von Liz Mohn, Präsidiumsmitglied der Bertelsmann-Stiftung. Die wiederum steht mit ihrem Titel neben der Videokassette „Dinosaurier“; und abgerundet hat der Club sein Angebot mit der CD „Bamm, Bamm, Ballermann – der Party-Kracher 2001“. Ein solcher Themenmix eignet sich derzeit noch, um weltweit 28 Millionen Clubmitglieder bei Laune zu halten. Aber werden deren Familien auch in Zukunft in Katalogen stöbern, in denen Frau Mohn neben Britney Spears aufspielt?
Die Geschäftsführer der großen Clubs von Bertelsmann wissen, dass Töchter, Söhne oder Schwiegermütter mehr und mehr maßgeschneiderte Angebote erwarten. Allerdings haben sie bei ihrem ersten Treffen zum Thema IT auch gewusst, dass ihre veraltete Technik so etwas nicht leisten kann. Als im März 1997 die Unternehmensberater von AT Kearney ihre Definition eines Sollzustands für die Clubs vorlegen, da feiert das älteste der Bertelsmann-Systeme gerade seinen 27. Geburtstag – kein Anlass, um Sektkorken knallen zu lassen. „Es gibt nur zwei Verläufe in der IT“, kommentiert der CIO der Bertelsmann Direct Group, Klaus Hofmann, den damaligen Zustand: „Entweder IT-Manager schieben permanent Inno- vationen an und erreichen technologisch und im Business den State of the art; oder sie sagen, dass sie etwas grundsätzlich Neues brauchen, führen dann aber keine Entscheidung herbei. Damit investieren sie nicht, entwickeln keine Skills und geraten in Rückstand.“ Die Clubs hatten sich für die zweite Variante entschieden.
Hundert Mannjahre Nachholbedarf in der Entwicklung hätten die fünf größten Bertelsmann-Buchverschicker insgesamt angesammelt, sagt Hofmann heute. Hundert Mannjahre Backlog – das macht viermal lebenslänglich für den CIO, wenn er die Strafe für vernachlässigte IT allein absitzen will. Nachdem die fünf größten Clubs ihre Versäumnisse eingestanden und nachdem sie im März 1998 – also ein Jahr später – ungefähr ähnliche IT-Anforderungen festgestellt haben, legen sie endlich ein gemeinsames Rettungprogramm fest. Hollands Experten kümmern sich um Customer-Service, die USA werden Meister im Marketing, die Briten bauen das Programm für die Kataloge, die Deutschen sichern die Supply-Chain, und die Franzosen entwickeln das Finanz-Reporting. Es entsteht ein Konsens über vier Sprachräume hinweg.
Im Januar 1999 fällt schließlich die Entscheidung für SAP R/3 mit BW 2.0, APO 3.0 und CRM. Fünfzig Mannjahre später, im Februar 2000, ist das System einsatzbereit. „Man hätte die Prozessdefinition und Designphase bis zum Januar 1999 sicher beschleunigen können“, resümiert Hofmann. „Aber wenn wir uns von Anfang an auf SAP versteift hätten, dann wäre das in die Hose gegangen.“ Jeder Club bei Bertelsmann kann eigenständig entscheiden – und nutzt diese Autonomie auch, wie die prähistorischen, in Cobol programmierten Insel-Lösungen aus der Vergangenheit belegen. Das gemeinsame Controll-Board der Clubs lässt sich zwar gern von Hofmann überzeugen, muss sich (anders als der Bertelsmann-Verlag Gruner + Jahr, der seinen Töchtern gerade SAP vorschreibt) seinen Vorschlägen jedoch nicht anschließen.
Hofmann hat diesen Umstand besonders in Holland zu spüren bekommen, wo der erste große Club im Dezember 2000 den entscheidenden Schritt in Richtung CRM wagt. In den zehn Monaten davor hatten die dortigen IT-Verantwortlichen hartnäckig argumentiert, 30000 Order täglich könne man nicht auf einen Schlag umstellen. Für die Einführung lässt Hofmann deshalb die Berater von Pricewaterhouse-Coopers einen Fünf-Stufen-Plan erstellen, bei dem als erstes SAP-Elemente, Finanz-Controlling und dann Materialwirtschaft in das bestehende System implementiert werden sollen. Hofmann: „Da haben wir die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass man an den Schnittstellen scheitert.“ Schließlich entscheidet der beherzte Geschäftsführer sich für einen Big Bang. Hofmann und seine Helfer fliegen ein letztes Mal nach Holland und tauschen auf einen Schlag das alte System aus.
Die Aktion war erfolgreich: Keine Daten sind verloren gegangen, und der Kundenservice konnte ununterbrochen aufrecht gehalten werden. Hofmann schaut mittlerweile sehr gelassen auf die letzte seiner fünf SAP-Einführungen. Deutschland hat gerade vor sechs Wochen umgeschaltet; bleibt nur noch Frankreich, wo es beim großen Hebelumlegen im Januar wohl auch nur noch müde „puff“ machen wird. „Sie brauchen dann noch drei Monate, um das System zu stabilisieren“, sagt Hofmann, der sich nicht mehr von den Horrorgeschichten über gescheiterte CRM-Projekte Bange machen lässt. Bis zu 80 Prozent schlagen angeblich fehl (Gartner); etwas gnädigere Consultants tippen auf 25 Prozent (Meta Group). „Sie hören da alle möglichen Zahlen“, sagt Hofmann, der für sich die Möglichkeit eines Scheiterns ausschließt.
Rund hundert Millionen Mark haben sich die Bertelsmann-Buchclubs die Einführung von SAP R/3 zusammen mit der CRM-Komponente und der Data-Warehouse-Lösung von SAP bislang kosten lassen. Hofmann rechnet mit weiteren zehn Millionen Mark jährlich für Wartung und Weiterentwicklung. „Darin sind noch nicht die Kosten für die Migration des Online-Buchhandels BOL enthalten“, gibt der CIO zu bedenken. Auch BOL gehört zur Bertelsmann Direct Group, hat aber bislang keine SAP-Schnittstellen. Die Online-Händler arbeiten mit dem hausgemachten Backend-System DMD2000, das auch beim RTL- und beim Lego-Club im Einsatz ist. Zurzeit läuft die Umstellung auf Infinity als Frontend-Lösung, mit der auch das Weihnachtsgeschäft abgewickelt werden soll. Das ist Unruhe genug. Hofmann will das Backend-System deshalb erst in der ersten Hälfte des kommenden Jahres ersetzen. Auch hier baut er auf den Big Bang.
Es wird der letzte große Knall für Hofmann. Die Clubs mit E-Commerce zu verknüpfen – das ist sein letztes großes Ziel, bevor der 62-Jährige Mitte nächsten Jahres in Pension gehen will. Damit rundet er sein Werk bei Bertelsmann ab – auch für den Kunden eine runde Sache. BOL hat 1,5 Millionen Produkte in Deutschland, der Club lediglich 4000 bis 6000 Schnäppchen im Angebot. „Es wird nie so sein, dass ein Kunde seinen kompletten Medienbedarf beim Club abdeckt. Wenn er Harry Potter lesen will, dann besorgt er sich den auch“, sagt Hofmann. Für ihn ist es deshalb eine logische Konsequenz, beide Angebote aus der Direct Group zu verknüpfen und die Informationstechnik auf eine solche Verknüpfung vorzubereiten. Personalisierte Angebote ließen sich so einfach realisieren. Ein Buch von Liz Mohn stünde dann im Clubangebot nicht zwingend neben der Videokassette „Dinosaurier“. Interessierte Leser könnten sich online themenähnliche Angebote machen lassen oder gleich einen speziellen Katalog anfordern. Das wäre allerdings ein Traditionsbruch: Deutsche Clubmitglieder, die zum Teil seit mehr als 25 Jahren dabei sind, haben sich längst daran gewöhnt, dass Präsidiumsmitglieder der Bertelsmann-Stiftung und Dinos im Katalog nebeneinander stehen.
Die Direct Group
In diesem Unternehmenszweig pflegen 15000 Mitarbeiter über Buch- und Musikclubs sowie über E-Commerce Kontakt zu rund sechzig Millionen Kunden. Die Musiktauschbörse Napster gehört zu den bekannteren Beispielen im Online-Bereich. Andreas Schmidt, Chef der Bertelsmann E-Commerce Group, sucht damit in den USA nach eigenen Wegen in puncto IT. „Das ist auch gut so“, sagt der CIO der Direct Group, Klaus Hofmann. Die Amerikaner müssten sich viel stärker um die Themen Download-Standards und Sicherheit kümmern als die anderen Teile der Direct Group, ausgenommen der deutsche Buchhandel BOL.de. Die Bertelsmann-Web-Angebote haben beinahe so viele Kunden wie der weltgrößte Medienkonzern AOL Time Warner.
Die Buchclubs
Im Geschäftsjahr 1999/2000 haben die Bertelsmann-Clubs 4,5 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet. Sie residieren in 22 Ländern und haben insgesamt 28 Millionen Mitglieder. Die Mehrzahl davon (25 Millionen) bestellt regelmäßig bei den fünf größten Clubs (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Niederlande und USA), die ihre IT gemeinsam weiterentwickeln. Unter dem Motto „Common Club Information Technology“ (CCIT) koordiniert der CIO der Bertelsmann Direct Group, Klaus Hofmann, das Geschehen zwischen rund 2000 Club-Clients. Er will mit SAP R/3 „mehr aus den Kunden herausholen“. Für drei bis vier Jahre sollen die Bestellungen zurückverfolgt werden; zu diesem Zweck erneuern gerade alle Niederlassungen ihre Soft- und Hardware. Künftig soll die Kundenabwicklung überwiegend auf Sun-Servern mit Oracle-Datenbanken und Unix-Betriebssystemen laufen. Hofmann schafft damit die Grundlage für eine engere Anbindung an den Online-Buchhandel BOL.
Vier große Hürden auf dem Weg zu SAP
Die einzelnen Aufgaben der SAP-Einführung ordnet CIO Klaus Hofmann nach folgenden Schwierigkeitsgraden:
Der CIO der Bertelsmann Direct Group
Klaus Hofmann ist einer der wenigen Top-Manager Deutschlands, die seit 40 Jahren mit Informationstechnik vertraut sind. Er startete seine Karriere bei IBM, als dort noch Lochkarten gestanzt wurden. Nach 18 Jahren bei Big Blue hatte er mehrere nationale und internationale Führungspositionen inne. Er war Vorstand bei der R+V Versicherungs- gruppe, der Asko Deutsche Kaufhaus AG und der Deutschen Börse AG.
Seit 1996 ist der Experte für internationale Unternehmensentwicklung und Informationstechnologie Bereichsvorstand und Chief Information Officer der Bertelsmann Direct Group. In dieser Funktion steht er einem kleinen Stab von zehn Mitarbeitern vor; dennoch hat er großen Einfluss, da er bei den IT-Kollegen der autonomen Zweige in der Direct Group als versierter Fachmann gilt. Darüber hinaus sitzt Hofmann seit Mitte des Jahres im Aufsichtsrat der Beratungsfirma Mummert + Partner.
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1. European CRM Services Forecast & Analysis, 2000-2005
2. Western European Customer Relationship Management Applications Market