Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat sich die Rolle der IT mehrfach verändert. So gab es eine Phase, in der von der IT deutliche Impulse für die Geschäftsentwicklung erwartet wurden. Dies war zum Beispiel der Fall vor dem Jahrtausendwechsel. Die übertriebenen Erwartungen führten zu einer starken Ernüchterung, was dann ein Auslöser für das Platzen der Internetblase war.
Es gab aber auch eine Phase, in der die IT eher als Commodity gesehen wurde, die keinerlei Wettbewerbsvorteile für ein Unternehmen bringt. Diese Phase brachte der Autor Nicholas Carr mit seiner Aussage "IT doesn't matter!" auf den Punkt. In dieser Zeit beschäftigten sich IT- Organisationen oft sehr stark mit sich selber und damit, die technische Komplexität zu managen. Außerdem war es auch eine Hochphase von Full-Outsourcing-Verträgen, also der kompletten Auslagerung der gesamten IT.
Danach änderte sich die Situation jedoch wieder. Viele Unternehmen erkannten, dass für eine optimale IT-technische Unterstützung von Geschäftsprozessen eine Nähe der IT zum Geschäft und zu dessen Anforderungen notwendig ist. Dies gilt vor allem, wenn globale Roll-outs von Standardsoftware in einem Template-Ansatz parallel zur Weiterentwicklung der bestehenden Lösungen erfolgen sollen.
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In den vergangenen Jahren hat sich die Situation erneut geändert. Der hohe Kostendruck führte in vielen Organisationen dazu, dass die ganze IT Organisation sehr stark auf die hocheffiziente Abarbeitung von Anforderungen ausgerichtet wurde. Dies führte zu einer hohen Reife in der effizienten Weiterentwicklung der bestehenden Lösungen. Leider blieb deshalb oft das Thema Innovation auf der Strecke.
In den zurückliegenden Jahren werden in fast allen Branchen intensiv die Geschäftschancen der Digitalisierung und digitalen Transformation diskutiert. Hieraus folgen ganz neue Anforderungen an die IT. Während in der Vergangenheit ein stabiler Betrieb der IT-Systeme zur Unterstützung der Geschäftsprozesse im Fokus stand, werden nun vermehrt Innovationen von der IT gefordert. Hierbei geht es jedoch weniger um technische Innovationen als vielmehr um Geschäftsprozess- und Geschäftsmodell-Innovationen. Um diese Anforderungen zu erfüllen, braucht es aber in der IT ganz andere Fähigkeiten und anderes Wissen. Auch die Prozesse und Organisationen sowie das Zusammenarbeitsmodell mit den Geschäftseinheiten müssen deutlich anders sein.
Es zeigt sich, dass für die optimierte, traditionelle Welt und dieagile, neue Welt eine unterschiedliche Kultur, Organisation und Prozesse notwendig sind.
In diesem Artikel möchte ich die beiden unterschiedlichen Welten kurz beschreiben und einen Ausblick geben, wie diese in Zukunft interagieren können müssen.
Die optimierte, traditionelle Welt
Über die Jahre haben sich die IT Organisationen weiterentwickelt. Aufgrund des Kostendrucks lag dabei ein besonderer Fokus auf der Steige- rung der Effizienz. Darüber hinaus wurden aber auch die Themen Skalierbarkeit, Stabilität, Verfügbarkeit, Qualität und Sicherheit adressiert.
Zusätzlich wuchs die Komplexität der IT-Lösungen (zum Beispiel Standardlösungen wie SAP) durch globale Nutzung und den Bedarf an einer hohen Integration zwischen verschiedenen fachlichen Teilsystemen und Modulen.
Um die Forderung nach höherer Effizienz bei gestiegener Komplexität zu erfüllen, wurden systematisch Prozesse eingeführt, Mitarbeiter geschult und die Organisation entsprechend ausgerichtet.
Speziell für die Definition von Geschäftsnforderungen, deren Bewertung und Priorisierung in der sogenannten Demand-/Supply-Schnittstelle wurden Prozesse, Tools und Gremien implementiert. In diesen gesamten Prozessketten sind viele unterschiedliche Organisationseinheiten involviert, was zum einen die Geschwindigkeit der Umsetzung deutlich verringert und zum anderen zu einer recht großen Distanz zwischen dem Anforderer im Fachbereich und dem Umsetzer im IT-Bereich führt.
Darüberhinaus wurde die Effizienz in der Lieferung von IT-Lösungen in den meisten IT-Organisationen dadurch weiter gesteigert, dass die Verantwortung in den verschiedenen Phasen im Lebenszyklus von IT-Lösungen in verschiedenen Organisationseinheiten gelegt wurde (zum Beispiel Trennung Plan-Build-Run). Diese Trennung reduziert die Geschwindigkeit weiter und erschwert eine umfassende Sicht (End-to- End-Sicht) auf die IT-Lösung.
Um eine große Anzahl von Anforderungen mit vielen Abhängigkeiten untereinander zu re- geln und in hoher Qualität in die Produktion zu bringen, müssen weitere Prozesse (Release- und Test-Management) und Gremien implementiert werden. Diese Komplexität führt ebenfalls zu ei- ner relativ geringen Umsetzungsgeschwindigkeit (zum Beispiel typ. 2 Major-Releases pro Jahr).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses Modell für die effiziente Abarbeitung für viele komplexe Anforderungen in hoher Qualität optimiert ist. Als Nachteile sind die große Distanz zwischen Fachbereich und IT und die langsame Umsetzung zu nennen.
Die agile, neue Welt
In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Klagen aus den Fachbereichen, dass der Prozess von Anforderungsaufnahme, Erstellung eines Lasten- und Pflichtenheftes, Implementierung und Tests bis zur Produktivsetzung als zu aufwendig empfunden wird. Dies führt dazu, dass die Umsetzung von neuen Anforderungen als deutlich zu langsam angesehen wird.
Gerade wenn es um die Umsetzung sehr neuer Anforderungen geht, ist es zu einem frühen Zeitpunkt oft gar nicht möglich, die Anforderungen umfassend in einem Lastenheft zu beschreiben. Hier haben sich Verfahren etabliert, Lösungen eher iterativ zu erarbeiten (zum Bei- spiel Agile Entwicklung).
Diese Situation trifft auch bei Vorhaben zur Digitalisierung und noch in viel stärkerem
Maße bei Vorhaben zur Digitalen Transformation zu. Hierbei werden teilweise ganz neue Geschäftsmodelle erarbeitet. Es müssen neben dem Modell auch die konkreten Maßnahmen zur Umsetzung erarbeitet werden. Auch hierzu gibt es verschiedene, am Markt etablierte Methoden (zum Beispiel Design Thinking).
Als positives Beispiel bei der Erarbeitung neuer Geschäftsmodelle werden gerne kleine Start- up-Firmen angeführt. Warum tun sich diese Firmen damit anscheinend leichter als etablierte Unternehmen?
Sicherlich gibt es sehr viele Unterschiede. Ich glaube jedoch, dass vor allem die folgenden Punkte erfolgskritisch sind:
• Interdisziplinär besetzte, kleine Teams
• sehr breites Wissen von Kunden, Produkten, Märkten und Technologien
• hohe Kundennähe
• keine Hierarchien
• offene Kultur und direkte Kommunikation
• ausreichende Freiräume
Vielen Studien und Untersuchungen zeigen, dass Innovationen leichter in kleinen Teams mit entsprechenden Freiräumen erarbeitet werden können. Diese Situation kennt man auch von Strategie-Workshops.
Es ist allerdings sehr offensichtlich, dass in etablierten Unternehmen, deren Organisation auf die effiziente Abarbeitung von sehr vielen Anforderungen ausgelegt ist (siehe oben), genau diese Umgebung nicht gegeben ist.
Deshalb haben vielen Firmen versucht, Innovationen dadurch zu stimulieren, dass sie die oben aufgezählten Rahmenbedingen geschaffen ha- ben. Besonders wichtig ist dabei die Zusammensetzung des Teams. Vor allem die Markt- und Kunden-Sicht (oft durch Mitarbeiter aus den Fachbereichen eingebracht) und die IT-Technologie-Sicht (oft durch Mitarbeiter der IT einge- bracht) in einem Team eng zusammenzubringen ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Mit diesem Vorgehen haben die Unternehmen durchaus in einzelnen Projekten Erfolg gehabt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses Modell für die schnelle, agile Abarbeitung einfacherer Anforderungen sehr gut geeignet ist. Als Nachteil sind die Einschränkungen bei der Abarbeitung von sehr vielen, komplexen Anforderungen zu nennen.
Die bimodale Welt
Die Gegenüberstellung der optimierten, klassischen Welt und der agilen, neuen Welt zeigt für beide Modelle Vor- und Nachteile. Bei genauer Betrachtung der SWOT-Analysen zeigt sich, dass sich die beiden Welten sogar sehr gut ergänzen.
Eigentlich gab es diese Diskussion auch schon in der Vergangenheit. Damals nannte man es die "IT der zwei Geschwindigkeiten", oder man nutze das Analogon zwischen "Tanker" und "Schnellboot". Gartner nennt es aktuell die "bimodale" Welt.
Wenn man die unterschiedlichen Anforderungen an die IT sieht und versteht, dass die Abarbeitung dieser Anforderungen in den beiden verschiedenen Welten unterschiedlich ist, wird man schnell einsehen, dass wir künftig beide Welten bedienen können müssen. Im Prinzip geht es darum, wie es gelingt, die beiden Welten jeweils für die unterschiedlichen Anwendungsgebiete in einer Organisation zu vereinen.
In vielen Unternehmen ist die bimodale Welt bereits angekommen. Oft wird sie jedoch noch nicht wirklich gesehen: Die interne IT kümmert sich um die Legacy-Systeme (etwa SAP ERP, DW, ...) in der optimierten, klassischen Welt. Die neuen Themen (speziell aus der Digitalen Transformation) werden durch den Fachbereich, oft ohne Involvierung der IT, mithilfe von externen Partnern, Service-Providern und Agenturen umgesetzt. Solche Lösungen lassen sich mit hilfe von externen App-Entwicklern oder Cloud-Anbietern sehr schnell implementieren. Viele dieser Lösungen wurden jedoch eher pilothaft aufgesetzt; ein konsistentes Betriebs- oder Support-Modell fehlt oft. Wenn man schnell eine kleine Web-Anwendung implementieren oder eine kleine Front-End-Anwendung als App für ein mobiles Endgerät anbieten möchte, mag dieser isolierte Ansatz funktionieren.
Warum ist es nun notwendig, eine bimodale Welt zu implementieren? Warum kann man nicht einfach die beiden Welten parallel und unabhängig voneinander betreiben?
Die Antwort ist recht einfach: Es gibt Interaktionen zwischen diesen beiden Welten. Und diese Interaktionen werden in der Zukunft deutlich zunehmen.
Der wachsende Wunsch der Anwender nach durchgängigen IT Lösungen stellt hohe Anforderungen an die Integration der verschiedenen IT-Anwendungen. Um den Wunsch der Anwender umzusetzen, wird es notwendig sein, IT-Anwendungen, die in der agilen, neuen Welt entwickelt worden sind (zum Beispiel Front-End-App für ein mobiles Endgerät), und mit IT-Anwendungen, die in der optimierten, traditionellen Welt entwickelt worden sind (zum Beispiel ERP- System, DW) zu integrieren und umfassend zu managen.
Die Frage ist, wie die unterschiedlichen Ansätze zusammengebracht werden können, dass sie (trotzdem) zusammen funktionieren.
Die Transformation
Die Überführung der beiden Welten in die bi- modale Welt erfolgt im Rahmen eines Transfor- mationsprogramms. Diese Transformation betrifft die Bereiche Kultur, Prozesse und Organisation. Eine wichtige Rahmenbedingung dieser Transformation ist jedoch, dass die jeweiligen Charakteristika der beiden Modelle erhalten bleiben. Es geht darum, eine gute Zusammenarbeit sicherzustellen, jedoch auf keinen Fall darum, das eine Modell in das andere zu überführen.
Der wesentliche Erfolgsfaktor dieser Transformation liegt darin, ein Kooperationsmodell zu entwickeln, in dem sich die unterschiedlichen Kulturen bei aller Eigenständigkeit gut zusammenfinden. Hierbei ist es wichtig, die unterschiedlichen Mindsets zu berücksichtigen, dass jede Seite das Gute und die Notwendigkeit der jeweils anderen Seite versteht, dass es kein "gut" oder "schlecht" gibt und sich beide Seiten aufeinander zu entwickeln müssen.
Der zweite wichtige Erfolgsfaktor ist, die unterschiedlichen Prozesse so zusammenzuführen, dass sie bei aller Unterschiedlichkeit der beiden Welten eine strukturierte Zusammenarbeit ermöglichen. Dies trifft vor allem für die Prozesse Architekturmanagement (Zielarchitektur der Gesamtlösung, Integrationsarchitek- tur, ...), Portfoliomanagement (Transparenz über Vorhaben, Ressourcen, Budgets, ...), Securi- ty-Management und Release & Change-Management zu. Aber auch weitere Prozesse müssen sicherlich angepasst werden. Sehr wahrscheinlich muss auch das Governance-Modell modifiziert werden.
Der dritte Erfolgsfaktor sind die organisatorischen Anpassungen. So sind wahrscheinlich Anpassungen an einigen Organisationsstrukturen (zumBeispiel Kundenschnittstelle - Customer- Service, Demand-/Supply-Schnittstelle) notwendig. Aber auch das Aufsetzen und Entwickeln der interdisziplinären Teams in der agilen Welt im Gegensatz zu den sehr gewachsenen Teams in der traditionellen Welt ist eine Herausforderung.
Abschließend lässt sich sagen, dass auf der einen Seite die Transformation in eine bimodale Welt eine große Herausforderung für jede IT-Or- ganisation ist und sicherlich mehrere Jahre benötigen wird. Auf der anderen Seite ist die IT damit in der Lage, die heutigen, aber auch die künftigen Anforderungen der Geschäftseinheiten sehr gut zu erfüllen und damit ihrer neuen Rolle gerecht zu werden.
Digitalisierung vs. Digitale Transformation
In den zurückliegenden Jahren hat sich die Rolle der IT in den Unternehmen stark verändert. Zum einen gibt es Unternehmen, deren Ge- schäftsmodell auf der IT aufbaut. Dies sind vor allem die sogenannten Internetfirmen, die sich ganz neue Geschäftsmodelle durch IT erschlossen haben. Zum anderen gibt es aber auch viele tradierte Unternehmen, die durch den Einsatz von IT ihr Geschäftsmodell erweitern wollen. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es Unternehmen, die durch die IT ihr Geschäftsmodell abändern (müssen), um auf massive Marktver- änderungen zu reagieren.
Aktuell sind deshalb viele Unternehmen da- bei, ihre Strategie zu definieren, wie sie mit den Chancen und Risiken aus der Digitalisierung und/oder der Digitaler Transformation umge- hen wollen.
Dabei können die Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle (von moderater Weiterentwicklung bis zur disruptiven Veränderung) für die verschiedenen Unternehmen sehr unterschiedlich sein.
Da die Vorgehensweise, aber auch die möglichen Auswirkungen auf die Kultur, die Prozesse und die Organisation sehr unterschiedlich sein können, ist es sinnvoll, zwischen Digitalisierung und Digitaler Transformation zu unterscheiden.
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