Was hat Sie in ihren ersten anderthalb Jahren als deutsche IBM-Chefin am meisten beschäftigt?
Koederitz: Es war die dramatische Beschleunigung bestimmter IT-Themen wie Vernetzung, Digitalisierung, Big Data und Mobility. Das hat sich massiv auf unser Geschäftsportfolio, die Kundenanfragen und die Ideen, die wir mit unseren Kunden diskutieren, niedergeschlagen. Wir haben uns anders ausgerichtet, um diese technologischen Treiber viel konsequenter in den Mittelpunkt unserer gesamten Aktivitäten im Markt zu stellen - unter Berücksichtigung der jeweiligen Branchen und Industrien.
Geht es im Wesentlichen um die vier "magischen" Themen Mobile, Cloud Computing, Social Business und Big Data?
Koederitz: Das sind die Themen, die aber weniger durch die IT-Anbieter als durch die unglaubliche Akzeptanz in der Gesellschaft an Fahrt gewinnen. Mobility und soziale Netzwerke bedeuten ja nicht nur, dass rasend schnell unermessliche Mengen an Informationen verbreitet werden. Es werden auch viel mehr Transaktionen abgewickelt. Letztendlich beschäftigen wir uns mit den Ergebnissen dieser Entwicklung - und Big Data ist so ein Ergebnis.
Immer mehr Gespräche mit den Fachabteilungen
Wie äußern sich die Marktverschiebungen in Ihrem Geschäft? Stellen Ihre Kunden andere Anforderungen an IBM?
Koederitz: Die CIOs stehen vor der Frage, wie sie ihre Infrastrukturen umbauen und neue Lösungen einführen können, um den Veränderungen im Unternehmen gerecht zu werden. Flexibilität, Agilität, Integrationsfähigkeit - das gilt es zu gestalten.
Wir führen aber auch immer mehr Gespräche mit den Fachabteilungen. Dabei geht es um die Frage, was die neuen IT-Technologien und -Trends für ihre Geschäftsmodelle bedeuten. Wie verändert sich die Interaktion mit ihren Kunden? Die sind heute viel umfassender informiert und erwarten eine direkte, persönliche Ansprache. Auch unsere Kunden aus dem B2B-Bereich wollen direkter beraten werden. Damit stehen nicht nur die bisherigen Kommunikationsketten zwischen Unternehmen und Kunden in Frage sondern die gesamten Wertschöpfungsketten.
Wie nähern sich Anwender den neuen IT-Themen? Mit einem vorsichtigen Umbau ihrer Backend-und Frontend-Systeme oder auch mal radikal mit der sprichwörtlichen Abrissbirne?
Koederitz: Auf der einen Seite entstehen neue Applikationen gerade im Mobile-Bereich oder über neue Serviceplattformen. Wir bauen etwa E-Commerce-Lösungen, weil der Kunde eine effektivere Plattform für seine Geschäftstätigkeit wünscht. Auf der anderen Seite müssen wir die existierenden Lösungen mit der neuen Welt verbinden. Die Bestandsdaten werden weiter benötigt, also gibt es jede Menge Projekte und Aufgabenstellungen, um die neue mit den vorhandenen Anwendungs- und IT-Landschaft zusammenzuführen.
Die Petabytes an Daten und die Milliarden Lines of Code, die heute in den Legacy-Systemen stecken, will ja keiner komplett ersetzen. Die Frage ist also in jedem Einzelfall, wo man anfängt zu modernisieren und wo es Integrationserfordernisse gibt. Cloud-Angebote zum Beispiel müssen in vorhandene Anwendungen integriert, Datenintegrationspunkte identifiziert werden - und wir begleiten Unternehmen an der Schnittstelle zu ihren Kunden. Egal, ob das interne Abnehmer in den Fachbereichen oder externe am Markt sind.
Sie sprechen das Thema Cloud an. Wollen Sie hier die drei Servicemodelle Infrastructure, Platform und Software as a Service gleichermaßen anbieten?
Koederitz: Wir bieten die ganze Kette an. Und zwar in Public-, Private- und Hybrid-Cloud-Szenarien. Wir haben auch Projekte, wo wir mit Partnern zusammenarbeiten und zum Beispiel regionale Managed Service Providers (MSPs) in unsere Cloud nehmen, also auch deren Anwendungen betreiben. Natürlich sind wir heute noch stark auf der Private- und Hybrid-Cloud-Seite unterwegs, aber wir haben auch beispielsweise SAP-Software sowie einige unserer eigenen Softwarelösungen aus der Cloud im Angebot.
Massive Verschiebung zu integrierten Lösungen
Wenn man sich IBMs Geschäftszahlen ansieht, dann ist vor allem die Profitabilität beeindruckend, die Umsatzentwicklung dagegen weniger. Die Softwaresparte läuft ordentlich, die anderen Bereiche stagnieren oder sind rückläufig. Warum ist das so?
Koederitz: Das Geschäftsergebnis 2012 unterstreicht, dass wir als IBM mit unseren Wachstumsinitiativen die richtigen Segmente besetzen. Analytics und Cloud sind positiv, unser Smarter-Planet-Portfolio kommt an und auch die Investitionen, die wir in den Wachstumsmärkten getätigt haben, zahlen sich aus. Die Herausforderung wird sein, unsere Lösungen noch nachhaltiger an den Markt zu bringen. Und wir sehen wirklich eine Verschiebung des Portfolios. IDC sagt: Die neuen Themen Big Data, Cloud Computing, Social Business und Mobility werden die stärksten Wachstumstreiber sein.
Wir werden in unserem Angebotsportfolio eine massive Verschiebung zu integrierten Lösungen sehen, die diese Themen aufgreifen. Es wird meine Aufgabe sein, diese Veränderung im Markt zu verankern.
IBM hat das Social-Business-Thema stark mit dem "Connections"-Produkt besetzt. Gleichzeitig pflegen Sie das klassische Lotus-Notes-Portfolio, das bei vielen Kunden noch im Einsatz ist. Erleben wir derzeit eine Verschiebung der Gewichte weg von der Notes- und hin in die neue Social-Welt?
Koederitz: Natürlich sehen wir, dass die junge Generation ein ganz neues Kommunikationsverhalten in die Unternehmen bringt. Das gilt für Mitarbeiter genauso wie für Kunden. Wir arbeiten selbst mit Connections rund um den Globus. Auch unsere größten Partner sind in diesem Netzwerk eingebunden. Wir nutzen es, um eine große Wissensplattform anzubieten, auf der sich die IBMer zu ihren Spezialthemen schnell und einfach finden und austauschen können. Wir benutzen die Plattform auch bei mir im Team für den Führungskräftedialog.
Damit geht der E-Mail-Verkehr natürlich zurück. Ob das nun dazu führt, dass man in fünf Jahren gar kein E-Mail mehr hat - soweit kann ich nicht in die Zukunft schauen. Da wir aber viel mehr in Netzwerken und Partnerschaften innerhalb und außerhalb des Unternehmens arbeiten, gehe ich davon aus, dass Social Business in Unternehmen massiv an Bedeutung gewinnen wird. Es wird dazu beitragen, Fachwissen und Erfahrungen schnell zu verbreiten und Innovation zu fördern. E-Mail wird sicher zurückgehen, aber wann es sich dann überholt hat, werden wir sehen.
Und eins ist auch klar: Lotus war immer mehr als nur E-Mail. Es gibt ein ganz breites Spektrum an Anwendungen, und wir werden auch dort Modernisierungen und Transformationen sehen. Wir haben das alles in der Software Group zusammengefasst unter ICS, IBM Collaboration Services. Wir bieten den Kunden eine nachhaltige Transformationsmöglichkeit und weitgehenden Investitionsschutz, so dass alles, was er gestern genutzt hat, bei Bedarf auch in Zukunft erhalten bleibt.
Bekenntnis zu Lotus Notes
Können Sie den Kunden garantieren, dass die Notes-Produktwelt auf Dauer weiter entwickelt und gepflegt wird?
Koederitz: Ja. Wir sind ja auch selbst ein großer Anwender.
Wenn man sich das IBM-Angebot insgesamt ansieht, gewinnt man den Eindruck, dass Sie das Softwaregeschäft überproportional ausbauen. Ihre CEO Virginia Rometti hat ja auch angekündigt, dass im Softwarebereich bestimmte Themen intensiver angegangen werden sollen, zum Beispiel Security und Social Business. Ist IBM bald nur noch ein Softwarehaus?
Koederitz: In unserer Financial Roadmap haben wir aufgezeigt, dass wir bis 2015 die Hälfte unseres Profits aus dem Softwaregeschäft erwarten. Viele der Herausforderungen, die wir heute adressieren, lassen sich nur mit intelligenten Softwarelösungen angehen. Für Big Data und Analytics braucht es intelligente Lösungen. Wir bringen das zusammen, zum Beispiel mit PureSystems, um die Big-Data-Herausforderung anzunehmen. Wir haben intelligente Softwarelösungen, um entsprechende Architekturen aufzubauen und große Datenmengen zu analysieren. Und dann haben wir in unserem Dienstleistungsgeschäft das Wissen, diese analytischen Erkenntnisse in die Geschäftsprozesse unserer Kunden zu integrieren - denn darum geht es ja: Daten zu analysieren, um schneller, besser neue Erkenntnisse zu haben, die der Kunde in seinen Geschäftsprozessen und -vorfällen quasi in Echtzeit verwenden kann. Die Softwarelösungen sind eigentlich die bestimmende Komponente, wenn es darum geht, innovative, kreative Gesamtlösungen in einer vernetzten Social- und globalen Welt zu entwickeln.
Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Infrastruktursoftware, insbesondere der Middleware, wenn der Trend im Markt zu einer Reduzierung der Fertigungstiefe, zu Cloud Computing und zu Buy statt Make geht?
Koederitz: Es gibt genügend große, global agierende Unternehmen, die IT als eine Kernkompetenz sehen. Sie wollen damit ihre Geschäftsprozesse weiterentwickeln. Es geht hier eher um die Diskussion, bis zu welcher Fertigungstiefe dieses strategische Asset weiter getrieben werden soll. Analysten sagen, dass im Jahr 2020 rund 70 bis 80 Prozent der Cloud-Services aus ein paar wenigen sehr großen Cloud-Rechenzentren geliefert werden. Das werden Megarechenzentren sein, und Leistung und Art dieser Services wird darüber entscheiden, wer sich wie positioniert. Sicherheit und Zuverlässigkeit sind dabei besonders wichtig.
Das Großrechnergeschäft wird seit vielen Jahren totgesagt, hat sich aber bislang hartnäckig behauptet. Was erwarten Sie in den nächsten Jahren?
Koederitz: 2012 war das erfolgreichste Jahr im Mainframe-Umfeld seit langem. Wir hatten eine erfolgreiche Einführung neuer Z-Modelle. Am Ende geht es um die intelligente und effiziente Verarbeitung von Daten, und der Mainframe war und ist der klassische Data- und Transaction-Hub. Wir haben viel investiert in die Mainframe-Technologie, auch um sie in Richtung Linux und Open Standards zu öffnen. Die Kunden erkennen das; gerade in den Wachstumsmärkten gibt es manche Unternehmen, die sich erstmalig mit dem Mainframe beschäftigen. Es ist eine ganz bedeutende Plattform, wenn wir über Big Data und Analytics reden, und wir wollen sie konsequent weiter entwickeln.
Es gab im letzten Jahr Schlagzeilen über einen größeren Personalabbau bei IBM Deutschland. Wie ist der Status quo?
Koederitz: Ich habe das im vergangenen Jahr vor der CeBIT dementiert. Dazu ist alles gesagt, was es zu sagen gibt. Es hat sich nichts geändert.
Martina Koederitz über Shareconomy
Stichwort CeBIT: "ReThink your Business" ist dort in diesem Jahr IBMs Motto. Die Messe selbst hat als Leitthema "Shareconomy" gewählt. Meinen Sie das gleiche?
Koederitz: Hinter Shareconomy steckt die Frage, wie man in Zukunft besser und intelligenter zusammenarbeitet. Wie teilt man Wissen, wie schafft man partnerschaftlich Innovationen? Unsere CEO-Studie vom letzten Jahr hat gezeigt, dass Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit bei den sich immer schneller entwickelnden Technologiezyklen nur noch beherrschbar sind, wenn Unternehmen sich öffnen und Partnerschaften eingehen. Diejenigen, die ihr Know-how am schnellsten und sinnvollsten teilen, werden auf Dauer in einer besseren Wettbewerbsposition sein. Auch wir als IBM tauschen unser Wissen mit Partnern und Forschungseinrichtungen aktiv aus. Die Shareconomy hat also einen Einfluss auf die Geschäftsmodelle von morgen. Deshalb ist unsere Position: "ReThink your Business."
Die neuen Technologien werden vor keiner Industrie halt machen. Jede Branche, jedes Unternehmen muss sich überlegen, welche Wirkung diese Themen haben und wie damit umzugehen ist. Vor diesem Hintergrund werden wir in Hannover intelligente Projekte und Lösungen zur Diskussion stellen.
Anwendungsbeispiele stehen im Vordergrund
Wie äußert sich das konkret in der Präsentation der IBM auf der CeBIT?
Koederitz: Konkrete Projekte und Referenzen sind wichtig. Schon in den letzten Jahren haben wir nicht Produkte, sondern Lösungen in den Vordergrund gestellt, die wir mit Kunden, Partnern oder unseren Labs entwickelt haben. Die haben wir natürlich mit unserer Software und auf unseren Plattformen entwickelt, aber wir stellen das Anwendungsbeispiel in den Vordergrund, nicht die Technik.
Demnach erreichen Sie nicht nur IT-Profis, sondern auch jede Menge Anwender und Entscheider aus den Fachabteilungen auf der CeBIT?
Koederitz: Das ist schon seit längerem so. Wir hatten ja auch schon früher ein begleitendes Fachprogramm - zum Beispiel für die Automobilindustrie oder den Gesundheits-Sektor. Dieses Jahr machen wir zusammen mit der Deutschen Messe eine Veranstaltung für Chief Marketing Officers (CMOs). Wir werden Marketingleiter und Vertriebs-Chefs mit Fachprogrammen wie dem CMO-Community-Tag ansprechen. Und wir bieten bestimmte Führungen an, bei denen wir Entscheider aus den Fachabteilungen zusammenführen. Ebenso werden wir unsere CIO-Plattformen weiter pflegen. Die CIOs bringen inzwischen auch andere Entscheider aus der Top-Management-Ebene mit auf die CeBIT.
Ist es die Zukunft der CeBIT, Anwendungsszenarien zu zeigen?
Koederitz: Auch die Technologien bleiben relevant. Selbstverständlich werden wir beispielsweise unsere Ankündigungen rund um die PureSystems-Produktfamilie in Szene setzen. Das ist unsere Architektur für die Smarter Computing Decade. Damit werden wir eher klassisch die Verantwortlichen für den IT-Betrieb erreichen. Andererseits ist klar: je stärker die IT in die Fachbereiche und die Kernprozesse unserer Kunden vordringt, desto mehr müssen sich Menschen interessieren und informieren, die bisher vielleicht nicht diese IT-Affinität hatten.
Gibt es nach all den Jahren eine Nibelungentreue der IBM zur CeBIT oder sind Sie eher kühle Rechner?
Koederitz: Wir sind in der Tat fast vom ersten Jahr an dabei. Es ist die Drehscheibe der IT, hier haben wir den größten Zulauf. Es ist auch nützlich, viele Anwender zu sehen und einen Blick auf die Branche zu haben. Und wir haben auch die Verantwortung, die in Deutschland nach dem Maschinen- und Anlagenbau zweitwichtigste Branche angemessen zu repräsentieren.
Andererseits: Wenn wir darin nicht einen echten Gewinn für uns sähen, der sich in Kontakten, Leads und konkretem Geschäft ausdrückt, und wenn wir unseren Auftritt nicht mit den Fachprogrammen ergänzen würden, dann müssten wir uns auch ein paar andere Fragen stellen.
Was machen Sie persönlich auf der CeBIT? Vorbereitete Millionenverträge unterzeichnen?
Koederitz: Kunden, Partner und Journalisten treffen. Das ist unsere wichtigste Woche im ersten Quartal, eine abwechslungsreiche Plattform, um sich ein Bild zu machen von den perspektivischen Chancen im Markt. Und natürlich, um ganz klar ein Signal an meine Mannschaft und alle Stakeholder der IBM zu geben: Wir können unsere Chance nutzen und die Herausforderungen meistern. (Computerwoche)