"Meine Kindheit habe ich bei IBM verbracht. Ich bin durch die Gänge des Rechenzentrums gelaufen und habe noch mit Lochkarten Vokabeln gelernt", schmunzelt Simone Funke. Es scheint sie geprägt zu haben: Heute arbeitet Funke bei der IT-Managementberatung Lexta Consultants Group. Sie legt wenig Wert auf einen Exotinnenstatus. Die engagierte Beraterin hat das Frauennetzwerk CIO (f) gegründet, um mehr Frauen in die IT-Branche zu locken. Wie das gelingen kann, ist Thema eines Round-Tables der Computerwoche Ende Januar in München.
Die Diskussion kreist schnell um zwei Aspekte: Kultur und Kinderbetreuung. Letzteres ist nicht nur eine Frage des "ob", sondern auch des "wie". Konkret: mit dem Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kindertagesstätte oder dem Kindergarten ist es nicht getan. Kommt das Kind in die Grundschule, stehen die Eltern - und das heißt meist eben doch die Frauen - wieder vor dem Problem der fehlenden Ganztagsbetreuung. Beim Übertritt in die weiterführende Schule genauso. "Und schließlich wollen die Frauen ihre Kinder ja nicht nur einfach untergebracht wissen", sagt Frank Schabel von der Personalvermittlung Hays, "die Qualität der Kinderbetreuung muss stimmen."
Ein Problem, das manche Frauen karrieretechnisch auf die Bremse treten lässt. Sie wollen sich nicht zerreißen lassen, wie Funke beobachtet. Manche Frau allerdings löst es unkonventionell, wie Annette Glaser von Deloitte berichtet: Eine Kollegin etwa nehme ihr Kind samt Kinderfrau mit auf Geschäftsreise. Dieser Ansatz ist sicherlich zeitlich begrenzt, muss zum Geldbeutel passen und nicht jedermanns Geschmack.
Klischees sind noch weit verbreitet
Angesichts des Fachkräftemangels in der IT aber können sich Unternehmen den Verzicht auf Frauen schon lang nicht mehr leisten. Dass die IT-Branche noch so wenig attraktiv ist für Mitarbeiterinnen, berührt den zweiten großen Aspekt: die Kultur. "Unser HR-Report zeigt Ernüchterndes", berichtet Schabel, "männliche Führungskräfte pflegen noch immer Klischees im Umgang mit Frauen. Und Führung heißt für sie oft Kontrolle."
Glaser kann das bestätigen. "Heutige Führungskräfte entstammen typischerweise der Baby-Boomer-Generation. Damit einhergehend wird noch oft eine Anwesenheitskultur präferiert", sagt sie. Allerdings erwartet ihre Deloitte-Kollegin Hanna Brekenfeld in diesem Punkt einen Wandel. Die jüngeren Generationen machen das nicht mehr mit, beobachtet sie. "In Vorstellungsgesprächen erleben wir, dass Home Office und flexibles Arbeiten zur Selbstverständlichkeit geworden sind."
Die Sache mit dem Bindestrich
Brekenfeld führt einen weiteren Aspekt an: die fehlende Begeisterung vieler Frauen für IT. Von ihrer eigenen Ausbildung her weiß sie, dass Frauen in Studiengängen wie Wirtschafts-, Medien- oder anderer "Bindestrich-Informatik" stärker vertreten sind als in der reinen Informatik. Da hakt Herbert Wittemer von der Beratungsfirma msg ein. "Man kann jetzt sogar Kultur-Informatik studieren", erzählt er. Das Fach verbindet Kunstgeschichte und Informatik. Was Wittemer begrüßt: "Die IT braucht insgesamt ein besseres Image." Anke Anderie von Dimension Data bestätigt: Gerade Frauen sei die IT oft zu artifiziell.
"Wir verlieren die Mädchen schon früh", beobachtet Anderie. Nämlich leider schon in der Schule. Davon kann Schabel ein Lied singen: Seine Tochter erzählt von älteren Mathematiklehrern, die den Kindern vermitteln, Mädchen könnten eben kein Mathe. "Gleichzeitig haben osteuropäische und skandinavische Länder in der IT Frauenquoten von fast 50 Prozent", fügt er an. Womit die Diskussion wieder beim Anfang endet - der Kulturfrage nämlich.
Girls Days und Hochschulmarketing
Ein Weg zu einer frauenfreundlicheren Kultur führt über Girls Days. Allerdings sind deren Ergebnisse moderat. "Manchmal gewinnen wir eine Praktikantin", berichtet Anderie. Wichtiger als solche Einzeltage sind Schulkooperationen für Dimension Data. Auch Wittemer spricht in Sachen Girls Day von mäßiger Resonanz. Msg setzt eher auf Hochschulmarketing. Das Unternehmen hat bereits mit rund 40 Hochschulen in irgendeiner Weise kooperiert, sei es als Anbieter von Lehrveranstaltungen oder Exkursionen. Wittemers Tipp: Den Rücklauf solcher Aktivitäten systematisch auswerten und daraus ein Ranking der Hochschulen erstellen.
Msg stellt eigens einen Teil des Marketingbudgets dafür bereit. Den direkten Draht zum Nachwuchs halten Paten aus dem Unternehmen, die idealerweise selbst an der jeweiligen Hochschule studiert haben. Ganz ähnlich hält es Lexta. "Jung passt zu jung", begründet Funke die Praxis mit den Paten oder Mentoren.
Doch das alles beantwortet noch nicht die Grundsatzfrage: Wie gewinnen wir junge Frauen für die IT? Und wie verhindern wir, dass sie auf der mittleren Ebene stecken bleiben?
"Verlangen Frauen andere Belohnungssysteme?", fragt Karen Funk in die Runde. Die Computerwoche-Redakteurin moderiert die Diskussion. Die Meinungen dazu sind geteilt: Einerseits gilt das Gehalt Gender-unabhängig als Anreiz. Andererseits beobachten die Diskussionsteilnehmer, dass Frauen Karriere anders definieren. Glaser berichtet, dass "in Debatten zu Karrieremodellen häufig noch das Verständnis vorherrscht, Karriere bedeute, dass es immer aufwärts gehen soll". Bei Deloitte beobachtet sie, dass die jungen Frauen eigene Vorstellungen haben. Sie suchen nach inhaltlicher Erfüllung. So kann Karriere beides bedeuten: ein großes Team zu führen oder auch als Fachexpertin Anerkennung zu erlangen.
Karriere wie im Kinderbuch
Doch an der Erfüllung scheint es zu hapern. Mit Sorge beobachten die Diskussionsteilnehmer, dass viele Frauen im mittleren Alter Unternehmen verlassen, um sich beispielsweise als Coach oder Beraterin selbstständig zu machen. "Und genau diese Frauen fehlen dann als Vorbilder für die jüngeren", betont Brekenfeld. Denn nicht nur die Unternehmen sind in der Verantwortung, Frauen gezielt zu fördern - Frauen müssen diese Herausforderungen auch annehmen und Präsenz zeigen.
Deloitte will das Problem nun durch Familienphasengespräche lösen. Was braucht welche Mitarbeiterin, welcher Mitarbeiter wann? Ein erstes Ergebnis bestätigt Klassisches: Männer nehmen selten mehr als zwei Monate Elternzeit. Was nicht immer daran liegt, dass sie das so wollen. "Für Männer scheint dies noch eine Herausforderung darzustellen", beobachtet Glaser. Dabei forciert gerade die kommende Generation Y den Wertewandel. Diese Männer wollen ihre Kinder nicht mehr nur am Wochenende sehen.
Botschafter gesucht
Stichwort Familie: Funkes gute Erinnerung an ihre IBM-Kindheit führt zu der Idee, Eltern zu Botschaftern des eigenen Unternehmens zu machen. So kann ein Tag festgelegt werden, an dem die Kinder mit ins Büro gebracht werden. Glaser kennt einen Verlag, der Kinderbücher druckt mit dem Titel "Mein Papa/Meine Mama arbeitet bei…" Mitarbeitergewinnung hat eben viele Seiten.
Immerhin lassen sich Punkte wie Elternzeit und flexibles Arbeiten, Belohnungssysteme und Hochschulmarketing konkret angehen. Schwieriger ist das bei der subtilen Benachteiligung von Frauen, die kaum zu benennen ist, immer aber zu spüren. Gar nicht abwegig sei daher eine ganz simple Idee: Unisex-Toiletten. Auffallend oft und auffallend lang verschwinden die Herren nach wichtigen Meetings auf dem stillen Örtchen. Die gläserne Decke - möglicherweise hängt sie eben auch dort.