Entscheider nehmen ihre Führungspraxis gegenüber Wissensarbeitern offenbar viel positiver wahr als die Geführten selbst, wie eine aktuelle Studie ergeben hat. "Wir nehmen euch ernst und lassen die Zügel locker", sagen Führungskräfte zu Wissensarbeitern. Diese sehen das aber anders: "Ihr kontrolliert uns", klagen sie. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Wissensarbeiter und Unternehmen im Spannungsfeld" von Pierre Audoin Consultants (PAC) und der Deutschen Gesellschaft für Wissensmanagement im Auftrag des Personalvermittlers Hays aus Mannheim. Für die Studienautoren sind Wissensarbeiter hochqualifizierte Fachkräfte, die zur Wertschöpfung der Unternehmen beitragen. Dazu zählt die Studie zum Beispiel Chemiker und IT-Spezialisten, aber keine Manager.
Schlecht behandelte Wissensarbeiter
Aus einer früheren Hays-Studie zu Wissensarbeitern ist bereits bekannt: Wissensarbeiter fühlen sich oft nicht ausreichend gefördert und in ihrem Freiheitsdrang gewertschätzt. Offenbar gehen Entscheider auf die besonderen Bedürfnisse der Wissensarbeiter wenig ein, so die Studie. Jeder zehnte Manager sieht überhaupt keine Unterschiede in der Führung von Wissensmanagern zu anderen Arbeitskräften. Nur 43 Prozent der 432 von Hays befragten Manager glauben, dass Wissensarbeiter anders geführt werden müssen als "normale" Mitarbeiter. Dabei ist genau das erforderlich, wie Irmgard Küster, Geschäftsführerin und IT-Leiterin der Geva GmbH, einem Dienstleister in der Getränkebranche, weiß: "Wissensarbeiter muss man anders führen", sagt Küster. Ihnen müsse man Freiräume und Kreativität lassen. Aus eigener Erfahrung kann sie berichten: "Ich würde sagen, dass Wissensarbeiter oft schlechter behandelt werden."
Dabei sollten Führungsverantwortliche schon aus eigenem Interesse anders mit ihren Wissensarbeitern umgehen: Fühlt sich ein Wissensarbeiter nicht wertgeschätzt und kann er seine Zeit nicht frei einteilen, ist er schnell bereit, den Arbeitgeber zu wechseln. Knapp zwei Drittel (58 Prozent) der befragten Wissensarbeiter sind wechselwillig, so die aktuelle Studie. Das liegt wohl an einigen "No-Gos" im Umgang mit Wissensarbeitern, die zum Beispiel CIO Küster selbst erlebt hat.
Wissensarbeiter seien sehr motiviert, wollten sich ständig weiterbilden und möchten dieses Wissen auch teilen, erzählt Küster. "Doch in vielen Unternehmen ist der Wissensaustausch zwischen den Abteilungen gar nicht gewollt", sagt sie. "Gerade in der IT habe ich das erlebt", sagt sie. "Da gibt es immer noch dieses Denken der Besitzstandswahrung." Bequemlichkeit komme ihrer Meinung nach hinzu, denn: "Man muss Wissensarbeitern Zeit und Raum geben. Das kostet die Führungskraft natürlich selbst Zeit", sagt Küster.
Statt sich Zeit zu nehmen und sich um sie ausreichend zu kümmern, bügelten einige Chefs motivierte Mitarbeiter ab und bremsten sie in ihren Ideen. Davor warnt Küster eindringlich: "Sie zu bremsen ist genau der falsche Weg."
Flexible Arbeitszeiten
Es gibt einen Ansatz, der laut Umfrage schnell zu mehr Zufriedenheit führt: Wissens-Fachkräfte lieben Freiräume in der Arbeitsgestaltung. Viele Entscheider haben das bereits erkannt und ermöglichen zum Beispiel das Arbeiten im Home Office. Doch damit ist es noch nicht getan. 55 Prozent der Wissensarbeiter beklagen sich laut Studie, dass ein Großteil ihrer Arbeit aus Routineaufgaben besteht. CIO Jürgen Renfer von der Kommunalen Unfallversicherung Bayern (KUVB) warnt davor, Wissensarbeitern häufig gleichförmige Aufgaben zu übertragen: "Routinearbeiten muss jeder erledigen, das ist klar. Aber gerade bei Wissensarbeitern dürfen sie nicht überhand nehmen." Das beschränke sie in ihrer Kreativität und bremse sie aus.
Ein pikantes Detail ergab die Studie hinsichtlich der Routine-Aufgaben: Denn obwohl sich so viele Wissensarbeiter über gleichförmige Aufgaben beschweren, glauben nur 25 Prozent der befragten Führungskräfte, dass jene mit Routine-Aufgaben beschäftigt seien. Wie ist diese unterschiedliche Wahrnehmung zu erklären? Die Studienautoren haben dafür eine Erklärung: Immer mehr Teams werden verschlankt, während parallel die Dokumentationspflicht zunimmt. "Diese Tätigkeiten bleiben dann zwangsläufig an den Wissensarbeitern hängen, sind aber für Führungskräfte "nicht sichtbar", weil sie nicht direkt zu den Arbeitsresultaten und zum Unternehmenserfolg beitragen", so die Autoren.
Die unterschiedliche Fremd- und Eigenwahrnehmung des Führungsstils kann sich KUVB-CIO Renfer nur so erklären: "Möglicherweise liegt das an unterschiedlichen Geschwindigkeiten." Wissensarbeiter und Führungskräfte rekrutieren sich heute aus unterschiedlichen Generationen. Während jüngere Generationen schon mit der Wissensgesellschaft aufwuchsen, wachsen ältere Generationen eher hinein. "Falls diese These greift, könnte die Diskrepanz zwischen gelebtem und erwartetem Führungsstil mit den Jahren zunehmend verwaschen", so Renfer.
So führen CIOs Wissensarbeiter richtig
Diesen Prozess können agile CIOs beschleunigen - indem sie Wissensarbeiter bedürfnisgerecht führen. Vor allem müsse man ihnen, da sind sich die beiden CIOs einig, Respekt entgegenbringen. "Ich denke, dass bei Wissensarbeitern das klassische Lob gar nicht der entscheidende Faktor ist", sagt Renfer. "Sie sind erfahrungsgemäß eher intrinsisch motiviert. Ich denke, es ist daher sehr wichtig, ihnen mit Respekt zu begegnen: Respekt vor ihren Wünschen an die Arbeitsgestaltung und vor ihren Ergebnissen und Lösungen." Dann erst könnten sie ihr volles Potenzial entfalten.
Zudem müssen Wissensarbeiter von ihrer Führungskraft in die Lage versetzt werden, gut zu kommunizieren. Nur, wenn sie mit Kollegen in Kontakt stehen, können sie auch wertvolle Arbeit leisten. Das gilt im Übrigen auch für die Kommunikation zwischen Chef und Wissensarbeiter selbst, erzählt Geva-CIO Küster: "Wissensmitarbeiter denken abteilungsübergreifend. Daher ist es wichtig, mit ihnen sehr häufig Gespräche zu führen", sagt Küster. "Dann erst können sie das Wissen weitergeben." Vor allem in Firmen mit Silodenken müsse ein Chef auf ausreichende Kommunikation achten.
Freiräume geben
Wissensarbeiter brauchen aber vor allem eines: Freiräume. Glaubt man der Studie, so ist zwar der Wille da, aber die Umsetzung ist noch nicht perfekt. Nur 62 Prozent der befragten Wissensarbeiter gaben an, selbstbestimmt arbeiten zu können. "Man muss Wissensarbeitern Freiheiten lassen und ihnen anspruchsvolle Tätigkeiten bieten", sagt KUVB-CIO Renfer. Und Küster warnt davor, Wissensarbeiter zu sehr zu beschränken. Sonst werde ihre Kreativität abgewürgt, wie sie selbst schon erlebt hat.
Ihnen diese Freiheiten zu ermöglichen, ist manchmal nicht ganz einfach. Dazu gehört auch persönlicher Einsatz, berichtet CIO Küster. "Ich habe sehr viele und sehr lange Gespräche mit den Mitarbeitern geführt. Oft lag ich auch nachts wach und habe mir Gedanken gemacht, wie ich sie besser fördern kann", erzählt sie. Sie gibt ihren Mitarbeitern Freiräume und lässt sie viele Vorschläge machen. Mit dieser Strategie hat sie durchschlagenden Erfolg. "In den letzten eineinhalb Jahren habe ich mehr Projekte geschafft und mehr erwirtschaftet als in den letzten fünf Jahren insgesamt", berichtet sie. Der Erfolg ist in Zahlen messbar. "Meine Mitarbeiter sind aufgeblüht und wirklich sehr motiviert", erzählt sie.
Zeitfenster für Kreatives
KUVB-CIO Renfer empfiehlt folgende Methode, dem Team diese Freiheiten zu ermöglichen: "Schaffen Sie Zeitfenster für Kreatives. Etwa einen halben Tag in der Woche könnten Wissensarbeiter Themen bearbeiten, die nicht unmittelbar mit den Kernaufgaben oder ihrem Projekt zu tun haben." Natürlich müsse dabei etwas Nutzbares für das Unternehmen herauskommen - das unmittelbare Ergebnis könne aber beispielsweise auch für eine spätere Aufgabe nützlich sein. "Ich denke, dass man Wissensmitarbeitern zeitweise einfach eine gewissen Flughöhe zubilligen muss", sagt Renfer dazu.
Doch manche Führungskräfte haben Bauchschmerzen, Mitarbeitern so viel Freiraum zu geben. Diese Sorgen kann Renfer jedoch beseitigen. "Im Allgemeinen funktioniert das sehr gut, wenn sich die kreativen Zeiten etabliert haben. Freiräume müssen sich Mitarbeiter und Führungskräfte gemeinsam erarbeiten. "Das ist nichts, was man in einem halben Jahr einführen kann. Das ist schon ein großer Invest, den man auf Vertrauensbasis tätigt", sagt der CIO. Doch die Freiräume lohnen sich. "Die Ergebnisse aus Kreativphasen fließen immer wieder ins Tagesgeschäft ein. Ich bin häufig positiv überrascht, mit welchen tollen Ideen Mitarbeiter ankommen - gerade wenn es vielleicht an einer Ecke unerwartet ‚brennt‘ ", sagt Renfer.
Nicht vollständig loslassen
Bei aller Freiheit: klare Leitplanken sind erforderlich. "Sonst entwickeln sich plötzlich freischaffende Künstler, das geht leider nicht", sagt Renfer. Zu erkennen, welche Flughöhe man Mitarbeitern jeweils zubilligen könne, das gehöre zur Mitarbeiterführung dazu und muss entsprechend ihrer individuellen Entwicklung sowie der aktuellen Herausforderungen im Unternehmen laufend justiert werden, erzählt der KUVB-CIO. Das sieht Küster genauso. Manchmal bedarf es ein wenig Korrektur, damit sich die Kollegen nicht in die falsche Idee verrennen: "Zwar ist nicht jede Idee durchführbar, aber darauf kommt es nicht an", sagt Küster. "Jede Idee muss respektiert werden."