Die Intelligenz des IT-Campus

Wo Innovationen künftig herkommen

29.07.2013 von Ayad Al-Ani
Unternehmen haben nicht mehr die Ressourcen für Innovationen. Wozu auch? Externe Peers und Start-ups liefern einfacher und günstiger Ideen. Unternehmen müssen diese nur organisieren. Professor Ayad Al-Ani von der Hertie School of Governance stellt ein Modell dafür vor.
Innovationen blieben oft die Aufgabe von Projekten.
Foto: mauritius images

Die traditionelle hierarchische Organisation hat möglicherweise ihren Peak überschritten. Neue Modelle, die Kundenbedürfnissen und der Globalisierung Rechnung tragen sollten, waren zuletzt nicht immer erfolgreich. So setzte sich etwa die Prozessorganisation nicht gegen die Hierarchie durch. Oder die im Zuge von Kompetenzdezentralisierungen neu geschaffenen Units konnten sich nicht effektiv genug um ein strategisches Ziel herum ausrichten und schufen deswegen eher Parallelrationalitäten.

Innovationen blieben oft die Aufgabe von Projekten. Das war nur allzu oft ein recht düsteres Kapitel organisatorischer Praxis, da diese über zu wenig Anweisungsmacht und Motivationsstrukturen verfügten, um erfolgreich agieren zu können.

Nun sind zwei neue Elemente verfügbar, die begonnen haben, die Art und Weise, wie wir arbeiten, zu revolutionieren:

Ayad Al-Ani Professor, Hertie School of Governance: "Innovationen blieben oft die Aufgabe von Projekten. Das war nur allzu oft ein düsteres Kapitel organisatorischer Praxis."
Foto: Hertie School of Governance

Nun haben Unternehmen - allen voran solche aus der IT-Industrie - erkannt, dass sie nur dann ausreichend Innovationen entwickeln können, wenn sie diesen Surplus anzapfen. Allein sind sie wegen vielfältiger Kostensenkungen oft nicht mehr in der Lage, die für Innovationen notwendigen vielen "Trial-and-Error"-Versuche zu durchlaufen. Beobachtet man die - häufig im Stillen stattfindende - Transformationen der IT-Industrie, wie bei SAP, IBM und Red Hat, so erkennt man dort die Strategie, die Intelligenz der Massen/Crowd und innovativer Entrepreneure zu nutzen: In der Masse sind die unzähligen "Trial-and-Error" Innovationsprozesse einfacher und kostengünstiger zu organisieren als in der Hierarchie.

Wenn sich IT-Unternehmen immer mehr zu Organisationen hin entwickeln, die nicht mehr selbst produzieren und proprietäres Wissen generieren, sondern vielmehr versuchen, die Intelligenz der Peers zur Erfüllung von Kundenanforderungen zu organisieren, dann spricht wohl einiges dafür, dass die traditionelle

IT-Organisation eines Unternehmens beginnt, diese Elemente auch für sich zu nutzen.

Radikale Individualisierung

Widerstand in Organisationen - Organisationen im Widerstand.
Foto: Springer-Verlag

Virtuelle Plattformen und Kooperationen drängen klassische Hierarchien in Wirtschaft und Politik zurück. Ayad Al-Ani beschreibt in seinem neuesten Buch die Chancen und den Preis, den wir für die radikale Individualisierung zahlen müssen.

Erschienen ist das Buch im Februar 2013 im Springer-Verlag, Heidelberg, 303 Seiten, 39,99 Euro.

Unterschiedliche Arbeitswelten

Zunächst muss festgehalten werden, dass die Arbeitsweisen der traditionellen IT-Organisation, aber auch der Fachbereiche auf der einen und der Crowd/Start-ups auf der anderen Seite sehr unterschiedlich sind:

Das Innovationscampus-Modell

Daran schließt sich nun die Frage an, wie man innovative und selbstgesteuerte Wissensarbeiter zu einer Mitarbeit auch an kleinteiligen Issues bewegen kann, in denen kein "aufregender" gesellschaftlicher und technologischer Fortschritt abbildbar ist.

Das Kooperationsmodell zwischen Peers und Unternehmen sieht vor, dass in einem physischen oder virtuellen Rahmen freie Produzenten und Start-ups an der System- und Produktentwicklung mitarbeiten. Mit dem Unternehmen sind sie durch Kollaborations- und Governance-Prozesse verbunden, die es ermöglichen, Ideen der Externen in die Organisation einzuschleusen und Konsens herzustellen.

Die Innovationen können sich auf zwei unterschiedliche Bereiche fokussieren:

In diesem Modell sind aber auch die Mitarbeiter der Organisation aufgerufen, neben oder statt ihrer Linienaufgabe mitzuarbeiten (Coupled Innovation Process). Essenziell erscheint, dass die Innovationskraft von externen Start-ups, Firmen und Peers genutzt wird, um die internen Innovationskapazitäten aufzuwerten:

Damit eine solche Interaktion zwischen Internen und Externen funktionieren kann, bedarf es entsprechender Governance-Prozesse oder Schnittstellenfunktionen.

Governance-Mechanismen einführen

Um eine bessere Verknüpfung zwischen den Anforderung der Unternehmung beziehungsweise ihrer Kunden und den Motivationen der Peers und Start-ups sicherzustellen, können je nach Bedarf diverse Governance-Mechanismen beispielhaft verwendet werden:

Scout- und Übersetzungsfunktionen sind wichtig

Die unterschiedlichen Arbeitsweisen und Motivationsanreize zwischen der Hierarchie und neuen Kollaborationsarten machen es notwendig, dass eine Such- und Brückenfunktion dazugeschaltet wird, die diese beiden Sphären entlang folgender Funktion verbinden kann:

Diese Scout- und Brückenfunktion existiert allerdings heute noch kaum in einer Organisation. Gerade jüngere Mitarbeiter bringen viele Voraussetzungen für eine derartige Funktion mit, etwa Erfahrung in der Arbeitsweise von Netzwerken oder die Nutzung von Kollaborations-Tools, und könnten beim Aufbau eine wichtige Rolle spielen. Manager von Innovationsplattformen kämen hierfür ebenfalls infrage. Neben externen Beratern, die sich in absehbarer Zukunft hier spezialisieren werden, können auch kleine innovative Unternehmen, die heute schon die Balance zwischen interner und externer Innovation beherrschen, eingebunden werden.

Umsetzungsstrategien

IT-Organisationen werden sich vor allem auf das Management von Kundenforderungen, Architektur-Management, Designrichtlinien, Tests und Koordinationsaufgaben fokussieren. Produktion und Innovation werden in diesem Modell zunehmend von Peers und anderen Produzenten übernommen. Der IT-Campus spielt eine wichtige Rolle in der Migration hin zu solchen Modellen und erlaubt es, die neuen Beziehungen in den verschiedenen Ausprägungen zu pilotieren und schrittweise auszubauen.

Ayad Al-Ani ist Professor an der Hertie School of Governance in Berlin.