Vodafone-CIO Ulrich Irnich

Wo Video-Calls an ihre Grenzen stoßen

08.01.2021 von Karen Funk
Remote Work verändert das Arbeitsleben von Führungskräften. Im Gespräch verriet Ulrich Irnich, CIO von Vodafone, warum er sich bis zu drei Stunden täglich für die Kommunikation mit dem Team nimmt und wie Augmented Reality Videokonferenzen aufpeppen kann.
Vodafone-CIO Ulrich Irnich: "Wir brauchen einen Raum, in dem soziale Interaktion ohne Arbeit stattfinden kann."
Foto: Unitymedia

Herr Irnich, wie ist es Ihnen 2020 im Home-Office ergangen?

Ulrich Irnich: Am Anfang war Home-Office klasse. Denn macht es mir Spaß, jeden Tag im Auto zu sitzen oder von links nach rechts zu reisen? Natürlich nicht. Aber die freie Zeit hat sich in Kalender-Slots umgewandelt. Das war zuerst effizient. Aber nach zwei Wochen war ich dünnhäutig und genervt davon, dass der Tag nur noch aus Terminen besteht, jeder irgendwas will und du permanent in Videointeraktionen bist. Man darf auch nicht unterschätzen, was durch die lange Phase Home-Office verloren geht.

Was fehlt Ihnen konkret in Video-Calls?

Ulrich Irnich: Wenn du in Calls mit 30 Leuten bist, siehst du keine wirkliche Körpersprache und du kannst niemandem in die Augen schauen. Diese Reflexion von Menschen in ihrer Wahrnehmung, das Erkennen, wie sie Dinge zurückspielen, das fehlt. Das ist schon etwas, was mir Energie raubt.

Wie haben Sie gegengesteuert?

Ulrich Irnich: Wir haben gemerkt, dass wir einen Raum brauchen, in dem auch soziale Interaktion ohne Arbeit stattfinden kann. Denn sonst hast du nur ein Meeting nach dem nächsten, bekommst die Agenda und die wird abgearbeitet. Du bestehst nur noch aus deinen Kalenderslots. Deswegen haben wir unsere Meetings verändert und Raum geschaffen für einen 'Wie geht's mir denn'-Teil und tatsächlich haben wir sogar auch Workouts integriert. Mit Liegestützen!

15 Minuten E-Mails pro Tag - von wegen

Welche Rolle spielt die Kommunikation?

Ulrich Irnich: Allgemein stelle ich fest, dass es sehr viel mehr Kommunikation braucht. Manche Dinge muss man dreimal sagen. Ich hatte mir als Vorsatz fürs neue Jahr vorgenommen: maximal 15 Minuten E-Mails pro Tag - der ist natürlich komplett im Eimer. Die einzelnen Interaktionen sind dabei ganz unterschiedlich. Es gibt Einige, die sagen: 'Okay, ich brauche kurz die Rahmenparameter' und dann laufen die. Andere haben das Bedürfnis, jeden Tag mit mir zu sprechen. Ich brauche heute zwei bis drei Stunden am Tag Freiraum, damit ich Leute anrufen und einfach mal checken kann, wie geht es denen gerade?

In welche Themen möchten Sie künftig mehr investieren?

Ulrich Irnich: Das ist eine sehr gute Frage. Meine Antwort dazu: Menschen und Innovation - denn Menschen treiben Innovationen, sind füreinander da und finden Lösungen. Wenn ich mir vor Augen halte, was wir dieses Jahr - trotz Corona und allen Widrigkeiten, die damit verbunden waren - alles geschafft haben, bin ich echt stolz. Egal welches Projekt ich mir hier ansehe, im Zentrum stehen immer Personen, die dieses fantastische Ergebnis möglich machen.

Hat sich die Wahrnehmung der IT in diesem Jahr in Ihrem Unternehmen gewandelt?

Ulrich Irnich: In einem Tech- und Coms-Unternehmen wie Vodafone ist zwar klar, dass die IT einen hohen Stellenwert hat. Aber auch hier erleben wir eine Renaissance. Alle haben verstanden: Wenn Du heute kein Plattformgeschäft machst, was ohne IT nicht geht, dann bist Du raus. Es gibt also eine neue Wahrnehmung unserer Bedeutung im System. Es muss nur Skype ein bisschen ruckeln oder ein Zugang fehlen, und wir werden alle nervös.

Hat sich die Arbeitsorganisation in Ihrem Unternehmen verändert?

Ulrich Irnich: Es gab vor Corona einige Abteilungen, die gesagt haben: Home-Office gibt es bei uns nicht. Dahin werden wir nicht mehr zurückkehren. Für mich persönlich und die IT gilt außerdem, dass ich jetzt Leute auf dem Radar habe, die ich vorher in der Form nicht gesehen habe. Sei es, dass sie im Arbeitsplatzumfeld gute neue Ideen eingebracht haben, neue Kollaborationen gestartet haben, oder in größeren Sessions klug Klartext reden. Die Leute will ich auf jeden Fall auch in der Zukunft weiter im Auge behalten.

Welche Rolle spielt die IT bei der neuen Form der Zusammenarbeit?

Ulrich Irnich: Als CIO habe ich natürlich auch großes Interesse daran, wie sich hier die Technik verändert und uns auch in solchen Zeiten immer besser unterstützen kann. Hier sehe ich bei uns zum einen die AR-Garage, die viele Anwendungsbereiche auslotet. Mit der AR-Remote App können herkömmliche Videotelefonate mit Möglichkeiten der direkten Interaktion und Kollaboration über Augmented Reality erweitert werden.

Wie kann Augmented Reality bei Video-Calls helfen?

Ulrich Irnich: Ein Telefonat über die App ermöglicht es beiden Gesprächspartnern/-innen, in die Videoaufnahme hinein Markierungen und Zeichnungen zu setzen, die sich fix am ausgewählten Objekt befinden - auch wenn der Fokus des Videos schwenkt. Die App wird mit dem ersten Pilotkunden getestet und parallel intern bei uns verprobt. So kann die Anwendung weiterentwickelt und auf die Kundenbedürfnisse zugeschnitten werden.

In enger Zusammenarbeit von Vodafone mit dem Kunden werden neue Anforderungen entwickelt und die App wird kontinuierlich verbessert. Wir arbeiten neben der AR-Remote-App noch an der Entwicklung von vielen weiteren, zukünftigen Produkten zum Beispiel im Rahmen der Netzwerkvisualisierung. Diese ermöglicht es in der Zukunft, unnötige Kanalarbeiten zu vermeiden. Denn mithilfe von AR weiß man direkt, was sich unter der Straße befindet. So wird die Lücke zwischen digitalem und physischem Layer geschlossen - durch die Abbildung in einem digitalen Zwilling.

"Dieser Sprung ist gigantisch"

Wie wichtig ist 5G für die Digitalisierung hierzulande?

Ulrich Irnich: Mit dem neuen Mobilfunk-Standard 5G erleben wir eine Revolution der digitalen Möglichkeiten. Das mobile Echtzeitnetz für Anwendungen der Zukunft macht nicht nur enorm schnelle Datenübertragungen möglich. Es sorgt auch für völlig neue Formen der Vernetzung mit weitaus mehr Geräten und weitaus größerer Flexibilität als alle anderen Netze.

5G ist der nächste Schritt in der Entwicklung des Mobilfunks - und dieser Sprung ist gigantisch. Die technischen Daten von 5G beeindrucken. Die Reaktionsgeschwindigkeit ist so schnell wie beim menschlichen Nervensystem, es geht nur noch um Millisekunden. Daneben ermöglicht der neue Standard auch eine neue Form von Intelligenz. Die Übertragungsleistung lässt sich mittels Network Slicing immer passend zu einzelnen Anwendungen einstellen. Das bedeutet: Das Netz wird in verschiedene Schichten aufgeteilt.

Wie unterscheidet sich der Datenfluss über 5G von seinem Vorgänger?

Ulrich Irnich: 1 Gigabit pro Sekunde und mehr können schon heute über 5G übertragen werden. Denn der neue Standard nutzt Funkfrequenzen etwa dreimal so gut wie 4G. Für die Zukunftsfähigkeit ist zudem die Stärke von 5G entscheidend, möglichst viele Geräte anzuschließen. Die Zahl der Sensoren, Maschinen und Menschen mit Internet-Anschluss wird weiter rasant steigen. Bis zu 50.000 Geräte lassen sich so vernetzen, egal ob im Stadtverkehr, in einem Stadion oder in der Provinz.

Wie viele Menschen haben Sie in Deutschland schon an 5G angeschlossen?

Ulrich Irnich: Noch in diesem Jahr werden 15 statt geplant zehn Millionen Menschen in Deutschland Zugang zu unserem 5G-Mobilnetz haben. Und in einem Jahr dann schon 30 Millionen.

Im Vodafone 5G Lab zeigen Sie verschiedene Showcases, die darstellen, wie 5G funktioniert und welche Innovationen in Zukunft möglich sein werden. Welche zum Beispiel?

Ulrich Irnich: Vernetzte Roboter, die sich völlig synchron aus der Ferne bewegen lassen, ferngesteuerte Autos und natürlich der teleoperierte Kran: Was für viele nach Zukunftsmusik klingt, ist hier schon Realität. Der Fahrer im Lab hat dabei Zugriff auf verschiedene hochauflösende Kameraperspektiven und kann so den Modellkran mit dem Gefühl von 5G in seinen Händen steuern. Die Messkammer ist das Herzstück des 5G Labs. Auf den 20 Quadratmetern der Testing Area erproben die lokalen und globalen Technik-Teams Smartphones, Antennen und Sensoren für das Internet der Dinge - beim 5G-Härtetest.

Worauf sind Sie besonders stolz in diesem Jahr?

Ulrich Irnich: Aus Innovationssicht war das größte Highlight des letzten Jahres das Hologramm-Gespräch von Vodafone Deutschland CEO Hannes Ametsreiter zum Start des ersten 5G-Masts im 5G Mobility Lab. Während in einem Elektro-Kleinbus im 70 Kilometer entfernten Aldenhoven die Journalisten Platz nahmen, um mit Ametsreiter über die neueste Mobilfunkgeneration zu reden, war dieser nicht selbst vor Ort: Er ließ sich als Hologramm dazu schalten.