Chancen im Social Web

Wozu Fein eine Social-Media-Strategie braucht

01.09.2015 von Karin Quack
Mittlerweile erkennen auch konservative Unternehmen, dass das Social Web Chancen bietet. So auch die C. & E. Fein GmbH in Bargau: Mit seiner Social-Media-Strategie möchte der Mittelständler etwas für die Kundenbindung tun und nebenbei den technischen Support entlasten.

Social Media als Marketing-Werkzeug - wer denkt da nicht erst einmal an Facebook- und Youtube-Kampagnen mit den Stars der Unterhaltungsindustrie? Oder an ein modernes Vehikel für die immer selben, alten Werbebotschaften? Der Elektrowerkzeug-Hersteller Fein hingegen nutzt die Social-Media-Kanäle vorwiegend, um mit den Endkunden zu kommunizieren. Zu denen nämlich hat das Traditionsunternehmen wegen seines indirekten Vertriebsmodells wenig Kontakt: Die Fein-Werkzeuge werden ausschließlich über den Fachhandel an den Profi gebracht.

Wir haben die C. & E. Fein GmbH in Bargau besucht und herausgefunden: Es geht um Kundenbindung und einen besseren technischen Support.
Foto: Fein

Das Marketing unter der Leitung von Nadine Lillich beschloss vor etwa drei Jahren, lokale Social-Media-Plattformen aufzubauen, über die sich Kunden direkt an den Anbieter wenden können. Für den Fall, dass sie einmal Probleme haben oder Feedback zum Einsatz der oft erklärungsbedürftigen Fein-Werkzeuge geben wollen. Der Unterhaltungsaspekt trat dabei erst einmal in den Hintergrund - getreu dem Motto: "Seid nützlich!"

Mit Sven Golob wurde 2012 ein Social-Media-Experte an Bord geholt, der sich mit den technischen Aspekten des Thema auseinandersetzte. Ziemlich schnell wurde klar, dass die steigende Anzahl von Kanälen und Nutzern nicht mehr mit der Hand am Arm zu managen war. Derzeit betreibt Fein mehr als 30 Social-Media-Kanäle in 13 Ländern mit mehr als einer Viertelmillion Transaktionen pro Woche.

Web-Tools für Social Media Marketing
Web-Tools für Social Media Marketing
Soziale Netzwerke spielen im modernen Marketingmix eine immer wichtigere Rolle. Mit den richtigen Tools lassen sich Kampagnen effizient im Browser planen, durchführen und auswerten. Im Folgenden eine Vorstellung leistungsfähiger Alternativen, die sich in der Praxis bewährt haben.
Buffer
Buffer bietet sowohl Privatanwendern als auch Unternehmen einen einfachen Weg, Status-Updates in den wichtigsten sozialen Netzwerken nach Zeitplan zu veröffentlichen.
SocialBro
Bei Socialbro handelt es sich um einen funktionsreichen Analytics-Service für Twitter, der 2011 von einem spanischen Startup gestartet wurde und sich in der Branche bereits einen Namen machen konnte.
HootSuite
Wenn es darum geht, die Unternehmenskommunikation in den sozialen Netzwerken zu optimieren, gilt der aus Kanada stammende Service HootSuite mit über neun Millionen Nutzern als eine der besten Alternativen, die der Markt zu bieten hat.
Sprout Social
Eine weniger bekannte, aber dennoch interessante Alternative zu HootSuite ist Sprout Social. 2010 in Chicago gegründet der SaaS-Dienst ebenfalls als ein zentrales Management-Dashboard für Marketer, die verschiedene Social-Media-Profile effizient an einem Ort verwalten möchten.
WebZunder
Mit WebZunder präsentiert sich eine deutsche Lösung, die sich als eine günstigere und einfachere Alternative zu den Schwergewichten aus den USA positioniert. Mit dem Web-basierten Social-Media-Tool aus München sollen kleinere Unternehmen, die selbst wenig Erfahrung in Social Media haben und sich keinen Marketing-Experten leisten können, in die Lage versetzt werden, sich in den sozialen Netzwerken erfolgreich zu präsentieren.
SocialBench
SocialBench ist ein leistungsstarkes Marketing-Tool, das in Hamburg entwickelt wird und Community-Management-Funktionen, die für die Arbeit im Team konzipiert sind, umfangreiche Analytics und Werbungsmanagement in einer ganzheitlichen Plattform vereint.
Quintly
Quintly ermöglicht die effektive Analyse und Steuerung der eigenen Unternehmenspräsenz in den wichtigsten sozialen Netzwerken. Der aus Köln stammende Cloud-Dienst bietet eine funktionsreiche und professionelle Plattform an, die zahlreiche Analytics-Werkzeuge für Marketing-Spezialisten bereitstellt.
Nimble
Die Grenzen zwischen Social Media Marketing und Kundenmanagement verschwinden zunehmend. Vor diesem Hintergrund gewinnen Social-CRM-Tools wie Nimble immer weiter an Bedeutung.

Fein(e) Werkzeuge: Das Unternehmen in Daten und Fakten

Foto: Fein

Die richtige Flughöhe

Bei der Auswahl des Tools kam Golob der Zufall zu Hilfe. Er hatte bereits die einschlägigen Social-Marketing-Werkzeuge unter die Lupe genommen - und festgestellt, dass die designierten Nutzer damit möglicherweise überfordert wären. Denn neben den Social-Media-Aktivitäten erledigen sie durchweg noch andere Aufgaben. "Ich kann nicht darauf setzen, dass jemand davon befreit wird, um sich in ein Tool einzuarbeiten", sagt der Social-Media-Experte.

In die Entscheidungsphase hinein platzte ein Vertriebsmitarbeiter des dänischen Anbieters Falcon Social. Der warb nicht nur mit dem Funktionsumfang der "Falcon"-Suite, die Werkzeuge für das Kunden-Engagement, das soziale Marketing und das Reporting anbietet. Vielmehr machte er Golob mit dem Versprechen "intuitiver Bedienbarkeit" den Mund wässrig.

Sven Golob, Social-Media-Experte: "Um die Stimmungslage der Community tatsächlich mitzubekommen, hilft letztlich nur Zuhören."

Offenbar hielt das Tool im einmonatigen Praxistest, was der Verkaufsprofi in der Kaltakquise versprochen hatte. "Da stimmt einfach die Flughöhe", so Golob zur Bedienerfreundlichkeit und Überschaubarkeit der Tools.

Dem Social-Media-Experten bei Fein gefällt auch die schnelle Reaktion des Anbieters auf Anfragen von Kundenseite. Das gebe ihm das Gefühl, direkten Einfluss auf die Weiterentwicklung nehmen zu können. Trotz der schnell getakteten Umsetzungsphasen habe er aber nie den Eindruck einer "Permanent Beta".

Anwenderkompetenz gepaart mit Humor

Wie ein Blick auf den deutschen Facebook-Auftritt bestätigt, steht immer noch die "Nützlichkeit" im Vordergrund des Social-Media-Engagements. Aber inzwischen kommt auch die Unterhaltung nicht mehr zu kurz. Wie Golob erläutert, geht es darum, Anwenderkompetenz rüberzubringen - jedoch mit dem nötigen Humor.

Um die Fragen der Endkunden zu beantworten, ist schon solides Fachwissen nötig. Deshalb vertraut Fein die Inhalte auch lieber den eigenen Mitarbeitern an als einer Agentur. Die mag sich mit der Web-Technik auskennen, doch sie verfügt nicht über so viel Werkzeug-Know-how wie das Produkt-Marketing-Team, das die meisten "Sozialarbeiter" stellt.

Mit den Falcon-Werkzeugen verschaffen sich Golob und sein Team einen Überblick über alle Social-Kanäle - hinsichtlich externer Posts und eigener Beiträge. Das "Unified Dashboard" der Lösung hilft bei Planung und Publishing der Inhalte, die Fein seinen Endkunden vermitteln will. Ein feingranulares Berechtigungssystem stellt sicher, dass nur autorisierte Mitarbeiter Inhalte veröffentlichen und verändern können.

10 Thesen wie Social Media Unternehmen verändert
10 Thesen
In der Analyse: "Wer teilt, gewinnt - zehn Thesen, wie Digitalisierung und Social Media unsere Unternehmen verändern" schreiben die Consultants von Roland Berger über den Status von Social Media heute.
1. Social Media sind kein Hype, sondern sozioökonomische Realität
Social Media zeigt Kennzeichen einer reifenden Industrie, so Roland Berger. Diese Kennzeichen sind: Ausdifferenzierung (eine Visualisierung des aktuellen Spektrums an Web-2.0-Plattformen listet rund 30 verschiedene Anwendungsbereiche auf), Substituierung (immer mehr Produkte und Services aus der analogen Welt finden eine Entsprechung im Social Web), das Auftauchen neuer Player (inzwischen werden Videos auf Dutzenden von Plattformen geteilt und selbst ein Subsegment wie Live-Streaming unterteilt sich in zahlreiche Spezialangebote, etwa für Game-Watching oder Life-Sharing) und Best Practices (Erfolgsfaktoren in der unternehmensinternen wie -externen Nutzung von Social Media treten zutage, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette).
2. Social Media ist ein Machtfaktor - und Nichtstun ist keine Option
"Definiert man Macht als die Fähigkeit, soziale Beziehungen zu kontrollieren, dann nimmt die Macht der Konsumenten im Web 2.0 tendenziell tatsächlich zu", schreiben die Consultants.
3. Social Media ist eine Schlüsselqualifikation
Vor allem im Hinblick auf Kundenorientierung und Wissensmanagement können sich Unternehmen verbessern. Social Media stellt neue Interaktionsmöglichkeiten mit den Kunden her. In punkto Wissensmanagement beschreibt Roland Berger den Nutzen, den Firmen durch die Kombination aus Partizipation und Vernetzung erzielen können. "Durch interdisziplinäre und crossfunktionale Zusammenarbeit in Verbindung mit neuen Customer Insights verbessert sich insbesondere das Innovationsmanagement", so die Analysten.
4. Social Media ermöglicht neue Formen der Kundeninteraktion
Zwei Punkte sind für eine CRM-Strategie (Customer Relationship Management) entscheidend: Der Grad des Kundenengagements und die Lebenszyklen von Kundenbeziehungen.
5. Social Media beeinflussen das Kaufverhalten – direkt und vor allem indirekt.
Markenwahrnehmung und Kaufentscheidungen lassen sich über Social Media und eine entsprechende Consumer Influence Metrics beeinflussen. Das zeigen empirische Studien.
6. Social Media verändern die Markenführung grundlegend
Eine wesentliche Veränderung beim Social-Media-Marketing sieht Roland Berger darin, dass die Markenmanager das Geschehen nicht mehr komplett allein bestimmen. Wie eine Marke wahrgenommen und eine sogenannte Brand Story weiterentwickelt wird, darüber entscheiden die Nutzer heute mit.
7. Social Media revolutionieren die Zusammenarbeit im Unternehmen
Ein großes Wertschöpfungspotenzial von Social Media liegt im innerbetrieblichen Einsatz: unternehmensweite Kollaboration, crossfunktionaler Wissensaustausch, interdisziplinäres Innovationsmanagement, präadaptive Agilitätssteigerung und aktivierendes Veränderungsmanagement.
8. Social Media ist kein Selbstläufer
Wer von Social Media profitieren will, muss die technologischen und organisatorischen Voraussetzungen schaffen. Das beinhaltet eine solide, skalierbare und universelle technische Plattform sowie materielle Anreizsysteme. Außerdem Ziele, Spielregeln und Vorbilder für eine offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit.
9. Social Media folgt eigenen Gesetzen
Weil Social Media dynamische, egalitäre und interaktive Organismen darstellen, gestaltet sich die Erfolgskontrolle schwierig. Roland Berger rät, vier Dimensionen zu untersuchen: Die Motive der Akteure sowie den intellektuellen, sozialen und kulturellen Wert, der generiert wird.
10. Social Media ist ein umfassendes Organisationsprinzip
Roland Berger versteht Social Media als eine Kultur des Teilens und Tauschens. Entscheider, die das umsetzen können, profitieren im Hinblick auf mehr Vielfalt, Dynamik, Führung und Identität in ihrem Unternehmen.

Das Monitoring der sozialen Kanäle lässt sich mit den Tools ebenfalls vereinfachen. Allerdings traut Golob nicht allen Funktionen über den Weg. Auf eine automatische Sentiment-Analyse, wie das Falcon-Toolset sie ebenfalls biete, wolle er sich beispielsweise nicht verlassen. Die sei zu ungenau. "Hier hilft letztlich nur Zuhören", bekennt der Social-Media-Experte. So verbringe er vier Fünftel seiner Arbeitszeit damit, die Kanäle zu beobachten.

Zudem kümmert sich Golob um die meisten Anfragen, die am Wochenende oder abends hereinkommen. Mit den gefürchteten Shitstorms hat Fein noch keine Erfahrung machen müssen. "Handwerker sind sehr genau, aber nicht unbedingt auf Konflikte aus", erläutert Golob.

Von der Begeisterung zur Strategie

Die Tools sind inzwischen in einem Dutzend Länder ausgerollt und wurden dort nach kurzem Training rasch genutzt - von mittlerweile 22 Mitarbeitern. So positiv dieses starke Interesse an Social Media zu bewerten ist, so schwierig gestaltet sich das Management der vielen Präsenzen. Laut Golob bespielt Fein allein 20 verschiedene Youtube-Kanäle. Deshalb stehen die Zeichen derzeit auf Konsolidierung und Zentralisierung.

Wie bei neuen, aufregenden Techniken üblich, hatte sich offenbar auch das Fein-Marketing von der ersten Begeisterungswelle hinwegtragen lassen. Es gab einen "groben Plan", so Golob, doch auf den anrollenden Social-Media-Zug seien damals auch einige Niederlassungen aufgesprungen, die in Sachen Organisation, Prozesse und Skills noch nicht so weit waren wie andere.

Wenn Lillich und Golob neu anfangen könnten, würden sie systematischer vorgehen, sagen sie. Sie würden "A-Länder" wie Großbritannien, Frankreich und die USA vor den anderen ins Boot holen. Stattdessen sei "das Pferd ein wenig vom Schwanz aufgezäumt" worden, wie die Marketing-Chefin einräumt. Nun gilt es, die Social-Media-Strategie diesem Status quo überzustreifen.

Die Sinnfrage muss gestellt werden

Wozu aber überhaupt eine Strategie? - In dem Maße, wie Social Media wichtiger für den Unternehmenserfolg werden, stellt sich laut Golob die "Sinnfrage": Welche Ziele verfolgen wir als Unternehmen, als Marketing-Bereich, als Social-Media-Experten? Wie gestalten wir unser Engagement für den Kunden? In welchen Ländern müssen wir uns auf welchen Plattformen positionieren? Welche Medien nutzen unsere Kunden dort? Welche Reichweite peilen wir an? Welche Services müssen wir anbieten? Und wo setzen wir die Prioritäten?

Die Social-Media-Strategie solle sich in direkter Linie aus der Markenstrategie und damit letztlich aus der Unternehmensstrategie ableiten, sagt Lillich: "Wir müssen quasi unseren Markenkern auf die Social-Media-Ebene herunterbrechen." Damit bezieht sie sich auf die neun festgeschriebenen Unternehmenswerte. Die sind in der Eingangshalle der Firma sowie auf der Website ausgestellt und reichen von "anwendernah" bis "unverwüstlich".

Nadine Lillich, Leiterin Marketing Communications: "Wir müssen Unternehmensstrategie und Markenkern auf die Social-Media-Ebene herunterbrechen."

Bei der Strategiefindung war Falcon Social behilflich. Der Tool-Anbieter hatte im Lauf des vergangenen Jahres eine eigene Strategieberatung auf die Beine gestellt - noch eine dieser Koinzidenzen, die offenbar das Verhältnis zwischen Fein und Falcon Social begleiten.

Zusammen mit der Fein-Geschäftsführung hat das Marketing nachprüfbare Kennzahlen entwickelt, die sich mit Hilfe der Falcon-Werkzeuge ermitteln und analysieren lassen. So ist die Übereinstimmung zwischen Social-Media- und Unternehmensstrategie konkret belegbar.

Dänische Cloud ist für den CIO in Ordnung

Diese KPIs und das auflaufende Datenmaterial interessieren auch den CIO des Unternehmens, Otto-Max Herbstritt. "Wir überlegen uns schon, was wir künftig mit den Daten machen können, wie wir sie beispielsweise ins CRM rüberbringen", sagt er. Der IT-Bereich mache sich ja ebenfalls Gedanken, wie man näher an den Endkunden herankomme.

In das eigentliche Projekt war die IT allerdings nur mittelbar involviert. Die Software läuft zwar auf der internen IT-Infrastruktur, aber die Projektmitarbeiter kommen alle aus dem Marketing- und Vertriebsumfeld. Allerdings seien die Entscheidungen zwischen Marketing und IT abgesprochen worden, versichern beide Seiten. Das gilt vor allem für den Beschluss, auf eine Cloud-Lösung zu setzen. Wäre der Anbieter in den USA ansässig, hätte Herbstritt wohl sein Veto eingelegt. "Aber Europa ist in Ordnung", so der CIO.

Zentral, aber keine Einbahnstraße

Parallel zur Konsolidierung der Kanäle treiben Lillich und Golob die Zentralisierung bestimmter Aktivitäten voran. So werden "Templates" für die zu veröffentlichenden Inhalte von Bargau aus bereitgestellt, also vor Ort nur noch angepasst. Auf diese Weise spart man sich doppelte Arbeit und sorgt gleichzeitig für einheitliche Außenwirkung hinsichtlich Information und Tonalität. Eine Einbahnstraße soll das allerdings nicht sein, beteuert Golob: "Die anderen Länder können auch etwas in den Content-Pool einspeisen." Allerdings würden die Inhalte vor der Veröffentlichung "gefiltert". Und wie? - Der Filter sei meistens er selbst, sagt der Social-Media-Experte.