Experten über Nutzen und Probleme

Zweifel an BYOD-Strategien

14.11.2012 von Alexander Freimark
Bring Your Own Device (BYOD) bringt IT-Organisationen an ihre Grenzen. Trotzdem können sich CIOs der Aufgabe nicht entziehen, besagt eine Wette aus unserem CIO-Jahrbuch 2012. Oder doch? IDC liefert den ersten Gegenbeweis.
"Geschäftliche Nutzung privater Geräte geht zurück"
Foto: cio.de

Bei BYOD zeigt sich wieder einmal: IT ist ein zyklisches Geschäft, und beständig ist nur der Wandel. Erst muss man sparen und standardisieren, dann sind plötzlich Flexibilität und Agilität gefragt. Erst war der Blackberry ein Statussymbol, dann ist er plötzlich ein No-Go. Erst hatte die Sicherheit von Daten und Netzen höchste Priorität, dann wollen plötzlich alle Mitarbeiter ihre privaten Smartphones beruflich einsetzen. Zu allem Überfluss drängelt auch noch das Top-Management. Schließlich muss die Firma für den "War for Talents" aufrüsten, und der normale Vorstand schmückt sich gern mit einem schicken Tablet.

Die Blockadehaltung der IT-Organisationen gegen BYOD hat folglich nicht lange gehalten, immer mehr Unternehmen lassen private Mobilgeräte zu oder erweitern ihr eigenes Angebot im modischen Segment. "BYOD ist kein Hype mehr, sondern eine etablierte IT-Strategie", sagt Benjamin Wolters, Projektleiter am Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS. Der BYOD-Experte und Referent verweist auf viele Anfragen zur Unterstützung bei Konzepten oder Rollouts "auch aus dem Mittelstand mit weniger als 200 Mitarbeitern". Aus dem Push-Ansatz der IT, bei dem Geräte an die Anwender nach Gutsherrenart zugeteilt werden, hat sich ein Pull-Modell entwickelt - Nutzer verlangen Geräte, die sie selbst ausgewählt haben, und das meist nach anderen Kriterien als die IT. Function follows Fashion.

"Geräte mit emotionaler Bedeutung"

Steffen Roehn dürfte sich bei dieser Aussage freuen. Der ehemalige CIO der Deutschen Telekom hatte vergangenes Jahr mit dem CIO-Magazin gewettet, dass BYOD eine glänzende Zukunft bevorsteht und "dass in zehn Jahren 80 Prozent der Menschen in Deutschland ihr privates IT-Equipment - zum Beispiel iPads und Smartphones - in den Firmen, in denen sie arbeiten, nutzen". Roehn schlug eine Brücke von der Consumerization zur Generation Y: Hier ist Offenheit Trumpf, von den Büros über die Arbeits- und Freizeiten sowie die Karrierepfade bis hin zu den eingesetzten Geräten, inzwischen der "digitale Lebensmittelpunkt" quer durch fast alle gesellschaftlichen Schichten.

"Ein Smartphone ist für viele Menschen ein sehr persönliches Gerät und hat damit oft eine emotionale Bedeutung", sagt Tilo Böhmann, der den Lehrstuhl für IT-Management und Consulting am Fachbereich für Informatik der Universität Hamburg leitet. Unternehmen müssten daher lernen, "mit der Vielfalt umzugehen und die hart durchgefahrene Standardisierung im Desktop-Bereich aufzuweichen".

Gartner-Analystin Annette Zimmermann nennt lieber keine konkreten Zahlen zu BYOD: "Wir sehen einen starken Trend, und das nicht nur in einer kleinen Nische für Knowledge-Worker", bestätigt die Spezialistin für Consumer-Technologie jedoch. Unbestritten ist laut Prognose von Gartner aber der allgemeine Durchbruch zur Mobility. So erwartet das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen, dass 2014 bis zu 60 Prozent aller Knowledge-Worker-Inhalte auf einem mobilen Gerät aufgerufen werden. Wie viel davon privat angeschaffte oder privat genutzte Firmengeräte sein werden, steht allerdings in den Sternen.

Das CIO-Jahrbuch 2012.
Foto: IDG Business Media GmbH

"Einen Königsweg für BYOD gibt es nicht", erläutert Fraunhofer-Projektleiter Wolters. Seinen Beobachtungen zufolge werden Unternehmen oft von falschen oder zu hohen Erwartungen enttäuscht, wenn sie beispielsweise BYOD nur mit einer technischen Lösung für das Mobile Device Management (MDM) adressieren. Ein methodischer Ansatz berücksichtige nicht nur Struktur und Kultur des Unternehmens, sondern auch die Aufgaben und Rollen der einzelnen Mitarbeiter. Zudem sei nicht absehbar, welche Geräte die Zukunft mit sich bringen wird - ein T-Shirt mit Betriebssystem oder einen implantierten Chip? "Die vielen Unbekannten in der Gleichung machen es daher unrealistisch, mittelfristig nur noch auf vorgegebene Arbeitsmittel des Unternehmens zu setzen", so Wolters.

"Vorherrschendes Thema ist die Individualisierung, und das muss die IT in den Griff kriegen", fordert auch Nicole Dufft, Senior Vice President bei Pierre Audoin Consultants (PAC). Dabei gehe es weniger um die Frage, ob ein privates Gerät mitgebracht wird, sondern vielmehr darum, wie die IT unterschiedliche Geräte unterstützt und die Vorlieben der Mitarbeiter für verschiedene Anwendungen berücksichtigt. "Wir leben in einer Zeit der Akkumulation", sagt Dufft, in der jeder Mensch unterschiedliche Geräte und Apps sammelt. "Weder von der Sicherheit noch von der Effektivität her ist das zufriedenstellend."

Roehns Wette - Alle sorgen für ihre eigenen Arbeitsmittel

"Ich wette, dass in zehn Jahren 80 Prozent der Menschen in Deutschland ihr privates IT-Equipment – zum Beispiel iPads und Smartphones – in den Firmen, in denen sie arbeiten, nutzen", schreibt Steffen Roehn, Ex-CIO der Telekom, im CIO-Jahrbuch 2012.

Steffen Roehn
Foto: Deutsche Telekom AG

Mit seiner Prognose zu Bring Your Own Device (BYOD) begibt sich Steffen Roehn (Foto) auf dünnes Eis - zum Zeitpunkt der Wette vor rund einem Jahr war das Tauwetter allerdings noch nicht absehbar. Damals wollten viele Mitarbeiter ihr privates Smartphone auch für das Unternehmen nutzen, da die betrieblich zugelassenen Geräte oft wenig ansprechend waren. Inzwischen hat sich die Situation aber verändert, wie eine aktuelle Umfrage von IDC belegt. Demnach haben rund 90 Prozent der Unternehmen spätestens in zwölf Monaten eine Mobility-Strategie verabschiedet. Folglich rechnen viele der Befragten damit, dass sie künftig vermehrt Geräte ihres Arbeitgebers nutzen werden.

Am Beispiel BYOD zeigt sich, welchen Zyklen die IT unterworfen ist. So werden Phasen der Standardisierung und Konsolidierung abgelöst durch einen neuen Wildwuchs an unerwarteter Stelle. Und das, was heute noch als ungeschriebenes Gesetz gilt, ist morgen schon eine Belastung für das Miteinander. Daher könnte Ex-CIO Roehn auch recht haben mit seiner Wette - niemand kann schließlich abschätzen, welche elektronischen Geräte die Mitarbeiter des Jahres 2021 an der IT-Organisation vorbei in ihre Firma einschleppen werden.

IDC: Nutzung privater Geräte sinkt

40 Prozent der deutschen Unternehmen haben eigenen Angaben zufolge eine Mobility-Strategie und unterstützen mobile Mitarbeiter aktiv, besagt eine aktuelle Umfrage von IDC. Immerhin 51 Prozent der Befragten befinden sich in der Implementierung oder planen diesen Schritt für die kommenden zwölf Monate. In der Mobility-Strategie spielen BYOD und die freie Geräteauswahl allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Es geht in erster Linie um mobilen Zugriff auf Daten und Anwendungen, die bessere Unterstützung im Tagesgeschäft und die Vereinfachung von Geschäftsprozessen. Erstaunlich: Die Nutzung privater Endgeräte für den Arbeitgeber wird laut der IDC-Studie in den kommenden Jahren sinken, prognostizieren die Befragten.

Strategisch ist BYOD bereits gelöst
Foto: cio.de

"Ich wette daher gegen die 80 Prozent von Herrn Roehn", sagt Jennifer Waldeck, IDC-Analystin und Autorin der Studie. Der Grund, warum Mitarbeiter weniger private Geräte mitbringen müssten, sei einfach: "Weil die Unternehmen wesentlich mehr unterschiedliche Smartphones und Tablets anbieten als früher." Wegen der hohen Anforderungen etwa bei Datenschutz und Datensicherheit hätten viele IT-Organisationen entschieden, in dieser Beziehung aktiver zu werden. "Sie wollen zunehmend die Mitarbeiter von innen heraus unterstützen, damit diese beispielsweise nicht auf die Idee kommen, Daten in die Public Cloud hochzuladen - was ja aktuell sehr verbreitet ist."

Zudem seien Unternehmen gut beraten, die Sicherheit durch eine geringere Fehlerwahrscheinlichkeit zu senken, etwa durch technische Maßnahmen oder Schulungen. "Die IT muss zumindest einen Teil der Kontrolle zurückgewinnen", sagt Waldeck und ergänzt: "Kommen dann neue Technologien und Geräte auf den Markt, kann die IT künftig wesentlich schneller reagieren." Vorneverteidigung hieß diese Strategie früher einmal.

Siri überfordert private Geräte

Dabei ist BYOD erst der Anfang für IT-Organisationen: "Viel größer werden die Probleme mit Bring Your Own Service", warnt Tilo Böhmann von der Universität Hamburg. Für bestimmte Aufgaben seien die mobilen Endgeräte nicht stark genug, weshalb sie auf die Unterstützung durch die Cloud angewiesen sind - gängigste Beispiele sind Apples Sprachverarbeitung Siri und die Storage-Lösung Dropbox.

Ob Compliance-Vorschriften oder nicht - viele Menschen nutzen diese Services, wenn sie zur Verfügung stehen, weil sie praktisch sind. „Die meisten Smartphones schleppen eine Cloud von Diensten hinter sich her, die sie erst produktiv machen“, sagt der Professor für IT-Management. Am Umgang mit solchen Diensten könne man beispielsweise ablesen, wie gut eine interne IT-Organisation für die Herausforderungen aufgestellt ist. So sieht Böhmann denn auch weniger die Hardware als vielmehr die Dienste als potenziellen "Showstopper" für BYOD - "noch gibt es auf viele Fragen keine überzeugenden Antworten".

"Geld sparen wir durch BYOD nicht"

Ein paar Antworten hat IBM gegeben, notgedrungen. Neben den offiziellen Blackberrys für rund zehn Prozent der Belegschaft durften weitere 20 Prozent der Mitarbeiter mit anderen Smartphones und Tablets auf Firmennetze zugreifen, auch mit privat angeschafften Geräten. "Geld sparen wir durch BYOD nicht", äußerte sich IBM-CIO Jeanette Horan im Mai gegenüber IT-Fachmedien in den USA. Im Gegenteil: Die unkontrollierte Software aus dem Netz sei eine gewaltige Herausforderung für die IT-Organisation, und viele Nutzer hätten kein Bewusstsein für die Sicherheitsrisiken durch den Einsatz unkontrollierter Apps.

Richtlinien für private Geräte
Foto: cio.de

Inzwischen hat IBM die Zügel an vielen Stellen angezogen. Dies gipfelte darin, dass die Sprachsteuerung Siri auf den offiziellen iPhones des Unternehmens deaktiviert wurde, um zu verhindern, dass sensible Anfragen zur Berechnung auf Server von Apple hochgeladen werden. Als Dropbox-Ersatz hat der Konzern einen eigenen Web-Storage für seine Mitarbeiter eröffnet. Auch die Sorge vor dem Verlust von Daten ist nicht unbegründet.

Laut einer Studie des Ponemon Institute aus 2011 im Auftrag von McAfee kamen bei 439 befragten Organisationen in einem Jahr knapp 143.000 Smartphones abhanden. Davon wurden nur 9300 Stück wiedergefunden. Immerhin 60 Prozent aller Geräte sollen sensible Informationen gespeichert haben, allerdings waren nur 57 Prozent aller Devices geschützt. Dem "Balanceakt zwischen niedrigeren Kosten durch rein private Geräte und den Anforderungen an die Sicherheit“ müssten sich Unternehmen stellen, sagt Gartner-Analystin Zimmermann. Es geht darum, die geforderte Offenheit möglichst elegant durch Kontrollen abzusichern - Grautöne statt Schwarz-Weiß-Denken. "Das Consumer-Segment weist kurze Veränderungszyklen auf, ist immer in Bewegung und nicht vorhersehbar", sagt der Hamburger Professor Böhmann.

Fazit

Gartner-Analystin Zimmermann unterstützt die Wette: "In zwei Jahren ist BYOD im Mainstream angekommen, und wer weiß schon, welche persönlichen Endgeräte wir in neun Jahren haben?" Fraunhofer-Projektleiter Wolters tippt für 2021 auf "mehr als 50 Prozent private Geräte im Business", Wissenschaftler Böhmann zufolge sind die 80 Prozent "nicht von der Hand zu weisen, wenn sich die Wette auf Smartphones und Tablets beschränkt - insbesondere dann nicht, wenn Tablets klassische Rechner zu verdrängen beginnen".

Dagegen sieht neben IDC-Analystin Waldeck auch ihre Kollegin Dufft von PAC keine große Siegchance: "Ich würde tippen, dass in zehn Jahren mindestens 80 Prozent der Unternehmen unterschiedliche Endgeräteplattformen im Einsatz haben - aber ob das alles private Devices sind, bezweifele ich."