Zusammen entwickeln oder fertig kaufen?
Der Anbietermarkt als Risikofaktor
2003 schrieb der Berliner Klinikbetreiber Vivantes satte Verluste. Gunther Nolte hat inzwischen einiges unternommen, um die IT der neun Häuser auf eine IT-Linie zu bringen - und Kosten zu sparen. Bis Ende 2004 vereinheitlichte der IT- und TK-Direktor die betriebswirtschaftlichen und Personal-Prozesse und schaffte eine neue Infrastruktur. Er entschloss sich zudem für jenes Krankenhaus-Informationssystem, das am Markt vermeintlich das reifste war, das Produkt Orbis von Agfa. "Aufgrund des hohen wirtschaftlichen Drucks gab es keinen Raum für ein Probieren oder Entwicklungspartnerschaften", so Nolte. Denn der "Gemischtwarenladen" in den neun Kliniken kostete ihn "unendlich viel Geld". Zudem gab es keine bessere Alternative zu der komplexen Schnittstellenarchitektur.
Ist der wirtschaftliche Druck nicht ganz so groß, kommen die CIOs gehörig ins Grübeln, welches System wohl das geeignetste für das eigene Haus ist. Etwa Andreas Gütersloh. Der IT-Chef der neu formierten Universitätsklinik Schleswig-Holstein hat sich lange und ausgiebig im Markt umgesehen, ehe der IT-Manager sich entschieden hat. Mit den nötigen Spezifikationen im Gepäck reiste Gütersloh 2005 von Uniklinik zu Uniklinik - von Aachen (Produkt Lorenzo von iSoft) nach Erlangen (Soarian von Siemens) und nach Marburg (Orbis von Agfa) und ließ sich die Systeme vorführen.
Nach einer europaweiten Ausschreibung fiel die Entscheidung gegen eine Entwicklungspartnerschaft nach
dem Vorbild der Aachener oder Erlanger - jedenfalls in den Kernfunktionen. "Wir entschieden uns für das wirtschaftlich günstigste Angebot", begründet Gütersloh die Entscheidung für Orbis von Agfa. 16,5 Millionen
Euro gibt Gütersloh für das neue Systems aus, wozu auch ein Bildarchiv (PACS) und Radiologie-Informationssystem (RIS) gehört. Bis 2008 will er das RIS und PACS an den Start bringen. Bis 2010 soll die
"voll integrierte" Lösung dann komplett und auch für Zukunftsvisionen gerüstet sein. Gütersloh rechnet mit
Investitionen von 45 bis 50 Millionen Euro in den nächsten vier bis fünf Jahren.
Vivantes: Ein System für alle Kliniken
Für Vivantes-Mann Nolte ist die "intersektorale elektronische Fallakte" die Zukunft, für die die IT 2008 gerüstet sein soll. "Was bei uns heute läuft, ginge dann in Kooperation mit anderen", betont Nolte, der mit seinem KIS-Standard nun „so tut, als ob der Konzern nur noch ein Krankenhaus ist". "Ein OP-System, eine Dokumentation für diagnosebezogene Fallpauschalen und eine Radiologie", sagt Nolte, der nur noch etwa für Laborsysteme und die Pathologie Schnittstellen schaffen muss.
Der lukrative Markt für entsprechende Systeme ist so fragmentiert wie unsicher. Zwar sind nicht mehr über
30 Systeme wie vor wenigen Jahren auf dem Markt, doch die KonsolidierungKonsolidierung geht weiter. Viele finanzstarke Konzerne haben sich kleine Software-Häuser inzwischen einverleibt. Siemens, General Electric, Philips und Agfa gehören dazu.
Alles zu Konsolidierung auf CIO.de
Siemens beschränkt sich längst nicht mehr auf sein Produkt Soarian. Heute kann der Münchener Konzern auf das Wissen und die Entwicklungen der Firmen Dataplan und der GSD zurückgreifen. Die GSD hat mit der T-Systems Austria das Produkt i.sh.med geschaffen, das die Walldorfer SAPSAP als SAP IS-H an die Kliniken bringen. Auch der finnischen Anbieter Tieto Enator (TE), der in einer Entwicklungspartnerschaft mit der Rhön Klinikum AG sein Produkt für den deutschen Markt perfektioniert, verfolgt offenbar die Strategie: "Aufkaufen, was auf dem Markt wichtig werden könnte." TE kaufte 2005 das Frechener Unternehmen ITB und dessen Produkt "IMedOne". TE wiederum gibt sich damit nicht zufrieden, kauft die Firmen Waldbrenner mit "Kissmed" und Cymed dazu. Alles zu SAP auf CIO.de
Der herkömmlich für Filme bekannte Konzern Agfa verstärkte seinen Healthcare-Zweig mit der GWI, die heute mit ihrem Produkt Orbis das am weitesten verbreitete Produkt auf dem deutschen Klinikmarkt hat. Nach eigenen Angaben ist Orbis in Kontinentaleuropa über 700 mal installiert, bei über 200 Installationen in den etwa 2.100 Kliniken in Deutschland.
Ärzte müssen überzeugt werden
Für CIOs stellt sich vorrangig die Frage, welche Systeme künftig am meisten Potenzial haben werden. Deshalb gibt es auch den Königsweg zwischen funktionierendem KIS-Standard und Entwicklungspartnerschaft nach Ansicht von Cornelia Vosseler nicht. "Zwischen Pest und Cholera" würden sich die Klinik-CIOs entscheiden müssen, meint die Klinikberaterin aus Mönchengladbach. Der Grund: Basisfunktionen seien in den KIS-Systemen in der Regel da, die Software gebe genug her, trotzdem würden nur 30 Prozent der gesamten Funktionalitäten tatsächlich von einem Krankenhaus genutzt, so die Beraterin. Doch Hersteller müssten ständig dazu entwickeln, sich auch ständig neuen gesetzgeberischen Novellen anpassen.
"CIOs wollen abteilungsübergreifende Terminplanungen und Arztbriefschreibung. Sie wollen Behandlungspfade in den Systemen erfassen und so Liegezeiten reduzieren, Doppeluntersuchungen vermeiden, die durch verschlampte Befunde nötig werden", erläutert Vosseler. Doch fügt sie hinzu: "Das können fast alle KIS-Systeme".
Nach Ansicht der Medizininformatikerin, die sich als Mittler zwischen IT und Medizinern sieht, liegt die Herausforderung ganz woanders: "Es ist weitaus schwerer, die Pflege- und Ärzteschaft für einen übergreifenden KIS-Standard zu überzeugen, als ihn schließlich einzuführen - ohne Mentoren aus der Pflege- und Ärzteschaft lässt sich ein solches Projekt kaum bewältigen."