Urteil vom Bundesarbeitsgericht
Wann Crowdworker Arbeitnehmer sind
Das moderne Pendant zu dem klassischen Soloselbständigen, der als Subunternehmer ohne eigene Mitarbeiter Pakete ausliefert, ist in Zeiten moderner Arbeitsformen der sogenannte Crowdworker, der über eine Internetplattform vermittelte Aufgaben und Projekte bearbeitet. Oft handelt es sich dabei um Aufgaben von geringer Komplexität wie zum Beispiel Preisvergleiche, Adressrecherchen oder Testen von Apps.
"Der Crowdworker ist dabei regelmäßig über eine Rahmenvereinbarung mit einer Internetplattform vertraglich verbunden. Dort kann er sich mittels App um Einzelaufträge bewerben. Bekommt er einen Auftrag zugeteilt, muss er diesen binnen kurzer Zeit erledigen. Nach erfolgreicher Bearbeitung wird eine Vergütung auf dem Nutzerkonto gutgeschrieben, die später ausgezahlt wird", erläutert Michael Fuhlrott, Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg Professor, die Ausgestaltung derartiger Regelungen.
Kein Urlaub, kein Kündigungsschutz, keine Lohnfortzahlung
Nach dem Verständnis der Internetplattformen waren Crowdworker bislang als Selbständige einzustufen. "Der Schutz des Arbeitsrechts, insbesondere Kündigungsschutz, bezahlter Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall stehen einem Crowdworker dann nicht zu", so Fuhlrott. Damit der Schutz des Arbeitsrechts greift, muss das Beschäftigungsverhältnis als Arbeitsverhältnis qualifiziert werden. "Für Arbeitnehmer prägend ist insbesondere die persönliche Abhängigkeit, die sich durch eine Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die betrieblichen Abläufe und Organisation kennzeichnet", erklärt der Arbeitsrechtler.
Eine solche Eingliederung sah das Bundesarbeitsgericht in seiner aktuellen Entscheidung (Urteil vom 1.12.2020, Az.: 9 AZR 102/20) beim klagenden Crowdworker aber als gegeben und bejahte damit dessen Arbeitnehmerstatus. Dieser hatte sich auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses berufen und sich gegen eine Kündigung des Rahmenvertrags durch die Internetplattform gerichtlich zur Wehr gesetzt.
Er berief sich dabei auf die faktische Eingliederung und den Druck zum Tätigwerden, der durch die Einbindung in das Netzwerk entstehe. Mit dieser Argumentation war der Crowdworker indes noch in den Vorinstanzen (ArbG München, Urteil vom 20.2.2019 - 19 Ca 6915/18 und LAG München, Urteil vom 4.12.2019 - 8 Sa 146/19) erfolglos. Das Bundesarbeitsgericht machte hingegen deutlich, dass die notwendige Betrachtung der persönlichen Abhängigkeit unter Vornahme einer Gesamtbetrachtung erfolgen müsse. Diese streite im konkreten Fall für eine persönliche Abhängigkeit - und damit für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. "Crowdworking-Plattformen werden damit ihr bisheriges Geschäftsmodell so nicht fortsetzen können", gibt Fuhlrott zu bedenken.
Bundesarbeitsministerium will Schutz der Crowdworker stärken
Auch wenn der konkrete Fall damit höchstrichterlich geklärt ist, scheint das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen, meint Fuhlrott. "Insbesondere Gewerkschaften war der fehlende arbeitsrechtliche Schutz von Crowdworkern ein Dorn im Auge. Durch die aktuelle Entscheidung dürfte der Druck auf den Gesetzgeber zum Tätigwerden aber geringer werden", kommentiert der Hamburger Arbeitsrechtler.
Am 27. November und damit nur wenige Tage vor dem aktuellen Urteil hatte das Bundesarbeitsministerium ein neues Eckpunktepapier zu "Fairer Arbeit in der Plattformökonomie" veröffentlicht, das den Schutz von Crowdworkern stärken soll. Hiernach sollen diese unter anderem in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden, Zugang zur Unfallversicherung haben, bestimmte Mindestkündigungsfristen geschaffen werden oder eine Beweisverlagerung bei Prozessen zur Klärung des Arbeitnehmerstatus eingeführt werden. "Die Sache ist also bereits auf der politischen Agenda", weiß Fuhlrott.